Marius Müller-Westernhagen

Auf Platz eins kann der größte Mist sein

Mit 65 Jahren tourte Marius Müller-Westernhagen wieder in Clubs, statt in Stadien zu spielen. Im Interview zieht er Bilanz, erklärt warum man Rock'n'Roll nicht auf der Popakademie lernt und warum es ihm gleichgültig ist, ob er Helene Fischer oder die Rolling Stones von Platz 1 der Charts verdrängt.

Marius Müller-Westernhagen

© Kunstflug

Herr Westernhagen, Sie waren dieses Jahr auf Clubtour. Warum haben Sie sich für kleinere Locations entschieden?
Marius Müller-Westernhagen: Wir haben viele Jahrzehnte nicht in solchen Läden gespielt. Der Entschluss kam, als wir mit der Platte in New York fertig waren. Wir hatten sofort den Wunsch, das unbedingt als Gesamtwerk aufzuführen, was normalerweise nicht geht.

Warum geht das nicht?
Müller-Westernhagen: Wenn du in den großen Hallen spielst erwarten die Leute ganz gewisse Songs, die sie unbedingt hören wollen. Du musst einen Querschnitt machen und kannst vom neuen Album vier, fünf Songs spielen. Mehr nicht. Wir wollten alles spielen und haben nach einer Möglichkeit gesucht, das zu machen: was ist, wenn wir in Clubs spielen? Ist das immer noch nicht zu finanzieren? Dann kam der Gedanke: Und wenn ich für umsonst spiele? Dann ging`s knapp.

Wie fühlte es sich für Sie an?
Müller-Westernhagen: Das hat sich für uns in jeder Beziehung gelohnt: künstlerisch und emotional. Es waren unheimliche Abende, die von uns keiner erwartet hat. Normalerweise ist das nicht so, dass du neue Songs spielst und Leute nehmen das sofort an. Das ist sehr selten und es passierte in diesem Fall vom ersten Song an.

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Auf Platz eins kann der größte Mist sein während die größten Genies nicht in den Charts sind.

Marius Müller-Westernhagen

Wie sieht heute für Sie ein typischer Tourtag aus?
Müller-Westernhagen: Ich stehe morgens auf, es wird gefrühstückt. Der Physiotherapeut kommt und massiert zwei Stunden, was vom Abend noch drin ist. Nach dem Essen geht`s rüber zum Soundcheck, abends wird gespielt, dann wird nochmal massiert und dann geht’s ins Bett. Das ist ein ganz geregelter Zeitablauf und das muss auch so sein.

Wie verbringen Sie die Zeit vor dem Auftritt?
Müller-Westernhagen: Elektrolyte, Einsingen, Inhalieren. Es gibt Tropfen, die ein Hals-Nasen-Ohrenarzt in New York entwickelt hat, Garland Jeffreys, der bei mir als Support spielte, hat mir die empfohlen. Du tust fünf Tropfen in eine halbe Tasse heißes Wasser, dann hast du oben so einen Trichter drauf und atmest das durch den Mund ein. Das soll die Stimme feucht halten, das ist ja immer ganz entscheidend, dass die Stimme nicht trocken wird.

Proben Sie noch fleißig?
Müller-Westernhagen: Oh ja. Geprobt werden muss. Ich bestehe darauf. Wenn die Jungs kommen, können sie die Stücke von vornherein. Wir feilen im Grunde nur noch an Kleinigkeiten, aber eine Mindestprobezeit von zwei, drei Wochen muss schon sein. Das halte ich für sehr wichtig, um sich wieder einzuspielen. Musik entwickelt sich ständig – auch auf Tour von Konzert zu Konzert. Es geht nicht darum, Musik zu produzieren, sondern jeden Abend zu kreieren, damit du auch auf die Gefühle zurückgreifst und das nicht einfach nur runterspielst.

Sie halten die Songs auf Ihrem aktuellen Album „Alphatier“ bewusst länger, die Musik ist wieder rauer, bockiger….
Müller-Westernhagen: Du kommst immer dahin zurück, wo du angefangen hast. Und bei mir ist das der Blues. Es ist ein sehr blueslastiges Album geworden. Dafür musst du natürlich die richtigen Leute haben. Mit dieser Band konnte ich jetzt seit ein paar Jahren zusammenspielen und auf Tour sein, da schreibst du Songs fast auf Charaktere hin. Das ist vergleichbar mit dem Schreiben eines Drehbuchs.Du kennst die sehr genau, weißt genau, wo deren Qualitäten liegen, was sie gerne mögen und was du auch selbst gerne magst.

„Alphatier“ gelangte auf Anhieb auf Platz 1 der Albumcharts.
Müller-Westernhagen: Das ist erfreulich, weil das bedeutet, dass ein paar meiner Platten verkauft wurden und dass ich weiterhin die Möglichkeit habe, so zu arbeiten, wie ich möchte.
Meine erste Nummer eins war vor vielen Jahren „Halleluja“, glaube ich. Das ging von null auf eins – und Nummer zwei waren damals die Rolling Stones. Diesmal traf es Helene Fischer – so hat sich der Musikmarkt geändert (lacht).

Bedeutet das etwas für Sie, also, dass Sie Helene Fischer verdrängt haben?
Müller-Westernhagen: Nein. Auf Platz eins kann der größte Mist sein während die größten Genies nicht in den Charts sind. Das sollte man sich immer klar machen. Ich will einfach nur immer besser werden und gute Platten machen und gute Songs machen – das ist alles, was ich will. Von nichts anderem kommt auch die Befriedigung her.

Wie definieren Sie für sich Rock’n’Roll?
Westernhagen: Man kann das wahnsinnig schwer beschreiben. Es hat nichts damit zu tun, dass man jetzt auf die Popakademie geht und sagt: Wir sind jetzt eine Rock`n Roll-Band und ziehen uns eine Lederjacke an.
Ich glaube, dass man schon in einer gewissen Zeit geboren sein muss, damit groß geworden und gewachsen sein muss. Das ist einfach was, was man später nicht mehr bekommt. Meine Generation waren zum großen Teil Autodidakten und wenn wir früher in Clubs gespielt haben, haben wir acht Stunden gespielt und nicht eine halbe oder so. Da holst du dir natürlich ein anderes Rüstzeug, eine andere Disziplin und auch ein anderes Wissen über das Publikum. Außerdem war die Einstellung eine andere. Zu der Zeit hatte Rock’n’Roll einen gesellschaftlichen und politischen Aspekt, wan wollte etwas sagen. Später wurde es dann reine Unterhaltung.

Ihre Tochter Mimi schlägt nun einen ähnlichen Weg ein, ist selbst Sängerin und brachte bereits zwei Alben raus. Hört man Sie demnächst zusammen?
Müller-Westernhagen: In Zukunft werden wir sicher etwas zusammen machen. In Planung haben wir noch nichts.

Welche Tipps geben Sie ihr?
Müller-Westernhagen: Ich glaube, der muss man nicht groß Tipps geben. Sie fragt mich zwar zu allem und wir diskutieren auch über Musik und das Singen. Aber sie weiß sehr genau, was sie will und sie macht auch, was sie will. Das ist eine Qualität.

Oder gibt sie Ihnen Tipps?
Müller-Westernhagen: Nein. Da hat sie im Augenblick noch zu viel Respekt. (lacht)

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