Moby

Ich bin kein blinder Patriot.

Richard Melville Hall alias Moby über Osama bin Laden, Patriotismus, die US-Außenpolitik, die Entwicklung in der arabischen Welt, analoge Fotos und digitale Musikproduktion, Twitter, seinen Lieblingssport und seine Pfannkuchen

Moby

© Little Idiot Records

Mr. Hall, als vor wenigen Wochen Osama bin Laden getötet wurde – was haben Sie in dem Moment gedacht und gefühlt, als Sie davon erfuhren?
Moby: Verschiedene Dinge. Eines war… kennen Sie sich mit Semiotik aus?

Ein bisschen, ich habe auch Ihr Interview gelesen, in dem Sie darüber sprechen, dass Millionen Menschen…
Moby: Es waren Milliarden von Menschen, die alle zur gleichen Zeit von der gleichen Nachricht erfahren haben. Wobei die Reaktion der Menschen so anders war als das, was eigentlich passiert ist. Die Realität war ja…

… sehr simpel….
Moby: Ja, ein alter Mann wird in seinem Haus in einer Vorstadt getötet. Er war offenbar ein sehr schlechter Mensch, der viele schlechte Dinge getan hat, trotzdem fand ich es sehr merkwürdig, dass die Leute seinen Tod gefeiert haben. Mein Wunsch wäre gewesen: Er wird gefangen genommen, vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gestellt und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Und Ihre Gefühle?
Moby: Es fühlte sich komisch an, dass ich in einem Land lebe, wo Menschen den Tod eines alten Mannes feiern.

Der Fakt, dass Osama bin Laden nun nicht mehr da ist, hat bei Ihnen keinerlei positive Gefühle geweckt?
Moby: Nein. Das ist ein komischer alter Mann, der in den einem Vorort lebt und Pornos guckt. Nein, ich fühlte mich dadurch nicht im Recht oder verteidigt… Sicherlich steigert es Obamas Chancen, wiedergewählt zu werden. Aber mich hat das weder auf geopolitischer noch auf persönlicher Ebene berührt.

Haben Sie denn nationale, patriotische Gefühle?
Moby: Es gibt Dinge, die ich an den USA sehr mag. Dass es eines der wenigen Länder ist, wo es mitten im Winter gleichzeitig bitterkalt und sehr heiß sein kann. Ich mag die Unabhängigkeitserklärung, die Bill of Rights, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit – alle Freiheiten, die in den Bill of Rights garantiert sind, finde ich wirklich beeindruckend. Ich mag die Tatsache, dass South Park und Family Guy, John Coltrane, Miles Davis, Iggy Pop, Jim Morrison, David Lynch und William S Burroughs aus den USA kommen, ich bin stolz auf die Kunst und die Kultur. Aber was ich nicht verstehe ist blinder Patriotismus. Es gibt sehr viele Amerikaner, die einfach ihre amerikanische Flagge lieben, deren Einstellung ist: Ich unterstütze Amerika, egal wofür.
Für mich gibt es bestimmte Dinge, die ich an Amerika mag, aber auch vieles, was ich nicht mag. Ich bin kein blinder Patriot.

In seiner Rede über die Entwicklung in der arabischen Welt sagte Obama im Mai 2011: Repression funktioniert nicht mehr. Teilen Sie seinen Optimismus?
Moby: Also, das ist etwas kompliziert. Im Iran beispielsweise, da gab es den Schah, dessen Regime sehr repressiv war. Als er gestürzt wurde rückte an seine Stelle eine islamische Theokratie (Gottesstaat) – und die war dann noch repressiver.
In Ägypten wurde Mubarak gestürzt, alle haben gefeiert, dass der Diktator weg ist. Dabei könnte es sein, dass auch er durch eine islamische Theokratie ersetzt wird. Und dann ist die Sharia das Gesetz, dann werden Frauen für Ehebruch zu Tode gesteinigt…  –  Also, ich bin natürlich dafür, dass ein repressives Regime gestürzt wird, allerdings nicht wenn es bedeutet, ein noch repressiveres Regime zu installieren.
Zum Beispiel, wenn man sich Afrika südlich der Sahara anschaut, da wurden im 20. Jahrhundert alle Kolonialmächte rausgeworfen und in fast jedem Fall durch eine entsetzliche Diktatur ersetzt. Ich denke, das könnte auch in der arabischen Welt passieren. Insofern… es gibt da im Englischen diese Redewendung: „Better the devil you know than the devil you don’t.“ (dt. „Von zwei Übeln wählt man besser das, was man schon kennt.“)

