Lydia Kavina

Koordination von Klang, Gehör und der Korrektur der eigenen Bewegung

Theremin-Virtuosin Lydia Kavina über den Erfinder des Instruments Lew Termen und Schwierigkeiten des Theremin-Spiels

Lydia Kavina

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Frau Kavina, welche Erinnerungen haben Sie heute noch an Lew Termen?
Kavina: Ich habe ihn als kleines Mädchen kennen gelernt, weil er ein Verwandter unserer Familie war. Er hat uns regelmäßig besucht und als ich neun Jahre alt war, hat er angefangen mich auf dem Theremin zu unterrichten. Ihm war es sehr wichtig, eine Art Nachfolger zu finden und zu unterrichten. Er wusste, dass ich bereits Klavier spielte und auch schon ein bisschen komponiert hatte und dann kam er jeden Freitag zu uns, nach seiner Arbeit an der Universität, die sich am ganz anderen Ende von Moskau befand. Den Unterricht hat er für mich sehr leicht gemacht, das war ein unbeschwertes Musizieren und kein strenger Unterricht. Er war ein sehr feinfühliger, rücksichtsvoller Mensch – er hat nie laut gesprochen, er hat auch alles mit Humor gemacht. Es kam mir manchmal so vor, als ob ich für ihn spiele. Nur würde er mich irgendwann korrigieren und selber zeigen, wie man es am besten spielt.
Vor allem hat er mir das Verständnis vom Theremin als sehr lyrisches Instrument vermittelt. Bis heute verstehe ich das Instrument als eine Art singendes Instrument mit gesanglichem Ausdruck. Denn als Blas- oder Streichinstrument kann man das Theremin ja nicht bezeichnen.

Womit sollte ein Anfänger beginnen, wenn er Theremin lernen will?
Kavina: Was man auf dem Theremin am Anfang spielt, sollten in erster Linie Melodien sein, die man sehr gut kennt und vielleicht schon auf einem anderen Instrument gespielt hat. Ich habe damals den Schwan von Saint-Sa?ns, Ave Maria von Schubert oder einfache Romanzen gespielt – kleine Stücke, die ich aus dem klassischen Repertoire schon kannte.

Gibt es für das Theremin-Spiel eine universelle Fingertechnik oder muss jeder Spieler selbst seine eigene Technik entwickeln?
Kavina: Das ist genauso wie bei jedem anderen Instrument. Es gibt Virtuosen, die eine Technik entwickeln, die dann für viele andere die Grundlage bildet. Die Grundtechnik wurde von Clara Rockmore entwickelt, wobei die Idee natürlich war, zu der damaligen Zeit virtuoser auf dem Theremin zu spielen, als es bis dahin der Fall war. Ihr war es wichtig, dass man nicht immer den ganzen Arm bewegt, sondern vor allem die einzelnen Finger. Natürlich unterscheidet sich die Fingertechnik sehr von anderen Instrumenten, weil es nicht um ganz konkrete Fingerpositionen geht, sondern um die Kapazität der Hand. Das Instrument reagiert nicht nur auf die Näherung, sondern vor allem auf die Form der Hand. Die Koordination, wie man die Hand aufmacht und sich gleichzeitig der Antenne nähert, ist ein wichtiger Bestandteil der Technik.
Heute entwickelt sich die Spieltechnik natürlich weiter, mit den neuen Spielern, die jeden Tag auf der ganzen Welt dazukommen und genauso habe ich für mich persönlich die Technik von Clara Rockmore auch weiterentwickelt.

Wie wichtig ist es, bereits anderes Instrument erlernt zu haben, bevor man mit dem Theremin beginnt?
Kavina: Also, es lohnt sich, das Theremin später anzufangen – es ist nicht wichtig früh in der Kindheit anzufangen. Früh anfangen muss man ein Instrument, für das man mechanische und physische Erinnerung und die mechanische Fingermotorik ausbilden muss. Diese Dinge spielen beim Theremin fast gar keine Rolle. Was man für das Theremin-Spiel vor allem entwickeln muss, ist das Gehör. Wenn man also schon eine musikalische Ausbildung und Erfahrung mit anderen Instrumenten gemacht hat, oder wenn man zum Beispiel viel gesungen hat, ist das eine gute Grundlage für das Erlernen des Theremin-Spiels, weil das Gehör dann bereits geschult ist. Ein kleines Kind dagegen hat diese Erfahrungen noch gar nicht.

Benötigt der Spieler denn ein absolutes Gehör?
Kavina: Nein, ich selbst habe auch kein absolutes Gehör. Das ist wie beim Gesang, ein absolutes Gehör kann eine Hilfe sein, es kann aber auch manchmal stören. Auf jeden Fall entwickelt das Theremin das Gehör von jedem Spieler weiter, egal ob dieser am Anfang ein gutes oder schlechtes Gehör hatte. Das ist ein sehr gutes Training, was man so vielleicht an keinem anderen Instrument kriegen kann. Man muss sich beim Theremin unbedingt auf den Klang konzentrieren, da gibt es keine andere Wahl.

