Karola Hattop

Ich will keine niedlichen Kinder.

Regisseurin Karola Hattop über ihre DEFA-Vergangenheit, die Besonderheiten des Kinderfilms und die Arbeit an „Das Morphus-Geheimnis“

Frau Hattop, Sie geben Filme wie „Ronja Räubertocher“ oder die alten DEFA-Märchen als Ihre Lieblingskinderfilme an. Was zeichnet diese aus?
Karola Hattop: Eine große Liebe zu den Kindern, aufwendige, opulente Inszenierungen mit tollen Schauspielern, die wahnsinnig gerne in den Filmen mitspielten. Oder die Kulissen: Leute wie die Ausstatter Alfred Hirschmeier oder Lothar Holler haben traumhaft schöne Kulissen hingebaut, die die Spielfreude und Fabulierlust anregten.

Wieso erfährt der Kinderfilm heute eine geringere Wertschätzung?
Hattop: Film ist mehr und mehr eine ökonomische Größe Alle wollen daran verdienen. Im Fernsehen geht es um Quoten und im Kino um Besucherzahlen. Es ist eine Industrie, da fehlt oft Gelegenheit für solche kulturellen Extras.

Sie haben an der HFF in Potsdam studiert und waren selbst DEFA-Regisseurin…
Hattop: Ich war beim DDR-Fernsehen fest angestellt und habe im Auftrag des Fernsehens bei der DEFA produziert. Aufwändige Produktionen wurden häufig in den DEFA-Studios  realisiert. Das Fernsehen gab das Geld, das Buch und den Regisseur. Alle anderen Mitarbeiter kamen aus dem DEFA-Studio.

Gab es nach der Wende Probleme wegen Ihrer DEFA-Vergangenheit?
Hattop: Im Prinzip nicht. Eher, weil ich in der DDR Kinderfilme gemacht hatte. Der Kinderfilm hatte in der Bundesrepublik nicht den Stellenwert wie in der DDR. Kinderfilm war eher etwas für „stille Enthusiasten“, eher eine Nische. Es hat schon vier bis fünf Jahre gedauert, ehe ich einen Produzenten davon überzeugen konnte, dass ich eine gute Ausbildung habe und das ich sehr wohl in der Lage bin, Geschichten zu erzählen – und das nicht nur für Kinder.

War die Arbeit in der DDR besser organisiert?
Hattop: Auf alle Fälle anders. Wir hatten eine sehr umfangreiche Vorbereitungszeit für jedes Projekt. Die Bucharbeit stand dabei im Vordergrund, dann die Motive, das Casting und die Zusammenarbeit mit Kamera, Ausstattung, Kostüm. Drehbücher waren Vorlagen, nach denen dann wirklich gedreht wurde, weil man Zeit für optische Drehbücher und die organisatorische Vorbereitung des Drehs hatte. Heute sind die Vorbereitungszeiten viel kürzer. Oft werden noch während des Drehs Motive gesucht, kleine Rollen besetzt und nach Drehschluss Auflösungen gemacht. Ich hatte nicht gedacht, dass ein System, was ja gewinnorientiert ist, die Chance verspielt, durch exakte Vorbereitung zu sparen. Alles, was sofort und gleich geschehen muss ist teurer, als wenn man Zeit hat, sich nach alternativen Möglichkeiten umzusehen.

Würden Sie sagen, dass die DDR einem Bildungsauftrag, wie ihn das öffentlich-rechtliche Fernsehen für sich reklamiert, besser nachgekommen ist?
Hattop: Ich erinnere mich an eine Reihe beim Kinder- und Jugendfernsehen, die berühmte  historische Personen wie Röntgen oder Hans Sachs in aufwendigen Fernsehspielen vorstellte. Oder an die legendären Märchenproduktionen wie „Gevatter Tod“ oder „Jorinde und Joringel“ die von tollen Autoren geschrieben und mit tollen Schauspielern besetzt wurden.  Heute stehen äußere Faktoren und der Unterhaltungsfaktor mehr im Vordergrund. Ein bisschen weniger Philosophie und ein bisschen mehr Show.

Sie arbeiten häufig mit Kindern. Was ist das Spezielle daran?
Hattop: Ihre Unverbrauchtheit. Mit Kindern drehen hat etwas Dokumentarisches, Authentisches. Ich kann kein Kind gegen den Strich besetzen. Jonas Hämmerle, der in unserem „Morphus-Geheimnis“ die Hauptrolle spielt, bleibt im Wesentlichen er selbst: ein verträumtes Energiebündel. Die Konfrontation mit einer anderen, jungen Generation ist für mich unheimlich spannend. Da fällt immer etwas für mich und mein eigenes Leben ab. Ich werde mutiger, fröhlicher und stelle Althergebrachtes stärker in Frage.

Auf welche Tricks greifen sie beim Drehen zurück?
Hattop: Mir ist wichtig, dass die Kinder verstehen, was sie spielen. Ich will keine niedlichen Kinder, die nur ihren Text mit den Händen an der Hosennaht runter sprechen. Sie sollen auch nicht mit gelernten Texten zum Drehen kommen, weil mir ein falsch gelernter Text oder Ton wahnsinnig in den Ohren wehtut. Oft üben ehrgeizige Muttis und Omis mit den Kindern. Den Ton krieg ich durch intensivstes Inszenieren nicht mehr raus. Am liebsten würde ich den Kindern ihre Drehbücher wieder wegnehmen, nachdem sie wissen, um was es geht.

