Katja Riemann

Man kann von jedem schauspielerisch was lernen.

Katja Riemann über eine leidige Internet-Erfahrung, den Film „Ich bin die andere“, das multiple Persönlichkeits-Syndrom, Nacktszenen und dass Alltag nicht immer leinwandtauglich sein muss

Katja Riemann

© Concorde Filmverleih

Frau Riemann, Anfang August haben Sie auf Ihrer Homepage eine „Pause von der Welt der Kommunikation“ angekündigt und geschrieben „sonst geh ich kaputt“. Wie ist das zu verstehen? Hatten Sie die Nase voll von der Presse?
Riemann: Nein, das richtete sich nicht gegen die Presse, gegen die kann ich ja nichts machen. Mit denen rede ich ja auch, wie mit Ihnen. Und wenn einer über mich etwas schreiben will, dann schreibt der es halt, da kann ich ja nichts gegen machen.

Worum ging es dann?
Riemann: Um das Internet. Das Problem am Internet ist, dass jeder, Herr Müller, Herr Maier – jeder kann da heutzutage etwas schreiben. Ich bin kein Fan vom Internet. Ich glaube nicht an die Vernetzung und an Kommunikation und Dialog, ich glaube nicht, dass das dort tatsächlich stattfindet. Sondern das sind Menschen, die sich gegenseitig in den Rücken schießen. Ich sehe das in den Chatrooms, ich sehe das bei den Kindern, die damit groß werden.
Es wird dort so viel Müll geschrieben, über mich sowieso. Und ich hatte vor kurzem so ein Erlebnis: ich habe zufälliger Weise gesehen, dass jemand die Setlist, die mir bei einem Konzert in diesem Jahr geklaut wurde, im Internet veröffentlicht hat. Eigentlich ist das ja überhaupt kein big Deal, wenn jemand so eine Setlits mitgehen lässt. Aber der Vorgang, das ins Internet zu setzen, oder dass zum Beispiel jemand dein Handy klauen kann und das Adressbuch dann im Internet veröffentlicht, wo es jeder in der Welt sehen kann – gegen so etwas kann ich mich nicht wehren, da habe ich keine Handhabe. Persönlichkeitsrechte haben „öffentliche Personen“ – wie wir juristisch bezeichnet werden – ja nicht. Mir würde das Recht in so einem Fall nicht zur Seite stehen, obwohl es das müsste. Und deswegen kann ich nur sagen: ich entziehe mich. Ich muss da nicht auch noch mitmachen.

Wenn man die Geschichte mit der Setlist hört – macht einen so etwas auch paranoid?
Riemann: Da kann man paranoid werden, ja. Man denkt: wer ist das, der da gerade ein Foto von mir macht. Heute kann man ja auch mit dem Handy Fotos machen, die auf den Computer tun, ein bisschen verändern – da gibt es einen unglaublichen Respektsverlust. Ich erlebe das extrem, jeden Tag. Früher hat man mich ja noch gefragt: „Entschuldigung, Frau Riemann, darf ich ein Foto machen?“ Wo man auch riskieren muss, zu sagen „Nein, ich stehe hier gerade im Supermarkt und packe meine Tüten ein, bitte machen Sie kein Foto.“ Aber heutzutage wird schon gar nicht mehr gefragt. Da fängt für mich die Einschränkung von Freiheit an.

Fragen Sie sich manchmal, ob es das wert war, diese Freiheit aufzugeben?
Riemann: Ich habe das ja nicht absichtlich gemacht. Ich wollte halt gerne Schauspielerin werden – was soll ich da machen? Ich kann nichts anderes. Und jetzt muss ich halt schauen, dass ich mich dem entziehe.

Vor Ihrer Schauspiel-Karriere haben Sie einmal ein Praktikum bei einem Tischler gemacht.
Riemann: Ja, ich habe das gemacht, weil ich Tischler werden wollte. Und dann wollte ich eben nicht mehr Tischler werden, weil ich gesehen habe, dass ich mit gewissen Dingen nicht umgehen kann. Zum Beispiel mit dem Lärm, es ist einfach wahnsinnig laut mit diesen Maschinen. Und ich habe ja ein musikalisches Ohr, insofern fiel mir das sehr schwer. Außerdem war es wirklich so, dass jedem dort ein Finger fehlte. Und es ist halt Männerarbeit, wenn du große Türen sägst und schleppst, bist du abends tot. Aber es war sehr interessant. Und es riecht gut in einer Tischlerei.

