Kelsang Gyaltsen

China nimmt den Menschenrechtsdialog nicht ernst.

Kelsang Gyaltsen , EU-Beauftragter des Dalai Lama über diplomatische Spannungen zwischen Deutschland und China, die Rolle Europas und der USA bei der Tibetfrage und Chancen durch die Olympiade 2008

Kelsang Gyaltsen

© Tobias Goltz

Herr Gyaltsen, kürzlich hat Angela Merkel den Dalai Lama im Kanzleramt empfangen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Gyaltsen: Wir sind sehr froh, dass die Bundeskanzlerin mit Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zusammen gekommen ist. Sie hat deutlich gemacht, dass die deutsche Bundesregierung über die Situation in Tibet sehr besorgt ist. Angela Merkel unterstützt damit die gewaltlose Politik des Dalai Lama, im Dialog mit China eine friedliche und einvernehmliche Lösung zu finden. Das ist für uns sehr wichtig. Dem Beispiel der deutschen Bundeskanzlerin ist der österreichische Bundeskanzler gefolgt. Wir sind zuversichtlich, dass auch andere europäische Regierungen folgen werden, denn sonst kann die chinesische Regierung die Europäer gegeneinander ausspielen. Und das wäre zum Schaden der Freiheit der Menschen und der Minderheiten in China.

Die chinesische Regierung hat den Empfang stark kritisiert…
Gyaltsen: Die chinesische Regierung protestiert immer lautstark. Sie betrachtet es als anti-chinesisch, egal wohin der Dalai Lama geht und mit wem er sich trifft. Es ist leider so, dass die chinesische Regierung versucht, Druck auszuüben. Der Dalai Lama soll als Sprecher des tibetischen Volkes isoliert werden und keine Bühne bekommen, um über das Problem in Tibet zu sprechen.

China vertritt die Position, der Dalai Lama wolle Tibet von China abspalten.
Gyaltsen: Das ist nicht wahr. Der Dalai Lama will in Gesprächen mit der chinesischen Führung eine echte Autonomie für das tibetische Volk im Rahmen des chinesischen Staatsverbandes erreichen. Eine Autonomie, die dem chinesischen Volk erlaubt, in seiner eigenen Heimat die eigene Kultur, Sprache, Religion und Identität zu bewahren. Die deutsche Bundeskanzlerin hat deutlich gemacht, dass sie diese Position des Dalai Lama unterstützt. Sie hat in glaubwürdiger Art und Weise verdeutlicht, dass die Menschenrechtsituation und die Religionsfreiheit in China und Tibet ein sehr ernstes Anliegen für die deutsche Bundesregierung darstellen.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat den Empfang nicht befürwortet. Er sagt, damit sei nichts gewonnen…
Gyaltsen: Ich bin überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war. Angela Merkel hat damit gezeigt, wie ernsthaft die deutsche Bundesregierung über die Menschenrechtssituation in Tibet besorgt ist.

Sie glauben also nicht, dass der Menschenrechtsdialog durch den Empfang im Kanzleramt beschädigt werden könnte?
Gyaltsen: Nein, denn die amerikanische Regierung nimmt eine viel entschiedenere Haltung in Fragen der Menschenrechte und Religionsfreiheit gegenüber China ein als die meisten europäischen Länder. Was dazu geführt hat, dass alle chinesischen Dissidenten, die in den letzten Jahren frei kamen, ganz bewusst in die USA in die Freiheit entlassen worden sind – als Signal an die amerikanische Regierung und den Kongress. Das macht deutlich, dass man mit einer standhaften Haltung Einfluss auf die chinesische Regierung nehmen kann. Nach Europa hat die chinesische Regierung hingegen bis heute keinen einzigen Gefangenen entlassen, obwohl sich dort viele Menschenrechtsorganisationen um die Freilassung dieser Gefangenen bemüht haben.

Sind die USA gegenüber China nicht in einer ganz anderen Position als Deutschland?
Gyaltsen: Natürlich kann man sagen, dass die USA eine Supermacht sind, mit der man Deutschland nicht vergleichen kann. Dennoch zeigt dieses Beispiel im Kern deutlich, dass eine prinzipienfeste Politik in Bezug auf Tibet und die Menschenrechtslage in China nicht automatisch zu einer Verschlechterung der Beziehungen führt. Die amerikanische Regierung hat als einzige westliche Regierung in ihrem Außenministerium einen hochrangigen Beamten als offiziellen Koordinator für tibetische Angelegenheiten. Damit senden die USA die Botschaft, dass Tibet ein wichtiger Teil ihrer Beziehungen mit China ist. Die Beziehungen der chinesischen zur amerikanischen Regierung sind nicht schlechter als zur deutschen Bundesregierung, obwohl die amerikanische Regierung eine solche Haltung in Bezug auf Tibet eingenommen hat.

