Klaus Werner-Lobo

Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir Spaß dabei haben.

Klaus Werner-Lobo über multinationale Unternehmen, das "Schwarzbuch Markenfirmen", Globalisierungskritik, die Zukunft Afrikas, Clownrebellen und die sogenannten "LOHAS"

Klaus Werner-Lobo

© Paul Sturm

Herr Werner-Lobo, gibt es einen Konzern, den Sie gerne loben würden?
Werner-Lobo: Nein, es gibt keine multinationalen Unternehmen, die gut sind. Multinationale Unternehmen sind deswegen multinationale Unternehmen, weil sie von Ausbeutung profitieren. Ihr Zweck ist, von den Einkommensunterschieden in der Welt zu profitieren. Deswegen sind sie auch daran interessiert, diese Einkommensunterschiede aufrecht zu erhalten.

Sie meinen damit jedes international aufgestellte Unternehmen?
Werner-Lobo: Es gibt schon internationalen Handel, der vergleichsweise gut ist. Kaffee, Kakao oder Bananen gibt es bei uns nun mal nicht. Produkte, die mit dem Fairtrade-Gütesiegel zertifiziert sind, werden so gehandelt, dass davon alle Beteiligten etwas haben. Eigentlich müssten 100 Prozent des Welthandels Fairtrade sein, so dass man nicht die Profite oder den Shareholder Value zum Ziel erhebt, sondern menschlichen Wohlstand und Gerechtigkeit unter Beachtung der ökologischen Grenzen dieses Planeten.

Sie haben 2001 erstmals das „Schwarzbuch Markenfirmen“ veröffentlicht, in dem Sie auf die Machenschaften der großen Konzerne aufmerksam machen, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Umweltzerstörung etc. Haben die Firmen eigentlich auf Ihre Kritik reagiert, hat sich etwas verändert?
Werner-Lobo: Das Schwarzbuch Markenfirmen hat wie jede Konzernkritik Konfliktkosten erzeugt. Wenn ich so ein Buch publiziere, dann entsteht einem Konzern ein Imageschaden. Der ist betriebswirtschaftlich messbar. Dieses Geld könnte der Konzern, um das in Zukunft zu vermeiden, in Verbesserungen investieren. Jetzt investieren sie aber nur einen kleinen Teil in Verbesserungen und einen großen Teil geben sie dafür aus, dass über die Verbesserungen geredet wird. Das nennt sich dann Corporate Social Responsibility (CSR), also soziale Unternehmensverantwortung. Die Räuber geben aber nur einen winzigen Teil ihres Raubguts zurück. In den Zulieferbetrieben von Adidas oder Nike wird man heute vielleicht weniger Kinder finden als vor ein paar Jahren. Allerdings werden die erwachsenen Beschäftigten nach wie vor so schlecht bezahlt, dass sie ihre Familien nicht ernähren können. Deren Kinder müssen auf der Straße arbeiten, damit sie überleben können.

Sind Sie von einem der Konzerne verklagt geworden?
Werner-Lobo: Nie. Es hat nicht einmal die Androhung einer Klage gegeben. Wenn es zu einem Prozess kommt, steigt das Medieninteresse und dann tragen die Konzerne einen Imageschaden davon. Da entsteht sehr schnell ein David-gegen-Goliath-Effekt und das versuchen sie zu vermeiden. Solange ich in meinen Büchern keine falschen Dinge schreibe – und das tue ich nicht – werden die mich nicht verklagen, weil dann die Auflage meines Buches steigt, und das wollen sie nicht.

Nun ist Ende 2008 Ihr Buch „Uns gehört die Welt!“ erschienen, dass sich kritisch mit der Globalisierung und der Macht der Konzerne auseinandersetzt. Sie nehmen im Buch vorweg, dass es als radikal oder einseitig kritisiert werden könnte. Wie radikal oder einseitig muss Globalisierungskritik sein?
Werner-Lobo: Das Wort radikal kommt von Radix, die Wurzel, und wenn wir die Dinge verbessern wollen, müssen wir sie von der Wurzel her verstehen. Es reicht nicht, das Gute zu wollen. Schon Brecht hat gesagt: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“. So wie bei den sogenannten LOHAS (Anm.: Lifestyle of Health and Sustainability): Da gibt es viele Menschen guten Willens. Aber wenn sich jemand einreden lässt, man tut Gutes für die Umwelt, wenn man ein Hybridauto kauft, dann muss ich leider sagen, es ist besser, kein Auto zu haben. Wenn diese Bewegungen mit „ethischem“, „verantwortungsvollem“ oder „strategischem Konsum“ dazu führen, dass die Leute mehr konsumieren als vorher, dann haben wir nichts davon. Einseitig bin ich in dem Sinn, dass ich versuche, mich auf die Seite der Unterdrückten zu schlagen und eine Seite vertrete, die vermutlich medial unterrepräsentiert ist. Man ist da schon ein bisschen der Rufer in der Wüste.