Ist denn von dem Drang, etwas Handwerkliches zu tun, etwas übrig geblieben?
Riemann: Ich habe in meinem Leben glaube ich 20 Wohnungen renoviert. Das mache ich nun aber nicht mehr.

In Margarehte von Trottas „Ich bin die andere“ spielen Sie eine Frau mit gespaltener Persönlichkeit: wir erleben Sie einerseits als Prostituierte Carlotta, andererseits als Rechtsanwältin Carolin Winter – war die Umstellung von der einen Figur zur anderen schwer?
Riemann: Nein.

Mussten Sie sich für den Film besonders vorbereiten, beispielsweise mit Schizophrenie auseinandersetzen?
Riemann: Als Schauspieler muss man sich vorbereiten. Und hier war es über ein Jahr Vorbereitung. Deswegen war es dann am Set nicht mehr so schwer. Margarethe und ich haben uns sehr viel mit dem multiplen Persönlichkeits-Syndrom beschäftigt. Und wir haben gemeinsam Drehbuch-Arbeit gemacht, um das einfach auch klar zu kriegen, wer in dem Buch von Peter Märthesheimer wann welche Person ist.

Hilft bei der Beschäftigung mit diesem Phänomen auch die eigene Lebenserfahrung? Weil es gibt doch im Leben manchmal Situationen, wo man denkt: „Da erkenne ich mich selbst nicht wieder.“
Riemann: Also, bei gespaltenen Persönlichkeiten ist es ja so, dass man selbst nichts davon weiß. Diese Menschen finden sich plötzlich in einer Situation wieder, in der sie nicht wissen, wie sie dort hin geraten sind. Wenn sie sich in einem Hotel aufhalten, den Zimmerschlüssel in der Tasche haben und sich plötzlich fragen: wo bin ich hier eigentlich? Und wenn sich so etwas durch dein ganzes Leben immer wiederholt, wird irgendwann der Druck so stark, dass man im besten Fall zu einem Therapeuten oder Psychologen geht.

Ließe sich eine Art Parallele ziehen zwischen einer Person mit gespaltener Persönlichkeit und einem Schauspieler, der in der Öffentlichkeit vielleicht eine ganz andere Person mimt, als er im Privaten ist?
Riemann: Ich stelle nicht so wahnsinnig gerne diese Parallele her zwischen den Rollen die ich gespielt habe und mir selber. Ich weiß, es gibt ein großes Interesse daran, ich werde das auch zu jeder Rolle gefragt.
Es ist mein Beruf zu spielen. Man schöpft aus seinem Handwerk, aus seiner Erfahrung, aus der Vorbereitung und aus einer großen Ressource an Fantasie. Und man schöpft natürlich aus der Arbeit mit Regisseuren, das ist ja ein kreativer Prozess.

Es gibt in „Ich bin die andere“ mehrere Nacktszenen. Ist das eigentlich etwas, was man als Schauspieler von Anfang an einkalkuliert, eben als Teil des Jobs? Oder entscheidet man das bei jedem Film immer wieder neu?
Riemann: Es ist nicht so, dass man sich am Anfang sagt: so stelle ich mir meine Karriere vor, dies gehört dazu und jenes gehört nicht dazu. Wer so denkt ist glaube ich kein guter Schauspieler.
Die Dinge entstehen von selbst, man wird plötzlich mit Situationen konfrontiert, wo man manchmal auch überfordert ist, weil man daran nie gedacht hat. Aber das ist dann „Part of the Game“, du machst es, oder du lässt es sein. Oft ist es auch gar nicht so schlimm, wie man gedacht hat. Und Nacktszenen sind für Männer sicherlich etwas anderes als für Frauen, weil wir andere Körper haben, und weil wir heute das übelste Schönheitsideal aller Zeiten haben, wie ich finde. Das heißt auch, man hofft, dass man schön fotografiert wird. Und man muss sich etwas ausdenken, was im besten Fall so noch nicht gefilmt wurde. Weil das ist ja eher das Problem, nicht die Frage: Zeige ich meine Brüste? Sondern: Wie wird das jetzt gefilmt, zum 135.000. Mal?

