Jennifer Baichwal

Wir sollten überall bewusster mit Wasser umgehen.

Für Ihren Film "Watermark" drehte die kanadische Filmemacherin Jennifer Baichwal auf mehreren Kontinenten und dokumentiert nun mit faszinierenden Bildern die universelle Bedeutung von Wasser für den Menschen. Ralf Krämer sprach mit der Regisseurin über vergiftete Flüsse und einsame Surfer, 'Bottled Water', ihren Weg zum Film und nutzlose Bildung.

Jennifer Baichwal

© Jim Panou

Jennifer Baichwal, Sie haben ursprünglich Theologie und Philosophie studiert und sind dann Filmemacherin geworden. War das für Sie ein Bruch mit Ihrer Ausbildung oder haben Sie im Film Ihr Medium als Wissenschaftlerin gefunden?
Jennifer Baichwal: Als ich damals an meinem Doktor in Philosophie schrieb, war mein Thema „Das Konzept der Sünde in der US-amerikanischen Theologie und welche Kritik der Feminismus an ihm übt.“ Irgendwann sagte ich zu mir selbst: Diesen Text werden gerade mal drei Leute lesen: Ich, ein Lektor und mein Professor. Auf einmal kam mir diese Art von Forschung viel zu rigide vor. Es schien mir reine Zeitverschwendung zu sein. Und wenn wir ehrlich sind, ist vieles von dem, was wir Höhere Bildung nennen ziemlich nutzlos. Mittlerweile wird mir aber auch von Film zu Film immer klarer, dass alles, womit wir uns intensiv beschäftigen, unsere Arbeit formt. Ganz vergeblich war mein Studium also nicht. (lacht)

Wie kamen Sie dann darauf, Filme zu drehen?
Baichwal: Ich dachte, es muss auch einen anderen Weg geben, die selben Fragen, die ich mir in meinem Studium gestellt habe, zu untersuchen. Fragen der Identität, der Ethik, dess Sinns und so weiter. Mir wurde klar, dass ich meinen ersten Film machen werde und dass sich in ihm Frauen selbst beschreiben sollten. Es ging um die Unmöglichkeit einer persönlichen Identität oder auch nur um die Unmöglichkeit der Beschreibung einer persönlichen Identität. Ich lernte das Filmemachen beim Filme machen. Ich lernte durch meine eigenen Fehler und das waren schrecklich viele. Aber ich wusste, ich habe gefunden, was ich machen wollte. Die Kombination von Text und Bild in der Zeit – das kann extrem kraftvoll sein. Intellektuell und emotional.

Apropos Text – ist Ihnen der in Ihrem neuen Film „Watermark“ irgendwann abhanden gekommen?
Baichwal: (Lacht) Ein Freund von mir hat mal gesagt: „Alte Regisseure sterben nicht, sie werden zu Kameramännern.“ Das klingt erstmal witzig, aber es ist auch vieles Wahres dran. In der Tat sind wir dieses Mal sehr sparsam mit dem gesprochenem Wort. Wir haben einfach das Erzählerische dem Visuellen überlassen.

Jennifer Baichwal beim Dreh in der Nähe der Sacred Headwaters (Kanada) © Mike Reid

Jennifer Baichwal beim Dreh in der Nähe der Sacred Headwaters (Kanada) © Mike Reid


„Watermark“ ist eine Hymne auf die Kraft des Wassers und handelt zugleich davon, wie der Mensch diese Kraft nutzbar macht, bisweilen ohne Rücksicht auf Verluste. Da hätten Sie viele wissenschaftliche Erkenntnisse unterbingen können.

Baichwal: Ich werden Ihnen ein Beispiel geben: Wenn wir zum Beispiel die Impressionen von der Surfer-Meisterschaft am Strand von Kalifornien mit den Aufnahmen der Kumbh Mela kontrastieren, jener Hindu-Zermeonie, zu der sich alle zwölf Jahre Millionen Inder am Ganges treffen um sich zu waschen, dann brauchen diese Bilder keine zusätzlichen Informationen. Das ist wohl auch meine Art von Rebellion gegen die traditionelle Machart von Dokumentarfilmen. Wir haben didaktisch zu sein, eine bestimmte Botschaft zu transportieren – diesen Anspruch finde ich sehr unbefriedigend.