Das heißt, Sie können LOHAS nichts abgewinnen?
Werner-Lobo: Ich kann mit dem Wort Lifestyle nichts anfangen. Und ich habe nie eine besondere Freude am Verbrauchen gehabt. Das Wort „verbrauchen“ heißt ja, man verbraucht etwas, was nachher nicht mehr da ist. Wir sollten die Ressourcen, die wir zum Leben brauchen, nutzen, ohne dass wir sie verbrauchen.
Für mich gibt es fast keine schlimmere Strafe, als wenn ich ein paar Stunden in einem Shoppingcenter verbringen muss, weil mir das dort keinen Spaß macht. Ich kaufe meine Dinge so regional und ökologisch und fair wie möglich, ohne jemals das Gefühl gehabt zu haben, auf irgendetwas zu verzichten. Ich habe immer schon versucht, mich nicht davon terrorisieren zu lassen, dass man alles Mögliche kaufen soll. Wenn wir jetzt einen Lifestyle daraus machen, dass wir auf irgendeine Art konsumieren, dann bleiben wir in diesem System hängen, dass uns zu Konsumenten und Verbrauchern macht. Ich verstehe mich als Mensch und nicht als Verbraucher.

Schaffen Sie es denn, kein Produkt von den Konzernen zu kaufen, die Sie kritisieren?
Werner-Lobo: Natürlich nicht. Wenn man in diesem kapitalistischen System lebt, nimmt man an ihm teil. Das geht gar nicht anders. Es ist auch gar nicht mein Ziel, das zu schaffen. Ich bin Bewohner einer großen Stadt in einem kapitalistischen Land, ich kommuniziere, ich reise und konsumiere ganz normal wie jeder andere. Da ist es fast unzumutbar, zu sagen, ich kaufe nicht bei Konzernen, weil die Konzerne ja alles dominieren. Mir wäre es auch lieber, ich müsste nicht. Es geht um politische Strukturen, die geschaffen werden müssen, damit man das nicht muss.

Was war das letzte Produkt von so einem Konzern, das Sie gekauft haben?
Werner-Lobo: Vermutlich der Kaffee, den ich jetzt gerade trinke. Ich weiß nicht, woher die in dem Kaffeehaus, in dem wir sitzen, ihren Kaffee beziehen. Es wird uns auch schwer gemacht, den Überblick zu behalten. In Deutschland wollte die damalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast ein Verbraucherinformationsgesetz schaffen, wo man im Internet nachschauen kann, woher die Produkte kommen, die man kauft –  samt der gesamten Produktionskette, unter Umständen auch mit den ökologischen Auswirkungen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat sich erfolgreich dagegen gewehrt, weil er gesagt hat, das überfordere die Konsumenten. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Wirtschaftslobby sagt, das überfordert uns, wenn wir zu gut informiert sind. Sie wollen uns dumm halten, damit wir wie dumme Schafe ihre Produkte konsumieren und uns nicht weiter wehren. Deswegen ist ein Leitsatz meines Buches: Wir lassen uns nicht verkaufen, und wir lassen uns vor allem nicht für dumm verkaufen.

Der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer („Lets Make Money“) sagte uns in einem Interview, dass junge Leute ein anderes Gerechtigkeitsempfinden haben. Sehen Sie das auch so?
Werner-Lobo: Ich sehe das genau so. Jugendliche sind nicht so politikverdrossen, markentreu oder konsumgeil, wie sie immer dargestellt werden. Sie werden dazu gemacht. Jugendliche haben noch ein intaktes ethisches Verständnis. Für sie ist völlig klar, dass es nicht in Ordnung ist, wenn der eine reich ist und der andere verhungern muss. Für sie ist klar, dass Sklaverei, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Tierquälerei ethisch nicht akzeptabel sind.

Zitiert

Das Wort "radikal" kommt von Radix, die Wurzel - wenn wir die Dinge verbessern wollen, müssen wir sie von der Wurzel her verstehen.

