Katharina Saalfrank

Man sollte die Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht versachlichen

Pädagogin Katharina Saalfrank über die Betreuungsgeld-Debatte, unterbezahlte Erzieher, eine authentische Eltern-Kind-Beziehung und warum sie nicht mehr die „Super Nanny“ ist

Katharina Saalfrank

© Philip Schulte

Frau Saalfrank, das von der Regierungskoalition geplante Betreuungsgeld wird immer mehr zum politischen Streitthema. Welche gesellschaftliche Bedeutung hat diese Debatte aus Ihrer Sicht?
Saalfrank: Ganz offensichtlich wird hier auch ein Familienmodell diskutiert, deshalb ist die Diskussion so emotional. Eigentlich geht es ja "nur" um 150 Euro pro Kind.

150 Euro sind doch aber gar nicht so wenig. Sowohl für die Familien, die das Betreuungsgeld bekommen würden als auch für den Staat, der es bezahlen müsste.
Saalfrank: Für den Staat ist es viel, für die Familien nicht. Die bräuchten ganz andere Unterstützung. Das Betreuungsgeld ist daran gebunden, dass die Kinder das Haus nicht verlassen. Das ist absurd. Außerdem ist die Beziehung von Eltern und Kindern eine sehr natürliche – und man sollte sie nicht versachlichen und als Leistung mit Geld honorieren. Da gibt es aus meiner Sicht eine komplette Schieflage.

Die CSU, die das Betreuungsgeld unbedingt durchsetzen will, argumentiert: Es geht um Anerkennung für die Eltern, die sich bewusst dafür entscheiden, ihr Kind in den ersten Jahren zu Hause zu betreuen.
Saalfrank: Aber dafür sind 150 Euro dann eigentlich eine Ohrfeige. Dann müsste man doch vor allem überlegen: Was kostet eigentlich ein Kita-Platz? Der kostet weit mehr, nämlich mindestens 1000 Euro.

Welche Unterstützung brauchen Eltern denn stattdessen?
Saalfrank: Ich weiß nicht, ob ich etwas verpasst habe: Aber wir haben doch in den letzten Jahren auf allen Ebenen dafür gekämpft, dass es mehr Betreuungsplätze gibt. Heute haben wir erstens immer noch nicht genug und zweitens: Wenn wir uns anschauen, wie diese Betreuungsplätze aussehen, gibt es dort noch ganz viel zu tun. Beispielsweise haben wir nach wie vor viel zu wenige männliche Erzieher, insgesamt ist der Betreuungsschlüssel alles andere als zufrieden stellend. Es gibt also viele andere Bereiche, in denen Geld notwendig wäre. Mit dem Betreuungsgeld wird doch das Pferd von hinten aufgesattelt.

Also mehr Geld für Kitas anstatt des Betreuungsgeldes?
Saalfrank: Mehr Geld, um die Erzieher angemessen zu entlohnen! Auch da geht es um Anerkennung. Die machen das schließlich beruflich. Es wird so wenig gezahlt, dass man davon kaum leben kann. Das ist auch ein Teufelskreis: Männer können in diesen Beruf gar nicht gehen, weil sie nicht die Möglichkeit haben, damit ihre Familie zu ernähren und Frauen können sich das auch nicht mehr leisten. Eigentlich ist das ein Skandal! Und dann zu sagen: Wir geben jetzt 150 Euro zur Anerkennung an die Familien – das ist für mich eine ziemlich schräge Diskussion.

Ist es denn aus Ihrer Sicht in jedem Fall besser, ein Kind in eine Kita zu geben?
Saalfrank: Kita bedeutet für Kinder auch immer Stress – genauso wie für uns Erwachsene unsere Arbeit, so gerne wir sie auch machen. Daher ist es wichtig, dass wir die Zeichen bei den Kindern erkennen und die Zeiten anpassen können, die die Kinder außer Haus sind. Ich plädiere deshalb dafür, dass die Eltern eine wirkliche Wahlfreiheit haben. Sie sollen die Möglichkeit haben, entweder ein staatliches Angebot in Anspruch zu nehmen oder eben nicht. Eine solche Ausfallleistung wie das Betreuungsgeld ist aber überflüssig. Das ist doch so, als ob man auf der Autobahn Maut zahlen müsste und dann Geld dafür bekommt, dass man die Autobahn nicht benutzt.

