Kurt Beck

Rot-Rot-Grün ist nicht ausgeschlossen.

Kurt Beck, langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und früherer SPD-Vorsitzender, spricht im Interview über die anstehende Bundestagswahl, die K-Frage bei der SPD, Koalitions-Optionen und die Nachwirkungen des Terroranschlags von Berlin.

Kurt Beck

© Friedrich-Ebert-Stiftung

Herr Beck, eine der drängendsten Fragen an die SPD lautet in diesen Tagen: Wer wird Kanzlerkandidat? Wissen Sie es?
Kurt Beck: Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Ich habe mit Sigmar Gabriel ein sehr freundschaftlich-vertrauensvolles Verhältnis, mit Martin Schulz übrigens in gleicher Weise. Wir reden über viele Dinge auch sehr offen, aber ich würde nie zu ihm sagen: Mir kannst du es doch verraten. Sigmar Gabriel hat Recht, dass er zunächst einmal die Termine, die er selber mit der Bestätigung der Gremien der SPD gesetzt hat, einhält. Ende Januar werden wir es wissen und das ist auch richtig so.

Sigmar Gabriel, Martin Schulz oder Olaf Scholz – wer wäre Ihr Favorit?
Beck: Das werde ich genauso wenig beantworten, denn der Vorsitzende hat das erste Wort und es braucht nicht tausend Stimmen, die ihm vorsagen wollen, wie das denn aussehen soll. Ich habe selber erlebt, wie es ist, wenn man diese Regel, die nirgendwo festgeschrieben steht, aber in meinen Augen hochvernünftig ist, durchbricht, und ich werde es anderen nicht antun, was mir damals angetan wurde.

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Wir müssen aufpassen, nicht eine Große Koalition an die andere zu reihen.

Kurt Beck

Die SPD kommt laut Umfragen derzeit nicht über 23 Prozent. Was bedeutet das für die einst größte Volkspartei und was sagt das über ihren Zustand aus?
Beck: Zunächst einmal bin ich mehr als skeptisch geworden, was Umfragen angeht. Dennoch wissen wir in der SPD natürlich, wie schwierig es ist, im Mitte-Links-Bereich unserer Gesellschaft Größenordnungen von über 30 Prozent zusammenzubringen, da sich das Spektrum in Linke, Grüne und SPD aufsplittert. Wir haben auf der einen Seite Menschen, die sehr populistisch denken, die die ‚etablierte Politik‘, um den Begriff einmal selber zu verwenden, abzustrafen gedenken, und die noch vor einigen Jahren zur Linkspartei oder auch teilweise zu den Piraten gelaufen sind. Nun denkt man, es müsse ein Zeichen gesetzt werden und tut das mit der AfD im rechtspopulistisch bis rechtsradikalen Bereich. Das engt zweifelsfrei den Spielraum aller demokratischen Parteien ein, auch den der SPD.

Wie muss die SPD reagieren?
Beck: Ich denke, dass man mit einer engagierten Partei, die auf die Menschen zugeht und für ihre Ideale einer freien, gerechten und sozialen Gesellschaft wirbt und eine überzeugende Persönlichkeit an der Spitze hat, eben auch stärkste Kraft werden und dann eben den Anspruch auf die Regierungsbildung stellen kann.

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die SPD viele Menschen nicht mehr erreicht.
Beck: Das ist ohne Frage so, ja. Das hängt auch immer noch mit den Nachwirkungen des Agenda 2010-Prozesses zusammen.

Inwiefern?
Beck: Die Menschen hegen Misstrauen dahingehend, ob der Kampf um mehr Gerechtigkeit und Ausgleich wirklich ernst gemeint ist. Die Agenda war eine ganz entscheidende Grundlage für unseren heutigen Wirtschafts- und Arbeitsmarkterfolg, doch es waren auch einige Punkte darunter, die die Menschen als überzogen empfunden haben. Stichwort Hartz IV, also, dass alle nach einem Jahr auf das Arbeitslosengeld II zurückfallen, egal wie lange sie gearbeitet haben. Das haben die Menschen als tief ungerecht empfunden und dieses Gefühl wirkt nach.