Klaus Werner-Lobo

Und Erwachsene?
Werner-Lobo: Erwachsene haben oft einen Zynismus entwickelt, weil sie durch dieses System zerstört, für asoziales Verhalten belohnt oder für soziales bestraft werden. Der schlimmste Feind einer gerechten, sozial und ökologisch vertretbaren Entwicklung ist der Zynismus. Er rechtfertigt, dass man sagt: „Es ist alles schlecht, wir können eh nichts verbessern und das muss halt so sein.“ Margaret Thatcher hat angesichts des globalen Elends einmal gesagt: „There is no alternative“. Das nennt man das TINA-Syndrom. Aber: There is an alternative! Jugendliche wissen das noch.

Welche Rolle spielt für Sie bei der Globalisierung das Internet?
Werner-Lobo: Das Internet ist eine der Ursachen der Beschleunigung des Welthandels und dieses globalisierten Kapitalismus. Gleichzeitig ermöglicht das Internet  uns, den Menschen, also nicht nur dem Kapital, sehr schnell zu kommunizieren und uns untereinander zu vernetzen. Das hat dazu geführt, dass heute eine ugandische Bäuerin, ein brasilianischer Landloser, ein mexikanischer Gewerkschafter oder eine Menschenrechtsgruppe aus Hongkong mit Menschen in den reicheren Ländern in Kontakt treten können. Dann können viele Leute mobilisiert werden, um die schlimmsten Auswüchse des globalisierten Kapitalismus zu bekämpfen. Darin sehe ich ein wahnsinniges Potential. Das Internet ermöglicht außerdem eine Demokratisierung der Medienlandschaft. Um ein Weblog einzurichten brauche ich so gut wie kein Geld. Es gibt im deutschen Sprachraum Weblogs von 15-Jährigen, die von 60.000 Leuten gelesen werden. Um eine Zeitung oder einen Fernsehsender zu gründen, muss man sehr viel Geld in die Hand nehmen. Das kommt in erster Linie von den Banken und den Konzernen. Damit ist die Information, die da vermittelt wird, zu einem gewissen Teil abhängig von denen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass man „als Einzelner nur dann Millionen kassieren kann, wenn dafür viele andere arbeiten, die nur sehr wenig verdienen“. Würden Sie das wirklich pauschal so sagen?
Werner-Lobo: Wir reden hier in Kategorien von Multimillionären und -milliardären in Euro oder Dollar. Das kann man nur werden, indem man von diesem ausbeuterischen System profitiert. Wohlhabend werden geht schon, in dem Sinn, dass ich, weil ich eine tolle Idee habe oder weil ich für die Gesellschaft tolle Leistungen erbringe, ein gutes Auskommen finde und mir dann auch Urlaube leisten und in feinen Restaurants essen kann. Das ist auch nicht problematisch. Problematisch ist, dass heute die zwei Prozent Reichsten der Welt über 50 Prozent des Weltvermögens verfügen oder die zehn Prozent Reichsten der Welt über 85 Prozent des Weltvermögens. Die ärmste Hälfte der Menschheit muss sich gemeinsam ein Prozent teilen. Diese Menschen leben von weniger als zwei Euro am Tag. Davon kann man nirgends auf der Welt in Würde leben. Viele von ihnen haben kein Dach über dem Kopf, keinen Zugang zu Schulen für ihre Kinder, zu Medikamenten, zu sauberem Wasser. Das Vermögen von Bill Gates, ist so groß wie alles, was alle Einwohnerinnen und Einwohner der 50 ärmsten  Länder der Welt in einem Jahr verdienen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Idee oder sein Einsatz oder sein Nutzen für die Welt so groß war, wie der gemeinsame Nutzen von allen Einwohnern und Einwohnerinnen der 50 ärmsten Länder der Welt.

Aber wen hat Bill Gates ausgebeutet? Ist er nicht gerade ein Beispiel dafür, dass man auch ohne Ausbeutung zum Milliardär werden kann?
Werner-Lobo: Das ist ein Irrglauben. Hätte Bill Gates nur ein tolles Computerprogramm erfunden, alle daran Beteiligten gerecht entlohnt und einfach Glück gehabt, weil alle das kaufen wollen, dann wäre er vermutlich Millionär geworden, nicht aber Multimilliardär. Das wurde er, weil er durch politische Einflussnahme weltweite Patentrechte und Monopole durchgesetzt hat, die die Staatsmonopole der Sowjetdiktatur in den Schatten stellen und Millionen Menschen in die Armut treiben, weil sie für alles – bis hin zum Doppelklick mit der Maus – Lizenzgebühren zahlen sollen. Außerdem verdient Gates einen großen Teil seines Vermögens durch Börsenspekulation und Investitionen in andere skrupellose Konzerne.

