Michael Gwisdek

Frühling ist viel aufregender.

Michael Gwisdek über Orte, die ihn geprägt haben, den Film "Boxhagener Patz" und warum er Beerdigungen meidet

Michael Gwisdek

© Pandora Film

Herr Gwisdek, Ihr neuer Film heißt so, wie der Ort, an dem er spielt, „Boxhagener Platz“. Weil er eine Geschichte aus den 60er Jahren erzählt und sich der echte Boxhagener Platz in Berlin seitdem sehr verändert hat, konnte der Film nicht vor Ort gedreht werden. Gibt es überhaupt einen Ort, an dem für Sie die Zeit stehen geblieben ist?
Gwisdek: Eigentlich nicht. Es hat sich alles verändert. Wir sind ja auch nicht mehr die, die  wir mal waren.

Keine Wohnung, keine Straße ist noch so, wie Sie sie von früher in Erinnerung haben?
Gwisdek: Nee. Ich bin aufgewachsen in Berlin-Weißensee. Das war so ein Viereck so 100 mal 100 Meter, umgeben von Häusern und da standen riesige Bäume, Pappeln und Weiden. Auf diesen Bäumen habe ich meine Kindheit verbracht. Ich bin da vor einiger Zeit mal wieder gewesen, dachte, du guckst mal auf’n Hof. Ich habe nichts mehr wiedererkannt. Einige Bäume stehen noch, aber die sehen anders aus, und ich sehe sie jetzt natürlich anders, als ich sie als Kind gesehen habe. Die Bäume sind kleiner geworden, im Laufe der Zeit.

Nur der Blick zum Himmel und aufs Meer bleiben gleich?
Gwisdek: Kann man so sagen. Was sich aber lange Zeit nicht geändert hatte, war der rote Kino-Vorhang im Zoo-Palast. Der hatte für mich ja eine magische Bedeutung. Da sind die Träume entstanden, bevor die Mauer gebaut wurde. Später kam dann so ein Glitzervorhang, aber der ist auch schon seit Jahren nicht mehr da. Eigentlich glaube ich, selbst der Himmel hat sich verändert. Den hat man als Kind anders gesehen, wenn man mit seiner Freundin nach Sternschnuppen Ausschau gehalten hat, dann wusste ich, wo der große Wagen ist. Das ist jetzt auch alles anders.

Welcher Ort hat sich für Sie im Lauf der Zeit zum Positiven verändert?
Gwisdek: Da wo ich Abschnitte meines Lebens verbracht habe, hier in der Schorfheide, in der ich die letzten Kriegsjahre mit meiner Mutter verlebt habe. Später habe ich hier meine Tante besucht und mit ihr Nächte durch Gespräche geführt, ihr den Zaun repariert und am Haus weiter gebaut. Durch meine Besuche hat sich immer was verändert. Dann wurde es so ein Wochenendhaus für meine Familie. Meine Kinder sind hier aufgewachsen, der erste Teich wurde angelegt, mal ein Baum gefällt, dadurch gab es hier ein anderes Licht. Ich habe hier gepflanzt und die Natur um mich herum verändert, 50 Jahre lang. Ich kenne hier jeden Ast und Zweig. Jetzt habe ich hier seit sechs Jahren meinen Wohnsitz mit meiner Frau Gabriela und gestalte meine Wohnumgebung weiter.  

Und welcher Ort hat sich eher negativ entwickelt?
Gwisdek: (Seufzt) Ich weiß nicht. Das ist schwierig bei mir, denn ich selber habe mich zu einem positiv denkenden Menschen entwickelt. Auch in die größte Scheiße kann ich immer noch was Positives rein interpretieren. Es fällt mir daher schwer, eine negative Beurteilung von irgendetwas oder irgendjemandem zu fällen.

Gibt es denn einen Ort, der nicht mehr da ist, den Sie aber vermissen?
Gwisdek: (Überlegt) Das hat schon was mit der Kindheit zu tun, also mit der Zeit, wo ich so zehn bis fünfzehn war, wo man immer zu spät zum Essen hochkommt und dann auch noch von oben bis unten dreckig ist. Das lag an dem erwähnten Hof in Weißensee, damals Berliner Allee 100. Welche Nummer das heute hat, weiß ich gar nicht. Den Hof habe ich beherrscht, da habe ich mir meine Baumhäuser gebaut und Höhlen aus alten Bettgestellen mit Grasdach drüber. Da war ich auch sicher vorm Straßenverkehr, was meiner Mutter wichtig war. Und wenn ich das heute sehe, ist das so eine langweilig gestaltete, bescheuerte Natur-Anlage. Das finde ich irgendwie traurig.

