José James

Niemand braucht „Summertime“ nochmal aufzunehmen.

Unter den aufstrebenden Jazz-Sängern der letzten Jahre ist José James wahrscheinlich der vielseitigste. Mal singt er mit schlichter Klavierbegleitung, mal zu HipHop-Beats und E-Gitarren. Ein Gespräch über Nostalgie, das Label Blue Note, seinen aufgelösten Vertrag mit Verve Records, die Käseglocke Brooklyn und warum sich Sänger-Kollegen die Stimme ruinieren.

José James

© Shervin Lainez

Mr. James, draußen regnet es gerade in Strömen, daher zu Beginn die Frage: Was müsste passieren, damit jemand wie Sie „Singin‘ in the Rain“ interpretiert?
José James: Das würde ich nicht machen.

Warum nicht?
James: Weil das ein Klassiker ist. Die Szene im Film ist einer der besten Momente der Filmgeschichte. Warum sollte man so etwas Perfektes anrühren? Egal wie man es macht, es wird niemals an das Original herankommen. Was soll das bringen?
Ich glaube, so etwas machen die Leute nur, um Geld zu verdienen, es hat keine wirkliche Bedeutung. Und selbst wenn es eine hat, künstlerisch gesehen wird es nie so gut sein. Ein anderes Beispiel: Warum sollte man als Trompeter versuchen, das Album „Kind of Blue“ von Miles Davis neu aufzunehmen? Da kann doch nichts bei rauskommen.

Aber es gibt immer noch viele Sänger, die Gershwins „Summertime“ aufnehmen.
James: Und das ist grauenvoll! Niemand braucht „Summertime“ nochmal aufzunehmen. Lasst es einfach! Niemand wird es wieder so gut machen wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday oder Sarah Vaughan. Damals hat es den Menschen ja wirklich noch etwas bedeutet. Heute ist es nur noch Nostalgie.

Das heißt, wenn Sie einen Song aufnehmen, der in den 30ern, 40ern oder 50ern geschrieben wurde, geschieht das aus einer Nostalgie heraus?
James: Also, das Jazz-Standard-Album, das ich aufgenommen habe, war eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung gedacht. Das war nur zum Spaß – und dann wurde es veröffentlicht.
Mir persönlich hat es etwas bedeutet, aber ich erwarte nicht, dass es irgendjemand anderem etwas bedeutet. Das ist so eine Nischensache, zum Beispiel meine Version von „Simply Beautiful“ auf dem neuen Album, die ist nicht so gut wie das Original von Al Green. Aber sie bedeutet mir etwas. Das heißt, emotional gesehen, finde ich das gerechtfertigt – auch wenn das jetzt eine etwas eigennützige Begründung ist.

Also mehr als nur Nostalgie?
James: Ja. Aber was ich sagen will: Es ist nicht wichtig für die Musikwelt. Wenn mein Cover von „Simply Beautiful“ verschwinden würde, oder die Version von Maxwell – das wäre ok. Es ist doch viel wichtiger, dass Maxwell „Sumthin‘ Sumthin’“ geschrieben hat, oder dass ich „Trouble“ gemacht habe, das bedeutet mehr, als Al Green zu covern, künstlerisch gesehen.

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Viele Jazzmusiker haben die Fähigkeit verloren, ihre Musik mit den Menschen zu verbinden.

José James

Sie sind heute bei „Blue Note“ unter Vertrag. Haben Sie alte Blue Note-Platten zu Hause?
James: Ja, auf jeden Fall. In meiner Schulzeit waren das die Platten die ich gehört habe, neben HipHop und Rock. Thelonious Monk, Miles Davis, John Coltrane, Horace Silver, Art Blakey – der ganze Katalog ist fantastisch.

