Kettcar

Du bist nichts Besonderes!

Marcus Wiebusch von Kettcar über seine Punkzeit, Songs aus der Mitte des Lebens, das Kettcar-Album „Zwischen den Runden“ und untypische Liebeslieder

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© Andreas Hornoff

Marcus, ich möchte mit einem Zitat der französischen Philosophin Simone de Beauvoir beginnen: "Das Glück besteht darin, zu leben wie alle Welt und doch wie kein anderer zu sein". Was fällt dir zu diesem Satz ein?
Wiebusch: Ich kann ihn in die Richtung interpretieren, dass man das Glück findet, wenn man sich nicht zu sehr anstrengt etwas Besonderes zu sein, aber doch weiß, dass man sich von anderen unterscheiden muss. In meiner Adoleszenzphase war das ein ganz großes Thema für mich. Als Punk wollte ich nichts Anderes als mich von diesen ganzen „Arschlöchern“ unterscheiden. Jetzt mit über 40 bin ich da wesentlich milder geworden. Das könnte man spießig nennen. Aber ich muss mich nicht mehr auf Teufel komm raus in diese Distinktionshölle begeben.

Deine Punkzeit hängt ganz wesentlich mit der politischen Punkband But Alive zusammen, in der du von 1991 bis 1999 als Sänger, Gitarrist und Songwriter aktiv warst. Worum ging es dir damals?
Wiebusch: Ich war getragen von gerechtem Zorn. Ich konnte genau benennen, was mir nicht passt. Durch die Punkmusik habe ich mein Vehikel gefunden, um das zu kanalisieren, diese Unzufriedenheit mit dem System und den politischen Zuständen in dieser Zeit. Da war auch ein gehöriger Moralismus dabei. Damals hätte ich verbal auf jeden „FDP-Arsch“ draufgehauen, was aber auch eine relative Stumpfheit mit sich bringt. Heute gehe ich nicht mehr mit dem moralischen Hammer los, sondern zeichne lieber Geschichten, male Bilder, schreibe Storys von Leuten, die unter den neoliberalen Zumutungen der Welt leiden, die zusammenbrechen, nicht mehr können. All das spiegelt sich natürlich auch in der Musik von Kettcar wider, die anders klingt als die von But Alive.

Du hast nach den Jahren als Punk, der durch optische Merkmale und politische Songs rebelliert, nun die Beobachterrolle eingenommen?
Wiebusch: Kettcar ist immer noch eine sehr politische Band. Niemand würde uns als unpolitische Band bezeichnen, dafür haben wir einfach zu oft sehr deutlich politisch Stellung bezogen. Aber Beobachterrolle würde ich jetzt nicht sagen. Das klingt so, als wäre man außen vor. Wir beziehen ja Stellung. Das äußert sich auf den Konzerten, die wir geben, oder durch Sachen, für die wir eintreten. Wir haben aber keinen Forderungskatalog in der Tasche, indem wir sagen: „Man müsste eigentlich…“ Dafür sind wir nicht Politiker genug.

Bei Kettcar finden sich immer wieder gesellschaftskritische Songs. Doch im Gegensatz zum Vorgänger „Sylt“ ist das neue Album „Zwischen den Runden“ viel weniger politisch und gesellschaftskritisch.
Wiebusch: Das stimmt. „Schrilles buntes Hamburg“, der die Gentrifizierung von Hamburger Stadtvierteln behandelt, ist so ziemlich der einzige politische Song auf dieser Platte. Unser letztes Album „Sylt“ war da sehr viel politischer. Mit „Sylt“ wollten wir ein Album machen, das sich mit den zeitgeistigen und neoliberalen Strömungen auseinandersetzt. In „Geringfügig, Befristet, Raus“ haben wir über den massiven Druck der Arbeitswelt und die Burn-Out-Problematik gesungen. In „Graceland“ ging es um den Jugendwahn in der Gesellschaft und in „Am Tisch“ um die bittere Erkenntnis, dass das Statusdenken bis in die tiefsten, privatesten Beziehungen hineingeht. Aus all dem ist ein düsteres Sittengemälde entstanden. In „Zwischen den Runden“ ging es uns eher darum, Geschichten aus dem Leben zu erzählen, mehr so in Richtung Storytelling und weniger politisch.