Sie spielen in „Boxhagener Platz“ den alten Charmeur Karl Wegner, der oft von seinen Zeiten als  Rotfront-Aktivist erzählt. Gibt es einen Ort, der für Sie besonders politisch aufgeladen ist?
Gwisdek: Naja, das Brandenburger Tor hat schon ’ne Bedeutung für mich, weil ich so als 17, 18jähriger in meiner Rock’n’Roll-Zeit oft zum Preis-Tanzen war. Da sind wir immer nach West-Berlin gefahren, weil es da bessere Möglichkeiten gab. Das war die Zeit, wo man in Jazz-Cafés und Tanzbars in der Nähe vom Ku’Damm ging. Da fing auch meine Kinozeit an. Einmal am Tag sind wir ins Kino gegangen und auf dem Weg immer durchs Brandenburger Tor gefahren, mit meinem Freund, der sich ’n Auto geliehen hat von seinem Chef. Dann wurde das Tor zugebaut und für mich wurde es das Symbol für „Du wirst jetzt eingemauert, jetzt musst du irgendwie klar kommen.“

Wie haben Sie dann den 9. November 1989 erlebt?
Gwisdek: Ich war drei Stunden nach dieser Pressekonferenz, wo der Schabowski seine Rede von der neuen Reieseregelung gehalten hatte, am Brandenbuger Tor und habe da den Fall der Mauer erlebt. Da stand ich dann das erste Mal wieder unter dem Tor. Das war mein Eingang und Ausgang zum Osten und Westen. Insofern ist das natürlich ein Ort, der politische Bedeutung für mich hat.      

Ihr Karl Wegner ist aber vor allem ein romantischer Liebhaber. Kennen Sie einen Ort, der sich besonders gut für ein erstes Date eignet?
Gwisdek: Außer den Friedhof?

Zitiert

Der rote Kino-Vorhang im Zoo-Palast, der hatte für mich eine magische Bedeutung.

Michael Gwisdek

Das ist zwar der Ort, an dem Karl in „Boxhagener Platz“ seine Otti immer zum Spaziergang trifft, aber ich vermute, Sie selber würden eher woanders hingehen.
Gwisdek: Also ich persönlich gehe nicht auf Friedhöfe, freiwillig. In meinen vielleicht 200 Filmen waren natürlich eine ganze Menge Friedhof-Szenen dabei. Im wirklichen Leben meide ich Beerdigungen und es ist auch sonst nicht so mein Ding, da spazieren zu gehen.

Warum?
Gwisdek: Es ist überhaupt nicht mein Ding, sich mit dem Tod zu beschäftigen. Ich bin da auch ’ne Schlampe. Die Gräber meiner Eltern habe ich in Pflege gegeben und hoffe, da ist alles in Ordnung. Meine Mutter ist zumindest jeden Totensonntag ans Grab meines Vaters gegangen und hat da mal geharkt. Da bin ich dann auch hingefahren nach Zepernick und mit ihr hingegangen. Aber nach ihrem Tod habe ich diese Tradition nicht fortgesetzt. Ich bin ein Mensch, der ein ziemlich aufregendes Leben hat, das nach vorne gerichtet ist, auf das, was morgen kommt. Meine erste Tätigkeit nach dem Frühstück ist: Videotext anmachen. Nachrichten. Sehen, was es Neues gibt.

Sind Sie also nicht so geschichtsbewusst, wie Ihre Rolle Karl?
Gwisdek: Doch schon. Ich finde das auch interessant. Aber ich gehöre zu den Menschen, bei denen das Speichermodul im Gehirn anders veranlagt ist. Ich vergesse das schnell. Ich kann mir nur Sachen merken, mit denen ich aktiv zu tun habe. Jahrgänge, Straßennamen, überhaupt Namen, das sind bei mir schwierige Angelegenheiten  