Das heißt: Eltern können ihre Kinder gerne zu Hause behalten, sollen es dann aber für lau machen?
Saalfrank: Ich finde es absolut wichtig, dass Eltern finanzielle Unterstützung bekommen, aber nicht dafür, dass sie auf ihr Kind aufpassen. Sondern dafür, dass sie eine Familie haben. Ich finde dieses Zweckgebundene sehr schwierig. Derjenige, der sein Kind betreuen lassen möchte, der sollte Geld bekommen. Es gibt ja auch Tagesmütter und zunehmend andere Modelle, die auch staatlich gefördert werden. Ich finde, eher da sollte man ansetzen.

Aber weiß der Staat denn zwangsläufig besser, was gute Kindererziehung ist als die Eltern, die weder auf Kitas oder Tagesmütter setzen wollen? Saalfrank: Es geht doch um eine Finanzierung von zwei Modellen. Und da stehen 1000 Euro 150 Euro gegenüber. Das hinkt doch. Staatliche Unterstützung heißt ja auch nicht, dass die Erziehung vom Staat vorgegeben wird. Es gibt so viele freie Träger, die gefördert werden, etwa der Waldorfkindergarten oder kleine Gruppen. Das ist sehr vielfältig.

Glauben Sie, dass ein sinnvoller Kompromiss beim Betreuungsgeld noch möglich ist?
Saalfrank: Ich glaube, den gibt es nicht. Entweder es kommt, dann ist es aus meiner Sicht eine vertane Chance, weil die Diskussion eigentlich eine andere sein müsste. Oder es kommt nicht, dann kann vielleicht eine andere Diskussion angestoßen werden. Bei den Kita-Plätzen ist es doch so: Die Erzieher haben links und rechts und noch auf den Hüften jeweils Kinder sitzen. Hier fehlt das Geld für Aus- und Weiterbildung und die Erhöhung des Betreuungsschlüssels.

Sie sind Mitglied der SPD. Werden Sie die Partei im Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr wieder unterstützen?
Saalfrank: Das ist noch nicht geplant. Was das Betreuungsgeld angeht, denke ich auch gar nicht in Parteien, sondern erst einmal als Pädagogin. Dass ich mit meiner Partei einer Meinung bin, finde ich natürlich gut und überrascht mich nicht. Allerdings: Neben den finanziellen Rahmenbedingungen ist es auch wichtig, dass wir die Bedürfnisse der Kinder nicht aus den Augen verlieren. Kinder brauchen Beziehung – und Beziehung kostet Zeit! Die müssen wir auch einplanen können. Das Betreuungsgeld versachlicht hier auf ganzer Ebene. Das ist nicht gut!

Haben Ihnen auch Ihre Erfahrungen als "Super Nanny" geholfen, um zu der Einschätzung zu kommen, dass das Betreuungsgeld eher in die falsche Richtung geht?
Saalfrank: Nein, nicht explizit diese Rolle.

Sie haben vor einigen Monaten die Zusammenarbeit mit RTL beendet. Wie bewerten Sie diese Zeit rückblickend aus heutiger Perspektive?
Saalfrank: Nach wie vor sehr positiv. Mir hat das großen Spaß gemacht, für mich war es eine riesige Herausforderung und ich habe aus meiner Sicht mit RTL eine Menge bewegt und ich glaube auch, dass viel Bewusstsein für die Bedürfnisse von Familien entstanden ist.

Zitiert

Ich plädiere dafür, dass die Eltern eine wirkliche Wahlfreiheit haben. Sie sollen die Möglichkeit haben, entweder ein staatliches Angebot in Anspruch zu nehmen oder eben nicht.

