Mike Oldfield

Ich verstehe die Pop-Welt nicht mehr.

Mike Oldfield über das Komponieren, sein Verhältnis zur menschlichen Stimme, den Orchesterklang und intelligente Ipods in der Zukunft

Mike Oldfield

© Universal Music

Herr Oldfield, wie wird man eigentlich Multi-Instrumentalist?
Oldfield: Das hat bei mir angefangen, als ich zu Beginn der 70er Gitarre und Bass bei Kevin Ayers spielte (in der Band „The Whole World“, Anm. d. Red.). Er hat damals oft in den Abbey Road Studios aufgenommen, wo einfach viele Instrumente herumlagen.

Sie hatten keinen Lehrer?
Oldfield: Nein, ich habe die Instrumente in die Hand genommen und gespielt. Ich habe mir das selbst beigebracht.

Könnten Sie denn sagen, Ihre ‚Schule’ war ein bestimmter Komponist, eine bestimmte Musik die Sie damals gehört haben?
Oldfield: Nein. Das war sehr viel unterschiedliche Musik, alles von Klassik bis Pop. Ich war nie auf einer Musikschule sondern habe einfach die Instrumente in die Hand genommen und sie so lange gespielt bis ich es konnte. Ich meine, ich kann sie jetzt auch nicht sooo gut spielen. Ich spiele ganz gut Gitarre, aber die anderen Instrumente nur gerade so gut, dass es für meine Zwecke reicht.

Aber welche Komponisten haben Sie beeinflusst?
Oldfield: Es gibt viele Komponisten, deren Musik ich mag. Alles von Bach, Beethoven bis Bartok, ich mag jetzt nicht nur einen bestimmten, sondern von allen ein bisschen. Ich war ja auch nicht der akademische Musik-Student oder so…

Und doch hätte es mich interessiert wie ein Mike Oldfield beispielsweise zur Entwicklung der zeitgenössischen klassischen Musik steht.
Oldfield: Oh nein. Dazu habe ich überhaupt keine Meinung. Musik ist für mich einfach Klang. Vibrationen, Schwingungen in der Luft – und das kann ein Stück von wem auch immer sein. Ich bin nicht wirklich interessiert an der Philosophie hinter einem Musikstück oder an einem Komponisten. Ich mag nur den Klang, wie er entsteht…

Aber auch Sie haben ja Ihre eigene Kompositionstechnik entwickelt.
Oldfield: Ja. Aber das mache ich alles intuitiv, ich denke darüber nicht groß nach. Gerade heute nicht mehr. Ich muss ja erst mal lernen, mit den ganzen Geräten umzugehen mit denen ich Musik mache, damit ich nicht mehr darüber nachdenken muss, ob meine Finger gerade an der richtigen Stelle sind. Und wenn das klappt, dann kann ich viel: ich versetze mich in eine Art Komponier-Modus und schalte auf Automatik. Drei Stunden später schalte ich mich wieder ab – und habe ein Stück Musik. Aber ich denke eben nicht viel darüber nach.

Wann komponieren Sie?
Oldfield: Ein paar Stunden am Morgen, ein paar am Nachmittag oder frühen Abend. Und zwischendurch mache ich einen langen Spaziergang oder fahre mit einem meiner Motorräder. Manchmal lege ich mich auch zwischendurch hin, weil ich werde ja älter und brauche am Nachmittag manchmal meine Siesta.

Auf „Music of the Spheres“ hören wir Ihre Musik nun gespielt von einem richtigen Orchester…
Oldfield: Ja, das war Karl Jenkins’ Job (früher Mitglied der Bands „Soft Machine“ und „Adiemus“, Anm. d. Red.) Ich habe mit meiner Studio-Software einfach ein Demo erstellt, mit Orchester-Samples gearbeitet, Karl hat es dann orchestriert und das Orchester bei den Aufnahmen dirigiert.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem Star-Pianisten Lang Lang?
Oldfield: Er hat seinen Part in New York eingespielt. Ich war in meinem Studio und hatte ihn auf der Webcam – und so haben wir das produziert. Er hat mir dann die Dateien geschickt, die habe ich in den Master-Mix eingefügt, meine Gitarren dazu, Harfe, Gesang, Percussions usw. Insgesamt hat es fünf Wochen gedauert, das ganze Album abzumischen. Eine Arbeit die ich übrigens sehr gerne mache.