Das klingt jetzt alles sehr pessimistisch…
Moby: Die Geschichte zeigt nicht…. Gut, es gibt ein paar Fälle.. Wir sitzen hier ja gerade in Ost-Berlin, das ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein undemokratisches Regime gestürzt und durch ein sehr demokratisches ersetzt wurde. Das gleiche ist in Serbien und Rumänien passiert. Trotzdem denke ich, dass wir aus dem Westen manchmal etwas naiv sind, wenn wir denken: Weil es hier so geschehen ist, wird es auch woanders so geschehen.
Die Antwort auf Ihre Frage ist: Ich weiß es nicht. Ich bin weder pessimistisch noch optimistisch, ich denke nur, wenn man ein Regime loswird, heißt das noch lange nicht, dass es durch ein besseres ersetzt wird.

Sehen Sie denn einen Unterschied zwischen der Außenpolitik der USA unter Obama und unter Bush, die arabische Welt betreffend?
Moby: Mmmm… (überlegt) Ja. Wobei ich das nicht unbedingt an Obama festmachen würde. Er ist ja ein sehr gemäßigter Politiker, er hat Guantanamo immer noch nicht geschlossen, er ist ein Zentrist, ein Pragmatiker. Für mich macht David Petraeus den größeren Unterschied. Als der Krieg im Irak begann, dachten Wolfowitz, Rumsfeld und Cheney, sie können dort reingehen und über Nacht eine Demokratie nach westlichem Vorbild installieren. Aber das funktionierte nicht und über Jahre handelten die amerikanischen Soldaten wie eine Invasionstruppe.
Petraeus hat daraus gelernt, nämlich dass der beste Weg ist, mit den Irakern zu interagieren,  ihre Sprache zu lernen, ihre Kultur kennen zu lernen, ihr Essen zu essen und mit ihnen wie Menschen umzugehen. Diese Herangehensweise funktioniert besser in Afghanistan und besser im Irak. Insofern sehe ich das nicht so sehr als Bush vs. Obama-Angelegenheit, es geht mehr darum, aus der Erfahrung zu lernen. Wir nennen das auch die „Petraeus-Doktrin“, also nicht wie eine Besatzungsmacht zu handeln, sondern eher wie ein kultureller Botschafter.

Die Europäer jedenfalls sehen Obama deutlich positiver als Bush…
Moby: Aber so einfach ist es nicht. Bush hatte in seiner Regierung sehr viele Neokonservative mit diesem sehr, sehr arroganten und naivem Weltbild. Die Außenpolitik der Bush-Administration war naiv und ignorant, deshalb sind auch all diese Desaster passiert.
Obama ist einfach nicht so arrogant und ignorant. Das heißt nicht, dass er der Retter der Welt ist, auch nicht, dass seine Außenpolitik fantastisch ist – sie ist nur besser als die der Bush-Administration, weil die Außenpolitik Bushs einfach unglaublich schlecht war. Die wussten nicht, was sie taten und in ihrer Arroganz dachten sie, sie wüssten genau, was sie tun.
Obamas Außenpolitik besteht nun darin, reinzugehen und die Fehler der Bush-Administration zu beseitigen.

Lassen Sie uns über Ihre Musik reden, auch über Ihren jüngsten Fotobildband. Haben Sie heute schon ein Foto gemacht?
Moby: Oh, weiß ich gar nicht. Meine richtig gute Kamera ist in meinem Koffer. Ansonsten habe ich eine Canon Powershot, mit der ich Aufnahmen mache, die meisten Bilder im Buch habe ich mit der kleinen Kamera gemacht. Ich bin froh über die Spontaneität, aber etwas frustriert, was die Auflösung anbelangt. Bei meinem nächsten Fotoprojekt will ich mit meiner richtigen Kamera fotografieren, das wird dann noch besser und man wird die Bilder größer drucken können.
Die Bilder in „Destroyed“ sind sehr spontan entstanden, es ist viel Reportage- und Dokumentarfotografie dabei.