Haben die heutigen Blue Note-Veröffentlichungen denn noch etwas gemeinsam mit den den alten Aufnahmen?
James: Ja, zum Beispiel Dinge wie Innovation oder Gemeinschaft. Das, was der Blue-Note-Chef Don Was heute versucht, hat viel mit der Vergangenheit des Labels gemeinsam. Zum Beispiel nimmt er Sidemen unter Vertrag, wie meinen Trompeter Takuya Kuroda oder Robert Glaspers Bassisten Derrick Hodge.
Ein weiterer Punkt ist: Thelonious Monk oder Herbie Hancock haben viel eigene Originalsongs aufgenommen, es gibt auf Blue Note-Platten nicht so viele Standards. Und heute scheibt jemand wie Wayne Shorter ebenfalls seine eigenen Sachen, Norah Jones schreibt ihre Sachen, Robert Glasper und ich tun das genauso. Es geht bei Blue Note mehr um Komponisten, das gefällt mir.

Offenbar muss man bei einer Blue Note-Veröffentlichung heute auch mit E-Gitarren-rechnen, so wie bei Ihrem neuen Album „While You Were Sleeping“. Hat man heute mehr Freiheiten?
James: Ich denke schon. Blue Note ist zwar als Jazz-Label bekannt und es hat einen Jazz-Katalog. Aber wenn man sich die Sachen aus den 60ern und 70ern anhört, war das schon etwas ganz Anderes. Blue Note ist kein wirkliches Jazz-Label mehr seit den 90ern, seit Norah Jones, es hat jetzt ein viel breiteres Spektrum.

Sie hatten auch einen Vertrag mit Verve, den Sie jedoch aufgelöst haben, weil die Plattenfirma forderte, dass Sie „richtigen Pop“ machen, „weniger komplex und weißer“.
James: Ja, genau.

Was bedeutet „weiß“ in diesem Fall?
James: Die haben jetzt David Foster, der dort Alben produziert, das ist ungefähr so wie Michael Bublé – weißer geht’s nicht. Er ist supertalentiert, imitiert aber zu 100 Prozent Frank Sinatra. Und das war die Richtung, in die sie mit mir gehen wollten. Aber wenn man sich anguckt, wer dort noch unter Vertrag steht: Die haben all ihre schwarzen Musiker fallen gelassen: Christian McBride, Roy Hargrove, die sind alle weg.

Aufgrund ihrer Hautfarbe?
James: Nein. Ich sage nur, dass es ein weißes Label geworden ist. Die einzige schwarze Künstlerin, die noch bei Verve dabei war, als ich ging, war Ledisi. Alle anderen Künstler waren weiß. Das ist einfach Fakt.

Und der Sound sollte auch „weiß“ sein?
James: Ich kann nur sagen, dass sie von mir wollten, dass ich mehr Mainstream mache, massentauglicher werde. Wie Melody Gordot zum Beispiel. Aber das bin ich einfach nicht.

Und jetzt können Sie bei Blue Note machen, was Sie wollen?
James: Absolut. Sonst wäre ich nicht dort.

© Shervin Lainez

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Sie haben einmal Musiker wie Flying Lotus oder James Blake mit Duke Ellington und Thelonious Monk verglichen. Wo sehen Sie da die Verbindungen?

James: Ich denke, die Verbindung zu Flying Lotus ist, dass er die Musik schreibt und aufführt. Das ist die Verbindung zu jemandem wie Duke Ellington, denn die Musik kann sich bei jeder Show ändern. Ich sehe Flying Lotus definitiv in dieser Linie, er ist sozusagen ein direkter Nachfahre dieser Tradition von Musik und Komposition.

Das heißt, jemand wie Flying Lotus macht Jazz, nur mit einem anderen Instrument, dem Computer?
James: Na ja, ich würde es nicht Jazz nennen. Ellington hat ja auch aufgehört, diesen Begriff für seine Musik zu verwenden. Ich denke, es ist einfach Komposition, basierend auf einer gewissen kulturellen Erfahrung, die diese Musiker gemeinsam haben.

Kann man Jazz musizieren, ohne die Jazz-Geschichte zu kennen?
James: Ja, absolut. Ich weiß nicht, ob es gut wird (lacht) aber man kann’s versuchen. Man kann auch ein HipHop-Album machen, ohne etwas über HipHop zu wissen – und es wird wahrscheinlich schrecklich. Das ist doch generell so: Je mehr man über das weiß, was man tut, desto besser wird es. Kann man Nudeln zubereiten, ohne über Nudeln Bescheid zu wissen?