Sie wollen dem Zuschauer die Reflexion überlassen?
Baichwal: Es geht darum, dem Zuschauer seine eigene Sichtweise zu erlauben. Als wir in Dhaka den Flusswächter interviewt haben, gingen wir mit ihm am Ufer spazieren und er zählt uns jedes einzelne Gift auf, das durch die dortigen Gerbereien in den Buriganga abgelassen wird. Darunter sind hochgradig krebserregende Chemikalien. Diese Szene war kraftvoll, sehr informativ. Aber ich hatte das Gefühl, dass irgendwas damit nicht stimmte. Und dann sahen wir, wie wenige hundert Meter weiter die Menschen ganz selbstverständlich mit diesem Fluss leben. Es gibt keinerlei Strafen für diese Firmen die ihre Abwässer nicht klären, aber ein Vater steht dann da in diesem Fluss und wäscht seinem Sohn ganz sorgfältig die Haare, die Hände, und dann schöpft er ein bisschen Wasser aus dem Fluss und wäscht sein Gesicht. Das hatte nach den Bildern vom ungefilterten Abwasser viel mehr Kraft. „Lieber zeigen als erzählen.“ Wir haben dieses Prinzip in diesem Film sicher ein bisschen weit getrieben. Aber ich bin sehr froh, dass wir das getan haben. Wir wollten dem Zuschauer eine eher meditative Erfahrung bereiten.

Aber birgt das nicht auch die Gefahr, dass der Zuschauer sich zu einer rein ästhetischen Wahrnehmng verleiten lässt und alles, was er als schön empfindet positiv bewertet während er so ein monströses Bauwerk wie den Xiolangdi-Staudamm verdammt?
Baichwal: Ich stimme nicht zu, dass wir das Schöne als gut und das Hässliche als schlecht per se zeigen. Es gibt keine Wertungen in diesem Film. Ich verurteile nicht. Ich sage auch nicht: Oh, diese Surfer, die wir da gefilmt haben, sind so oberflächlich und die Indianerin auf dem trockenen Flussbett ist total tiefgründig. Das sind einfach zwei verschieden Arten wie wir mit dem Wasser kommunizieren. Und wenn wir vom Surfen sprechen: Die existentielle Einsamkeit, die ein Surfer verspüren muss, da draußen, ganz allein in der Mitte dieser Wasserwüste, dieser großen Kraft, wer kann da behaupten, es ginge nur um oberflächliches Vergnügen? Na klar, man kann angesichts des Xiolabgdi-Staudamms sagen: Oh Gott, das sind die dunklen satanischen Kräfte unseres Zeitalters!

Das klingt, jetzt aber wieder sehr theologisch…
Baichwal: (Lacht) Sie haben Recht. Aber bei dem Begriff „Dunkle satanische Mächte“ muss ich eher an Industrialisierung und an Kohlekraftwerke denken. Diese chinesischen Wissenschaftler haben begriffen, dass sie ihre Luft reiner halten müssen. Sie sehen in der Wasserkraft eine grüne Energie und das ist sie ja auch. Sie hat ihre eigenen Probleme, keine Frage. Aber das ist eben ein sehr komplexes Feld und es hilft uns nicht, wenn wir wir so tun, als wären die Dinge einfach. Wer Komplexität vermeidet, wird didaktisch.

Im letzten Jahr lief der Film „Bottled Life“ in unseren Kinos, in dem die Geschäfte des Nestle-Konzerns mit abgepacktem Trinkwasser angeprangert werden. Wäre das auch ein Thema für Sie gewesen?
Baichwal: Oh, lassen Sie mich gar nicht erst von Nestle anfangen. Die haben eine Abfüllfabrik bei mir in der Nachbarschaft. Sie zapfen einfach das Grundwasser ab, packen es in Plastikflaschen und verkaufen es zu ihren Preisen. Dagegen gibt es sogar bei uns Proteste, obwohl wir in Kanda nun wirklich mit einem der reichsten Grundwasservorkommen der Welt gesegnet sind. Aber in anderen Ländern, wo Nestle auf diesem Weg mittlerweile die Preise der Trinkwasserversorgung kontrolliert und nach ihrem Profit ausrichtet, zeigt sich noch viel drastischer, wie verbrecherisch diese Firmenpolitik ist. Es gibt selbstverständlich noch viel mehr zum Thema Wasser zu sagen, aber wir mussten uns eben beschränken.

Wenn Sie als Filmemacherin auch nicht didaktisch sein wollen, könnten Sie es jetzt in diesem Interview werden. Was hat die Arbeit an „Watermark“ an Ihrem eigenen Verhältnis zum Wasser geändert?
watermark plakatBaichwal: Es hat alles verändert. Ich konnte gar nicht anders, als zu realisieren, wie wertvoll Wasser ist. Es ist so ein Klischee das zu sagen, aber Wasser ist Leben. Wenn uns eines Tages das Öl ausgehen sollte, das wird schrecklich. Es wird unser Leben komplett verändern. Aber wir werden nicht sterben. Wenn uns das frische klare Wasser ausgeht, werden wir sterben. Punkt. Das ist die Botschaft.

Etwa 70% des Wassers wird in der Landwirtschaft verbraucht. Sollten wir uns also vor allem über unsere Ernährung Gedanken machen?
Baichwal: Wir sollten uns immer Gedanken machen. Wenn wir duschen, wenn wir die Toilettenspülung betätigen. Bottled Water muss verboten werden. Und wir sollten Obst und Gemüse dort wachsen lassen, wo die Natur sie hergibt. Wir sollten überall bewusster mit Wasser umgehen.

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