Julia Görges

Früher habe ich nur Haudrauf-Tennis gespielt.

Julia Görges über die Australian Open, ihr Leben als Profi, das Image der Tennis-Schönheit und warum sie ihre bisher größte Trophäe verkaufen wird

Julia Görges

© Manuela Davies

Frau Görges, was ist das Besondere am ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, den Australian Open?
Görges: Es ist mit Abstand mein Lieblingsturnier. Australien ist zwar weit weg, aber ich fühle mich dort trotzdem sehr heimisch. Nicht zuletzt, weil viele Deutsche nach Australien ausgewandert sind. Und auf der Tennisanlage sind die blauen Plätze, die ganze Atmosphäre und die Fans einfach toll. Die Zuschauer haben speziell ein Herz für Underdogs und feuern den Außenseiter so sehr an, dass ein Sieg möglich ist.

Im vergangenen Jahr sind Sie in allen vier Grand-Slam-Turnieren in der dritten Runde ausgeschieden. Könnte daraus ein Kopfproblem entstehen, wenn Sie erneut in der dritten Runde stehen?
Görges: Nein, denn ich habe in den dritten Runden jeweils knapp verloren und gegen sehr starke Spielerinnen gespielt. Ich habe den Sieg also nie verschenkt.  

Sie haben 2011 den Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart gewonnen und sind in der Weltrangliste auf Position 21 vorgedrungen. War es das schönste Jahr in Ihrer Karriere?
Görges: Es war auf jeden Fall das erfolgreichste Jahr. Wenn man hart arbeitet und richtig trainiert, wird man irgendwann dafür belohnt. Es war schön, dass es in diesem Jahr passiert ist und ich in Stuttgart gewonnen habe.

Sie haben einmal gesagt, Ihr Trainer Sascha Nensel habe Ihnen gezeigt, wie man auf der Profitour zu leben hat. Was genau meinen Sie damit?
Görges: In den zwei Jahren, in denen ich mit ihm zusammenarbeite, habe ich gelernt, richtig zu arbeiten. Früher habe ich nur Haudrauf-Tennis gespielt, ich habe das Spiel ohne Sinn und Verstand aufgebaut. An guten Tagen konnte ich gute Spielerinnen schlagen, aber es fehlte jegliche Konstanz. Wichtig war auch, intensiv an meiner Fitness zu arbeiten. Es ist meine Taktik, nicht direkt auf den Punkt zu gehen, sondern auf meine Chance zu lauern. Und dafür muss ich fit sein.

Im Finale in Stuttgart haben Sie die Weltranglistenerste Caroline Wozniacki geschlagen. Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie jede Spielerin besiegen können?
Görges: So sollte man nicht denken. Man kann das Spiel von Wozniacki zum Beispiel nicht mit dem Spiel von Maria Sharapova vergleichen. Manche Spielertypen liegen einem mehr, andere liegen einem weniger. Aber ich habe in Stuttgart sicherlich mein bestes Tennis gespielt.

Vor welcher Spielerin haben Sie besonderen Respekt?
Görges: Ich habe vor jeder Topspielerin Respekt. Aber wenn Sie mich schon fragen, würde ich Victoria Azarenka nennen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwann die Nummer 1 der Welt wird. Ich habe gegen Azarenka bisher dreimal gespielt, zweimal verloren und einmal durch Aufgabe gewonnen. Sie hat ein gutes Rundumpaket. Sie kann sich gut bewegen, ist sehr fit, kann Druck machen, hat einen starken Aufschlag. Sie hat alles, was man braucht.