Zitiert

Angela Merkel hat gezeigt, wie ernsthaft die deutsche Bundesregierung über die Menschenrechtssituation in Tibet besorgt ist.

Kelsang Gyaltsen

Welche Fortschritte gibt es beim Menschenrechtsdialog?
Gyaltsen: Die deutsche Bundesregierung führt seit bald zehn Jahren einen Menschenrechtsdialog mit China. Allerdings hat die chinesische Regierung den Eindruck, dass die westlichen Regierungen nur bereit sind, über Menschenrechte zu sprechen, solange es sie nichts kostet. Das zeigt, dass das Eintreten der westlichen Regierungen für Menschenrechte in China nicht ankommt. Daher hat es auch keine Fortschritte in Hinblick auf die Menschenrechtssituation in China gegeben, denn die chinesische Führung nimmt diesen Menschenrechtsdialog gar nicht ernst.

Wie sollten sich die europäischen Länder verhalten?
Gyaltsen: Es ist wichtig, dass die Europäische Union und ihre Mitglieder eine einheitliche Position einnehmen. Bisher äußerten die europäischen Staaten leider nur Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen in Tibet und es gab Aufforderungen, in Gesprächen eine Lösung zu finden. Hinter diesen politischen Deklarationen steht keine konzipierte Politik. Es gilt jetzt, ein konkretes politisches Programm auszuarbeiten, wie man bei der Lösung des Tibetproblems vorgehen kann.

Sollten die europäischen Staaten weiterhin auf Dialog setzen oder ist es eher sinnvoll, gemeinsam mehr Druck auszuüben?
Gyaltsen: Ich glaube, man muss beides machen. Wir, die tibetische Exilregierung, sind jederzeit dazu bereit, in einen Dialog einzutreten, damit eine Lösung gefunden werden kann. Bisher weigert sich die chinesische Führung, echte Gespräche zu führen. Wir haben sechs Runden von Gesprächen abgehalten. Aber in diesem Dialog hat die chinesische Regierung sich nicht bewegt und keinerlei Konzessionen gemacht. Wir haben viele Initiativen unternommen, um ein gutes Klima zu schaffen und um die chinesische Regierung dazu zu bewegen, in diesen Gesprächen ernsthaft eine Lösung zu suchen. Es braucht eben auch Druck von der internationalen Gemeinschaft.

Ist es denkbar, dass es durch die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking eine positive Entwicklung in der Tibetproblematik gibt?
Gyaltsen: Das hängt davon ab, ob die internationale Gemeinschaft die Gelegenheit nutzt, um Einfluss zu nehmen. Die chinesische Regierung sollte dazu bewegt werden, ihre Politik in Bezug auf Tibet zu korrigieren und einen echten Dialog mit den Vertretern des Dalai Lama zu suchen. Wenn die internationale Gemeinschaft diesen Versuch unternimmt, kann die Olympiade eine Chance bieten, einer einvernehmlichen Lösung des Tibet-Konflikts näher zu kommen.

Es gibt eine Initiative von Exil-Tibetern, die durchsetzen möchten, dass in Peking ein eigenes olympisches Team startet. Was halten Sie von dieser Idee?
Gyaltsen: Das „Team Tibet“ ist eine Initiative von tibetischen Nichtregierungsorganisationen. Wir von der tibetischen Regierung im Exil sind nicht dran beteiligt. Ich möchte an dieser Stelle aber klar zum Ausdruck bringen: Der Dalai Lama und die Exilregierung sind nicht gegen die Olympiade 2008 in Peking. Sondern wir hoffen, dass die Olympiade zu einer Öffnung Chinas beiträgt und die chinesische Führung im Zuge dessen Menschenrechten mehr Respekt entgegenbringt und in Bezug auf Tibet umdenkt.

Als Angela Merkel im September 2007 in Berlin den Dalai Lama empfing, führte dies zur Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und China, mehrere deutsch-chinesische Treffen wurden abgesagt. War der Empfang reine Symbolik mehr

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