Würden Sie sagen, Sie ziehen heute den orchestralen Klang dem synthetischen Klang vor?
Oldfield: Das ist eine gute, eine schwierige Frage. Bei einem Orchester weißt du immer, woran du bist. Bei einem modernen elektronischen Gerät weißt du dagegen überhaupt nichts. Es klingt seltsam und du weißt nicht, wo das herkommt. Ob ein Japaner das in einem Wolkenkratzer in Tokio programmiert hat oder jemand aus Silicon Valley oder wo auch immer es her kommt – du weißt nicht, was es ist. Dagegen ein Orchester ist ein Orchester.
Ob mich das Orchester in ein paar Jahren allerdings noch fasziniert – ich weiß es nicht. Es könnte auch sein, dass es mich dann langweilt und ich wieder mehr komische Synthesizer dabei haben will. Da bin ich mir nicht sicher, die Zeit wird es zeigen.

Gehen Sie in klassische Konzerte?
Oldfield: Nein. Ich mag es nicht, im Publikum zu sitzen. Ich bin lieber selbst auf der Bühne.

Kino?
Oldfield: Das ist natürlich etwas anderes. Im Kino bist du richtig in einem Film drin, es wird so etwas wie dein persönlicher Traum, könnte man sagen. Und ich habe dann gerne mein Popcorn und meine Cola dabei…

Zitiert

Ich war nie auf einer Musikschule. Ich habe einfach die Instrumente in die Hand genommen und sie so lange gespielt bis ich es konnte.

Mike Oldfield

“Music of the Spheres” klingt ja ein wenig wie Filmmusik…
Oldfield: Das sagen alle. Sowieso sagen mir die Leute, all meine Musik klänge wie Filmmusik, „Tubular Bells“ usw., alles. Aber ich habe festgestellt: diejenigen Leute, die Filme drehen, die sehen das nicht so – sonst hätten sie meine Musik ja mal in ihren Filmen verwendet.

Sehen Sie Bilder, wenn Sie Musik machen?
Oldfield: Nein. Im Nachhinein kann ich mir manchmal Dinge dazu vorstellen, Bilder zu der Musik hinzufügen. Aber nicht während ich an der Musik arbeite.

Sie hören Musik, schließen Ihre Augen und sehen dann etwas?
Oldfield: Manchmal ja. Abstrakte Bilder, Partikel…

Ihre Musik ist in erster Linie instrumental – wie ist Ihr Verhältnis zur menschlichen Stimme?
Oldfield: Die menschliche Stimme ist für mich wie ein Musikinstrument, ein wunderbares Instrument. Ich selbst habe ein paar Gesangs-Stunden genommen bevor ich 1991 ein Album gemacht habe, auf dem ich jeden Song selbst gesungen habe („Heaven’s Open“, Anm. d. Red.). Ich habe damals auch etwas über die Biologie der menschlichen Stimme gelernt. Es ist schon sehr kompliziert, wenn wir unsere Stimmbänder benutzen, ich glaube wir Männer haben längere als die Frauen… Die verschiedenen Resonanzräume, die wir benutzen, manchmal unsere Nase, manchmal unseren Hals, und wie unsere Zunge das „t“ formt, oder „s“ ssss… Das funktioniert ja mechanisch, wie bei einem Musikinstrument.
Und dann kannst du damit Texte singen, mit Ideen drin, Bildern, Gefühlen. Aber es ist kompliziert. Ich benutze dieses Instrument jedenfalls nicht sehr oft, und wenn, gebe ich mir große Mühe, es richtig zu verwenden. Ich hasse die Leute, die sich einfach hinstellen und anfangen zu singen, lalala in ihr Radio-Mikrofon… Für mich ist jemand wie Pavarotti das Ultimative, oder wie hieß der andere nochmal…

Domingo?
Oldfield: Ja, die können sich hinstellen in einen Konzertsaal, ohne Mikrofon. So sollte es sein, das ist großartig.

Ist für Sie ein Song kommerzieller als instrumentale Musik?
Oldfield: Also… diese Erfahrung ist bei mir ja sehr lange her. Ja, wenn du einen Song schreibst, kannst du ihn im Radio hören. Es ist auch ein schönes Gefühl, einen Hit zu haben. Wobei ich schon vergessen habe, wie das ist, weil meinen letzten Radio-Hit hatte ich 1983, das war vor 24 Jahren („Moonlight Shadow“, Anm. d. Red.).