Wo sehen Sie Ihre eigenen Stärken und Schwächen?
Görges: Meine Schwäche ist noch immer meine Konstanz. Um eine Topspielerin zu sein, muss man wirklich über das ganze Jahr solide spielen. Man braucht ein gewisses Level, sodass man auch die Matches gewinnt, wenn man nicht das beste Spiel zeigt. Meine Stärke ist, dass ich verglichen mit den anderen Mädels ein etwas anderes Spiel habe. Die meisten spielen flach und schnell. Ich versuche, mit mehr Spin zu spielen und die Leute aus dem Platz zu treiben, sodass ich nachgehen kann.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Gegenspielerinnen vor? Gibt es Videoanalysen wie beim Fußball?
Görges: Mein Trainer schaut sich die Spiele der Gegnerinnen an und sagt mir, was zum Beispiel die Schwächen der Spielerinnen sind. Aber es werden nur ein paar Aspekte angesprochen. Letztendlich fokussiert man sich mehr auf sich selbst.

Wird das Training an die nächste Gegnerin angepasst?
Görges: Ja, manchmal spielt man auch gegen Sparringspartner. Spielt man zum Beispiel in der nächsten Runde gegen eine Linkshänderin, möchte man möglichst auch im Training gegen eine Linkshänderin spielen. Aber das ist nicht bei jeder Gegnerin notwendig. Spiele ich zum Beispiel gegen eine Rechtshänderin, die viel Slice spielt, dann stellt sich eben mein Trainer hin und spielt viel Slice. 

Auch wenn das Jahr 2011 für Sie sehr gut lief, gab es auch schlechte Spiele. In Carlsbad (USA) haben Sie zum Beispiel ihr Auftaktmatch überraschend gegen die 18-jährige Sloane Stephens verloren, die ihre erste Saison auf der Profitour spielte. Wie verkraften Sie eine Niederlage gegen eine Außenseiterin?
Görges: An dieses Spiel kann ich mich kaum noch erinnern, ich mache mir also keine großen Gedanken darüber. Allgemein halte ich mich nie lange mit Niederlagen auf. Bei Beginn des nächsten Turniers, wenn ich an einem anderen Ort bin, ist das verarbeitet. Natürlich ist es ein Reifeprozess, mit Niederlagen umgehen zu können.

Gibt es keine Niederlage, an die Sie ungern zurückdenken.
Görges: Die Niederlage gegen Marion Bartoli in der dritten Runde der French Open 2011 vielleicht. Ich lag bereits mit einem Satz und einem Break vorne. Solch ein Match darf ich nicht wieder hergeben.

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Ich halte mich nie lange mit Niederlagen auf. Bei Beginn des nächsten Turniers, wenn ich an einem anderen Ort bin, ist das verarbeitet.

Julia Görges

Wie wichtig ist die mentale Stärke beim Tennis?
Görges: Sehr wichtig. Jede Spielerin auf der Profitour kann gutes Tennis spielen. Manche Aspekte, wie das Mentale und die Fitness, haben dann einen großen Wert. Wenn man müde ist, muss man über diesen Punkt hinweggehen und trotzdem mit voller Konzentration Tennis spielen. Und irgendwann ist man über diesen Punkt hinweg und merkt die Müdigkeit nicht mehr. Und genau das muss man beim Training lernen, indem man immer wieder über die eigenen Grenzen hinausgeht.

Vor einem Seitenwechsel hat eine Tennisspielerin nur rund eine Minute Pause. Was geht dabei in Ihnen vor?
Görges: Zuerst einmal versuche ich, wieder herunterzukommen, an nichts zu denken und den Kopf freizubekommen. Manchmal schlage ich auch in meinem Buch nach, wo zum Beispiel Notizen des Trainers stehen.

Kommunizieren Sie während des Spiels per Zeichensprache häufig mit Ihrem Trainer?
Görges: Gelegentlich schaue ich zu ihm rüber. Aber letztendlich muss eine Spielerin auf sich selber fokussiert sein.

Beim Porsche-Cup in Stuttgart gab es neben dem Preisgeld einen Porsche als Prämie. Wie fährt sich das schnelle Auto?
Görges: Ich fahre ihn nicht, ich werde ihn verkaufen.

