Jamie Cullum

Pop und Jazz sind schwierige Verbündete.

Jamie Cullum über seinen Weg zum Jazz, Hits und Hooks und die Leichtigkeit auf der Bühne

Jamie Cullum

© Deborah Anderson

Jamie, in unserem letzten Interview 2006 hast du gesagt, dass der Popstarkult für dich nicht sonderlich attraktiv ist. Hat sich das inzwischen geändert?
Cullum: Nein, nicht wirklich. Ich denke, die Popularität ermöglicht dir einfach, mehr Musik zu machen, sie öffnet die Tür sozusagen noch weiter, um das fortzuführen, was du machen willst, im professionellen Sinn. Ich meine, nichts wird mich dazu bringen, mit der Musik aufzuhören. Punkt.
Erfolg zu haben in einem größeren Markt…

…du bist immerhin für das aktuelle Album „The Pursuit“ in deiner Plattenfirma von der Jazz- in die Popabteilung gewandert…
Cullum: Ja, aber auch als ich noch im Jazz-Department war, habe ich gewissermaßen den Massenmarkt angesprochen. Ich denke auch, dass dieser Wechsel mehr damit zu tun hatte, was bei Universal geschieht und weniger mit mir. Mein jetziges Album ist ja kein Pop-Album. Es ist poppy – aber auch jazzy.

Das ist ja ein Punkt, der in vielen Artikeln über dich thematisiert wird, deine Avancen zum Pop. Nicht selten werden Jazz-Musiker dafür kritisiert, wo man sich manchmal fragt: Warum eigentlich?
Cullum: Ich weiß genau warum. Pop und Jazz sind eben sehr schwierige Verbündete. Im Kern haben sie Eigenschaften, die eigentlich nicht zusammen funktionieren: Pop ist direkt, einprägsam und Wegwerfware. Jazz dagegen bedeutet inhaltliche Tiefe, Improvisation, Unvorhersehbarkeit – also etwas, was nicht einfach ist, wofür du ein Verständnis entwickeln musst. Diese Dinge zusammen zu bringen, das ist so, als würdest du einen eckigen Gegenstand in ein rundes Loch pressen wollen….
Meine Liebe zum Jazz entstand ja durch den Funk der 70er, Sachen von Herbie Hancock oder auch Samples, die im HipHop benutzt wurden. D.h. ich bin zum Jazz durch ein bisschen andere Wurzeln gekommen. Für mich waren Pop und Jazz nie so getrennt.
Aber klar, wenn du mit Louis Armstrong aufgewachsen bist, mit Miles Davis und John Coltrane – dann ist es schwierig zu verstehen, warum zum Beispiel auch „The Neptunes“ gut sind, und warum Beyonce, Timbaland und sogar bestimmte Songs von Britney Spears gut sind. Weil es so anders ist. Für mich ist es einfach der Versuch, verschiedene Dinge zusammen zu bringen, die ich liebe.

Pop ist Wegwerfware, im Jazz werden dagegen bis heute die Standards des Great American Songbook gespielt. Haben Jazz-Standards heute noch Hit-Potential?
Cullum: Ich selbst denke eigentlich gar nicht im Sinne von Hits. Die Frage müsste man vielleicht Michael Bublé stellen, er nimmt Standards ja im Stil von Hits auf. Ich neige eher dazu, diese Songs auf gewisse Art kleiner zu machen. Der Song „If I ruled the world” gesungen von Tony Bennett, das war ein großes Ding, ich habe daraus ein kleines Stück gemacht.

Warum?
Cullum: Das ist einfach ein Sound, der mich anspricht, diese Art von Jazzanova-trifft-Portishead-Stil.

Was sind die Standards von heute?
Cullum: Es gibt kaum welche. Ich würde sagen „Crazy“ von Gnarls Barkley wurde zum Standard, ich denke, die Leute werden das noch viele Jahre singen.
Die Sache mit den Standards ist ja auch, dass Leute wie Jerome Kern und Gershwin sie als Teil eines Genres geschrieben haben, für die Welt des Musical-Theaters. Popsongs heute werden nicht mit diesem Gedanken geschrieben. Daher ist es schwer, sie zu vergleichen.