Doch vielleicht gilt dieser Grundsatz für Jazz mehr als für andere Musikrichtungen.
James: Das denke ich nicht. Ich finde es grundsätzlich gut, die Geschichte dessen zu kennen, womit du dich beschäftigst.
Ein Problem, dass ich bei vielen Jazzmusikern heute sehe, ist, dass sie die Fähigkeit verloren haben, ihre Musik mit den Menschen zu verbinden. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die eigentlich nur noch für Musiker spielt. Robert Glasper und ich reden oft darüber, dass wir für Menschen spielen, nicht für Musiker. Und es gibt tatsächlich eine Bewegung weg von diesem etwas inzestuösen „Füreinander Spielen“ unter der Käseglocke von Brooklyn. Wenn man sich die Auftritte bestimmter Musiker anguckt – dort sind auch im Publikum nur Musiker. Sicher, das ist auch wichtig, dass es das gibt, aber so es gelangt die Musik nicht in die Populärkultur. Doch das ist es, was jede Art von Musik am Leben hält: wenn Menschen die Musik mit zur Arbeit nehmen, sie im Zug hören oder sonntags beim Frühstückmachen.

Wie gelangen Sie mit Ihrer Musik dort hin, in den Alltag der Menschen?
James: Ich weiß es nicht, ich gehe auf Tour, treffe Menschen… Und ich glaube, dass der Sound eine wichtige Rolle spielt. Zum Beispiel, wenn ich in einer Band einen Kontrabass höre, dann ist es für mich eigentlich schon vorbei. Für mich müssen die Sachen zeitgemäß klingen. Ein zeitgenössisches Jazz-Album könnte ich mir gar nicht mehr anhören, wenn jemand den Sound der 1920er Jahre nimmt, um damit Musik von heute zu machen.

Das ist dann mehr wie ein Museum?
James: Ja, so ein bisschen. Ich finde, es muss sich entwickeln, so wie andere Kunst- oder Musikformen auch, es muss „fresh“ bleiben. Nehmen Sie Indie-Rock, auch wenn die Bands momentan die 80er Jahre wiederentdecken, so klingt es doch definitiv nach der Gegenwart. Dagegen klingen viele Jazz-Sachen heute so, als ob 1957 immer noch die Zeit wäre. Man bezieht sich immer wieder darauf und versucht, das wiederherzustellen. Ich denke, dass es Zeit ist, dass einige von uns sich weiterbewegen.

Aber um sich weiterzubewegen, muss man wissen, was damals passiert ist.
James: Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich kenne eine Menge Rapper, die die Geschichte des HipHop nicht kennen, die aber trotzdem „fresh“ sind.

José JamesSie waren ein Jahr auf der „New School for Jazz and Contemporary Music” in New York. Was haben Sie dort gelernt?
James: Nicht besonders viel, ehrlich gesagt. Nichts gegen die großartigen Lehrer dort, aber die meisten Leute gehen da nur wegen Kontakten hin. Ich glaube auch nicht wirklich, dass man Jazz lehren kann. Man kann Theorie unterrichten und vielleicht ein paar technische Dinge, aber das Beste ist, einfach zu spielen.
Es geht auf dieser Schule eher um die Gemeinschaft und darum, dass man von einander lernt. Ich konnte zum Beispiel mit Junior Mance und Chico Hamilton arbeiten. Das Studium ist eher eine Ausrede dafür, die ganze Zeit mit Musikern zu verbringen.

Aber wie haben Sie Ihre Stimme geschult?
James: Ich habe während meiner Schulzeit Gesangsstunden bei einem Lehrer für Operngesang genommen. Weil ich denke, dass die klassische Technik für jeden Musiker die beste ist. Auch jeder gute Jazz-Pianist, den ich kenne, hat die klassische Klavier-Technik gelernt. Daran kommt man nicht vorbei. Und ansonsten haben mich die vielen Shows geschult.

