Martin Schweer

Coming Out im Fußball immer noch ein großes Risiko.

Martin Schweer (Psychologie-Professor an der Uni Vechta) über Homophobie in der Gesellschaft und im Profi-Sport, die Rolle des DFB und der Fußball-Fans

Martin Schweer

© Uni Vechta

Prof. Schweer, wenn Sie die aktuelle Situation beurteilen, sind Schwule und Lesben in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Schweer: Ich würde sagen, dass Schwule und Lesben angekommener sind, als vielleicht noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Es gibt durchaus gesellschaftliche Bereiche, in denen Homosexualität verstärkt toleriert und auch akzeptiert wird. Typische Beispiele sind die homosexuellen Männer und Frauen in der Politik oder in der Kunst- und Medienszene. Neben solchen Zeichen für eine zunehmende Liberalisierung unserer Gesellschaft gibt es jedoch auf der anderen Seite leider immer noch genügend Bereiche, in denen Homophobie sichtbar wird und sich Menschen vor Repressionen fürchten, wenn sie sich als schwul oder lesbisch outen.

An welche Bereiche denken Sie da?
Schweer: Ein zentraler Bereich ist der Sport, insbesondere der Leistungs- und Hochleistungssport, aber darüber hinaus gibt es noch viele andere Bereiche. Es gibt genug Menschen, die zum Beispiel in ihrem Berufsleben sehr darauf achten, dass ihre Homosexualität nicht bekannt wird, egal, ob das nun die Managerin eines großen Unternehmen ist oder der Handwerker im kleinen Betrieb, da zeigt sich vielfach, dass Homosexuelle eben keineswegs überall in der Mitte angekommen sind. Auch sollten uns neuere Untersuchungen Anlass zum Nachdenken geben, nach denen zum Teil sogar ein Anstieg an schwereren Formen von Gewalt gegenüber Homosexuellen in Deutschland festzustellen ist.

Gleichzeitig sprechen Sie von einer zunehmenden gesellschaftlichen Liberalisierung. Existieren heute subtilere, versteckte Formen der Homophobie, als in der Vergangenheit?
Schweer: Versteckte Formen der Homophobie sind aufgrund einer handlungswirksamen Political Correctness sicherlich in der heutigen Zeit stärker vorhanden als noch in der Vergangenheit.  Offene Varianten der Homophobie, also etwa deutliche verbale Diskriminierungen oder sogar physische Attacken sind in bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders mittlerweile tabuisiert. In ganz offener Form finden wir Homophobie in spezifischen Settings und Gruppenkonstellationen, in denen eigene Gesetzte und Normen herrschen, also etwa bei bestimmten Fangruppen in Fußballstadien. Aber auch, wenn eben vielerorts  nicht mehr so offensichtlich diskriminiert wird, kann die eigene Homosexualität sehr belastend erlebt werden, weil man am Arbeitsplatz versteckte Repressalien erleben muss, hinter seinem Rücken über eine Person geredet wird, diese von der Führungsetage oder der eigenen Arbeitsgruppe gemobbt wird usw.
Also: Eine positive Veränderung der „Gesamtwetterlage“, die aber nicht hinwegtäuschen darf vor nach wie vor vorhandenen Formen von Diffamierung und Diskriminierung.

Wieso tut man sich gerade im Sport so schwer mit einem offenen und liberalen Umgang mit dem Thema Homosexualität?
Schweer: Der Sport an sich – und dies gilt keineswegs nicht nur für den Fußball – tut sich in der Tat nachweislich sehr schwer mit dieser Thematik. Wir haben nach wie vor in Deutschland keinen öffentlich bekannten schwulen Fußballer, wir haben auch keinen schwulen Tennisspieler, wir haben keinen schwulen Golfer, wir haben keinen schwulen Handballer usw. Es handelt sich also um ein Phänomen, das sich über den gesamten Bereich des Sports zieht und das liegt aus meiner Sicht daran, dass der Sport – und das gilt für den Leistungs- und Hochleistungssport ganz besonders – in hohem Maße männlich konnotiert ist. Sport ist männlich, Sport ist verbunden mit Attributen wie Wettkampf, Dominanz, Konkurrenzdenken, Aggression usw. Das alles sind männliche Attribute, und zu männlichen Attributen passt eben nicht Homosexualität, sondern Heterosexualität. Für den Bereich lesbischer Athletinnen und Athleten stellt sich der Sachverhalt etwas anders dar, hier haben wir ja durchaus auch Beispiele von sich „bekennenden“ lesbischen Sportlerinnen. Dies ist aber keineswegs ein Indikator für eine höhere Toleranz oder gar Akzeptanz, vielmehr passt das Bild einer lesbischen Frau, die erfolgreich in eine Männerdomäne vorgedrungen ist, in unsere Denkkategorien besser hinein, da wir eben immer noch lesbischen Frauen verstärkt männliche Eigenschaften zuschreiben. Gar nicht hinein in diese Denkkategorien fällt jedoch ein schwuler (also eher „unmännlicher“) Mann, der in einer Männerdomäne Erfolg hat.