Wie sieht es am Anfang eines Konzertes aus, bevor Sie das erste Stück beginnen – müssen Sie sich und das Instrument erst einmal in die richtige Stimmung bringen, oder wissen Sie von vornherein, welche Handhaltung zu welchem Ton führt?
Kavina: Man muss die Stimmung des Theremins immer wieder neu prüfen, in jeder neuen Situation. Auf die Stimmung haben viele Dinge Einfluss, die Umgebung, das Wetter, ob ein Notenpult vor dem Instrument steht usw. Ich brauche am Anfang immer ein paar Sekunden, um die richtige Stimmung zu finden, das klingt für den Zuhörer auch ein bisschen komisch. Und den ersten Ton eines Stücks findet man meistens dadurch, dass man ihn ein bisschen ertastet. Das ist für den Zuhörer zwar unhörbar, aber der Spieler braucht einen winzigen Moment, um den Ton zu ertasten. Man kann schließlich, auch wenn man Erfahrung hat, nur ungefähr schätzen, wo sich der Ton befindet.

Verhält sich dieses Ertasten denn nur mit dem Anfangston so? Oder ist dies beim Spiel ein fortwährender Prozess?
Kavina: Das ist ein Prozess der sich immer wieder wiederholt. Die genauen Fingerpositionen sind beim Theremin-Spiel ja nicht entscheidend, die Abstände für einen Ganztonschritt sind ja zum Teil nur millimetergroß, das kann man also nicht in der mechanischen Erinnerung haben, wie es bei jedem anderen Instrument möglich ist. Außerdem sind die Tonabstände immer auch ein bisschen anders, da kann der gleiche Tonabstand einmal einen Zentimeter groß sein, ein anderes Mal aber zwei Zentimeter. Beim Theremin besteht die Technik viel mehr aus der Koordination von Klang, Gehör und der Korrektur der eigenen Bewegung. Das ganze geht natürlich immer sehr schnell, aber es ist immer an die Arbeit des Gehörs gebunden. Dazu kommt noch die akustische Situation, an die sich das Gehör immer neu anpassen muss, weil das Theremin in unterschiedlicher Akustik unterschiedlich klingt. Es ist also insgesamt sehr starke Ohrenarbeit.

Zitiert

Den ersten Ton eines Stücks findet man meistens dadurch, dass man ihn ein bisschen ertastet.

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Wie lange dauert es ungefähr, bis man das Instrument professionell spielen kann?
Kavina: Das ist natürlich ganz unterschiedlich und hängt von der einzelnen Person ab. Clara Rockmore zum Beispiel hat etwa fünf Jahre gelernt, bevor sie öffentlich aufgetreten ist, obwohl sie wirklich ein Genie war und schon als Geigerin viel musikalische Erfahrung hatte. Ich selbst habe sehr viele Jahre benötigt, ich habe als kleines Kind angefangen, wo ich noch keine richtige Musikausbildung hatte. Ich musste noch zur Musikschule, aufs Konservatorium, die ganze professionelle Ausbildung machen. Das Instrument professionell beherrschen kann man nicht ohne eine professionelle musikalische Ausbildung. Insofern denke ich, benötigt man mindestens vier Jahre, dann muss derjenige aber auch besonders begabt sein.

Wie viele professionelle Spieler gibt es denn im Moment auf der Welt?
Kavina: Ich würde jetzt fünf oder sechs nennen, wobei die alle in unterschiedlichen Musikbereichen arbeiten. Es gibt zum Beispiel eine wunderbare Jazz-Theremin-Spielerin, Pamelia Kurstin in Los Angeles. Sie spielt seit 1998 und benutzt das Theremin als Jazz-Instrument, was ich sehr bewundere. Masami Takeuchi aus Japan spielt seit 1993 und er ist der erste Musiker, der das Theremin in Japan bekannt gemacht hat und dort mittlerweile auch Unterricht in drei verschiedenen Städten gibt. Es gibt in Japan heute sogar eine Theremin-Gesellschaft, die sich "Friends of Theremin" nennt. Takeuchi hat auch eine Theremin-Schule für Anfänger geschrieben sowie ein Buch über Lew Termen. In Deutschland gibt es dann Barbara Buchholz, eine Schülerin von mir, die viel im experimentellen Theater zu hören ist. Und es gibt Wilco Botermanns aus Holland, der das Theremin viel in elektronsicher Musik einsetzt. All diese Musiker sind professionell in verschiedenen Bereichen tätig.