Was ist notwendig, damit Sie Ihre Kamera rausholen und fotografieren?
Moby: Es kann alles sein, es ist dieser komische Moment, wenn etwas interessant aussieht. Oft ist es auch so, dass ein Bild in dem Moment gar nicht Schönheit dokumentiert, sondern etwas Emotionales, wenn ich auf etwas gucke und fasziniert davon bin, was es repräsentiert. Die meisten Bilder im Buch repräsentieren ja auf sonderbare Weise etwas…

Dinge, die nicht im Bild zu sehen sind?
Moby: Ja, mit jedem Bild im Buch kommt eine Frage daher, manche haben ein sehr spezielles narratives Element. Wenn du ein Foto machst von einem kleinen Kind, dass in Bangladesh auf der Straße sitzt, mit einer Geldschale, bedeckt mit Fliegen, dann ist das eine Tragödie, aber jeder weiß, wie er auf das Bild reagiert – mit Trauer und Wut, da sind wir klassisch konditioniert.
Ich bin auf einem künstlerischen Level mehr an Bildern interessiert, die zweideutig sind. Bilder, die den Betrachter nicht notwendigerweise zu einer Schlussfolgerung führen, sondern offen bleiben durch diese etwas geheimnisvolle Zweideutigkeit.

Sie haben Fotografie studiert…
Moby: Auf der Uni waren Philosophie und Fotografie meine beiden Hauptfächer, zwei Gebiete, die sich gegenseitig beeinflussen. Ich mag schöne Bilder, aber ich interessiere mich mehr für Bilder die mir etwas über die Umwelt erzählen, in der wir leben, die auf bestimmte Weise menschlichen Zustände und die sehr komischen Aspekte unserer Welt zeigen, besonders dann, wenn die Bilder eigentlich ganz normal aussehen.
Das bringt mich wieder zur Semiotik zurück, also welche Bedeutungen wir Dingen zuordnen, wenn Dinge uns sehr normal erscheinen, obwohl sie eigentlich überhaupt nicht normal sind. Das ist ein Grund, warum ich fluoreszierendes Licht so sehr mag.

Das müssen Sie erklären.
Moby: Ich mag Lichtquellen generell. Wir finden sie hübsch, wir machen das Licht an und der Raum sieht schön aus. Aber dann denke ich an die ganzen kleinen Atomreaktionen die in so einer Lampe geschehen, die Elektronen, deren Quantenzustand noch anders war, bevor du das Licht angeschaltet hast. Da findet sozusagen ein Urknall im Glas statt – und wir benutzen das, um damit ein Buch zu lesen oder uns einen Toast zu machen. Der Mensch besitzt die Fähigkeit, das Wunder wahrzunehmen, es aber als komplett normal anzusehen. Wir können Elektrizität für uns nutzbar machen, andererseits ist jeder Aspekt davon wundersam und fremd.
Also, was mich dazu bringt, ein Foto zu machen, sind Dinge oder Momente, wo ich das Gefühl habe, dass sie sonderbar sind. Ich schätze auch konventionelle Schönheit, ein Bild von einer Orchidee, von einem Baby, das kann auch schön sein, aber ich interessiere mich eher für unkonventionelle, komplizierte Schönheit, wenn unsere erste Reaktion ist, dass wir es nicht schön finden, aber nach einer Weile eine außergewöhnliche Schönheit darin sehen.