Wie erleben Sie die aktuelle Stimmung in den Stadien? Welche Rolle spielen etwa die Fans, die ja gerade im Fußball immer wieder mit schwulenfeindlichen Äußerungen auffallen?
Schweer: In der Tat gibt es nach wie vor solche Entgleisungen von Fans, gerade auch in den Fußballstadien, jedoch können wir diesbezüglich in den letzten Jahren eine durchaus positive Entwicklung feststellen. Nach Aussagen von schwulen Fanclubs, die aktiv versuchen, mit den anderen Fangruppen in Kontakt zu kommen, zeigen sich diese im direkten Umgang durchaus aufgeschlossen und nicht diskriminierend. Trotz dieser positiven Entwicklung findet sich allerdings immer noch genügend Homophobie in den deutschen Fußballstadien.

Nun ist in jüngster Vergangenheit das Thema Homosexualität im Profisport verstärkt von den Medien aufgegriffen worden, was eine öffentliche Debatte auf breiterer Ebene angestoßen hat. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige gesellschaftliche Diskussion, lässt sich da so etwas wie eine neue Sensibilität erkennen?
Schweer: Das Thema der Homosexualität im Profisport wird heute so intensiv diskutiert wie noch nie in unserer Gesellschaft. Dieses ist zunächst einmal positiv. Allerdings findet in meinen Augen leider – und gerade auch medial – eine zu starke Reduktion auf die Frage nach möglichen Coming Outs, insbesondere von schwulen Fußballern statt. Und es geht in der Diskussion immer nur um den professionellen Bereich, er ist eben viel spektakulärer als der Amateurbereich. Homophobie im Sport und in unserer Gesellschaft ist jedoch sehr viel vielschichtiger und komplexer. Zu glauben, das Coming Out einiger weniger Sportlerinnen und Sportler würde hier eine weitreichende Änderung bewirken, ist meines Erachtens eine kurzsichtige Annahme. Vielmehr sollte man darüber Nachdenken, wie man Homophobie mit gezielten Maßnahmen entgegenwirken und im besten Fall auch vorbeugen kann, dies dann bereits in einem sehr frühen Stadium.

Was wären denn konkret mögliche Maßnahmen?
Schweer: Man müsste stärker bereits im Kinder- und Jugendbereich ansetzen. Also ganz konkret: Haben wir Trainerinnen und Trainer, die für das Thema hinreichend sensibilisiert sind, ist ihnen diese Problematik überhaupt bewusst? Wie lässt sich Toleranz auf und neben dem Trainingsplatz gegenüber den unterschiedlichen Formen des Andersseins wirkungsvoll vermitteln? Was geht eigentlich genau in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen vor, wenn sie mit dieser Thematik konfrontiert sind, welche gruppendynamischen Prozesse spielen hier eine Rolle? Durch welche Mechanismen wird Homophobie gefördert bzw. verstärkt?
Im Grunde genommen ließen sich die grundlegenden Instrumente von Anti-Diskriminierungskampagnen, die ja bereits im Sport zum Teil erfolgreich eingesetzt worden sind, auf das Feld der Homophobie transferieren.