Das scheint nicht allen Fans zu gefallen. In einer Nutzerrezension ist zu lesen: „Das ganze Album scheint ohne Wut auszukommen. Es scheint, als hätten die Jungs mit den Jahren irgendwie ihren Frieden mit der Welt gemacht. Das kann man aus But Alive- Sicht nicht durchgehen lassen!“…
Wiebusch: Ich habe große Schwierigkeiten damit Kommentare aus irgendwelchen Foren zu kommentieren. Ich kann nicht jeder dieser Stimmen Gehör schenken. Ich habe But Alive 1999 aufgelöst, mit Kettcar angefangen und von der ersten Sekunde an gesagt: Wir machen Popmusik! Es ist doch so: Jede Band, die in den Mainstream reinkracht, außer vielleicht Tocotronic, hat sich mit Vorwürfen der Kommerzialität und dem vermeintlichen Verrat früherer Ideale auseinanderzusetzen. Das müssen alle aushalten. Ich halte es aus, möchte mich aber so wenig wie möglich damit auseinanderzusetzen. But Alive ist jetzt zwölf Jahre her. Ich habe dieser Band sehr viel zu verdanken. Aber, glaub es mir oder nicht, ich bin jetzt schon ganz woanders. Das bedeutet nicht, dass ich mich nicht trotzdem kritisch mit den Entwicklungen in dieser Gesellschaft auseinandersetzen würde oder irgendwelche Ideale verrate.

Um auf den Aspekt der Individualität zurückzukommen. Auf der aktuellen Single „Im Club“ geht es darum, dass wir mit all unseren Erlebnissen und Enttäuschungen Teil eines großen Clubs sind. Ist der Mensch am Ende viel weniger Individuum als er gerne wäre?
Wiebusch: Auf jeden Fall. Ich nenne ihn auch den Anti-Vereinzelungs-Song. Uns wurde ja immer vorgeworfen, wir seien so befindlichkeitsfixiert, ein Wort, das übrigens von uns für das erste Album „Du und wieviel von deinen Freunden“ erfunden wurde. Man hat gesagt, dass wir bisher immer nur unser eigenes, kleines, bescheidenes und schmerzvolles Leben reflektiert hätten. Und was „Im Club“ jetzt richtigstellt, ist: Wir finden gar nicht, dass jeder Einzelne so ein besonderes Schicksal hat. Wenn du verlassen wirst, und das hört sich echt bitter an, aber es gab Milliarden vor dir, es werden Milliarden folgen, denen es genauso geht. Du bist nichts Besonderes! Dieser Aspekt klingt erstmal ernüchternd, kann aber vielleicht auch Trost spenden.

Die Musik von Kettcar funktioniert seit Jahren auch deshalb, weil sich Menschen in den Texten wiederfinden. Denkst du beim Schreiben der Songs bereits daran, in welchen Momenten die Songs Menschen bewegen könnten?
Wiebusch: Nicht konkret. Aber wir wollen, dass die Songs was mit dem Leben der Menschen da draußen zu tun haben – mit dir, mit ihr, mit der Hausfrau da drüben und mit dem Punker vom Bauwagenplatz. Wir wollen keine Denkmodelle aufbauen, französische Symbolisten zitieren, eine andere Metaebene einführen, um dann doppelt codiert was klarzukriegen. Das interessiert uns nicht. Aber die Geschichten, die sich bei uns finden, denken wir uns natürlich aus. Ich habe das alles nie so erlebt, muss ich auch nicht. Das Storytelling ist für uns einfach eine total spannende Kunstform

Zitiert

Als Punk wollte ich nichts Anderes als mich von diesen ganzen „Arschlöchern“ unterscheiden. Jetzt mit über 40 bin ich da wesentlich milder geworden.

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Euer Bassist Reimer sagte dazu kürzlich in einem Interview: „Wir wollen Geschichten erzählen und wenn du sie glaubst, wenn Markus sie singt, dann finde ich das eigentlich ganz gut.“ Warum nimmt man dir so viele Geschichten ab?
Wiebusch: Das klingt vielleicht eitel, aber das hat was mit Talent zu tun. Wir können diese Geschichten glaubhaft erzählen. Ich meine, was soll ich da rumdrucksen?  – Es ist einfach so. Ich habe für dieses Album sieben Songs geschrieben und Reimer fünf. Ich habe da zwei Jahre Arbeit mit gehabt. Zwei Jahre.