Fotografieren Sie analog oder digital?
Moby: Ich bin mit analog aufgewachsen, so habe ich etwa 25 Jahre fotografiert, erst in den letzten zehn Jahren bin ich zu digital übergegangen. Zu fotografieren hieß für mich, in der Dunkelkammer zu sitzen, den Film entwickeln, Abzüge machen…

Wären Sie heute ein anderer Fotograf, wenn Sie nicht analog angefangen hätten, wenn Sie nicht die viele Zeit in der Dunkelkammer verbracht hätten?
Moby: Ich denke schon. Als Teenager war das für mich alles sehr teuer, die Filme, die Chemikalien, das Fotopapier… Und ich weiß nicht, ob Sie schon mal in der Dunkelkammer gearbeitet haben, das ist keine besonders angenehme Arbeit, das braucht viiiel Zeit. Du öffnest die Filmdose, packst den Film in die Entwicklungsdose, dann kommen die Chemikalien usw. Es ist auch nervenaufreibend, du weißt erst ganz am Ende, ob das Foto etwas geworden ist. Weil es so viel Zeit brauchte, gute Prints herzustellen und teuer war, habe ich sehr langsam fotografiert.
Ich kenne aber viele Fotografen, die mit digital aufgewachsen sind und die 500 Bilder am Tag machen. Ich dagegen fotografiere heute immer noch so wie jemand, der seinen eigenen Film kaufen muss und die Bilder selbst entwickelt.  Wenn ich etwas interessantes sehe gucke ich es mir eine Weile an und dann mache ich ein Bild. Andere sind da viel schneller, machen klick, klick, klick. Ich bin zwar auch schon etwas spontaner mit Fotos geworden, aber noch lange nicht so spontan, wie die meisten Leute fotografieren.

Wenn wir nun das, was Sie gerade erzählt haben, auf die Musik beziehen: Sie sind in der analogen Musikwelt groß geworden, haben ein Instrument gelernt. Wären Sie heute ein anderer Musiker, wenn Sie nur mit den digitalen Möglichkeiten, mit dem Computer aufgewachsen wären?
Moby: Ich denke, es gibt elektronische Musiker die nie ein Instrument angefasst haben, aber trotzdem unglaubliche Platten gemacht haben. Es gibt auch Digitalfotografen, die nie analog fotografiert haben, aber wunderbare Bilder machen.
Mein Background ist, dass ich Gitarre, Bass, Klavier und Schlagzeug gespielt habe, dass ich mich mit Musiktheorie beschäftig habe. Davon bin ich als elektronischer Musiker beeinflusst. In manchen Situationen denke ich allerdings, ich wäre ein besserer Musiker, wenn ich kein Instrument gelernt hätte.

Zitiert

Ich fand es sehr merkwürdig, dass die Leute Osama bin Ladens Tod gefeiert haben.

Moby

Warum?
Moby: Elektronische Musiker, die kein Instrument spielen, denken ganz anders. Mein musikalischer Background ist eher formal, ich denke immer noch in den verschiedenen Tonarten, ich habe die Musiktheorie immer im Hinterkopf. Da ist es interessant für mich, Musik von Nicht-Musikern zu hören. Ich bin schon glücklich über mein Wissen, für jemand, der kein Instrument spielt, kann es ja auch sehr frustrierend sein, wenn er eine Platte produzieren will, und nicht weiß, wie er es anstellen soll.
Es ist schon vorgekommen, dass mich Freunde, die an einer Platte gearbeitet haben, fragten: Wie kriegt man das hin, dass die Töne an dieser Stelle traurig klingen?

Oh…
Moby: Ich habe dann gesagt: Du hast den Grundton, die Moll-Terz – aber damit können sie nichts anfangen, sie wissen nur, dass es traurig klingen soll. Insofern bin ich schon dankbar für mein musikalisches Wissen. Das ist in etwa so wie bei den abstrakten Expressionisten, Jackson Pollock oder Willem de Kooning, die waren zuerst Künstler im klassischen Sinn und später als Expressionisten waren sie immer noch fähig, ihre Ausbildung auf die abstrakte Arbeit anzuwenden.
Ich sehe mich heute in erster Linie als elektronischen Musiker, und meinen Background in klassischer Musik und Musiktheorie kann ich benutzen, wenn es bei meiner Arbeit notwendig ist. Vieles von dem, was ich bei meinem ersten Musiklehrer gelernt habe, fand ich damals blöd und sinnlos, ich wusste nicht, wozu ich mixolydische, dorische und phrygische Tonarten lernen sollte. Heute bin ich froh, dass er es mir beigebracht hat.