Die SPD sorgte zuletzt mit der „Rent a Sozi“-Affäre für Negativschlagzeilen. Mittels einer SPD-Agentur soll es verschiedene gesponserte Treffen mit Spitzenpolitikern der Sozialdemokraten gegeben haben.
Beck: Das war ein politischer Fehler der SPD, der allerdings auch schnell korrigiert wurde. Ich selber wusste nichts davon und war überrascht, genauso wie die Betroffenen auch. Mit mehreren Personen, die bei solchen Veranstaltungen anwesend waren, habe ich darüber gesprochen und weiß, dass sie mir nichts vorgemacht haben und davon auch nichts wussten. Als aktiver Politiker erhält man ständig Einladungen, und die Tatsache, mit Wirtschaftsrunden zu reden, ist nicht unschicklich, sondern gehört zum politischen Alltag dazu. Der Fehler lag darin, dass man dafür Geld kassierte. An diesem Punkt kann ich die Kritik durchaus nachvollziehen.

Ist Rot-Rot-Grün in Ihren Augen eine realistische Option für den Bund nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr?
Beck: Das ist zunächst einmal eine rein rechnerische Option, wobei durchaus nicht ausgeschlossen ist, dass diese auch eine politische werden kann. Den meisten Klärungsbedarf in dieser Hinsicht hat die Linke, denn die SPD wird sich definitiv auf keine unverantwortliche Politik einlassen. Deutschland muss sowohl in der Außen- und Sicherheitspolitik als auch in der Europapolitik verlässlich bleiben. Dies gilt umso mehr, da wir nicht genau wissen, was durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auf uns zukommt. Die Grünen müssen allerdings auch deutlich machen, dass man nicht auf allen Seiten gleichzeitig sein kann und sich eindeutiger positionieren.

Welches Bündnis favorisieren Sie?
Beck: Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, nicht eine Große Koalition an die andere zu reihen, das kann in meinen Augen demokratieschädlich wirken und deshalb muss man sich bemühen, auch andere Konstellationen zumindest nicht immer von vornherein auszuschließen. Ich sympathisiere mit einer Bündniskonstellation, wie sie in Rheinland-Pfalz gut funktioniert, also einer Koalition zwischen SPD, Grünen und der FDP. Ob das dann rechnerisch reicht und inhaltlich politisch überhaupt funktioniert, weiß man erst nach der Wahl und muss gründlich ausgelotet werden.

Ein anderes Thema: Anfang 2017 steht Deutschland unter dem Eindruck des Terroranschlags von Berlin. Wie bewerten Sie die politischen Reaktionen der vergangenen Tage?
Beck: In den Tagen nach dem Anschlag habe ich es als widerlich empfunden, was vor allem von Seiten der AfD herausposaunt wurde, um das furchtbare Geschehen für die eigenen politischen Zwecke zu missbrauchen. Doch nicht nur die AfD, auch Horst Seehofer hat den Vorfall in Berlin als Wasser auf die Mühlen seiner politischen Vorstellungen genutzt und dies hat mich wirklich abgeschreckt und dazu bewogen, zunächst einmal abzuwarten, bis eine gründliche Analyse der Tat und ihrer Umstände erfolgt ist, bevor ich voreilig Schlussfolgerungen ziehe.

Was wird sich nun ändern? Müssen politische Konsequenzen gezogen werden?
Beck: Es werden entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, wenn es zutrifft, dass der vermeintliche Täter, der unter öffentlicher Beobachtung stand, in Deutschland unterwegs sein konnte obwohl er als Gefährder höchsten Ausmaßes galt und dann vorbehaltlich der Bestätigung dieser schrecklichen Vermutungen aus einer Ideologie heraus zum Massenmörder werden konnte.

