Joy Denalane

Ich bin keine Dogmatikerin.

Joy Denalane ist eine der wenigen deutschen Soul-Stimmen. Im Interview spricht sie über Musikeinflüsse in der Kindheit, zeitlose Klassiker, ihr Album „Gleisdreieck“ und warum ihre Kinder Haftbefehl hören.

Joy Denalane

© Eva Baales

Joy, du hast öfter erzählt, dass dein erster Kontakt zur Musik die Plattensammlung deines Vaters war. Kommt von dort auch der Soul in deiner Stimme?
Denalane: Die Plattensammlung hat mich auf jeden Fall geprägt. Ich glaube, vielen Menschen ist das gar nicht so bewusst, wie stark man geprägt wird durch das, was man in jungen Jahren hört. Ich mochte die Platten meines Vaters und ich glaube schon, dass sich mein Verständnis von Gesang daran orientiert hat – und nicht an NDW oder Schlager. Das war ja das Programm, das im Fernsehen lief: Volksmusik, Musikantenstadl, die Hitparade mit Dieter Thomas Heck, oder „Disco“ mit Ilja Richter. Das habe ich
natürlich mitbekommen, aber nur teilweise gemocht. Beim Soul habe ich mich am wohlsten gefühlt, das fand ich am Besten, also habe ich das nachgeahmt.

Welche Musiker waren das konkret?
Denalane: Aretha Franklin, Donny Hathaway, Michael Jackson, Kool & The Gang, Earth Wind & Fire, Bobby Womack, Al Green, Chaka Khan… – die Liste ist endlos lang.

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Die Pop-Landschaft ist nicht mehr so unsoulig wie früher.

Joy Denalane

Bis heute hat Deutschland sehr wenig Soul-Stimmen hervorgebracht – woran liegt das?
Denalane: Na, an der Prägung natürlich. Wobei ich denke, dass da jetzt auch eine Veränderung stattfindet. Die heute 15-Jährigen werden von einem anderem Sound geprägt, die Pop-Landschaft hat sich verändert, HipHop zum Beispiel ist sehr stark vertreten im deutschen Mainstream. Es ist nicht mehr so unsoulig wie früher. Jemand wie Beyoncé, die soulful singt, wird auch in Deutschland viel gehört. Und ich glaube, dass das dann auch in das Selbstverständnis der Kids übergeht.

Also liegt es an der Prägung, und nicht etwa an den Genen…
Denalane: An den Genen? Oh, nein, das würde ich nicht sagen. Wobei ich natürlich auch sehe, dass
wir Deutschen bestimmte Vorlieben haben, zum Beispiel für Dinge, die eingängig sind. Das zeigen die Charts in Deutschland und das Fernsehprogramm, wo Schlager und Volksmusik absolut überpräsent sind. Die Kids von heute gucken zwar weniger Fernsehen, aber wenn es bei ihren Eltern läuft, während sie durchs Wohnzimmer krabbeln – das macht ja etwas mit dir. Man kommt damit nicht auf die Welt, es sind nicht die Gene, sondern es ist eine Frage der Prägung.

Und daraus entwickeln sich dann die stimmlichen Fähigkeiten?
Denalane: Das ist die Frage, ob jemand Talent hat. Talent haben allemöglichen Leute, es kommt drauf an, was man damit macht und wie man es einsetzt.

Du hast die Platten deines Vaters gehört. Was war die erste Musik, mit der du dich von ihm abgegrenzt hast?
Denalane: Prince! Der war noch nah genug an der Musik, die mich geprägt hat, aber es war definitiv nicht in der Plattensammlung meines Vaters. Damit konnte er nicht so viel anfangen, das hat ihn nicht angesprochen.

Dein Album „Born & Raised“ kam einer Beyoncé ja schon sehr nahe. Aber hat ein Soul/RnB-Album aus Deutschland auf dem amerikanischen Markt überhaupt eine Chance?
Denalane: Das weiß ich nicht. Ich war mit dem Album weltweit unterwegs, in Tokio, London, Paris und New York, es hat dort auch Anklang gefunden, es wurde aber nicht international veröffentlicht. Damals war allerdings auch die Globalisierung noch nicht so fortgeschritten wie heute. Die Möglichkeit, dass etwas Erfolgreiches auch aus einem anderen musikalischen Umfeld kommen kann, als aus Amerika, die ist heute gegeben. Sicher sind die USA in vielen
musikalischen Dingen noch Vorreiter, aber England zum Beispiel ist in den letzten Jahren extrem nach vorne geprescht und hat Amerika eigentlich in den Schatten gestellt.