Warum haben wir heute nur Songs in den Charts und keine Instrumental-Stücke?
Oldfield: In den Single-Charts? Da habe ich ehrlich gesagt den Anschluss verloren. Ich verstehe die Pop-Welt nicht mehr.
Aber wissen Sie, dagegen diese „Yellow Lounge“ wo ich neulich war, in Berlin, die fand ich außerordentlich gut. Ich hatte gar nicht geglaubt, dass es so etwas gibt, bevor ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Ich war sehr überrascht und fasziniert von dieser Idee…

…dass Leute sich klassische Musik in einem Nachtclub anhören?
Oldfield: Ja, in dieser Umgebung. Ich finde das sehr mutig – und es funktioniert. Eine andere Sache ist: die klassischen Musiker heute sind so talentiert, es gibt unglaubliche Sänger und Instrumentalisten und es macht Spaß mit Musikern solcher Qualität zusammenzuarbeiten. Die sind nicht wie Pop- oder Rock-Musiker, die mit der Gitarre immer so … (Oldfield spielt Luftgitarre und verzieht dabei sein Gesicht)…diese Idioten – sondern diese Klassik, das ist richtig gutes Zeug. Und manche von ihnen sind so jung, neulich habe ich eine 18-jährige Geigerin gehört, wie die spielen konnte, unglaublich!

Und Musiker mit Gitarre, die Pop oder Rock spielen, sind dagegen „Idioten“?
Oldfield: Ja, Idioten. Gut, ich würde jetzt nicht so weit gehen und Keith Richards einen Idioten nennen. Aber ich finde es heute problematisch, Rockmusiker zu sein. Weil alle Ideen schon mal da waren, und nicht nur einmal, sondern zwei, drei Mal… Rock war neu in den 60ern und 70ern, da hatte das noch niemand gemacht. Aber die Tonleiter hat nun mal nur 12 verschiedene Töne und es gibt nur eine bestimmte Anzahl von möglichen Kombinationen. Selbst ein guter Song heute, da hast du drei Noten aus einem Song von 1972 drin, drei Noten aus einem anderen…

Wie wird sich Musik denn dann Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?
Oldfield: Lassen Sie mich mal eine Vorhersage machen: vielleicht wird es in der Zukunft so einen intelligenten Ipod geben, mit dem du deine eigenen Songs kreieren kannst, zusammengesetzt aus Tausenden Teilen von allen Songs, die jemals existiert haben. Vielleicht kannst du dir damit sogar deinen eigenen Künstler erschaffen, mit deinen Wunscheigenschaften und den kannst du dir dann angucken. Und Geld bezahlst du nur noch für die Software – so könnte das in Zukunft aussehen.
Weil musikalisch weiß ich nicht, wo es noch hingehen soll. Vor ein paar Jahren dachte ich, Musik würde interaktiv werden, ich habe eine virtuelle 3D-Welt geschaffen aus Musik und Software, man hat sich darin durch verblüffende Landschaften bewegt und dabei Musik gehört. Aber das hat nicht funktioniert.
Also, ich weiß es nicht. Für mich ist das ein großes Fragezeichen.

Ich würde gern noch mal auf die Frage zurückkommen, warum es heute keine Instrumental-Stücke in den Charts gibt…
Oldfield: Ich wünschte mir auch, dass wir welche in den Charts haben. Haben wir aber nicht. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass „Tubular Bells“ das Ende einer Linie war. Eine Linie, die niemand fortgeführt hat. Wie eine Tierart die einfach ausgestorben ist.

Das Ende der Instrumental-Ära?
Oldfield: Ich meine das Ende der Ära des Progressive-Instrumental-Rock. Es ist schon komisch, es hat sich so lange gehalten und ich hätte mir gewünscht, dass jemand das fortgeführt hätte. Aber dann haben viele Musiker die Gitarre nur eingesetzt, um sich dahinter zu verstecken, oder als eine Art Sex-Symbol, als Requisite. Anstatt sie wie ein Instrument zu benutzen. Sie kann auch sprechen und Dinge sagen. Du musst sie nur mit ein bisschen Feingefühl behandeln, du kannst nicht die ganze Zeit nur brutal kraftvolle Akkorde in die Saiten hauen und verzerren…
Ich hätte mein neues Album „Music of the Spheres“ auch mit elektrischen Gitarren aufnehmen können. Doch das würde heute keine Plattenfirma mehr veröffentlichen.

Und offenbar mögen Sie heute den Klang eines richtigen Orchesters genauso wie den elektrischer Gitarren.
Oldfield: Oh ja.

Wenn die ganze Welt ein Orchester ist, welches Instrument sind Sie?
Oldfield: Gute Frage eigentlich… Ich wäre ein Klavier, weil es so viele Möglichkeiten bietet. Ich wäre zum Beispiel keine Flöte, die nur einen bestimmten Klang hat. Das Klavier kann einfach sein aber auch unglaublich kompliziert. Es kann sehr leise sein oder sehr laut. Es hat sehr viele Möglichkeiten. Ich denke da an einen schönen Konzertflügel von Steinway, oder Bösendorfer.

Ein komplexes Instrument also – sind Sie als Person auch kompliziert?
Oldfield: Ja, ich denke schon. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht (lacht). Ja, kompliziert.

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