Marietta Slomka

Angeschlossen an den globalen Informationsfluss

Moderatorin Marietta Slomka über ihre Europa-Tour für das ZDF-"heute-journal", die EU-Erweiterung und ihre Faszination für Nachrichtenjournalismus

Frau Slomka, zwischen dem 19. und 30. April 2004 berichten Sie als Reporterin aus fünf ausgewählten EU-Beitrittsländern im „heute-journal“ des ZDF. Treten Sie jetzt in die Fußstapfen von Gerd Ruge und Peter Scholl-Latour?
Slomka: Ich habe weniger das Gefühl in Fußstapfen zu treten, sondern eher das Gefühl, zu meinen eigenen Wurzeln zurückzukehren. In den letzten drei Jahren stand ich fast nur im Fernsehstudio vor der Kamera; jetzt bin ich wieder als Reporterin mit Kamerateam unterwegs und sitze mit Cutter im Schnittraum. Das habe ich früher als Korrespondentin auch getan und habe diese Arbeit immer sehr geliebt. Es ist schön, das jetzt wieder mal machen zu können, und es ist einfach auch angenehm, mal wieder an die frische Luft zu kommen!

Im Rahmen der Sendung reisen Sie unter anderem nach Tschechien und werfen einen Blick hinter die Kulissen der erfolgreichen Filmindustrie, begleiten EU-Grenzsoldaten in Polen und besuchen die Menschen in den Roma-Dörfern in der Slowakei, die sich noch immer als Minderheit fühlen. Wie werden Sie als Medienfrau in diesen Gebieten aufgenommen? Wie offen begegnen Ihnen die Menschen?
Slomka: Mit erstaunlich großer Offenheit, ja geradezu vertrauensvoll. Das hat mich selbst auch überrascht. Da sind wir zum Beispiel durch ein polnisches Dorf gefahren, und haben bei einer der vielen geschmückten Marien-Figuren, die Sie in Polen überall auf dem Land finden, angehalten, um sie zu filmen. Als mein Kameramann das Stativ aufbaute, kam ein Mann aus dem Haus auf uns zugelaufen und ich dachte erstmal: Oh je, der schimpft jetzt wahrscheinlich, daß wir seine heilige Figur ohne Erlaubnis drehen. Aber nein, er hat jedem von uns die Hand gegeben und dann gebeten, daß wir kurz warten, ist zu der Maria hin und hat erstmal jedes Schleifchen und Blümchen sortiert, damit es auch alles gut fürs Fernsehen aussieht. Ich fand das sehr anrührend. Solche Erlebnisse hatten wir oft und sind auch mehrfach von wildfremden Menschen nach Hause zu Kaffee und Kuchen eingeladen worden. So viel Offenheit und Neugier erlebe ich als Reporterin in Deutschland nicht. Hier sind die Menschen den Medien gegenüber doch etwas abgebrühter und mißtrauischer.

Sind Sie auch privat ein Reisefreak?
Slomka: Ja, ich reise gern und viel und auch gerne kurzfristig: Im Internet buchen und eine Woche später losfahren – herrlich!

Was erhoffen Sie sich persönlich von der EU-Erweiterung, bei der am 1.Mai 2004 10 neue Länder wie Malta, Zypern, Litauen, Polen und Slowenien der Europäischen Union beitreten werden?
Slomka: Ich glaube vor allem, daß das eine große historische Chance ist, und daß Länder wie Polen zum Beispiel mit der EU-Erweiterung nach Hause kommen, in die Mitte Europas, denn dort gehören sie auch kulturhistorisch hin, und nicht in einen feindlichen Ostblock. Vor 15 Jahren hätten wir uns das doch alle nicht träumen lassen.

Was sind, Ihrer Meinung nach, die Risiken dieser großen EU-Erweiterung?
Slomka: Das größte Risiko ist wohl das Anwachsen der Bürokratie und der Vielstimmigkeit in Brüssel. Ich bin mir nicht sicher, ob Erweitern und Vertiefen gleichzeitig so einfach zu handhaben ist, wie manche Politiker das wohl hoffen. Die Integration, das Zusammengehörigkeitsgefühl könnte zunächst etwas auf der Strecke bleiben, die Reform- und Entscheidungsfähigkeit der EU auch. Aber ich hoffe, daß auch dafür im Laufe der Zeit pragmatische Lösungen gefunden werden. So wie bisher einfach weiterzumachen, wird sicher nicht funktionieren. Ausserdem besteht natürlich die Gefahr, daß künftig alles, was wirtschaftlich schief geht oder was im Bereich der organisierten Kriminalität für Probleme sorgt, auf die EU-Erweiterung geschoben wird. Was einfach Quatsch ist: Arbeitsplatzverlagerungen zum Beispiel würde es auch ohne den Beitritt der osteuropäischen Länder geben und gibt es ja auch längst.