Spielt es bei Nacktszenen eine Rolle, ob der Regisseur ein Mann oder eine Frau ist?
Riemann: Ich glaube, es spielt eine Rolle, was für ein Verhältnis man zu dem Regisseur hat. Und ich habe ein gutes Verhältnis zu Margarethe, „Ich bin die andere“ ist unser zweiter gemeinsamer Film.
Mit Rainer Kaufmann drehe ich gerade den siebten Film zusammen. Und vor ein paar Tagen haben Rainer und ich so eine Masturbationsszene gedreht. Wir haben vorher lange nachgedacht, und es war sehr lustig, als wir das gedreht haben. Unser Versuch, zu zeigen wie Frauen masturbieren. Und Rainer Kaufmann ist ein Mann. Aber er ist nicht einfach ein Mann, sondern er ist mein Freund Rainer Kaufmann, den ich seit vielen Jahren kenne.

Zitiert

Ich bin kein Fan vom Internet. Ich glaube nicht, dass dort tatsächlich Kommunikation stattfindet, sondern die Menschen schießen sich gegenseitig in den Rücken.

Katja Riemann

Merkt man es einem Regisseur an, wenn er selbst schon mal vor der Kamera gestanden hat?
Riemann: Ja, bestimmt. Margarethe war ja lange Schauspielerin – die sieht eben alles. Aber es gibt auch Regisseure, die nicht vor der Kamera standen und trotzdem so verbunden sind mit den Schauspielern und auch ganz genau hingucken, wie zum Beispiel Rainer Kaufmann. Weil er seine Schauspieler glaube ich sehr liebt.

Sie haben für „Ich bin die andere“ auch mit Armin Mueller-Stahl gedreht.
Riemann: Ja, das war eine große Ehre, das hat mich sehr gefreut. Großer Mann, großer Schauspieler. Das war einfach toll, mit ihm abends noch zusammen zu sitzen, ihm zuzuhören, wen er alles kennt, was er schon alles gemacht hat, wo er überall rumgekommen ist. Das ist ein wahnsinnig kluger, gebildeter Mann, der sich sehr vielfältig versucht auszudrücken, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Regisseur, Zeichner, Musiker – das ist toll, das macht Mut und motiviert.

Kann man von so jemandem auch noch schauspielerisch etwas lernen?
Riemann: Man kann von jedem schauspielerisch was lernen. Von Menschen auf der Straße, vom Regisseur, von Kollegen, von Tieren, von allem, vom ganzen Leben.

Armin Mueller-Stahl spielt einen alten, unbarmherzigen Familien-Tyrann, seine Tochter Carolin liegt ihm stets zu Füßen, wie eigentlich auch die ganze Familie und die Bediensteten. Warum wurde das Familienbild für den Film so extrem gewählt?
Riemann: Wir machen ja keine Dokumentation. Und es ist ein anderes Genre als jetzt zum Beispiel Andreas Dresens Filme – die ich sehr schätze. Es ist ein sehr viel mehr schwebender, ein klaustrophobischer Film, der auch mit einer hohen Künstlichkeit arbeitet, mit archaischen Figuren und Behauptungen von Figuren. Es geht ja um Beziehungen und manchmal muss man eben Dinge überhöhen, um sie deutlich zu machen. Ich persönlich finde das sehr interessant, Figuren zu kreieren, wo man sagt: die sind nicht so wie Herr Müller auf der Straße. Weil manchmal ist Herr Müller auf der Straße einfach nicht interessant. Es gibt Dinge, die im Alltag passieren, die sind nicht interessant. Und stattdessen können wir uns Dinge ausdenken, etwas kreieren, aber auch sagen: es gibt Anteile davon, die sind tatsächlich so.

Wie schon erwähnt hat Caroline im Film mehrere Persönlichkeiten, sie ist die hörige Tochter, tagsüber die selbstbewusste Anwältin, nachts die mysteriöse Verführerin – welcher Teil von ihr hat Ihnen am meisten Angst gemacht?
Riemann: Ich habe keine Angst vor meinen Rollen.