Katharina Saalfrank

Wofür konkret hat es sich für die Kinder gelohnt?
Saalfrank: Dafür, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten gesehen wurden. Vieles geschieht hinter verschlossenen Türen, so dass Kinder in schwierigen Situationen oft ausgeliefert und alleine sind. Hier wurden sie jedoch gesehen – auch, wenn es vielen schwer fiel hinzuschauen. In den meisten Fällen haben sich die Eltern sehr gut überlegt, ob sie mich einladen wollen. Außerdem hatten wir eine sehr gute Nachsorge für die Familien durch zwei Psychologinnen. Es hat sich dann auch eine Menge getan, das sieht ja der Zuschauer im Nachhinein nicht. Aber allein, dass alle oft zum ersten Mal seit Jahren zusammen an einem Tisch gesessen und sich über ihre Gefühle ausgetauscht haben, war sehr berührend.

Gibt es dennoch etwas, das Sie im Nachhinein bei der Arbeit an dem Coaching-Format anders machen würden?
Saalfrank: Nein, eigentlich nicht. Für mich war auch der Zeitpunkt aufzuhören genau der richtige. Auch wenn mir viele gesagt haben, es sei zu früh, weil die Quoten noch ganz gut waren.

Am Ende war es also ganz klar Ihre Entscheidung?
Saalfrank: Ja, ich habe das mit dem Sender besprochen und dann war es klar.

Was war der entscheidende Grund?
Saalfrank: Es gab nicht den einen Grund. Es gab viele verschiedene Aspekte, die sich zu einem Gefühl verdichtet haben. Ich hatte den Eindruck, dass ich mich in diesem Format, auf diesem Sendeplatz, bei diesem Sender nicht mehr weiterentwickeln konnte. Das war in anderen Jobs bei mir früher auch schon so. Zum Beispiel bei meiner Arbeit auf der Intensivstation im Kinderkrankenhaus. Es kommt dann einfach die Zeit, wo man spürt, dass es vorbei ist. So war es auch jetzt wieder. Alles, was noch gekommen wäre, wäre für mich eine Wiederholung gewesen.

War es nicht auch so, dass RTL einfach in eine andere Richtung gehen wollte als Sie? Es hieß, Sie seien besorgt gewesen, dass das Format immer mehr seine Authentizität verlieren könnte und nach und nach zur Scripted Reality werden würde.
Saalfrank: Von Scripted Reality in meinem Format war nie die Rede. Als wir 2004 anfingen, in Familien Situationen zu begleiten und die Bilder auch ausgestrahlt wurden, war es ganz neu, dass man in ein Familienleben in Deutschland so intensiv hineinschauen konnte. Über die Jahre gab es dann eine Veränderung und es kamen die Scripted Realitys mit gestellten Geschichten über Familien, daran störe ich mich sehr, dass diese Bilder so inflationär gezeigt werden. Und es stellt auch meine sehr authentische Arbeit in Frage. Bei den Scripted Realitys ist Musik drunter gelegt, es gibt schnelle Schnitte, alles ist auf den Punkt produziert, weil es Drehbücher gibt. Daran hat sich der Zuschauer gewöhnt, jeder kann sehen, dass Fiktion und Realität verschwimmen. Diese Entwicklung habe ich ganz einfach wahrgenommen, das hat aber nicht speziell etwas mit RTL zu tun.

Haben Sie sich in dem Umfeld von gescripteten Serien, die es bei RTL ja unbestritten gibt, im Laufe der Jahre denn immer wohl gefühlt?
Saalfrank: Damit habe ich mich von Anfang an nicht wohl gefühlt. Ich fand es immer schwierig, dass die Bilder, die am Nachmittag gezeigt werden, am Abend auch zu sehen sind. Am Abend sollen sie dann aber echt sein. Da verstehe ich auch den Zuschauer, wenn er dann sagt, das kriege ich nicht mehr zusammen. Unsere Bilder waren aber echt! Und dass da wirkliche Familien und deren Sorgen zu sehen waren, ist oft nicht mehr wahrgenommen worden.

Gab es während Ihrer Zeit als "Super Nanny" auch Momente, in denen Sie sich gegenüber RTL nicht durchsetzen konnten?
Saalfrank: Wir haben eigentlich immer alles sehr gut besprechen können. Wir haben sozusagen eine gute Zweckehe geführt, jeder mit seinen Interessen. Das war auch bis zum Schluss so. Ich wollte dann nur diese Entwicklung nicht mitgehen.

