Mischa-Sarim Vérollet

Das Feuilleton hat Angst vor uns.

Mischa-Sarim Vérollet über das Selbstverständnis der Poetry-Slammer, Konkurrenz und Kommerzialisierung

Mischa-Sarim Vérollet

© Markus Freise

Mischa, ist man als Slam-Poet eher ein moderner Sokrates oder Standup-Comedian?
Vérollet: Beides. Manche Slam-Poeten sind eher ruhigere Lyriker, andere Storyteller, die witzige Kurzgeschichten erzählen. Ob man diese dann als Comedians oder Kabarettisten sieht, liegt im Auge des Betrachters. Der gemeine Slammer wehrt sich allerdings dagegen, in die Standup-Comedian-Schublade gesteckt zu werden. Wir denken nicht in diesen Grenzen. Und Philosophisches findet sich in jeder Textart – das Witzige schließt das Tiefgründige nicht aus.

Ist das dein Ziel – über unterhaltsame Texte etwas Ernsthaftes zu transportieren?
Vérollet: Das ist die Königsdisziplin. Wenn jemand am Ende des Abends sagt: „Das war ein super Text, der war echt witzig und ich hab etwas für mich daraus mitgenommen.“ Dann freut man sich. Ich persönlich möchte aber in erster Linie unterhalten. Wenn jemand in meinen Texten eine Botschaft für sich entdeckt, ist das toll, aber ich bin völlig damit zufrieden, den Leuten einen schönen Abend zu schenken.

Der Poetry Slam ist ein Wettbewerb um die Zuschauergunst. Wie wichtig ist dir ein Sieg?
Vérollet: Als ich noch jünger war, stand das Gewinnen sehr im Vordergrund. Es ist nach wie vor ein total tolles Gefühl, wenn man am Ende von den Zuschauern zum Sieger geklatscht wird. Für mich ist das Literarische mittlerweile aber wichtiger. Wenn ich bei mir persönlich eine literarische Entwicklung sehe, ist das für mich ein größerer Sieg, als wenn ich einen Poetry Slam gewinne.

Aber generell gibt es unter den Poetry-Slammern ein Konkurrenzdenken…
Vérollet: Wenn man 800 Kilometer zu einem Wettbewerb gefahren ist, möchte man natürlich nicht letzter werden, aber unser Konkurrenzdenken ist weit von dem entfernt, was zum Teil im Leistungssport herrscht. Wir sind befreundet und haben einen riesengroßen Spaß. Die Poetry Slam-Szene ist eine Art Familie für mich geworden. Ich bin ständig auf Tour und treffe meine Freunde eben nicht in meiner Heimatstadt sondern in Berlin, Hamburg oder München. Wenn man gemeinsam einen schönen Abend auf der Bühne hat, ist es letztlich egal, wer am Ende gewinnt. Um Geld geht es ohnehin selten. Das ist Idealismus pur.

Poetry Slam-Organisator Thomas Geyer hat gegenüber dem „Spiegel“ erwähnt, dass es immer öfter die Chance gibt, für Gagen aufzutreten und dass die Szene immer stärker kommerzialisiert wird.
Vérollet: Thomas mahnt die Über-Kommerzialisierung an. Ich teile seine Kritik nicht hundertprozentig, aber ich halte seine Sichtweise für wichtig. Für mich ist Kommerzialisierung aber nicht nur etwas Negatives, denn sie bedeutet auch, dass der Künstler von seiner Kunst leben kann.
Bei manchen Slams werden natürlich Gagen gezahlt. Ich habe mir zum Beispiel über die Jahre einen gewissen Ruf erarbeitet und wenn ich zu Slam-Shows eingeladen werde, dann bekomme ich – wie auch für meine Lesungen als Autor – eine Gage.
Schlimm wird es erst, wenn Sponsoren einsteigen, die über die Szene mitbestimmen wollen. Wenn sie Preisgelder ausloben, die den Idealismus verdrängen und zu einem harten und unfairen Konkurrenzkampf führen.

Ist der Poetry Slam als Kulturveranstaltung genauso anerkannt wie eine Theatervorstellung oder ein Konzert?
Vérollet: Bei den Zuschauern, denke ich, ist er etabliert. In meiner Heimatstadt Bielefeld ist der Poetry Slam jeden Monat mit über 150 Zuschauern ausverkauft. Zwei Mal im Jahr findet eine Slam-Revue statt, zu der 500 Leute kommen. Wenn das nicht Mainstream ist, weiß ich es auch nicht.
Wir Slam Poeten haben aber manchmal das Gefühl, dass das Feuilleton Angst vor uns hat, weil wir auf die Bühne gehen und den Zuschauer rocken, ihn mit einem guten Gefühl nach Hause schicken wollen. Wo es plötzlich nicht mehr so wichtig ist, bestimmte Formen einzuhalten. Damit haben manche aus dem Kulturbetrieb Schwierigkeiten.