Du feilst sehr lang an den Texten, an bestimmten Zeilen?
Wiebusch: Absolut. Du musst ja für deine Geschichten erstmal eine Form finden. In deutscher Sprache ist das noch dreimal die Hölle. Die Metrik muss stimmen, oft auch der Reim. Es muss gut und flüssig klingen. Dahinter steckt mehr Arbeit als man denkt.

Viele Geschichten auf dem neuen Album handeln von Liebe. Dazu gehört dann auch, den Partner, der sich übergeben hat, ins Bett zu tragen, so wie im Song „Rettung“. Ein bewusster Gegenentwurf zur kitschigen und perfekten Schilderung von Liebe?
Wiebusch: Wenn du ein Liebeslied schreibst, musst du es anders machen, als du es von anderen kennst. Wir haben bewusst auf diesen ganzen Pathos, all die Klischees, diese ganzen stumpfen Bilder, die alle schon tausendfach verarbeitet wurden, verzichtet. Deshalb beschreiben wir in „Rettung“ dieses würdelose Szenario. Der Typ sagt zu seiner Freundin: „Ich bin da, auch wenn du gekotzt hast. Ich lasse dich nicht im Stich. Wir ziehen das durch, bis es dir morgen wieder besser geht.“ Es geht um Liebe, die auch in solchen Momenten bleibt und sich durch Taten ausdrückt. Liebe ist ja viel mehr als nur „Ich liebe dich“ zu sagen.

Der Song „Weil ich es niemals so oft sagen werde“ handelt vom inflationären Gebrauch dieses Satzes. Ein Plädoyer für eine von Worten losgelöste Form der Liebe?
Wiebusch: Unser Protagonist, das bin nicht zwangsläufig ich, möchte eine neue Sprache erfinden. Die Sprache, die ihm zur Verfügung steht, besonders diese drei Worte, reichen nicht, um seine wirklichen Gefühle auszudrücken. Er sagt: „Ich weiß, dass es wahr ist. Es ist ganz klar da. Ich kann nur diese Wörter nicht sagen, auch wenn du sie hören willst“. Für Leute, die sehr genau auf Sprache achten, ist es ja tatsächlich ein Problem „Ich liebe dich“ zu sagen. Denn diese Worte sind mittlerweile so ausgehöhlt und zerbombt. Darum geht es in diesem Lied.

Neben der Liebe werden auch die Themen Krankheit und Tod behandelt. Das kannte man bisher nicht von Kettcar. Warum diese intensive Beschäftigung mit diesen Themen?
Wiebusch: Menschen meiner Generation, so 40-plus, kennen immer jemanden, der jemanden kennt, der Krebs hat. Das sickert in deinen Alltag, in dein Bewusstsein. Und wenn du das in deinem Leben wahrnimmst, willst du darüber auch einen Song schreiben. Das Interessante an diesem Album ist aber jetzt, dass der eine Song gut ausgeht und der andere nicht. Der Protagonist in „Zurück aus Ohlsdorf“ geht auf die Beerdigung eines Freundes und reflektiert nochmal die Beziehung, die er zu ihm hatte. Und in „Nach Süden“ wird ein Mensch nach über einem Jahr im Krankenhaus geheilt entlassen. Auf der Fahrt nach Hause merkt er, was es heißt, Glück gehabt zu haben, fühlt sich mit einem neuen Leben beschenkt. Aber letztendlich feiern beide Songs das Leben, in dem sie sagen: „Ey, nutze deine kurze, irdische Zeit!“

Warum ist der Tod in der Popmusik eigentlich so ein Tabuthema?
Wiebusch: Die Leute wollen entspannen und nicht gefordert werden – das sind so die Klischees, die mit Pop assoziiert werden. Aber das muss nicht so sein. Wir stellen uns diesen Themen, denn das hat was mit dem Leben der Menschen zu tun. Wenn wir auf Konzerten merken, dass keiner dieses düstere Zeug hören möchte, interessiert uns das nicht. Wir spielen die Songs trotzdem. Und ich bilde mir ein, dass diese Songs dann auch gut ankommen.

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