Und Deutschland?
Denalane: Da wäre jetzt Ace Tee ein gutes Beispiel, eine Hamburger Rapperin und Sängerin, die mit dem Song „Bist du down“ einen internationalen Überraschungserfolg gelandet hat. So etwas ist heute durchaus möglich.

Kann heutiger R’n’B eigentlich so zeitlos sein wie eine Platte von Marvin Gaye?
Denalane: Schwierige Frage. Grundsätzlich geht es glaube ich um Klassiker: Wenn man es schafft, einen Klassiker zu produzieren, dann kann auch R’n’B zeitlos sein. Ein Song wie „Crazy“ von Beyoncé wird wahrscheinlich immer ein Klassiker bleiben. Es war sicher auch nicht jede Soul-Platte ein Klassiker, nicht alle Alben aus der Zeit hört man sich heute noch an.
Ein Song wie „What’s Going On“ von Marvin Gaye, das ist natürlich eine optimale Mischung aus politischem Inhalt, Liebeslied und diesem genialen Musiker. Da geht es nicht nur um den Sound, sondern auch darum, wofür so ein Song steht. Ein Song wie „What’s Going On“ hat damals die Bürgerrechtsbewegung gefüttert. Auch Nina Simone, sie hat nicht nur Songs geschrieben die man mochte, sondern sie hat in ihrer Musik verschiedene Komponenten und Säulen vereint, weshalb ihre Songs eine Relevanz haben
müssen – so wie ein Ereignis im Geschichtsbuch.

Dein aktuelles Album „Gleisdreieck“ – würdest du zustimmen, dass es dein bisher poppigstes Album ist?
Denalane: Nein. Es ist vielleicht zeitgemäßer, es ist ist nicht retroesk. Aber Poppig? Das würde ich so nicht sagen.

Man hört zumindest viele elektronische Elemente, Effekte, auch auf der Stimme…
Denalane: Gegenfrage: Was verstehst du unter Pop?

Sehr gute Frage. Vielleicht ist es der gemeinsame Nenner der Songs die gerade in den Top10 sind? – Es gibt im heutigen Pop zumindest eine Reihe von Elementen, die ich nicht mit Soul verbinde, etwa elektronische Verfremdung oder Trap/HipHop-Beats.
Denalane: Der HipHop-Einfluss zieht sich bei mir aber durch alle meine Alben. Manche Songs in der Vergangenheit waren vielleicht eher retroesk, andererseits, ein Song wie „Born & Raised“ war gar nicht soulig. Insofern: Es ist nicht so, dass ich früher nur Retro-Soul gemacht habe und jetzt auf einmal in die Welt des Pop komme. Die aktuelle Platte hat verschiedene Facetten und Farben, einige sind genauso zeitgemäß wie ich es bin – denn ich bin ja nicht vor sieben Jahren stehen geblieben.

denalane-coverWie gehst du mit Effekten um wenn es die Stimme betrifft? Gibt es da No-Gos, oder ist alles erlaubt, was gut klingt?
Denalane: Alles ist erlaubt was gut klingt.

Das heißt, wenn die Stimme auch mal verfremdet wird, steht das nicht deinem Anspruch von Soul-Gesang entgegen?
Denalane: Nein, das stand es noch nie. Ich bin keine Verfechterin von einem „puren“ Sound und auch überhaupt keine Dogmatikerin. Mich festzulegen auf etwas und dann dort zu bleiben – damit würde ich mich nicht wohlfühlen.
Was ich mache ist ja nicht nur Soul, sondern im weitesten Sinne Black Music. Ich höre immer schon R’n’B und HipHop. Und ich habe schon mit so vielen HipHop-Künstlern gearbeitet: Ahzumjot, Tua, Megaloh, Marteria usw. Diese Liebe zum HipHop wird auf der aktuellen Platte wahrscheinlich so deutlich, wie nie zuvor.