Welche Rolle spielt die EU-Erweiterung hinsichtlich des stetigen Anwachsens des globalen Terrors?
Slomka: Man sagt ja immer, daß Integration einen gemeinsamen Feind braucht, so bitter das auch manchmal klingt. Zu Zeiten des Kalten Krieges war der gemeinsame Feind der Ostblock, gegen den man sich quasi integrierte. Jetzt ist es wohl der Terror, der Europa zusammenrücken läßt. Das ist definitiv die größte Herausforderung der EU in den nächsten Jahrzehnten.

Die Türkei ist aller Hoffnungen und Wünsche zum Trotz nicht im Zehnerpack der EU-Erweiterung 2004 enthalten. Skeptische Stimmen rechtfertigen dies häufig mit der Begründung, die Europäische Union könne die Türkei und die Türken nicht integrieren, da die Antike, die Reformation und die Aufklärung im Zeitraffer der Geschichte spurlos an den Türken vorübergegangen seien. Wo stehen Sie in dieser Debatte? Halten Sie die Türkei für beitrittsfähig?
Slomka: Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Türkei sicher noch nicht beitrittsfähig. Aber ich halte es für denkbar, daß die Aussicht auf Beitrittsverhandlungen die Reformer in der Türkei stärkt und insofern auch Gutes bewirkt. Wenn man den Türken aber das Gefühl gibt, sie würden sowieso nicht dazugehören, dann kann das die Entwicklung in dem Land eher hemmen.

Zitiert

Widerworte geben und neugierige Fragen stellen - das habe ich immer schon gerne getan.

Marietta Slomka

Hat sich Ihr persönliches Verhältnis zu bestimmten Beitrittsländern während den Dreharbeiten zu dieser Reihe verändert?
Slomka: Estland hat mir vorher überhaupt nichts gesagt. Ich konnte mir unter dem Land wenig vorstellen und hatte auch keine Beziehung dazu. Nach einer Woche Dreharbeiten dort muß ich sagen: Ich hab dieses kleine baltische Land richtig liebgewonnen.

Könnten sie sich vorstellen nach Beendigung dieser Reihe ein Buch über ihre Erlebnisse zu schreiben?
Slomka: Nein, ich plane kein Buch zu schreiben, das wäre wohl auch ein bißchen übertrieben.

Seit Januar 2001 sind Sie Anchorwoman des ZDF-„heute-journal“. Was fasziniert Sie an diesem Job?
Slomka: Die Aktualität, daß wir immer dicht am Zeitgeschehen arbeiten und über Tag ständig am globalen Informationsfluß angeschlossen sind. Das ist sehr faszinierend. Ausserdem macht es mir Spaß, daß das „heute-journal“ so viele journalistische Freiheiten bietet, daß ich Einfluß nehmen kann auf die Gestaltung der Sendung, über das Moderieren hinaus, und mit der Präsentation der Sendung auch meinen ganz persönlichen Blickwinkel und meine eigene Sprache einbringen kann und soll. Ausserdem habe ich sehr viel Freude an den Politiker-Interviews, die wir in der Sendung führen. Widerworte geben und neugierige Fragen stellen – das habe ich immer schon gerne getan.

Ihre Kollegin Sandra Maischberger („Menschen bei Maischberger“, ARD) bezeichnete sich jüngst als Nachrichten-Junkie. Würden Sie das auch von sich sagen?
Slomka: Diesen Begriff habe ich selbst auch schon verwendet. Wie gesagt: Die vielen aktuellen Informationen, die täglich in unserer Redaktion auflaufen, faszinieren mich. Aber ich kann im Urlaub zum Beispiel auch durchaus mal abschalten und einen Tag ohne Nachrichten überleben.

Wann und durch welches Ereignis ausgelöst begann eigentlich Ihr politisches Interesse?
Slomka: Das kann ich so genau gar nicht sagen. Ich habe mich früh für Politik interessiert, erinnere mich zum Beispiel sehr genau an die Zeit der Wende, als Helmut Kohl an die Regierung kam, an die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses und so weiter. Vielleicht war es auch schon vorher die Zeit der RAF, die Entführung von Hanns Martin Schleyer oder als meine Eltern im Urlaub am Radio hockten und die Flugzeug-Entführung in Mogadischu gespannt verfolgten, wo ich anfing, mich für Nachrichten zu interessieren, obwohl ich noch ein Kind war. Bei mir ist das jedenfalls sehr haften geblieben.

Inwiefern wurden Sie durch das Elternhaus politisch sensibilisiert?
Slomka: Mein Elternhaus war definitiv politisch. Mein Vater war Lehrer für Politik und Wirtschaft und so wurde bei uns schon immer Zeitung gelesen und Nachrichten gesehen. Das prägt natürlich.

Könnten Sie sich vorstellen irgendwann einmal in die Politik zu wechseln, zum Beispiel als Bundestagsabgeordnete oder ähnliches?
Slomka: Nein, eigentlich nicht. Ich beobachte und kommentiere Politik lieber aus der journalistischen Perspektive. Es fiele mir auch schwer, mich für eine Partei zu entscheiden. Ich bin eher Wechselwähler.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Slomka: Hm. Keine Ahnung! Vielleicht die Biene Maja, weil die immer mit so einem Staunen durch die Welt fliegt. Ich staune auch gerne, über das, was man so sieht und erlebt in diesem Leben.

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