Zitiert

Der Kinderfilm hatte in der Bundesrepublik nicht den Stellenwert wie in der DDR.

Karola Hattop

Abgesehen vom Text kommt es aber auch aufs Spielen an…
Hattop: Meine Methode ist es, mir von den Kindern die Szene erzählen zu lassen. Da kommen oft ganz lustige Sachen zu Stande, manchmal auch welche, an die ich selbst nicht gedacht hätte. Anschließend sollen sie über ihre Rolle erzählen. Erst dann bereiten wir die konkrete Szene vor. Schließlich ist Film auch Technik: Innerhalb der Szene müssen sie sich an bestimmte Verabredungen halten. Der Kameramann macht ein spezielles Licht, die Geschichte muss stimmen und die Schauspielpartner warten auch auf bestimmte Reaktionen. Es ist ein schwieriger Spagat zwischen der Spiellust der Kinder und den technischen Zwängen.

Verfolgen Sie den Werdegang Ihrer Ex-Schützlinge, wie Frederick Lau (aus „Wer küsst schon einen Leguan“), der für „Die Welle“ den Deutschen Filmpreis gewann?
Hattop: Bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen, stehe ich immer noch in Kontakt mit meinen Filmkindern. Frederick hat mich zum Beispiel erst auf dem Weg zum Filmpreis und später nachts um drei angerufen, um mir zu sagen, dass er ihn tatsächlich gekriegt hat… Einer meiner Wünsche ist, dass alle Filmkinder anlässlich meines nächsten runden Geburtstag zu meiner Fete kommen.

Wie beurteilen Sie den jungen Jonas Hämmerle?
Hattop:  Ich finde, er ist ein außerordentlich kluger, emotionaler, körperlich agierender und unbefangener Typ. Ich glaube, er hat sich beim „Morphus-Geheimnis“ richtig freigespielt. Nachdem er bei meiner Kollegin Imogen Kimmel bereits eine große Rolle gespielt hat, wird er demnächst als Vicky bei Bully Herbig zu sehen sein. Ich hoffe, dass uns Bully statt „Dankschreiben“ wenigstens eine Einladung zur Premiere des Films schickt.

Wie wichtig ist das Spiel der erwachsenen Darsteller, inwieweit übernehmen die die Führung?
Hattop: Meistens führen die Kinder! Schon vor vielen Jahren, als ich mit Günter Schubert „Mein Vater in der Tinte“ drehte, war es so, dass er an der Seite des sehr authentischen kindlichen Hauptdarstellers zu einer viel realistischeren, stilleren Darstellungsweise fand. Er wurde für seine Rolle des Vaters mit Preisen überhäuft. Ich habe oft gemerkt, dass die Kinder einem ihr Spiel aufzwingen und eine besondere Art der Aufmerksamkeit von ihren Spielpartnern verlangen.

Wie bereiten Sie die Erwachsenen darauf vor?
Hattop: Es gibt einige, die nicht mit Kindern spielen wollen oder können. Es heißt ja „Kinder und Tiere spielen dich an die Wand“. Andererseits sind Schauspieler ja auch „Kinder“, die sich gerne verführen lassen.

Was sollte ein guter Kinderfilm neben der Unterhaltung leisten?
Hattop: In erster Linie soll er gesehen werden, was nur klappt, wenn er die Kinder auf und vor der Leinwand ernst nimmt. Ernst nehmen meint nicht, dass der Film keine Komödie sein darf, sondern dass er weder die Erwachsenen noch die Kinder für doof halten darf. Wenn ein Kinderfilm auf unterhaltende Weise Lebenshilfe ist, wäre das eine tolle Sache. Wenn es gelingt, die Probleme der Kinder so aufzuarbeiten, dass der Film sie auf emotionale Weise berührt und sie nachdenklich macht.

Also muss ein guter Kinderfilm auch die Eltern überzeugen.
Hattop: Das wäre am besten! Immer wenn„Wer küsst schon einen Leguan“ läuft, bekomme ich auch von Erwachsenen viele positive Reaktionen. Der Film erzählt ihnen etwas über eine Kinderwelt, von der sie offenbar gar nichts wissen. Viele Erwachsene regt dieser Film zum Gespräch mit ihren Kindern an.

Im „Leguan“ zeigen Sie filmisch eine Welt, in die nicht alle Einblicke nehmen können…
Hattop: … oder wollen, weil sich ihr Leben in einem weitaus behüteterem Umfeld abspielt. Was interessiert schon das Leid des anderen. Mir war es wichtig zu zeigen, wie das Leben von Kindern auch aussehen kann – ohne dabei nur Klischees zu bedienen. Ich hoffe, das fördert das Gespür der Kinder füreinander und zeigt, dass die Lebensumstände nicht immer so sind, wie man sie gerne hätte.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Hattop: Eine Katze, möchte ich sein. Neugierig, umtriebig, treu. So ne Katze guckt immer sehr aufmerksam, macht aber was sie will und hat dabei eine unglaubliche Ruhe.

Die Regisseurin Karola Hattop wurde 1949 in Berlin geboren. Nach ihrem Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg arbeitete sie beim Deutschen Fernsehfunk und für die DEFA. Nach der Wiedervereinigung drehte mehr

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