Jonathan Demme

Es gibt eine weit verbreitete Frustration darüber, dass überhaupt kein Dialog mit der Bush-Administration möglich ist.

Regisseur Jonathan Demme über seinen Film „Heart of Gold“, die Zusammenarbeit mit Neil Young und die Frustration der guten Amerikaner

Jonathan Demme

© Filmfest München

Demme: Haben Sie schon einmal von Pianorama gehört?

Nein.
Demme: Das sind zwei Pianisten, die ich gestern hier auf der Straße spielen gehört habe. Schwarze Anzüge und Krawatten, nebeneinander am Klavier – und dann haben sie diese unglaublichen Duette gespielt, auch über Kreuz. Die sind so toll! Sie müssten eigentlich lokale Superstars sein. Also: Augen auf, achten Sie auf Pianorama! Wenn die nicht bald entdeckt werden, dann werde ich sie vielleicht in meinen nächsten Spielfilm einbauen. Da gibt es auch eine Hochzeitsszene, das könnte passen.

Sie haben immer schon Ihre Leidenschaft für Musik mit Ihrem Beruf des Regisseurs verbunden und mit Rocklegenden wie Bruce Springsteen, den Talking Heads oder John Cale gearbeitet. Wann begann Ihr Interesse an Musik?
Demme: Ich hing als Junge immer am Radio, das war die Zauberkiste für zu Hause. Ich wuchs mit ihr auf und liebte Musik sehr. Als ich dann meinen ersten Film „Caged Heat“ (dt. Titel: „Das Zuchthaus der verlorenen Mädchen“) drehen konnte, war das Budget sehr, sehr niedrig, aber ich wollte, dass die Musik so hip wie möglich wird. Einige Zeit zuvor hatte ich John Cales Album „Vintage Violence“ entdeckt, das mich wirklich umgehauen hatte. Es hörte sich eigentlich wie ein Kapitel einer ganzen Geschichte an. Ich rief ihn an, um zu fragen ob ich Recht hätte, ob es vielleicht einen Film zum Album geben würde. Das war zwar nicht der Fall aber wir tauschten uns über Filmideen aus und als ich ihm dann später bat, die Musik für „Caged Heat“ zu komponieren, war er so sehr an dem Film interessiert, dass er es sogar umsonst machte. Gut zehn Jahre später habe ich ihn dann gebeten die Hälfte der Songs zu meinem Film „Something Wild“ (dt. Titel: „Gefährliche Freundin“) beizusteuern. Die andere Hälfte sollte von Laurie Anderson kommen und ich ging davon aus, dass seine Hälfte die düstere, beängstigende Musik und ihre Hälfte die süße, einfache Musik werden würde. Es kam allerdings genau umgekehrt. (Lacht)

Wie kam es zu „Heart of Gold“, der von ein paar Dokumentaraufnahmen zu Beginn abgesehen, eigentlich ein gefilmtes Konzert ist?
Demme: Wir tun nur so, als würden wir ein Konzert filmen. So wie im Film hat es allerdings nie stattgefunden. Diese Show wurde nur zweimal gegeben, wir haben übers Radio Tickets verlost, um Zuschauer im Auditorium zu haben, aber alles wurde in erster Linie für die Kamera inszeniert. Kostümbildner haben jeden auf der Bühne eingekleidet. Bis zu den Hintergrundprojektionen haben wir alles nur für diesen Film designt. Wir wollten eine Art perfektes Traumkonzert inszenieren mit dem Ziel, so die emotionale Intimität, das Potential jedes Songs so gut einzufangen wie nur möglich.

Wie erreicht man es, diese Intimität in Bilder umzusetzen?
Demme: Die erste Version des Films hatte nur 20 Schnitte. Wir haben zunächst jeden Song nur mit Nahaufnahmen der Musiker gezeigt, so intim wie möglich. Und dann fingen wir an, die weiteren Perspektiven dazu zu schneiden. Aber nur, wenn in diesen Einstellungen etwas wirklich Interessantes passierte. Wenn Du ein Konzert besuchst, konzentrierst du dich auch in der Regel auf eine Person auf der Bühne; nur gelegentlich schweift dein Blick ab, du schaust dir das gesamte Bühnengeschehen an, dann konzentrierst du dich wieder. Dieses Gefühl wollten wir im Film nachstellen. Wir wollten keinen hektisch geschnitten Videoclip drehen, wo die Kamera rumsaust, wie eine nervöse Fliege, was der Stil der meisten modernen Konzertaufzeichnungen ist. Es gab eine sehr intensive Zusammenarbeit mit den Kameramännern, ich war während der ganzen Drehzeit über Headset mit ihnen verbunden, um die schönsten Bildkompositionen zu finden.

