Markus Beckedahl

Der privatisierte öffentliche Raum

Markus Beckedahl von netzpolitik.org und Digitale Gesellschaft e. V. über die Kommerzialität sozialer Netzwerke, Datenansammlungen und Pseudonyme

Herr Beckedahl, der Kampf zwischen sozialen Netzwerken um mehr Marktanteile hat zugenommen, zuletzt durch den Start von Google+­. Muss ein soziales Netzwerk eigentlich kommerziell sein, um mit Facebook und Co. konkurrieren zu können?­
Markus Beckedahl: Ein soziales Netzwerk muss natürlich nicht kommerziell sein. Aber vermutlich hilft es ihm, richtig groß zu werden, wenn ein kommerzieller Antrieb da ist und damit die notwendigen Ressourcen, die man in Entwicklung, Innovation und Marketing stecken kann.

Welche nicht-kommerziellen Alternativen gibt es?
Markus Beckedahl: Es gibt eine Vielzahl von Projekten aus der Open-Source-Welt, die versuchen, auf Basis von einem offenen Entwicklungsmodell Alternativen zu Facebook und Co zu schaffen. Das medial bekannteste ist wahrscheinlich Diaspora – als Facebook-Killer hochgeschrieben.

Wer steckt hinter Diaspora?
Markus Beckedahl: Vier oder fünf Studenten aus New York hatten zu einem Zeitpunkt, als Facebook wegen der Änderung der Datenschutzbestimmungen stark in der Kritik stand, gesagt, sie würden gern eine Alternative programmieren. Dafür wollten sie 10.000 Dollar über Crowdfunding sammeln, um sich ihren Sommer mit Pizza und einem Dach über dem Kopf finanzieren zu können. Aufgrund der zeitlichen Abhängigkeit zur Facebook-Kritik haben sie 200.000 Dollar eingesammelt. Das war natürlich eine schöne Geschichte für viele Medien.

Wäre auch ein staatlich finanziertes Netzwerk denkbar?
Markus Beckedahl: Man könnte sich vorstellen, dass wir uns in Deutschland ein öffentlich-rechtliches Netzwerk leisten wollen. Ich fürchte, der Aufschrei der Wirtschaft würde massiv sein. Nichtsdestotrotz sollte man sich mal Gedanken machen, ob es nicht Sinn macht, dass man zu diesen sozialen Netzwerken, die einen privatisierten öffentlichen Raum darstellen, Alternativen schafft.

Wobei der Staat ja auch gern Daten sammelt.
Markus Beckedahl: Ich würde so ein Netzwerk nicht vom Bundesinnenministerium betreiben lassen. Aber ob die ARD ein soziales Netzwerk betreibt oder Facebook: wenn staatliche Behörden darauf Zugriff haben wollen, werden sie ihn wahrscheinlich bei beiden bekommen.

Sind die Unternehmen verpflichtet, Daten weiterzugeben?
Markus Beckedahl: Auf Basis von Gesetzen sind sie dazu verpflichtet. Was da sonst noch stattfindet, weiß man nicht. Da kann man nur spekulieren oder Verschwörungstheorien aufstellen. Facebook sitzt in den USA. Wir wissen nicht so genau, wie unsere Rechte da respektiert werden und – wenn die US-Geheimdienste von deutschen Bürgern in den USA Daten haben wollen -, ob wir dann auf Basis der US-Verfassung geschützt wären.

Werden die Daten von den Betreibern sozialer Netzwerke auch verkauft?
Markus Beckedahl: Das muss man individuell sehen und sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen durchlesen. In der Regel sagen die sozialen Netzwerke, dass sie Daten nicht weiterverkaufen, um eine gefühlte Sicherheit zu vermitteln. Schwieriger wird es bei Drittanbietern, die Apps auf der Plattform laufen lassen. Die kann man sich als Nutzer dazu installieren, etwa Spiele wie Farmville. Sie sehen für viele wie aus dem Facebook-Universum aus, werden aber von Dritten bereitgestellt. Da weiß man in der Regel gar nicht mehr genau, was diese Programme eigentlich machen. Vermeintlich bringen sie einen Zusatznutzen, aber als Geschäftsmodell haben sie oft das Ziel, so viel Daten wie möglich abzugrasen.