Noch nie gehabt?
Riemann: Nein. Es gibt Situationen, dass ich sage, ich kriege das nicht hin, weil ich komme irgendwie an die Vorstellung nicht ran, oder mir rutscht diese Rolle immer wieder durch die Finger, ich versuche etwas, aber es funktioniert nicht. So wie du im Albtraum rennen willst, aber nicht von der Stelle kommst.

Was machen Sie in so einem Moment?
Riemann: Ich habe da kein Rezept. Es ist immer wieder neu. Das ist ja das, was ich so faszinierend finde und so liebe an diesem Beruf: Du kommst niemals irgendwo an. Das Einzige, was wächst, ist die Erfahrung. Du machst erfreuliche und auch schmerzliche Erfahrungen. Aber jede Rolle ist immer wieder etwas neues, und es ist jedes Mal wieder dieser große Berg, vor dem du stehst und dir sagst: Ok, da ziehe ich mir jetzt meine Turnschuhe an. Oder doch lieber meine Bergschuhe? Oder ich nehme die Schuhe lieber in die Hand und lauf erst mal ein Stück barfuss los.
Was ich halt ganz toll finde, ist, in der Kontinuität mit Regisseuren zu arbeiten. Egal ob nun mit Margarethe von Trotta, Katja von Garnier oder Rainer Kaufmann – man baut ja immer wieder auf etwas auf. Und das ist sehr interessant. Weil es zusätzlich auch dein persönliches Leben bereichert.

Man lernt von den Rollen etwas fürs Leben.
Riemann: Absolut, man kriegt etwas geschenkt dadurch. Für Rollen beschäftige ich mit bestimmten Dingen in einer Intensität, wie ich es sonst vielleicht nie getan hätte.

Gucken Sie sich eigentlich die eigenen Filme von früher an?
Riemann: Nein. Ich gucke mir meinen alten Filme nicht an. Wobei ich meiner Tochter demnächst mal meinen ersten Film zeigen will, den werden wir dann gemeinsam gucken.
Es passiert natürlich, dass man nach vielen Jahren einen Film wieder im Fernsehen sieht. Und dann merke ich, dass ich das durch diesen jahrelangen Abstand besser angucken kann.

Und wenn es nicht die eigenen Filme sind? Gucken Sie jeden Film mit Schauspieleraugen?
Riemann: Nein, da bin ich ein ganz normaler Zuschauer. Ich bin leidenschaftlicher Kinogänger. Und meine Freundin Coco Krebitz sagt immer: „Mit dir kann man überhaupt nicht ins Kino gehen, du findest ja immer alles gut.“ Das stimmt auch, ich finde echt immer alles gut, ich finde das immer schon so bewundernswert, dass Leute überhaupt Filme drehen.

Welchen Film können Sie empfehlen?
Riemann: „Esmas Geheimnis“. Großer Film, super. Da habe ich auch so geweint, das war so toll, wie der erzählt war und diese Schauspielerin war so großartig.

Geweint?
Riemann: Ja, ich bin so eine Heulsuse, ganz schlimm.

Frau Riemann, haben Sie früher Comics gelesen?
Riemann: Nein, das war verboten. Comics wurden nicht gelesen und Cola wurde nicht getrunken, da hatten wir eh kein Geld für. Bei uns wurden richtig echte Bücher gelesen, tonnenweise. Ich kann auch bis heute keine Comics lesen, ich bin da total überfordert, diese ganzen Bilder und die vielen Sprechblasen …
Ich habe in meinem Leben exakt einen Comic gelesen und das war „Der bewegte Mann“ von Ralf König. Weil ich das ja musste.

Bei unserer Schlussfrage geht es nämlich um Comic-Figuren. Aber nun ändern wir das ein bisschen: Gibt es eine Filmfigur, in der Sie sich schon mal wiedergefunden haben?
Riemann: Das ist jetzt kompliziert zu beantworten. Weil ein Mensch wächst ja und verändert sich im Laufe seines Lebens, da müsste man ja in den verschiedenen Lebensphasen immer eine andere Figur haben…

Sagen wir, als Kind.
Riemann: Als Kind? Da gab es die Identifikation mit Pippi Langstrumpf. Auf jeden Fall.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.