Es gab immer wieder auch große Kritik an dem Format, beispielsweise vom Deutschen Kinderschutzbund. Ist am Ende auch eine Last abgefallen, aus dem Kreuzfeuer der Kritik herauszukommen?
Saalfrank: Ich fand die Kritik oft undifferenziert. Wenn man den Standpunkt hat, man geht mit einer Kamera nicht in eine Familiensituation rein, gibt es da nicht viel zu diskutieren – denn das ist das Format an sich. Diese Meinung kann man haben. Ich habe eben einen anderen Standpunkt. Dass es eine Gratwanderung ist, habe ich immer gesagt. Wir haben die Probleme in den Familien sieben Jahre lang gezeigt, ich glaube es ist gesehen worden. Darum ging es mir vor allem. Nicht darum, Fernsehen zu machen. Im Übrigen: Auch wenn die Sendung nicht mehr läuft und wir die Kinder nun nicht mehr sehen, leben viele Kinder trotzdem noch in extrem schwierigen Situationen.

Welche Projekte planen Sie für die Zukunft?
Saalfrank: Ich berate nach wie vor in meiner Praxis, sitze an einem Buch und bin mit meinem Abendprogramm "Nein, Mama" unterwegs. Und ich kann wieder flexibler mit mehr Zeit für meine Familie da sein. Daher bin ich gerade sehr erfüllt. Ich kann mittags zu Hause mit den Kindern essen, nachmittags meine Zeit einteilen, mich auf die Kinder einstellen und nebenbei in meiner Praxis in der Familienberatung tätig sein. Es ist wunderbar, die Tage so planen zu können und ich bin einfach nicht mehr so lange weg.

Insgesamt arbeiten Sie also weniger?
Saalfrank: Zumindest weniger außerhalb von Berlin. Aber die Frage ist doch, was Arbeit ist. Ich mache gerade zwischendurch viel Beziehungsarbeit mit den Kindern, auch wenn ich dafür keine Entlohnung bekomme – schon gar nicht vom Staat (lacht).

Worum geht es in Ihrem Buch?
Saalfrank: Vor allem um die Gleichwertigkeit von Kindern in unserer Beziehung zu ihnen. Es geht um die Frage, warum wir mit einem Nein von Erwachsenen so viel anders umgehen als mit einem Nein von Kindern. Wenn man der Frage nachgeht, sieht man, dass wir mit Erwachsenen in den Dialog gehen, während wir mit Kindern eigentlich nur wollen, dass sie sich anpassen. Das stellt für mich den Erziehungsbegriff in Frage. Meine These ist, dass sich das Modell "Erziehung" überholt hat und dass es vielmehr um eine "Beziehung" zu Kindern gehen sollte. Wir müssen uns überlegen, wie wir in eine authentische, gleichwertige Beziehung zu Kindern treten können. Ich bin überzeugt, dass wir total umdenken müssen, wenn es um Kinder geht. Mit Verboten und Strafen kommen wir jedenfalls nicht weiter.

Ihr Buch wird also keine Autobiografie?
Saalfrank: Über mich selber schreiben? Das ist gerade nicht so mein Ding. Mich treibt tatsächlich eher Inhaltliches um.

Kommt auch ein Fernsehprojekt für Sie noch einmal in Frage?
Saalfrank: Mal gucken. Ich bin an allen Medien interessiert, die Botschaften an Menschen richten können. Da kann auch das Fernsehen wieder dazugehören.

2 Kommentare zu “Man sollte die Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht versachlichen”

  1. Sandra |

    Katja…

    wann machst du mal wieder eine Sendung? Wir – ich und mein Mann – vermissen dich. Liebe Grüße

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  2. Kathrin Daschner (Bielefeld) |

    Schönes Gespräch.

    In einigen Medien wird Frau Saalfrank ja immer als eine oberflächliche Medienfrau beschrieben, die für die Quote alles tun würde. Ihre Antworten in diesem Interview sind aber durchaus reflektiert und auch zum Thema Betreuungsgeld gibt es hier einige erhellende Aussagen.

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