Facebook verkauft die Daten also nicht weiter?
Markus Beckedahl: Sie sagen es zumindest, wobei man das nicht genau weiß, weil sie nicht so kontrolliert werden. Sie müssen die Daten auch nicht weiterverkaufen, denn auf Basis von Data Mining, also statistischen Vergleichen mit ähnlichen Profilen, können sie viel mehr über uns herausfinden als ein Psychiater, wenn wir die Plattform lange genug intensiv nutzen. Sie geben Werbetreibenden dann die Möglichkeit, gezielt Werbung zu platzieren. Es reicht ihnen genau zu wissen: Wer ist wer? um diese Werbung draufzupacken.

Sollte man dann immer unter Pseudonym in sozialen Netzwerken auftreten?
Markus Beckedahl: Das kommt ganz drauf an. Ich persönlich trete nicht immer unter Pseudonym auf. Allerdings wird man unter so einem Profil dann nicht viel Persönliches finden. Dafür habe ich dann wieder andere Netzwerke, wo ich selbstverständlich Pseudonyme nutze. Da muss jeder für sich selbst die richtige Strategie auswählen. Es gibt viele, die darauf schwören, so viel von sich preiszugeben, wie es ihnen Spaß macht, und haben auch gar keine Befürchtungen. Ich selbst bin da skeptischer und bin mir bewusst, dass alles, was ich jetzt preisgebe, auch in 20, 30 Jahren gegen mich verwendet werden kann. Da praktiziere ich lieber Datensparsamkeit. Ich weiß, da sitzen Unternehmen dahinter, deren Geschäftsmodell meine Daten sind.

Wenn man sich nun bei Google+ registriert, wird man Teil eines kommerziellen Wettbewerbs mit Facebook. Bei Wikipedia dagegen scheint es eine Konkurrenzsituation nicht gegeben zu haben.
Markus Beckedahl: Natürlich gab es da auch einen Wettbewerb, nur hat Wikipedia ihn jetzt erst einmal gewonnen. Es gab einen Wettbewerb gegen die Enzyclopedia Britannica, gegen den Brockhaus und verschiedene andere Enzyklopädien, wo noch vor sechs Jahren alle gesagt haben: „Das ist ein lächerliches Unterfangen, mit einer Community diesem altbewährten Geschäftsmodell Konkurrenz zu machen. Das wird niemals funktionieren.“ Und diese ganzen tollen Geschäftsmodelle mit 100 Jahren Tradition sind jetzt mehr oder weniger eingestellt worden.

Was halten Sie von Google+?
Markus Beckedahl: Als ich das erste Mal davor saß, dachte ich: Facebook sieht gerade ziemlich alt aus. Es ist aus technologischer Sicht spannender und faszinierender als Facebook. Aus gesellschaftlicher Sicht finde ich es ein bisschen erschreckend, dass man Google jetzt noch mehr Daten geben wird, wenn man da mitmacht. Was interessant ist an Google+: Man kann seine Kontakte dort in verschiedene Gruppen einteilen. Dann kann ich beim Posting entscheiden, dass diese Information nur meinen Kollegen zukommt oder nur meinen Freunden. Eine Einstufung, die das Privatsphären-Empfinden der Menschen abbildet.  Bei Facebook gab es das theoretisch vorher auch schon, es hat aber keiner verstanden. Nach einem Monat Google+ hat Facebook ein ähnliches Konzept veröffentlicht. Das ist der interessante Effekt am Wettbewerb. Facebook sah ja so aus, als hätten sie alles weggeschlagen und eine monopolartige Struktur geschaffen. Und auf einmal schafft es ein Wettbewerber, durch bessere Datenschutzeinstellungen einen Innovationsvorsprung zu haben und darüber Druck auf Facebook auszuüben. Wenn alles gut geht, wird großen Anbietern bewusst, dass man durch bessere Datenschutzfeatures mehr Vertrauen bei den Nutzern erlangen kann.