Wenn wir einmal nur vom klassischen Bereich ausgehen – wie viele Komponisten komponieren heute für Theremin?
Kavina: Ich schätze etwa 10 bis 20 weltweit. Aber es kommen immer wieder welche dazu, weil das Theremin inzwischen sehr populär geworden ist. Ein deutscher Musikwissenschaftler wollte vor zehn Jahren eine Dissertation über den Theremin-Einsatz in der Musik schreiben. Vor zehn Jahren war es auch noch übersichtlich, wie viele Komponisten in welche Richtung für Theremin komponieren. Aber während er seine Arbeit geschrieben hat – das dauerte ein paar Jahre – hat sich die Sache so sehr entwickelt, dass seine Herangehensweise keinen Sinn mehr machte. Es ist heute sehr schwer, sich einen Überblick zu verschaffen, was alles für das Theremin geschrieben wird und wo es eingesetzt wird. Immerhin sind bisher ungefähr 12.000 Instrumente in der ganzen Welt verkauft worden.

Existiert eigentlich eine spezifische Notation, die für das Theremin eingesetzt wird?
Kavina: Das ist sehr vom Komponisten abhängig. Das Theremin kann in sieben Oktaven gespielt werden, insofern werden meistens beide, Violin- und Bassschlüssel verwendet. Olga Neuwirth zum Beispiel, von der ich 1999 die Oper "Bählams Fest" aufgeführt habe, schreibt ganz normale Noten, manchmal Glissando-Zeichen und ganz präzise, wo sie sich Vibrato wünscht. Wladimir Nikolaev dagegen, von dem ich bereits mehrere Werke gespielt habe, schreibt grafische Linien. Aber für ihn geht es auch weniger um eine präzise Tonhöhe, sondern mehr um die lineare Entwicklung. Zum Beispiel in seinem Stück "19 peaks" hat er für das Theremin zwei Linien: eine für die Tonhöhe und eine für die Lautstärke, wobei die Lautstärke dadurch angezeigt wird, ob die Linie breiter oder schmaler wird. Die Tonhöhen-Linie verläuft in einem vorgegeben Bereich, zum Beispiel von einer Oktave und in diesem Bereich entwickelt der Spieler dann die Tonhöhe.

Bekommt das Theremin in Bohuslav Martinus "Fantasie" eine besondere Notation?
Kavina: Nein, das ist ja gewissermaßen ganz konventionelle Musik. Und von den meisten wurden das Theremin damals ganz konventionell eingesetzt. Für die Leute war es ja dieser neue elektronische Klang selbst, der interessant war, da verstand man noch gar nicht, was man mit dieser neuen Technik alles machen konnte. Man spielte auf dem Theremin den "Schwan" von Saint-Säens und in der neuen Musik auch nur ’normale‘ Melodien.

Aber es gab auch Ausnahmen wie Percy Grainger.
Kavina: Ja, Percy Grainger war vielleicht der einzige, der da ein ganz neues Denken hatte. Er wollte die Musik befreien und seine Kompositionen für Theremin waren daher ohne festgelegte Tonhöhen und Rhythmen. Die Partituren dokumentieren sein sehr grafisches Denken. Ich habe seine drei Stücke "Free Music No. 1", "Free Music No. 2" und "Beatless Music" aufgenommen und das war für mich keine leichte Arbeit, weil seine Partituren auch sehr präzise geschrieben sind.

Leopold Stokowski hat ein bestimmtes Theremin-Modell für kurze Zeit im Orchester eingesetzt. Wie schätzen Sie das Theremin im Verhältnis zum Orchester ein?
Kavina: Also, die Einsätze, die ich kenne, orientieren sich eigentlich immer am Theremin als solistisches Instrument oder als ein Effekt. Das Theremin kann ein sehr starker Solist sein, der sich gut mit dem Orchester zusammenfügt. Auch wenn der Klang gegenüber den akustischen Instrumenten ein bisschen fremd ist, kann man ihn mit den verschiedenen Instrumentengruppen gut kombinieren und der Theremin-Spieler kann sich auch an die Lautstärke-Unterschiede des Orchesters anpassen. Ich würde sagen, es klingt mit dem Orchester sehr organisch aber auch effektvoll.

Inwiefern entspricht das heutige Instrument und sein Einsatz eigentlich den Idealvorstellungen Termens, der sein Instrument ja fortwährend versucht hat, weiterzuentwickeln?
Kavina: Ich denke, Lew Termen als Person war ziemlich objektiv und sagen wir kosmopolitisch eingestellt. Er war sehr loyal gegenüber verschiedenen Meinungen, er hatte nichts gegen die verschiedene Arten und Experimente wie man das Theremin spielt und einsetzt. Er war nur immer der Meinung, dass das Theremin unbedingt überleben sollte. Das Theremin sollte überleben, in der Geschichte bleiben, das war ihm wichtig. Diese neue Technik und Spielweise sollte weiterleben. Aber in welche musikalische Richtung es gehen würde, das war ihm eigentlich nicht so wichtig. Und ich denke, so wie sich das Instrument bis heute entwickelt hat, war das sicher ein Traum von Termen. Und Gott sei Dank hat er es am Ende seines Lebens auch ein bisschen miterleben können.

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