Wieso?
Görges: Als deutscher Bürger muss man leider 50 Prozent des Autowertes an das Finanzamt zahlen, bis man das Auto fahren darf. Es wird leider nicht als Prämie anerkannt. Und um einen Porsche zu fahren, müsste ich schon einen gewissen Betrag im Jahr verdienen.

Stichwort Geld: Steffi Graf sagte einmal während ihrer aktiven Zeit als Spielerin in einem Interview mit dem Focus, sie wisse nicht, wie viel Geld sie habe und wo das Geld sich befindet, weil etliche Steuerfachleute involviert seien. Wie ist das bei Ihnen?
Görges: Ich weiß über meine Finanzen schon Bescheid, mein Vater macht das alles. Ich finde es sehr wichtig, dass das im Kreise der Familie bleibt. Ich bin meiner Familie überhaupt sehr dankbar für die ganze Unterstützung. Ohne sie hätte ich mein Hobby nicht zum Beruf machen können. Übrigens kommen meine Eltern auch mit nach Melbourne zu den Australian Open. Sie sind nicht oft bei Turnieren dabei, aber Australien ist eine Reise wert.

Wie viele Wochen sind Sie überhaupt daheim?
Görges: Ungefähr eineinhalb bis zwei Monate bin ich zu Hause bei meinen Eltern.

Wie entspannen Sie sich dann? Ganz gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher?
Görges: Das auch. Aber ich gehe auch gerne in die Stadt, treffe mich mit Freunden, gehe ins Kino, gehe Kaffeetrinken.

Werden Sie auf der Straße häufig erkannt?
Görges: Zu Hause, in unserem kleinen Dorf kennt mich natürlich jeder. Aber wenn ich in der Großstadt bin, erkennt mich kaum jemand. Das muss schon ein großer Tennisfan sein. Wenn es passiert, ist das natürlich schon eine gewisse Ehre. Es berührt mich, wenn Leute mich erkennen und die Karriere verfolgen. Aber ich leide auch nicht darunter, wenn ich nicht erkannt werde.

Wie viele Tage ohne Training können Sie sich leisten, wenn Sie zu Hause sind?
Görges: Nach der Saison habe ich drei Wochen keinen Sport gemacht. Eine Woche finde ich das schön, aber in der zweiten Woche kommt meist der Wunsch auf, sich wieder mehr zu bewegen. Bei Trainingsbeginn dauert es auch zwei bis drei Tage, bis man wieder einen gewissen Fitnessstandard erreicht hat und darauf aufbauen kann.

Ist es ein Segen oder ein Fluch, soviel in der Welt unterwegs zu sein?
Görges: Ich finde es nicht schlimm. Aber man hat leider meist nicht die Möglichkeit, sich die vielen Städte anzusehen. Am Abend bin ich meist müde, liege im Hotel und gehe höchstens einen Kaffee trinken. Ich habe auch nicht den Nerv dafür, bei 35 oder 40 Grad in die Stadt zu fahren. Die Kräfte sollte man sich lieber sparen.

Sie werden in den Medien oft als Tennis-Schönheit bezeichnet. Ehrt oder stört Sie das?
Görges: Es ist schon ein Kompliment, aber es sagt nicht viel aus. Für mich ist es wichtiger, dass ich gutes Tennis spiele und in meinem Beruf erfolgreich bin. Durch Schönheit gewinnt man keine Spiele.

Gab es denn schon Playboy-Anfragen?
Görges: Naja, so halbwegs. Aber das ist nichts, was ich machen würde.

Das Interview entstand im Dezember 2011.

Julia Görges wurde 1988 in Bad Oldesloe geboren und begann im Alter von fünf Jahren mit dem Tennisspielen beim THC BW Bad Oldesloe. Mit zwölf wechselte sie zum THC Ahrensburg, mit 17 wurde sie bereits Landesmeisterin der Frauen. 2005 erschien Görges mehr

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