Zitiert

Facebook sitzt in den USA. Wir wissen nicht so genau, wie unsere Rechte da respektiert werden.

Markus Beckedahl

Zuletzt hat Mark Zuckerberg auf der F8-Entwicklerkonferenz einige Facebook-Neuerungen vorgestellt, darunter eine Timeline, in der sämtliche Aktivitäten des Nutzers in einer Art Lebensverlauf dargestellt werden. Ist das eine nette Idee oder doch wieder nur der Versuch, so viel wie möglich Nutzerdaten abzugreifen?
Markus Beckedahl: Es gibt sicher eine Menge Menschen, die diese Timeline als Zusatznutzen sehen. Einerseits wird damit ja transparent visualisiert, welche Daten Facebook gesammelt hat. Andererseits kann das durchaus auch Angst machen. Darüber hinaus gab es ja auch Neuerungen in die Richtung, dass Facebook viele Unterhaltungsmedien integriert. Wer will, kann seinen Musik- oder Filmkonsum komplett über Facebook dokumentieren, mir persönlich ist das ein zu großer Eingriff in meine Privatsphäre.

Da die Menschen immer mehr Zeit in Netzwerken wie Facebook und Google+ verbringen, sprechen Beobachter von einem „zweiten Internet“ oder einem „Netz hinter dem Internet“. Wie bewerten Sie diese Entwicklung, welche Gefahren birgt sie?
Markus Beckedahl: Die Gefahr der Walled-Gardens wird bereits seit einigen Jahren diskutiert. Sie entspricht diametral dem Kerngedanken eines offenen Netzes. Die größte Gefahr ist die, dass ein Gatekeeper durch Monopolisierungstendenzen zuviel Macht erhält und durch Code und AGB die Regeln für die Kommunikation der Nutzer bestimmen kann. Andererseits hat die Vergangenheit gezeigt, dass offene Systeme stärker sind oder kennen Sie noch jemanden, der AOL nutzt?

Wie sehen Sie die Chance, dass es mal ein großes, nicht-kommerzielles soziales Netzwerk geben wird?
Markus Beckedahl: Vielleicht müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass etwas Monolithisches wie Facebook oder Studi-VZ auch in zehn Jahren noch das sein wird, was wir uns unter sozialen Netzwerken vorstellen. Oder ob es dann tatsächlich nicht mehr Peer-to-peer ist, also mehr autonome, einzelne Cluster gibt, die miteinander kommunizieren können. Man kann sich das vorstellen wie eine E-Mail-Technologie, wo man sich selbst einen Server aufsetzen kann, weil man mehr Wert auf Sicherheit legt. Freie Projekte wie Diaspora versuchen, so etwas zu realisieren. Dann kann man sich vorstellen, dass es irgendwann mal Schnittstellen zu Facebook oder Google+ gibt, wo man sich andockt. Das wäre eine schöne Sache und da bin ich zuversichtlich, dass wir so etwas noch erreichen werden.

Was hat es mit der aktuellen Bundesratsinitiative des Bundeslandes Hessen auf sich?
Markus Beckedahl: Es wird gerade eine Reform des Telemediengesetzes geplant. Zusätzlich gibt es noch das Bundesdatenschutzgesetz, das soll aber schon so lange reformiert werden, wie ich Politik mache.
Und so schleppen wir Datenschutzparadigmen aus den 70-er Jahren mit uns herum, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ilse Aigner tritt dann aus Facebook aus, stampft mit den Füßen auf und nichts passiert. Jetzt versucht der Bundesrat mal etwas durchzubringen. Manches davon ist vernünftig und bei manchen Dingen fragt man sich, ob das durchdacht ist.