Der deutsche Kaffeeproduzent Albert Darboven hat in einem Gespräch mit Planet Interview gesagt, es sei „keine Sklavenarbeit, wenn die Kinder mit der Mutter mal ein paar Kaffeebohnen mitpflücken.“ Wie beurteilen Sie als Kritiker von Kinderarbeit diese Aussage?
Werner-Lobo: Wenn es so wäre, dann wäre es keine Sklavenarbeit. Auch in Österreich helfen viele Kinder am elterlichen Bauernhof mit. Ich halte es sogar für einen Vorteil, wenn Kinder ein bisschen in der Erwachsenenwelt mitschnuppern dürfen und ernst genommen werden. Was ich kritisiere ist, dass sechs- bis zwölfjährige Kinder unter völlig unmenschlichen Bedingungen  auf eine Plantage gestellt und ausgepeitscht werden. Es wird mit Hunden nach ihnen gehetzt. Nach ein paar Jahren sind sie kaputt und sie werden weggeworfen wie eine Maschine, die nicht mehr funktioniert. Oder sie müssen auf dem Fabrikboden schlafen, haben keine Ausbildung, keine Zukunftschance. Darum geht es.

Wie sind Ihre Prognosen für die zukünftige Entwicklung Afrikas?
Werner-Lobo: Die meisten afrikanischen Länder sind wesentlich reicher als alle europäischen Länder. Allerdings werden ihnen diese Reichtümer von multinationalen Rohstoff- oder Nahrungsmittelkonzernen weggenommen, und wenn man den Menschen etwas wegnimmt, ist es kein Wunder, dass sie selbst nachkommen. Und bei uns werden sie dann abgewiesen und kriminalisiert. Das ist so, wie wenn ich zum Nachbarn gehe, ihm den Kühlschrank ausräume und mit seinem Bier ein großes Fest veranstalte – und dann steht er am Abend in der Tür und sagt, er will wenigstens mitfeiern, und ich sage: „Das darfst du nicht!“ So gehen wir mit afrikanischer Wirtschafts- und Elendsflucht um. Das wird nicht funktionieren. Man kann die Mauern rund um Europa so hoch bauen, dass wir uns eigentlich schon unser eigenes Gefängnis haben.  Das wird nur den Effekt haben, dass die Mittel, um nach Europa zu kommen, immer gewalttätiger werden. Wir schaffen damit soziale Konflikte.

Gibt es eine Lösung?
Werner-Lobo: Wenn wir es schaffen, mit der Ausbeutung aufzuhören, dann sehe ich die Zukunft für Afrika extrem positiv, weil die Länder extrem reich sind. Und wir könnten alle Grenzen aufmachen, damit nicht nur Kapital, Dienstleistungen und Waren frei sind, sondern auch Menschen. Jetzt kann man natürlich sagen, Klaus Werner-Lobo ist wahnsinnig, der will die Grenzen aufmachen und dann kommen die alle. Stimmt nicht! Innerhalb der EU hat man auch geglaubt, wenn die Grenzen geöffnet werden und man Niederlassungsfreiheit hat, dann kommen aus Portugal, Griechenland oder Polen alle, weil sie unsere Arbeitsplätze wollen. Das ist nicht passiert, weil diese Länder am Wohlstand teilhaben konnten. Fast niemand verlässt sein Land. Dafür sind die Leute zu bequem und sozial vernetzt, als dass sie ohne Not ihre Heimatländer verlassen würden. Klar, wenn wir morgen die Grenzen aufmachen, dann passiert das. Aber wenn wir in ein oder zwei Jahrzehnten die Ausbeutung stoppen, dann wird es ein paar Europäer und Europäerinnen geben, die in Afrika Urlaub machen, und ein paar Afrikaner und Afrikanerinnen, die in Europa Urlaub machen. Mehr wird da nicht sein.

Was oder wer hat Sie eigentlich zum Globalisierungskritiker gemacht? Oder sind Sie Autodidakt?
Werner-Lobo: Ungerechtigkeit war für mich immer ein Thema. Man fühlt sich als Kind oft ungerecht behandelt und ich habe das dann von mir auf andere umgelegt, damit ich nicht allein bin mit meiner Rolle. In Indianerbüchern habe ich gesehen, dass die Bleichgesichter die Indianer unterdrücken und ich habe mir gedacht: Zum Glück bin ich nicht der einzige, der ungerecht behandelt wird.