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In diesen unruhigen Zeiten kann sogar einen Musikfilm einen erwachsenen Mann zum Weinen bringen.

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Nochmal zurück zur Frage, wie es zu der Zusammenarbeit mit Neil Young kam. Haben Sie ihn zum ersten Mal getroffen, als er einen Song für Ihren Film „Philadelphia“ schrieb?
Demme: Wir haben uns damals nicht einmal getroffen. Der Kontakt ging nur über das Telefon. Für uns beide war das trotzdem eine positive Erfahrung und seitdem bekomme ich Freikarten für jedes Konzert, das er in New York gibt. So trafen wir uns schließlich persönlich und ich drehte die Aufnahmen seines Albums „Sleeping with Angels“ auf Video (erschienen als „Complex Sessions“, Anm. d Red). Dann planten wir, bei der Verfilmung seines Konzeptalbums „Greendale“ zusammenzuarbeiten. Aber ich war damals zu sehr mit dem Remake von „Der Manchurian Kandidat“ beschäftigt. Ein Jahr später rief ich ihn wieder an und fragte: „Neil, hast du etwas, was man filmen kann?“ Er schickte mir seine neuen Songs für das Album „Prairie Wind“ und wir entwickelten das Konzept zu diesem „Traumkonzert“, bei dem man nun zu Anfang gezwungen wird, sich ausschließlich auf die neuen Songs zu konzentrieren, um dann einigen der alten Klassiker, wie „Heart of Gold“ mit höherer Konzentration und aus einer neuen Perspektive zu begegnen.

Seitdem hat Neil Young das deutlich politische Rockalbum „Living with War“ herausgebracht. Wie lässt sich das im Zusammenhang mit der eher beschaulichen Feier der amerikanischen Musiktradition in „Heart of Gold“ einordnen?
Demme: An unserem Projekt hat mich auch begeistert, dass wir es an diesem heiligen Ort der Countrymusik, im Ryman Auditorium in Nashville realisiert haben. Nashville und der Countrymusik wurden niemals die Liebe und der Respekt zuteil, den sie verdienen. Unser Film feiert diesen Ort und seine Tradition in einer fast schamlosen Weise, denn das was man da sieht, ist das „Gute Amerika“, es geht um Zusammenhalt in der Familie und im Gemeinwesen, um Liebe und Frieden. Dieses Amerika existiert, ist Leuten wie Bush aber nicht besonders gut bekannt und spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Dort geht es nur noch um Paranoia, Krieg und Stärke, die man zeigen müsse. Da sehe ich eine wundervolle subversive Qualität in diesem Film und seine Liedern. Es gibt immer wieder Amerikaner im Publikum, die zu weinen anfangen, wenn sie diese Songs hören, die von ihnen wirklich tief berührt werden. Ich wollte eigentlich dem Film einen Satz voranstellen: „In diesen unruhigen Zeiten kann sogar einen Musikfilm einen erwachsenen Mann zum Weinen bringen.“ Alle anderen fanden diese Idee schrecklich. (lacht) Aber ich denke, der Satz erklärt, warum dieser Film für manche so bewegend ist.

Das Album „Living with War“ war dagegen eher ein Aufschrei der Wut.
Demme: „Living with War“ formulierte endlich die Gefühle vieler Amerikaner, die durch alle Schichten hindurch einen regelrechten Hass auf Bush entwickelt haben. Es gibt eine weit verbreitete Frustration darüber, dass überhaupt kein Dialog mit der Bush-Administration möglich ist. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es überhaupt nichts bewirkt hat. Ich hatte den Traum, dass diese Platte wirklich kontrovers diskutiert werden und vielleicht einige Dinge anstoßen würde. Aber das ist nicht geschehen. Als Platte ist „Living with War“ gut gelaufen, als politisches Statement spielte sie keine Rolle. Und ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als Protestsongs relevant waren und wir viel Energie durch Protestsongs bezogen. Diese Energie wurde damals in einen Lebensstil umgeformt und das findet heute nicht mehr statt. Das Leben und die Musik scheinen zurzeit keinen wirklichen Einfluss aufeinander zu haben.

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