Im PR-Text zum aktuellen Album steht, einige Songs seien „dezidiert autobiografisch“. Das verwundert insofern, als dass viele Künstler die Lesart, dass ein Song von ihnen persönlich handelt, eher ablehnen.
Denalane: Da gibt es für mich verschiedene Spielarten und keine feste Formel. Es gibt auf dem Album sehr viel Verquickungen von autobiografischen und fiktionalen Momenten. Kein Song ist durchgehend autobiografisch, aber natürlich ist vieles geprägt durch Erfahrungen, die ich gemacht habe.

Max Herre sagte einmal über das Texteschreiben „Wichtig ist, dass man keine schmutzige Wäsche wäscht.“ Stimmst du ihm zu?
Denalane: Schmutzige Wäsche… – das fände ich eher langweilig. Allerdings gibt es manchmal Momente, wo etwas sehr dringlich ist, wo man etwas loswerden will. Man muss dann aber auch damit leben, dass etwas draußen ist, was man vielleicht lieber nicht hätte sagen sollen, weil es jemand anderen verletzt oder vorgeführt hat.

Zum aktuellen Artwork gehört die südafrikanische Flagge – allerdings ohne Farben. Warum?
Denalane: Ich habe sie entsättigt, weil dieses Dreieck als Formsprache ein ganz anderes Gewicht bekommt. Dadurch sieht man, wie diese Balken ein Gleisdreieck ergeben.
Es ist aber auch ein gutes Bild für meine südafrikanische Identität, die ja in gewisser Weise ein Stückweit verwaschen ist. Ich bin Deutsche – mit einem südafrikanischen Vater und auch einer sehr starken Beziehung dazu, aber ich bin keine Südafrikanerin. Ein Teil von mir gehört sozusagen zu Südafrika. Dieses Artwork zeigt, dass ich mich dort nicht verorte aber es ein Teil von mir ist.

Gibt es für dich bestimmte deutsche Werte oder Traditionen, die du liebgewonnen hast?
Denalane: So etwas wie deutsche Tugenden? Ordnung? Bürokratie?

Natürlich kannst du auch Tugenden nennen, die du nicht schätzt.
Denalane: Aber ich schätze die Bürokratie tatsächlich
teilweise.
Ich glaube, dass Pünktlichkeit und Korrektheit dazugehören, es gibt schon etwas Preußisches, was vom Deutschen ausgeht.

Sind die Deutschen so korrekt?
Denalane: Ich glaube schon. Man merkt das, wenn man erstmal durch tausend Instanzen gehen muss, bevor man etwas bekommt, auf dem Amt zum Beispiel.
Die Deutschen sind auch sehr beschäftigt mit der Bürde des Zweiten Weltkriegs, mit der Schuld, die damit einhergeht. Das finde ich auch gut so. Es schlägt sich aber nieder in dem Verhalten, wie man sich selbst sieht, da gibt es eine gewisse Unsicherheit. Es ist ja ein Phänomen, dass hier oft Dinge erstmal von außen erfasst werden und als gut erachtet werden müssen, vor allem im kreativen Bereich, bevor die Deutschen es selbst merken. Das Selbstbewusstsein ist nicht so ausgeprägt, man ist skeptisch, auch den eigenen Leuten gegenüber. Die Musikerin Ace Tee musste den Hype erst im Ausland erleben, damit die deutsche Presse aufspringt und sagt: Das ist unser Mädchen. So etwas fällt mir immer wieder auf und da denke ich, dass man hier etwas mehr Selbstbewusstsein gebrauchen könnte, auch mehr Lockerheit.

© Eva Baales

© Eva Baales


Du warst Gastsängerin in Haftbefehls/Xatars Song „Lauf der Dinge“, in dem es heißt: „Es ist die Kugel im Lauf der Dinge, Warum der Kanake sich im Bau befindet“. Gibt es deiner Ansicht nach einen institutionellen Rassismus in Deutschland?

Denalane: Den gibt es insofern, als dass man durch die Staatsangehörigkeitspolitik bestimmte Ghettos geschaffen hat. Leute, die hierher gekommen sind, als „Gastarbeiter“, die hiergeblieben sind, Kinder bekommen haben, durften nicht deutsch sein. Es entstand ein Ausschluss, der Leute zum Teil in eine Ecke gedrängt hat – insofern gibt es eine institutionelle Ausgrenzung. Menschen, die eigentlich hier dazugehören, dürfen dann doch nicht dazugehören. Und es ist absolut bedrückend und frustrierend, in so einem Bewusstsein zu leben. Ich bin zwar mit deutschen Pass geboren, aber ich weiß genau, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören. Ich habe einfach nicht dieselben Merkmale wie die Mehrheit der Menschen in diesem Land und das führt im Zweifelsfall auch immer zu einem Ausschluss. Das ist schrecklich, das schlägt so tiefe Wunden – und die muss man irgendwie an einen Platz lassen. Man muss ja überleben.