Versuchst du manchmal, Hits zu schreiben?
Cullum: Also, ich würde eigentlich nie sagen, dass ich versuche, einen Hit zu schreiben. Ich würde auch nie behaupten, dass ich wüsste, wie man einen Hit schreibt. „I’m All Over It” wurde einer, aber eher zufällig.

Wie ist deine Definition eines Hits?
Cullum: Etwas, was überall im Radio gespielt wird und von 100.000 Leuten gesungen wird.

Aber warum?
Cullum: Weil es einen Hook hat, der sofort in deinen Kopf geht, wenn du es das erste Mal hörst. So wie Kylie singt „Can’t get you out of my head“.

Das heißt, das Wichtigste ist der Hook.
Cullum: Ja. Ich denke, in der Popmusik dreht sich alles um den Hook. Nehmen wir Kings of Leon – sie sind jetzt keine Popband, aber „Sex On Fire“ war ein großer Hit. Weil jeder singen konnte (fängt an zu singen) „Oh, your sex is on fire“ Das ist ein Hook!

Meist ja nur ein sehr kleiner Abschnitt…
Cullum: Es kommen dann auch viele andere Dinge dazu, das ist ein ganzes Bündel. Bei Hits hat man dieses unleugbare Gefühl, dass man denkt, den Song schon mal vorher gehört zu haben, er ist Teil von dir, sobald du ihn gehört hast, das geschieht direkt in dem Augenblick, wie eine sofortige Erfüllung. Mal steckt die Feinheit dahinter, mal die sehr direkte Art. „The Answer My Friend Is Blowing In The Wind” ist ein Hit und es ist und ein großartiger Popsong. „I’m Too Sexy“ von Right Said Fred ist es nicht, aber auch das war ein Hit, aus verschiedenen Gründen. Der Song hat immer noch etwas, dem du dich nicht entziehen kannst.

Geht deine Beschäftigung mit Musik eigentlich viel über das reine Musizieren hinaus?
Cullum: Ich lese viele Biographien von Musikern. Ein großer Teil meiner Bibliothek sind Biographien. Ob Tom Waits, Duke Ellington, Bob Dylan oder James Brown, ich liebe es, über das Leben anderer Musiker zu lesen. Einerseits weil ich die Welt verstehe, in der sie leben, andererseits aber auch, weil ich nur wenig von der Welt weiß, in der sie leben. Die Welt in der James Brown Musik machte unterscheidet sich sehr von der, in der ich heute Musik mache. Das ist faszinierend.

Zitiert

Pop ist direkt, einprägsam und Wegwerfware. Jazz dagegen bedeutet inhaltliche Tiefe, Improvisation und Unvorhersehbarkeit.

Jamie Cullum

Was zum Beispiel ist faszinierend?
Cullum: Ich lese gerade die Biographie von Quincy Jones, der auch über die Zeit schreibt, als er Songwriter fürs Fernsehen war, engagiert von einem TV-Sender, wo er in einem Büro saß, neben ihm all die anderen Songwriter – und alle produzieren am Laufenden Band Musik. Tag für Tag. Wo ich denke, was für eine große Disziplin das war, jeden Tag zur Arbeit ins Büro zu gehen und Partituren zu schreiben.

Wie eine Fabrik…
Cullum: Ja, und das ist eine Welt, die so nicht mehr existiert. Es war vieles anders. Wenn du ein Album aufgenommen hast, hat das bis zum Tag der Veröffentlichung niemand gehört – heute steht dein neues Album im Netz bevor es überhaupt rauskommt.

Macht dir das was aus?
Cullum: Ach, du musst mit der Zeit gehen. So ist es halt, die Zeiten ändern sich, damit musst du eben umgehen.

Du nimmst immerhin noch ganze Alben auf.
Cullum: Ja, aber so etwas wird offensichtlich bald der Vergangenheit angehören.

Diese musikalische Fabrikarbeit, kannst du der persönlich etwas abgewinnen?
Cullum: Weiß ich nicht. Ich mag zumindest die Idee der Disziplin dabei.