Und was war Ihre erste politische Tat?
Werner-Lobo: 1978 gab es in Österreich die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf. Da hat mir ein Freund in der ersten Klasse Gymnasium einen Packen Papier in die Hand gedrückt und gesagt: „Lies das, die wollen ein Atomkraftwerk bauen, das ist schlecht.“ Ich habe dann mein erstes Deutschreferat über Atomkraft gehalten. Später bin ich in die Umweltbewegung hinein gerutscht. Das waren Gruppen, die gemeinsam Spaß haben, aber sich auch für andere oder für die Umwelt einsetzen. Das ist auch ein Grund, warum ich dieses Buch für junge Leute geschrieben habe: Ich hoffe, dass die eine oder der andere Spaß daran finden könnte, nicht nur an das nächste Handy oder den nächsten Sportschuh zu denken, sondern auch an Mitmenschen, an Solidarität und Zivilcourage. Später habe ich gemerkt, dass das alles zusammenhängt: Umwelt, Menschenrechte, Rassismus, Ausbeutung, Diskriminierung. Es gibt da eine gemeinsame Klammer, nämlich egoistische, wirtschaftliche und Machtinteressen.

Sie arbeiten auch als Clown und erwähnen in Ihrem Buch die Kreativität der Kommunikationsguerilla und der Clownrebellen. Wie lustig soll und darf denn Globalisierungskritik sein?
Werner-Lobo: Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir Spaß dabei haben. Die ökonomische und politische Macht ist auf der Gegenseite. Wir werden Rückschläge aushalten müssen und dafür hilft Spaß. Wenn wir eine bessere Welt wollen, dann müssen wir diese auch heute schon leben. Das geht nicht, wenn ich frustriert bin oder – wie frühere Revolutionäre – mit Hass und mit der Waffe in der Hand gegen das Böse kämpfe. Ich will in einer Welt leben, in der man Spaß haben kann. Die Mächtigen fürchten nichts so sehr, wie Menschen, die Spaß haben. Spaß hat in der Geschichte immer schon ein subversives Element gehabt und Clowns waren immer schon unbeherrschbar und gefährlich. Im Mittelalter war der Hofnarr der einzige, der die Wahrheit sagen durfte. Insofern verstehe ich mich auch als eine Art Hofnarr. Es gibt in Nordamerika auch indigene Clowns. Damit den Mächtigen, also dem Häuptling oder dem Schamanen, die Macht nicht zu Kopf steigt, werden sie von Clowns konterkariert. Damit wird das soziale Gleichgewicht der Gesellschaft aufrecht erhalten. Lachen ist das beste Mittel gegen Angst. Menschen die keine Angst haben, sind nicht beherrschbar und unterdrückbar.

Hubert Sauper, Erwin Wagenhofer, Michael Glawogger, Klaus Werner-Lobo – alle Globalisierungskritiker und alle sind Österreicher. Ist das Zufall oder besteht da ein Zusammenhang?
Werner-Lobo: Das ist jetzt eine gewagte Theorie, aber es könnte sein, dass man in der kulturellen und politischen Enge Österreichs, in dieser irrsinnigen Nabelschau, vielleicht das Bedürfnis hat, auszubrechen und über die eigenen Grenzen hinweg zu denken und sich mit Globalisierung zu beschäftigen. „Globalisierungskritiker“ ist aber eigentlich ein blödes Wort. Es geht um die Kritik am Kapitalismus, der nichts anderes ist als ein Neokolonialismus oder Neofeudalismus. Aber das heißt nicht, dass wir gegen eine Globalisierung von Ideen, von Menschenrechten, von Werten, von Menschlichkeit sind. Im Gegenteil: Wir so genannten Globalisierungskritiker und -kritikerinnen sind ja die globalsten Menschen überhaupt. Die deutsche „Nationalzeitung“, dieses rechtsextreme, antisemitische Blatt, hat einen Artikel über mich und das Schwarzbuch Markenfirmen geschrieben, wo sie mit 90 Prozent des Schwarzbuchs konform gehen. Die Nationalisten sind totale Globalisierungsgegner. Aber es sind vor allem ängstliche Menschen, die sich fürchten. Und die schreiben dann: Das Schwarzbuch Markenfirmen ist gut, aber der Autor ist schlecht, weil der ist ja der „Oberglobalist“. Und das stimmt. Ich bin der „Oberglobalist“ in dem Sinne, dass ich mich wirklich als Mensch dieser Erde, dieses Globus verstehe und als solcher handeln möchte.

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