Du singst über Ausgrenzung auch auf dem aktuellen Album, im Song „Zuhause“ – allerdings nicht plakativ oder anklagend, sondern eher subtil. Man muss schon genau zuhören…
Denalane: Das ist eine stilistische Frage. Ich wollte einfach ein Gefühl beschreiben. „Ich traf heute Freunde und sie sprachen über mich, ich glaub sie merkten es nicht, im leisen Satz Gewalten und die Worte brachten mich aus meinem Gleichgewicht“ – Damit wollte ich von dieser Beklemmung erzählen, wenn Leute Dinge sagen, die so eine Energie entwickeln, die so verletzend sind, ohne dass sie es merken.

Noch einmal zurück zu Haftbefehl: Die Welt, die er in vielen Songs darstellt, ist sehr düster. Kannst du mit diesen düsteren Beschreibungen etwas anfangen?
Denalane: Na klar, das ist ja ganz real. Es ist aber keine Welt, die man sich aussucht, sondern man rutscht da rein. Es gibt in Deutschland einfach viele Orte, die nicht nur schön sind, sondern die geprägt sind von Armut, Gewalt und von Überleben. Diese Realität hat man hier, glaube ich, auch viele Jahre verdrängt. Da ich solche Umgebungen kenne gibt es bei mir auch diese Nähe zu Haftbefehl oder Xatar. Das kenne ich sozusagen aus meinem eigenen Block-Leben. Ich habe keine Berührungsängste damit.

Ab welchem Alter dürfen deine Söhne Haftbefehl hören?
Denalane: Sie hören es jetzt schon. Wir waren nie die Eltern, die ihren Kindern verboten haben, bestimmte Musik zu hören. Im Gegenteil, wir bekommen dadurch ja auch Sachen mit. Es gibt aber Momente, wo ich dann sage: Das hier gefällt mir nicht, inhaltlich oder auch musikalisch. Und dann gibt es darüber Diskussionen.

Haftbefehl selbst sagt uns, dass Kinder unter 16 seine Musik nicht hören sollten.
Denalane: Also, ehrlich gesagt: Was auf dem Schulhof passiert, dass können weder Haftbefehl noch Eltern kontrollieren.

Du machst dir also keine Sorgen hinsichtlich der Gewalt-Inhalte?
Denalane: Was ich sehr schrecklich finde, sind die Gewaltvideos. Das finde ich furchtbar, vor allem wenn darin echte Live-Videos vorkommen, von realen Situationen.

Für ein Musikvideo von Haftbefehl (Teaser-Video zu „Russisch Roulette“) hat das Drehteam Junkies Geld für Drogen gegeben, damit sie vor der Kamera Crack konsumieren.
Denalane: Echt? So etwas ist natürlich sehr streitbar. Ich bin nicht für Gewaltverherrlichung, auf der anderen Seite kann ich aber auch nicht so tun, als gäbe es das nicht. HipHop war immer ein Sprachrohr der Unterdrückten, der Nichtgehörten, das ist die Uridee dahinter und das gibt es bei Haftbefehl auch. Damit muss man sich auseinandersetzen und wenn wir bei unseren Kindern etwas hören, was wir nicht gut finden, dann reden wir darüber. Haftbefehls Musik ist der Reality-Check den Deutschland aushalten muss. Und abgesehen davon ist Haftbefehl ein genialer Rapper, der sich abhebt von sehr vielen anderen Rappern, die in Deutschland erfolgreich sind.

Tourdaten:
20.04.2017    Gera, Comma  (@ SONGTAGE Gera)
21.04.2017    Erlangen, E-Werk
22.04.2017    Frankfurt am Main, Gibson Club
24.04.2017    Berlin, Astra
25.04.2017    Hamburg, Docks
26.04.2017    Köln, E-Werk
27.04.2017    Muenchen, Muffathalle
29.04.2017    Stuttgart, Im Wizemann
30.04.2017    Heidelberg, Karlstorbahnhof
01.05.2017    CH-Zürich, Kaufleuten
02.05.2017    Krefeld, Kulturfabrik

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