Sie sagten gerade, dass Sie Beerdigungen meiden. Das wird einem im Familienkreis aber manchmal noch Jahrzehnte lang übel genommen, fast als Verrat gesehen. Verdirbt man es sich mit so einer Abneigung nicht bei einigen?
Gwisdek: Ach, i wo. Ich war, glaube ich, zu einer Beerdigung in meinem Leben. Das war die von Heiner Müller. Ansonsten, bei Kollegen… Ich finde das auch nicht in Ordnung, dass die alle wegsterben, meine Jahrgänge. Dann trifft man sich da und es ist das Übliche: Wer ist denn der nächste? Diese Gespräche führe ich gar nicht, weil ich mich damit gar nicht beschäftige und mich mit Leuten meines Jahrgangs auch wenig umgebe. Außer mit drei, vier festen Freunden, mit denen ich durchs Leben gegangen bin, mit denen ich mich treffe. Aber die sind auch so veranlagt. Was weg ist, ist weg. Was heranwächst ist viel aufregender. Frühling ist viel aufregender. Wie es jetzt auf der Berlinale aufregend war, dass mein eigener Sohn Robert jetzt so einen Erfolg hat und in der Hauptrolle bejubelt wird und Leute kennen lernt, die ich wiederum durch ihn kennen lerne, die jungen Regisseure. Das ist irgendwie ’ne ganz andere Umgebung, als wenn mein Jahrgang da in der Ecke steht und von früher redet. Ich rede ungern von früher.    

Also, zurück zur Frage: haben Sie noch einen romantischen Ortsvorschlag für ein Date?
Gwisdek: Ein See, der eine Größe hat, dass man eine Stunde braucht, um einmal drum rum zu laufen, das wäre für mich das Ideale. Einmal um den See, zu zweit, ist ein Erlebnis und ist vom Timing her so, dass mein ein gutes Gespräch führen kann. Länge und Timing ist so eine Lieblingsfeststellung von mir. Also auch, wenn ich von Berlin hier raus fahre, dauert das genau eine Dreiviertelstunde. Das ist eine gute Zeit, um den Kopf vollkommen umzuprogrammieren und hier als anderer Mensch anzukommen, als ich in Berlin losgefahren bin.

Und in der Stunde Seespaziergang arbeitet man dann auch an einer Umprogrammierung des anderen, weniger im Kopf, als im Herzen?
Gwisdek: Wenn ich mit jemandem einmal um den See bin, heißt das, ich hatte auch ein gutes Gespräch und ein gutes Gespräch ist für mich lebenswichtig. Ich habe meine Frau so kennen gelernt. Wir haben einfach festgestellt, wir können uns stundenlang unterhalten. Das ist für mich das Wichtigste, gerade hinten raus. Ich habe mal so eine Statistik gelesen, wie viel Ehepaare miteinander reden am Tag. Das hat mich sehr erschrocken, das ist so wenig im Durchschnitt – an einem Tag rede ich so viel mit meiner Frau, wie andere in einem Jahr. Da ist eine ganz wichtige Angelegenheit, dass man sich mitteilen und zuhören kann.

Timing und Längen spielen ja auch beim Filmgenre der Komödie eine große Rolle. Haben Komödien am meisten mit Ihrem Leben zu tun?
Gwisdek: Man sagt ja, bei Immobilien sind drei Dinge wichtig: Lage, Lage und nochmal Lage. Und so sagen viele Filmleute, die ich verehre, wie der Kameramann Michael Ballhaus: ein guter Film besteht aus drei Dingen: Timing, Timing, Timing. Dem schließe ich mich an. Das kann man auch hochrechnen auf alles. Aber beim Film entscheidet das Timing über eine Pointe und auch über eine dramatische Szene. Timing ist immer das entscheidende und das entsteht im Schnitt. Wie lange ich jemanden in Ruhe lasse bevor er eine Antwort gibt. Wie lange man etwas entstehen lässt, bevor man einen Lacher hervorruft.

Entsteht das nicht auch im Spiel?
Gwisdek: Im Spiel entsteht der Film sowieso, aber das Spiel wird ja geschnitten. Geschnitten wird nach dem Bild und das ist der Fehler, den viele machen. Statt einen emotionalen, machen sie lieber einen technisch sauberen Schnitt. Ob kurz oder lang: beides ist Timing, und selbst, wenn man das im Spiel drauf hat, nützt einem das gar nichts, wenn es nachher im Schnitt ruiniert wird.

Kommen wir zu den drei letzten Fragen. Wo möchten Sie nochmal hin?
Gwisdek: In Rom war ich noch nicht. Rom und mal das Kolosseum angucken und überhaupt das, was vom alten Roman noch übrig geblieben ist. Da entsteht bei mir eine Fantasie, das möchte ich gerne nochmal erleben.

Und wo wollen Sie nie wieder hin?
Gwisdek: Das klingt wieder zu negativ. Ich finde ja alles spannend.

Auf welchen Ort, den sie demnächst besuchen werden, freuen sie sich?
Gwisdek: Ich spiele bald in einem Film, wo ein paar Szenen in Paris gedreht werden. Darauf freue ich mich. Ich war in der Wendezeit öfter in Paris. Da möchte ich gerne nochmal hin, das anders erleben, Orte und Kneipen besuchen, die ich damals nicht geschafft habe.

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