Dann besteht also noch viel Nachholbedarf beim DFB?
Schweer: Gerade der DFB und insbesondere sein Präsident haben in der jüngeren Vergangenheit dieses Thema verstärkt aufgegriffen. Einige Ereignisse haben sicherlich auch dazu beigetragen, sich verstärkt hiermit auseinandersetzen zu müssen. Ganz aktuell etwa der Fall Amerell, aber auch der tragische Suizid des an Depression erkrankten Robert Enke, da hierdurch die Tabus im Profifußball offen angesprochen worden sind. Es gibt auch bereits eine Reihe von sinnvollen Bemühungen, die von der Spitze des Deutschen Fußballbundes vorangetrieben werden. Ich glaube aber nicht, dass wir deshalb auf kurze Sicht signifikante Veränderungen erleben werden, das ist noch ein sehr weiter Weg, dessen ist sich – so glaube ich – auch der DFB bewusst. Eine Sensibilisierung muss alle Ebenen durchdringen, die verschiedenen Verbände und Vereine, Funktionäre, Trainerinnen und Trainer, Athletinnen und Athleten.

Zitiert

Sport ist in hohem Maße männlich konnotiert.

Martin Schweer

Sie haben die Position von Theo Zwanziger bereits angerissen. Wie wichtig ist ein solches Engagement von Einzelnen, kann das tatsächlich auch zu einem Umdenken in der breiten Masse beitragen?
Schweer: Ich halte ein solches Engagement seitens der führenden Repräsentanten für immens wichtig. Theo Zwanziger vertritt eben den deutschen Fußballbund als größten Sportverband Deutschlands, und deshalb haben seine Stellungnahmen durchaus erhebliches Gewicht. Natürlich ist am Ende entscheidend, welche Wirkungen solche Anstöße hinterlassen – also beispielsweise, wie sich die offizielle Haltung des DFB in den Haltungen prominenter Fußballer widerspiegelt, die dann bei öffentlichen Aufklärungskampagnen vielleicht auch Vorreiterfunktionen übernehmen könnten. Insgesamt wären da sicherlich noch eine ganze Reihe weiterer wichtiger Multiplikatoren denkbar. Dennoch sind die Aktivitäten des DFB und seine Haltung zu dieser Thematik mit der Haltung des DFB noch vor zehn Jahren überhaupt nicht mehr zu vergleichen – das ist also zunächst einmal eine sehr, sehr positive Entwicklung.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich diesbezüglich in näherer Zukunft auch tatsächlich merkliche Änderungen vollziehen werden?
Schweer: Die entscheidende Erschwernis liegt für mich in der Struktur des DFB, denn unter diesem Dach sind eine Vielzahl von einzelnen Landesverbänden versammelt, hierunter dann unzählige Vereine. Wenn man das Ganze nach unten durchdekliniert, dann ist es einfach schon aufgrund der Menge ganz schwierig, wirklich auf jeder Ebene und an allen Stellen tatsächlich auch Qualifizierung zu erreichen. Umso wichtiger ist es, an diesem Thema in den nächsten Jahren festzuhalten und es als eine zentrale Aufgabe weiterhin sehr ernst zu nehmen.

Und wie beurteilen Sie den Umgang des DFB mit dem Fall Amerell?
Schweer: Das ist aus meiner Sicht unglücklich gelaufen.

Sie beraten als Psychologe zahlreiche Hochleistungssportler. Welche Empfehlungen können Sie einem Sportler geben, der mit der Frage nach dem Umgang mit seiner Homosexualität in der Öffentlichkeit an Sie herantritt?
Schweer: Grundsätzlich kann ich in Bezug auf die Frage, ob jemand seine Homosexualität öffentlich machen sollte oder nicht, niemandem etwas Konkretes raten, das ist vielmehr eine ganz persönliche Entscheidung. Für jeden Menschen, egal, ob er nun Fußballer ist, oder nicht.
Man sollte in dieser Hinsicht versuchen, dem Betroffenen möglichst unterstützend zur Seite zu stehen. Im Mittelpunkt steht natürlich einerseits immer die Frage, welche individuellen Auswirkungen ein mögliches Versteckspiel, ein Doppelleben gewissermaßen, auf die Psyche dieser Person hat, andererseits dann die vermuteten Auswirkungen eines Coming Outs, vor allem mit Blick auf mögliche Repressalien und einen folgenden Karriereknick .