Wenn man Ihre Aufnahmen anhört, klingt es sehr natürlich. Steckt in Wahrheit viel harte Arbeit dahinter?
James: Ich denke, die normale Herangehensweise ist, dass man zu einem Stimmtrainer geht, der einem zeigt, wie man richtig atmet und wie man erreicht, dass es sich mühelos anhört. Viele Pop-Stars haben das nicht gelernt, Sänger wie Jamie Cullum, Adele oder John Mayer haben auf langen Tourneen ihre Stimmen kaputtgemacht, weil sie sie nicht aufgewärmt haben, weil sie nicht wussten, wie sie ihre Stimme schützen. Jamie Cullum hat einmal in seinem Blog darüber geschrieben: er hatte nie Gesangsunterricht, dann war er auf einer Riesentour und bekam eine Blutung an den Stimmbändern.
Wenn man eine gute Technik hat, ist es möglich, 200 Auftritte pro Jahr zu machen. Wenn nicht, ist es, als wenn man jeden Tag einen Marathon läuft, ohne zu wissen, wie das geht.

Wie sorgen Sie für Ihre Stimme?
James: Ich trinke Tee, keinen Alkohol, ich rauche nicht, ich esse gut, ich vermeide Milcherzeugnisse, ich mache jeden Tag Aufwärmübungen, ich schlafe so viel ich kann… Es ist halt dein Körper. Wenn du müde bist, ist deine Stimme müde. Ich habe früher getrunken und geraucht und man fühlt, was es mit einem macht. Es gibt einen Punkt, an dem man das als Berufsmusiker ernstnehmen muss. Ich will einfach singen bis ich 80 bin, wenn ich kann. Die Stimme zu verlieren, das fände ich beängstigend.

Haben Sie Ihre Stimme immer gemocht?
James: Nein, definitiv nicht. Ich habe sie bis vor ein paar Jahren nicht wirklich gemocht.

Wie hat sich das verändert?
James: Ich glaube, man wird einfach älter und muss sich irgendwann der Realität stellen: So klinge ich. Die Stimme ist etwas, das man nicht ändern kann. Und trotzdem machen Sänger das ständig. Sie zwingen ihre Stimme, anders zu klingen oder singen auf eine andere Art und Weise. Als ich das Album „No beginning, no End“ rausgebracht habe, war das für mich der Moment, wo ich mir gesagt habe: So bin ich als Sänger. Und damit fühle ich mich jetzt wohl.

Sie haben mal gesagt „Ich war ein echt seltsamer Junge, ich war auf einer katholischen Schule, ich war total rebellisch…“ Wo ist Ihre Rebellion heute, wenn Sie Jazz singen?
James: Ich glaube, ich bin jetzt konzentrierter. Ich habe ja jetzt eine Plattform. Wenn man rebelliert, liegt das daran, dass man keine Kontrolle hat, so etwas ist frustrierend, man wendet sich gegen eine vorherrschende Kultur, weil man sich gefangen fühlt. Man hat das Gefühl, dass die eigene Stimme nicht gehört wird. Aber heute wird sie das. Ich habe eine großartige Band, ich habe ein tolles Label – ich habe nicht mehr das Gefühl, von etwas Größerem kontrolliert zu werden. Die rebellische Energie stecke ich heute lieber in meine Vision und singe ordentlich.

Wenn man Sie heute für einen Grammy nominieren würde, welche Kategorie wäre Ihnen am liebsten?
James: Ahm, wie heißt das denn heute… Ich glaube, es gibt dort so etwas wie „Urban Alternative“, Frank Ocean hat in dieser Kategorie gewonnen **. Ich glaube, das steht für „Black Music“ mit einer Spur Elektronik, in der Kategorie wäre ich gerne.

Also nicht in der Kategorie Jazz?
James: Nein, nicht Jazz. Wobei: wenn man ihn mir gibt, dann nehme ich auch den Jazz-Grammy.


** tatsächlich heißt die Kategorie „Urban Contemporary“

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