Was sind die vernünftigen und die weniger vernünftigen Regelungen?
Markus Beckedahl: Es macht natürlich Sinn, wenn die Anbieter von Telemediendiensten den Nutzern künftig mitteilen, wenn sie ihre Datenschutzbestimmungen ändern und Daten für Werbetreibende bereit stellen. Oder wenn Unternehmen ihre Geschäftsbedingungen ändern und doch etwas mit den Daten der Nutzer machen. Da würde die Mehrheit der Bevölkerung sicher sagen: „Wir möchten erst mal gefragt werden.“ Das soll jetzt konkretisiert werden.
Ansonsten gibt es Schritte in die Richtung, dass man bei neuen Accounts in sozialen Netzwerken die Einstellungen erst mal scharf und die Privatsphäre schützend einstellt. Viele unbedarfte Nutzer geben erst mal ganz viel von sich preis und denken: Das interessiert doch sowieso nur meine Freunde und realisieren zu wenig, dass sie es trotzdem der ganzen Welt mitteilen.

So sind ja auch die Einladungen zu Facebook-Partys entstanden, wo auf einmal tausende unterwegs waren. Hätte es eine rechtliche Grundlage für das Verbot gegeben, das daraufhin gefordert wurde?
Markus Beckedahl: Ich bin kein Jurist, aber im Großen und Ganzen ist diese Diskussion mit vielen Unsicherheiten ins Sommerloch gestartet. Gerade die Berichterstattung hat dann dazu geführt, dass es auf einmal viele neue Facebook-Partys gab. Man stand kopfschüttelnd davor und dachte sich: das wird jetzt alles total plemplem.

Die Einstellungen für die Privatsphäre sind bei Facebook ja ziemlich versteckt.
Markus Beckedahl: Die Datenschutzinformationen bei Facebook sind ein Musterbeispiel an Unübersichtlichkeit. Ich habe sie mir neulich mal in ein Dokument gezogen. Das waren 46 000 Zeichen!

Ungefähr 15 Din-A4-Seiten.
Markus Beckedahl: Viel zu viel. Es ist der Running Gag, dass es bei Facebook immer wieder neue Möglichkeiten zur Datenschutzeinstellungen gibt. Die versteht dann aber keiner. Ich mache auch immer Fehler, wenn ich versuche, in meinem Blog darüber zu berichten.

Beruhigend, dass Ihnen das auch so geht.
Markus Beckedahl: Die scharfen Einstellungen sollen laut Bundesratsinitiative für alle unter 16 Jahren nicht mehr veränderbar sein. Das gehört zu den Dingen, die mit einer guten Intention etwas an der Realität vorbeigehen, denn die Jugendlichen werden sich dann unter Pseudonym einen neuen Account einrichten, wie sie es heute schon machen.

Muss Facebook seinen Service besser erklären?
Markus Beckedahl: Ja, nicht jeder ist als sozialer Netzwerkexperte geboren. Als Gesellschaft entwickeln und entdecken wir erst ein Verständnis dafür, wie man diese Instrumente einsetzen kann, denn es gab sie bis vor acht Jahren nicht. Ich bin kein Freund von Verboten. Aber man sollte schon Druck ausüben, dass die Anbieter ihre Werkzeuge besser erklären. Denn die selbstbestimmten, mündigen, medienkompetenten Bürger fallen nicht einfach vom Himmel.

Können Sie sich vorstellen, dass mit den neuen Clustern oder Netzwerken, von denen Sie eingangs sprachen, auch eine neue Art von Politikbeteiligung oder neue politische Organisationsformen entstehen?
Markus Beckedahl: Ja klar, es gibt einen Wandel in der Kommunikation, so dass man diese repräsentative Demokratie vielleicht gar nicht mehr so braucht, weil wir orts- und zeitunabhängig kommunizieren können. Die Orts- und Zeitabhängigkeit war ja mal ein Grund, die repräsentative Demokratie einzuführen, weil nicht alle immer miteinander reden konnten und man Vertreter gewählt hat, die Zeit hatten, sich in einem Parlament zu treffen. In welche Richtung das gehen wird, müssen wir ausprobieren. Ich hoffe schon, dass wir es schaffen, mit diesen neuen Möglichkeiten unsere Demokratie weiterzuentwickeln und wiederzubeleben. Aber wir stehen da erst am Anfang. Ich glaube nicht, dass heute schon die Tools da sind, die morgen unsere Demokratie erneuern.

Das Interview entstand im August 2011 und enthält Ergänzungen vom Oktober 2011.

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