Wie wird es die Musikentwicklung beeinflussen, wenn in kommenden Generationen immer weniger Menschen ein Instrument erlernen sondern direkt mit dem Laptop anfangen, Musik zu machen?
Moby: Also, wenn du ein Instrument erlernst, dir ein Studio aufbaust usw., dann braucht es sehr viel Zeit, bis du gut klingst. Wenn du dann aber soweit bist kennst du den Prozess des Besserwerdens und weißt ihn zu schätzen.
Das Gleiche beim Fotografieren: wenn du analog fotografierst und entwickelst, dann brauchst du Jahre, um Bilder zu machen, die Qualität haben. Dagegen wenn du digital fotografierst kaufst du dir einfach ein Iphone, lädst dir die Hipstamatic-Software drauf – und  schon kannst du gut aussehende Bilder machen.
Fürs Musikmachen kaufen sich die Leute dann einen Laptop, installieren Ableton und Garage Band und sofort können sie gut klingende Musik produzieren, ohne genau zu wissen, wie man Musik macht.

Was doch eigentlich nicht schlecht ist, oder?
Moby: Ich denke, dass die Gefahr darin besteht: wenn es so einfach ist, gute Musik zu machen, dann geben sie die Leute keine Mühe, großartig zu sein. Es ist wirklich einfach, mit Ableton oder Reason ordentlich klingende elektronische Musik herzustellen. Aber es ist nicht einfach, großartig klingende Musik damit zu machen, dafür musst du wirklich dran arbeiten. Ich höre viel Musik von elektronischen Musikern, die gut ist, aber kaum welche, die großartig ist.

Noch eine Frage zu Ihren Bildern: Sie haben sehr viele menschenleere Räume fotografiert. Ist Einsamkeit ein großer Teil Ihres Lebens?
Moby: Ist es, ja. Aber ich nenne es nicht Einsamkeit. Neulich sprach ich mit einem Journalisten von einem französischen Kunstmagazin, der fand meine Bilder von den Menschenmengen richtig aufregend, die Bilder mit leeren Räumen dagegen verlassen und traurig. Ich finde aber eher diese Massen beängstigend, die Bilder von leeren Räumen empfinde ich als beruhigend.
Klar, manche Leute gehen auf Tour und machen die ganze Zeit Party, sind immer mit ihren Freunden zusammen, für die ist das ein sehr soziales Ding. Doch so lebe ich einfach nicht. Ich lebe alleine, arbeite alleine, ich bin als Einzelkind großgeworden… Ich mag Menschen, ich verbringe aber nicht viel Zeit mit ihnen.

Sie mögen die Einsamkeit.
Moby: Ich mag es, bei mir zu sein, mit mir, da gibt es so viel, was ich tun kann. Wenn da noch eine Person ist musst du mit ihr reden, sie unterhalten. Wenn ich alleine bin, kann ich Bücher lesen, Musik schreiben, Bilder malen – du kannst alles machen.

Nichts Negatives über die Einsamkeit?
Moby: Manchmal macht es mich ein bisschen verrückt. Wenn ich zu viel Zeit alleine verbringe, dann fange ich an, komisch zu werden. Aber generell gesehen bin ich sehr froh, auf mich gestellt zu sein.

Ein Mensch macht Musik, die Millionen von Menschen hören, er selbst sitzt aber alleine in seinem Hotelzimmer. Ist das für Sie logisch oder paradox?
Moby: Hm.. Ich denke das ist ein Paradoxum. Bis auf dass die Musik auch von mir alleine in einem Raum kreiert wurde. Der erste erfolgreiche Song von meinem Album „Play“ war „Why does my heart feel so bad“, ein sehr ruhiger Song, den ich nachts geschrieben habe, als ich völlig alleine im Studio war. Als ich den dann in TV-Shows gespielt habe, für ein Publikum von vielleicht 10 Millionen Menschen, oder auf einem Festival vor 50.000 Leuten – das war schon eigenartig. Weil es ist ein ruhiger, persönlicher Song ist. Das ist schon ein sehr großer Kontrast zwischen diesem Moment des Schreibens und dem Moment, wo ich den Song für ein tanzendes Festival-Publikum spiele.