Welche Auswirkungen kann denn ein permanentes Versteckspiel Ihrer Erfahrung nach auf die sportlichen Leistungen der Athleten haben? Kann man das überhaupt über Jahre hinweg durchhalten?
Schweer: Das ist sicherlich sehr unterschiedlich, denn jede Sportlerpersönlichkeit ist ganz individuell. Aber natürlich sind karrierehemmende Wirkungen zu vermuten. Als ganz konkretes Beispiel lässt sich der Ex-Profifußballer Marcus Urban anführen, der dieses Versteckspiel nur über einen begrenzten Zeitraum durchhalten konnte und auch berichtet, dass dies seine Gesundheit und seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigt hat. Grundsätzlich ist es für die psychische Gesundheit eines Menschen, egal ob er Sportler ist oder etwas völlig anderes macht, nicht förderlich, wenn er sich permanent, jeden Tag und überall in der Öffentlichkeit eine Maske aufsetzen muss.
Wichtig ist darüber hinaus aber auch, ob die Person selbst ihre eigene sexuelle Orientierung akzeptiert. Jemand, der sehr viele Probleme mit seiner Homosexualität hat, ist generell in einer ganz andere Ausgangsposition als jemand, der seine Sexualität für sich selber anerkennt und „lediglich“ nach außen versucht, diese zu verbergen.

Auch wenn Sie es nicht für wahrscheinlich halten: Was würde Ihrer Ansicht nach passieren, wenn sich in nächster Zeit doch ein Fußballer offen zu seinem Schwulsein äußern würde? Wäre das wirklich so ein Skandal, wie häufig vermutet?
Schweer: Wenn man das wüsste, wäre betroffenen Fußballern schon sehr geholfen – aber das ist ganz schwierig einzuschätzen. Es ist zum einen denkbar, dass derjenige, der dann quasi so eine Vorreiterrolle einnimmt, letztendlich sogar sehr positive Reaktionen bekommen würde, also vor relativ wenige Schwierigkeiten gestellt wäre. Ob das dann aber langfristig so bestehen bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt da sehr konträre Meinungen, auch von ernst zunehmenden Wissenschaftlern oder Menschen aus der Fußballpraxis, die von einem Coming Out grundsätzlich abraten, da ihrer Meinung nach solche Fußballer auf Dauer einem so starken Druck ausgesetzt wären, dem sie nicht standhalten könnten.

Und wie ist Ihr Standpunkt dazu?
Schweer: Auch ich würde es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen zumindest für ein sehr hohes Risiko halten.

Glauben Sie, dass Gespräche wie dieses in absehbarer Zukunft überflüssig sein werden, weil Homosexualität einfach kein Thema mehr ist, d.h. tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein wird?
Schweer: Für die nähere Zukunft – definitiv nicht!

Prof. Dr. Martin K.W. Schweer ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie, sowie Direktor des Instituts für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften (ISBS) an der Universität Vechta. Er leitet weiterhin „Challanges“, eine mehr

Ein Kommentar zu “Coming Out im Fußball immer noch ein großes Risiko.”

  1. Noah |

    „Gar nicht hinein in diese Denkkategorien fällt jedoch ein schwuler (also eher „unmännlicher“) Mann, der in einer Männerdomäne Erfolg hat.“

    Und wer behauptet und verbreitet die Vorstellung, dass ein schwuler Mann „eher unmännlich“ zu sein hat? „Männlichkeit“ und ihre Verknüpfung mit Heterosexualität (als integraler Bestandteil von Heteronormativität) sind nichts anderes als gesellschaftlich gemachte (und gewollte) Konstrukte, die gerade auch zur Unterdrückung von Homosexualität dienen.

    Eben deshalb ist es so wichtig, dass endlich (auch) Schwule sichtbar werden, die nicht in die stereotype Ecke geschoben werden können, weil das die Abgrenzung und die Vergewisserung über die eigene gesellschaftlich vermittelte (und in der Regel nicht hinterfragte, d. h. nicht über einen selbstbewussten, emanzipatorischen Prozess erarbeitete) Heterosexualität so schön erleichtert. Spätestens (!) seit Kinsey kann Mensch auch in der bürgerlichen Gesellschaft wissen, dass eine durchaus große Zahl von Menschen diese Abgrenzung sehr nötig hat, um in die Zwangsjacke der Hetero-Norm hineinzupassen.

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