Was kann die Politik denn tun, um sich besser zu wappnen?
Beck: Der Rechtsstaat muss sich fragen, ob er nicht ein Instrument schafft für den konkreten Fall, dass zu uns eingereiste Menschen nicht klar identifiziert werden können. Es kann nicht sein, dass sie unter lückenhafter Beobachtung stehen, wie scheinbar im Fall des Attentäters von Berlin. Vor dem Hintergrund des islamistischen Terrorismus, den wir in so vielen Ländern erlebt haben, müssen wir noch einmal abwägen, ob der Rechtsstaat sich nicht schützen können muss, sei es mit der Anwendung elektronischer Fußfesseln oder ähnlichem, bis die Identität abschließend geklärt ist.

Der Tatverdächtige sollte bereits abgeschoben werden, doch das scheiterte an fehlenden Papieren. Wo liegt hier in Ihren Augen der Fehler?
Beck: Auch unsere Partner müssen kooperieren, so hätte uns Tunesien im konkreten Fall nicht monatelang bei der Ausfertigung von Ersatzpapieren für den Tatverdächtigen hinhalten dürfen, die die Rückführung ja bedingt. Immer vorausgesetzt, dass der Tunesier Anis Amri nachweislich der Täter des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt war. Es kann nicht sein, dass wir von diesen Ländern hängen gelassen werden, schließlich müssen wir zusammenhalten, gerade in Zeiten der Terrorbedrohung. Wir haben Tunesien nach Terroranschlägen im eigenen Land auch geholfen, was ich unbedingt richtig finde, denn das Land ist eine der wenigen Hoffnungen im Norden Afrikas. Doch wenn wir das Gefühl haben, wir werden im Stich gelassen, müssen wir das auch in aller Offenheit und Klarheit an- und aussprechen.

Gehen wir zu locker mit potentiellen islamistischen Gefährdern um?
Beck: Ich glaube nicht, dass wir vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte von der individuellen Bewertung von Asylgründen wegkommen dürfen, doch wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass jemand unsere Freiheit, ja das Leben und die Gesundheit von Menschen zu bedrohen bereit ist, dann muss auch stringent gehandelt werden können. Wir müssen beispielsweise überprüfen, ob wir wirklich hinnehmen, dass es Hassprediger gibt, die in Deutschland in Moscheen unterwegs sind. Mit unseren Freunden aus dem muslimischen Bereich müssen wir dort Handlungsfähigkeit zeigen und beweisen. Wir können nicht zulassen, dass in Deutschland in einer solchen Weise gehetzt wird und da muss der Rechtsstaat überprüfen, ob er sich nicht Handhaben schafft, so etwas zu unterbinden.

Wie blicken Sie ins Jahr 2017: Voller Hoffnung oder eher sorgenvoll?
Ich neige eher dazu, optimistisch in die Zukunft zu gehen, will allerdings auch klar sagen, dass mich die jüngsten Ereignisse doch sehr betroffen machen. Welche Rolle die USA in ökonomischen und ökologischen Fragen und Bündnis- und Sicherheitsfragen spielen wird, wissen wir alle nicht. Was der Brexit uns noch bringen wird, ebenso wenig. Die Tatsache, dass Europa an vielen Stellen ausfranst, anstatt wieder enger zusammen zu rücken, stimmt mich ebenfalls tief betroffen. Auch der Terror bedroht uns alle und unsere Art, frei und offen zu leben und über Grenzen mit anderen Völkern zusammenzustehen.
Wir müssen wieder verstärkt zu uns nach Deutschland schauen und dringend etwas tun, um zu signalisieren, dass wir uns in unserem Land wieder vermehrt um Gerechtigkeit bemühen. Ich glaube fest daran, dass jeder das Gefühl vermittelt bekommen muss: Wenn ich anständig arbeite, wenn ich mich bemühe, dann kann ich mit meinen eigenen Anstrengungen für meine Familie sorgen, ein ordentliches Leben gestalten und auch meinen Kindern eine Perspektive geben. Wenn uns das gelingt, haben wir wieder ausreichend Stabilität im Inneren, um die anderen Herausforderungen zu bewältigen.

[Das Interview entstand im Dezember 2016.]

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