Mal eine ganz andere Frage: Warum haben Sie Ihren Twitter-Account „Thelittleidiot“ genannt?
Moby: Ich habe einen deutschen Manager und alles, was er macht, ist mich zu beleidigen. Also, zwischendurch arbeitet er natürlich auch für mich (lacht). Aber es gibt Manager die sympathisch sind, die immer genau das machen, was ihr Künstler will, die ihren Künstlern immer sagen, wie toll sie sind – und mein Manager Eric beleidigt mich einfach, das ist schon etwas seltsam.
Ich bin vor Jahren mal in eine Fernsehsendung gegangen, die Eric wohl ziemlich billig fand, weshalb er sich über mich lustig machte und sagte, „du bist wie ein kleiner Idiot, der überall hingeht, wo er eingeladen wird“. Das fand ich irgendwie lustig, weshalb ich es beibehalten habe, ich habe meine Plattenfirma so genannt, ich hatte einen Klamottenladen der „Little idiot“ hieß…

Nur weil Sie es lustig fanden?
Moby: Es hat auch damit zu tun, dass wir in einer Zeit leben, wo jeder Rapper und jeder Indierocker so cool wie möglich und wo jeder Popstar so jung und sexy wie möglich sein will – da bin ich froh, ein Musiker im mittleren Alter zu sein, der sich „kleiner Idiot“ nennt.

Doch eigentlich sind Sie ja einer der cleversten Musiker im elektronischen Bereich. Sie schreiben politische Texte in CD-Bookletts oder auf Ihre Website, geben intelligente Interviews…
Moby: Oh, es gibt ja ganz verschiedene Sorten von Idioten. Nur weil ich Philosophie studiert habe, mich mit Politik und Semiotik beschäftigt habe, heißt das nicht, dass ich kein Idiot sein kann.

Worin sind Sie denn so richtig schlecht?
Moby: Hmm… Also, ich habe sehr viele persönliche Fehler gemacht, auch im Beruf, künstlerische Fehler. Ich habe Songs rausgebracht, die mir im Nachhinein nicht besonders gut gefallen. Aber das ist ok.
Ich hatte auch Beziehungen, die ich – im Nachhinein betrachtet – nie hätte eingehen sollen. Ich habe Geschäfte gemacht, die ich nicht hätte machen sollen. Und es ist schön, sich manchmal daran zu erinnern, dass man auch Fehler macht, manchmal bin ich eben ein kleiner Idiot.

Kochen können Sie wahrscheinlich gut, oder?
Moby: Nein, nicht besonders. Ich weiß, mich selber zu ernähren, ich weiß auch wie man kocht, aber ich bin ganz sicher nicht gut darin. Ich kann Pfannkuchen, Spaghetti, Reis mit Bohnen… Also, meine Kochkünste sind ganz ok, aber ich werde mir damit kaum Freunde machen. Zum Beispiel meine letzte Beziehung, als wir uns trennten, da wollte meine Ex-Freundin noch mal so richtig meine Gefühle verletzen. Sie meinte am Ende zu mir: „… und was ich dir noch sagen wollte: Deine Pfannkuchen habe ich nie gemocht.“ Das war ihr Abschiedssatz.

Wie haben Sie reagiert?
Moby: Ich habe gesagt: „Du kannst mich beleidigen, aber nicht meine Pfannkuchen!“ Ich arbeite wirklich hart an meinen Pfannkuchen.

Was würden Sie sagen, können Sie noch so richtig gut – außer den Pfannkuchen?
Moby: Hmm, …. weiß ich nicht…. doch, Badminton! Und zwar richtig gut. Ich weiß auch nicht warum. Ich glaube, jeder Mensch hat so bestimmtes sonderbares Talent, und bei mir ist das Badminton. Ich könnte mir sogar fast vorstellen, mich für das olympische Badminton-Team zu bewerben. Wer weiß…. Andererseits, es könnte auch sein, wenn ich gegen Sie spiele, dass ich fürchterlich verliere. Aber bisher habe ich im Badminton kein einziges Spiel verloren, seit meinem vierten Lebensjahr. Natürlich gibt es viel coolere Fähigkeiten, die man haben könnte, als Badminton…

Ist doch ein großartiger Sport.
Moby: Ja, und was mir daran gefällt: Egal wie hart du den Federball schlägst, er fliegt nicht so unendlich weit weg. Wenn du dagegen beim Tennis den Ball richtig hart spielst, fliegt der einen Kilometer. Also, ich mag Badminton wirklich sehr.