Würdest du dich als selbstdiszipliniert bezeichnen? Auf der Bühne sieht es bei dir jedenfalls nicht so aus, als würdest du jeden Tag stundenlang dafür üben…
Cullum: Ein Teil des Musikerseins, des Entertainerseins, besteht ja darin, es möglichst mühelos aussehen zu lassen. Und es braucht lange Zeit, diese Art von Leichtigkeit auf der Bühne zu entwickeln, so dass die Leute denken: „Ah, er macht das einfach so.“ Natürlich habe ich Stunden, Monate, Jahre am Klavier verbracht und versucht, das zu perfektionieren.

Welche Rolle spielen musikalische Vorbilder für dich?
Cullum: Wenn du jung bist, lernst du, in dem du kopierst. Ich habe Kurt Elling gehört und Jon Hendricks, habe sie kopiert, ich habe Kurt Cobain gehört, ihn kopiert…

Was hast  du von Kurt Cobain kopiert?
Cullum: Songs, Gitarren-Akkorde, sein Schreien, sein Sound…. Ich habe Harry Connik Jr. kopiert, Ben Folds – ich habe vor Leuten gespielt, die dann zu mir kamen und meinten, „du klingst wie Harry Connick Jr.“.
Dann wirst du älter und fängst an, deinen eigenen Stil zu entwickeln. Man hört dann noch die Einflüsse aus der Vergangenheit, aber du bist die eigene Musikerpersönlichkeit geworden.

Wenn du einen Jazz-Sänger hörst, kannst du an der Stimme die Hautfarbe erkennen?
Cullum: Weiß ich nicht, das ist nichts, woran ich in dem Moment denken würde. Wahrscheinlich könnte ich dir ganz konkret sagen, wer der Sänger ist. Es gibt nicht viele Jazz-Sänger, wo ich beim Hören nicht sofort wüsste, wer es ist. Aber ich bin halt auch ein Musikfreak, ich sollte so was auch erkennen.

Glaubst du denn, dass ein stimmlicher Unterschied auch von der Herkunft eines Sängers herrührt?
Cullum: Ich denke, es gibt auf jeden Fall Stimmen, die unüberhörbar schwarz klingen, Donny Hathaway oder Stevie Wonder zum Beispiel. Aber dann haben Leute diese Beobachtung auf alle angewendet, was nicht funktioniert, sie hören heute Amy Whinehouse und denken, sie ist schwarz. Ich denke auch: sie klingt wie Lauryn Hill. Also, es gibt da meines Erachtens keine allgemeingültige Regel. Für mich klang zum Beispiel Johnny Hartman immer weiß.

Was kann ich in deiner Stimme hören?
Cullum: Die Musik, die mich mein ganzes Leben fasziniert hat. Wenn du „The Pursuit“ hörst, dann hörst du jemanden, der mit Count Basie aufgewachsen ist, mit den Red Hot Chili Peppers, mit Q-Tip und James Taylor. Du hörst ein Kind, das groß geworden ist – und Musik war seine Rettung.

Rettung wovor?
Cullum: Ach, einfach nur vom Kindsein. Wenn du ein Kind bist, dann bist du neurotisch, noch nicht selbstbewusst genug. Du weißt nicht, was aus dir wird, was du machen wirst. Ich habe Musik gefunden und sie gab mir diese Stütze…

Was haben deine damaligen Altersgenossen gemacht?
Cullum: Manche waren die Fußball-Kids, andere die gut aussehenden Kids, wieder andere sind dem Alkohol und den Drogen verfallen. Und ich war das Musik-Kid. Ich habe Jimi Hendrix entdeckt – und dann war’s geschehen.

Zum Schluss: Wie erklärst du einem Außerirdischen das Phänomen Jamie Cullum?
Cullum: Also, das wäre sicher nicht das Erste was ich einem Außerirdischen erzähle. Das ist auch eine Frage, die ich kaum beantworten kann. Ich würde sagen: Er ist ein Musiker, der in erster Linie das macht, was er will.
Aber es nicht meine Aufgabe, mich selbst zu definieren. Als Journalist ist das dein Job.

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