Hofft man als Slam Poet insgeheim immer, entdeckt zu werden, von einem großen Verlag?
Vérollet: Die Speerspitze der deutschen Slam-Poeten möchte entweder als Autoren, Musiker oder Kabarettisten von ihrer Kunst leben können. Viele machen schon nebenher musikalisches Kabarett, meine Kollegen Sebastian23, Marc Uwe Kling, Nils Heinrich oder Volker Strübing zum Beispiel. Die Poetry-Slam-Szene ist etwas Schönes für sich, aber natürlich ist sie auch ein Sprungbrett….  

Zitiert

Unser Konkurrenzdenken ist weit von dem entfernt, was zum Teil im Leistungssport herrscht.

Mischa-Sarim Vérollet

…um als richtiger Autor zu arbeiten…
Vérollet: Auch Slam-Poeten sind richtige Autoren. Sie schreiben regelmäßig Texte und veröffentlichen zum Teil auch schon Bücher oder Texte in Anthologien. Der Unterschied zum „normalen“ Autor liegt vielleicht eher darin, dass man als Slam-Poet nicht von seiner Kunst allein leben kann.

Gibt es eine Konkurrenz zum herkömmlichen Literaturbetrieb?
Vérollet: Ich sehe die Slam Poeten eher als Ergänzung. Es gibt Sachbuchautoren, Belletristikautoren und so gibt es eben auch Slam Poeten. Auch in der Musik gibt es doch verschiedene Sparten. Wir Slam Poeten sagen nicht, wir sind die Besten und der etablierte Kulturbetrieb muss jetzt weichen. Dieses Konkurrenzdenken kommt eher von außen.

Wer schürt denn das Konkurrenzdenken?
Vérollet: Im Feuilleton wird immer sehr sarkastisch und ironisch über das Poetry-Slammen geschrieben, ganz schnell wird die kommerzielle Keule herausgeholt von Journalisten, die gleichzeitig Autoren feiern, die hunderttausende Bücher verkaufen. Wo ist da die Logik? Der Autor ist ja wohl auch kommerziell. Es besteht eine gewisse Überforderung mit dem, was als Subkultur entstanden ist. Denen ist nicht geheuer, dass es junge Autoren gibt, die auf die Bühne gehen und von Zuschauern gefeiert werden. Das Konkurrenzdenken, das Spalten und das Abwerten geschieht von außen.

Wie bist du zum Poetry Slam gekommen?
Vérollet: Ich schreibe seit meinem 17. Lebensjahr. Irgendwann habe ich ein kleines Lesefest veranstaltet mit Autoren aus der Region. Da waren zwei Slam-Poeten dabei, die mich eingeladen haben, zu einem Wettbewerb mitzukommen. Seitdem bin ich süchtig.

Hast du Vorbilder in der Szene?
Vérollet: Volker Strübing hat mich sehr geprägt, als ich angefangen habe meine ersten Texte zu schreiben. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Aber auch Sebastian23 habe ich viel zu verdanken. Er hat mich anderen Veranstaltern empfohlen, mich mitgenommen. Mittlerweile betreibe ich mit ihm eine eigene Lesebühne und betreue verschiedene Projekte.

Gibt es für dich auch Schriftsteller, an denen du dich orientierst?
Vérollet: Für die drei besten zurzeit lebenden Erzähler halte ich Jonathan Safran Foer, Daniel Kehlmann und David Sedaris. Sie sind eine große Inspiration für mich. Mit ihnen kann ich mich nicht messen, aber an ihnen orientiere ich mich. Ihr Niveau möchte ich erreichen. Sprachlich kommt niemand an Daniel Kehlmann heran. Ich glaube, dass er irgendwann in der Schule dieselbe Bedeutung wie Schiller und Goethe haben wird.

Wie findest du die Themen für deine Texte?
Vérollet: Derzeit verarbeite ich viel aus meiner Kindheit. Ich habe das Chandler-Syndrom (Anmerkung d. Red.: Figur der Sitcom „Friends“): Probleme verarbeite ich am besten mit Humor. Die Geschichten in meinem Buch „Das Leben ist keine Waldorfschule“ haben sich größtenteils exakt so zugetragen. Die Slam-Texte sind dagegen eher fiktiv, aber auch dabei nutze ich das, was mich umgibt, um dann à la Baron Münchhausen unterhaltsam zu übertreiben.

Mischa-Sarim Vérollet wurde 1981 auf Gibraltar geboren. Mittlerweile lebt er in Bielefeld. Wenn er nicht gerade als Slam-Poet durch Deutschland tourt, arbeitet er als Mediengestalter in einer Werbeagentur. Vérollet hat bereits diverse Poetry-Slams mehr

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