Wir sprachen vorhin über Twitter. Wenn ich mir es richtig überlege, muss Sie die Erfindung von Twitter ziemlich beglückt haben, oder?
Moby: Warum?

Weil Sie seit jeher ein Künstler sind, der eine Menge von sich preisgibt. Sie schreiben öffentlich Tagebuch, geben nicht gerade wenig Interviews…
Moby: Wahrscheinlich muss ich einfach lernen, zurückhaltender und still zu sein. Ich schreibe zu viel, kommuniziere zu viel…
Wobei ich es schon lustig finde, was andere Leute so twittern. Neulich war ich auf der Seite von Kanye West, und ich muss sagen, die Leute, die dich wirklich unterhalten, sind einfach verrückt, irre. Du liest ein paar seiner Tweets und fragst dich, was für eine Art von Gehirn sich so etwas ausdenkt. Oder die Tweets von 50Cent, wenn er auf Twitter versucht, mit Frauen zu flirten… – sehr unterhaltsam.

Sie finden Ihre Tweets nicht unterhaltsam?
Moby: Manchmal. Aber lange nicht so unterhaltsam wie die von 50Cent und Kanye West. Ich schreibe Sachen, wenn ich auf Flughäfen bin, ich versuche die Leute nicht zu unterhalten. Das Schöne an Twitter ist ja auch, dass du nicht wirklich viel sagen kannst. Insofern kannst du auch nicht zu lange darüber nachdenken, du kannst nicht zu intelligent oder zu nachdenklich sein. Es geht nur um 140 Zeichen… Dummheiten.

Werden Sie eines Tages aufhören, jeden Tag etwas zu bloggen oder bei Twitter zu posten?
Moby: Vielleicht, ja. Irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt, wo es ganz schön wäre, für eine Weile zu verschwinden. Leonard Cohen ist mal für ein paar Jahre in ein Kloster gegangen nach Mount Baldy, Kalifornien – das ist keine schlechte Idee. Nur um eine Perspektive zu erlangen, sich Zeit zu nehmen, nichts zu tun.

Aber ganz ehrlich: Wenn ich sehe, wie aktiv Sie sind, sowohl was die Medien als auch die Musikproduktion angeht, glaube ich nicht, dass es jemals dazu kommen wird.
Moby: Ich liebe es einfach, Platten zu veröffentlichen und in der Welt unterwegs zu sein.

Aber über das Touren beklagen Sie sich dann auch immer wieder.
Moby: Ja, ich weiß, dass erste Mal dass ich mich über das Touren beklagte und sagte, dass ich weniger touren sollte – das war ungefähr vor 16 Jahren.

Warum sind Sie eigentlich vor kurzem von New York nach Los Angeles gezogen?
Moby: Ich mag die Verrücktheit der Stadt, es ist eine sonderbar inspirierende Stadt. Heruntergekommen, kaputt, billig, verrückt – Los Angeles hat eine Verrücktheit, die ich sehr mag.

Und New York?
Moby: New York ist einfach zu reich. Lower Manhattan war immer voller Künstler, Schriftsteller und Musiker – jetzt gibt es da nur Banker und Hedgefond-Leute. Ich bin mir aber sicher, dass es in Berlin eine ähnliche Entwicklung gibt, die gab es auch in London. Das passiert einfach, Gentrifizierung. Die kreativen Städte werden allmählich immer weniger kreativ.

Deshalb sind Sie umgezogen?
Moby: Ja. Ich bin nach L.A. gegangen, weil es so groß, so billig und eigenartig ist, und weil Künstler da noch leben können. Ich fühle mich unter Künstlern wohler als unter Bankern.

Das Interview entstand im Mai 2011.

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