James Wan

Wenn die Leute sagen, ich habe ekelhafte Ideen, sehe ich das als Kompliment.

James Wan über seinen Film "Insidious", seinen Ruf als Folterporno-Regisseur, die Funktion von Horrorfilmen und die Brutalität der "Saw"-Reihe

James Wan

© Central Film

Ein paar Anmerkungen zum Interview mit James Wan gibt es hier.

Mr. Wan, können Sie sich erinnern, wann Sie sich das letzte Mal in einem Horrorfilm die Augen zugehalten haben?
Wan: Wenn es sehr brutal wird, dann mache ich das oft, ich bin da schon sehr schreckhaft. Wenn ich sehe, dass es grausam und ekelhaft wird, schließe ich die Augen – und da ich solche Filme hin und wieder angucke, ist das bei mir keine Seltenheit. Der letzte Film, der so auf mich gewirkt hat, war „Frozen“. Ich saß im Kino, bin ständig zusammengezuckt, ich habe das nicht ertragen, was mit den Figuren im Film passierte, das anzusehen war sehr schmerzhaft, mir ist dabei schlecht geworden.
Etwas Anderes ist es, wenn ich in einem Film aus purer Angst die Augen schließe. Das ist schon eine Weile her, ich glaube das war in „The Others“. Nicole Kidman und all die angsteinflößenden Dinge um das Haus herum, das großartige Set-Design… Die Spannung war so stark und ergreifend, dass ich nicht zur Leinwand schauen konnte.

Wann haben Sie Ihren ersten Horrorfilm gesehen?
Wan: Da war ich glaube ich sieben Jahre alt – und es hat mich ziemlich geprägt. Am meisten gefürchtet habe ich mich bei „Der weiße Hai“ und „Poltergeist“. „Der weiße Hai“ hat mir Angst vor dem Ozean eingejagt, die Haie haben mich erschreckt und fasziniert, und nach „Poltergeist“ hatte ich Angst vor Clowns und Puppen.

Haben Horrorfilme Ihrer Meinung nach eine Funktion in unserer Gesellschaft?
Wan: Ich denke, es funktioniert einerseits es als Entertainment, die Leute mögen es, wenn man ihnen Angst einjagt, das ist wie eine Achterbahnfahrt. Es macht Spaß, erschreckt zu werden, in einer beschützten und kontrollierten Umgebung. Die Leute gehen sozusagen bis zur Klippe, fallen fast herunter, dann aber doch nicht, weil sie einen Sicherheitsgurt umhaben. Das ist wie Bungee-Jumping, erst der lange, freie Fall, du machst dir in die Hosen, hast keine Kontrolle – doch dann hält dich das Seil und bringt dich in Sicherheit. Ein Teil von dir sucht diese Aufregung, den Adrenalinkick.
Zum anderen können Horrorfilme als Kommentar funktionieren, auf die Gesellschaft und die Welt in der wir leben. Es ist das einzige Genre, in dem du Sozialkritik üben oder ein politisches Statement abgeben kannst, ohne dass die Leute sich gleich über dich aufregen, weil sie es einfach als einen Horrorfilm abtun. Einige der besten Filme des Genres haben Sozialkritik geübt und die Zeit, in der sie entstanden, reflektiert. Ich habe das zum Beispiel bei George Romeros „Night of the Living Dead“ bemerkt, den ich mir letzte Nacht angeguckt habe.

Ist es für Sie auch wichtig, im Film eine Aussage, einen Kommentar unterzubringen?
Wan: Ich denke es ist wichtig, bei allem was du machst, so etwas wie ein Thema zu haben, etwas, was du damit sagen willst. Es muss nicht gleich dieses „ich-mache-jetzt-ein-großes-Statement“ sein, sondern kann auch etwas Kleines sein, was für dich persönlich eine Bedeutung hat. Bei meinem aktuellen Film „Insidious“ ging es mir in erster Linie um die Ängste der Kindheit, den Verlust der kindlichen Unschuld, das Aufwachsen. Für Leigh, den Drehbuchautoren, ist es dagegen eine Geschichte über das Älterwerden und wie wir damit umgehen.

Die Kinder in „Insidious“ sind sehr angsteinflößend. Ist der Mensch für Sie eher von Grund auf gut oder böse?
Wan: Oh… (lacht) Für mich ist der Mensch mehr durch seine Umwelt bestimmt als durch seine Anlage. Sicher werden wir mit einem Instinkt geboren, aber wenn wir auf bestimmte Art und Weise erzogen werden, dann diktiert uns das, wie wir auf das Leben schauen und was wir damit machen. Deine Umwelt hat sehr viel damit zu tun, wer du bist. So ist zumindest meine Auffassung.

Was sind denn die Haupteinflüsse, die uns zu bösen Menschen machen können?
Wan: Misshandlung in der Kindheit, oder wenn du aufgrund der Erziehung kein Gespür dafür bekommst, was richtig und was falsch ist. Wenn man sich die Biographien von Serienkillern anschaut, die scheinen immer eines gemeinsam zu haben, nämlich sexuelle Unterdrückung. Ich glaube, Dario Argento (italienischer Horrorfilmregisseur, Anm. d. Red.) hat das auch viele Male gesagt, dass diese Art von Unterdrückung zu Gewalt führt.

Welche Rollen spielen die Medien, haben die einen großen Einfluss?
Wan: Ich denke schon, ja. Welche Filme guckt man, welche Art von Fernsehen, welche Computerspiele… – all das trägt dazu bei. Aber es kommt auch darauf an, in was für einem Elternhaus du aufwächst, ob deine Eltern dir beibringen, zu erkennen: ‚Das ist nur ein Spiel’ oder ‚das ist nur ein Film’.

Ab wie viel Jahren kann man in den USA die „Saw“-Filme sehen?
Wan: Die Filme sind „R-Rated“, das heißt, du kannst sie nicht ohne elterliche Begleitung sehen bis du…. warten Sie… ich glaube, bis du 17 bist.

Und welche Altersbeschränkung fänden Sie persönlich sinnvoll?
Wan: Ich würde sagen, dass Kinder die „Saw“-Filme nicht sehen sollten. Man sollte schon mindestens 17 oder 18 sein. Die Filme sind sehr grausam und wirklich nicht für Kinder gemacht. Sie sind für ältere Kinder, junge Erwachsene.

Warum zeigen Sie jetzt weniger Gewalt in Ihrem Film „Insidious“?
Wan: Weil es kein Gewalt-Film ist. Er braucht Gewalt nicht um der Gewalt willen.

Warum haben Sie sich denn vom Schocker-Genre abgewandt?
Wan: Das habe ich jetzt einfach schon gemacht, ich will mich nicht wiederholen. Und ich liebe Geistergeschichten, die brauchen keine Gewalt. Ich wollte mit „Insidious“ einen Film machen, der den Leuten Angst einflößt, aber nicht auf Blut und Eingeweide angewiesen ist, ich wollte zeigen, dass du auch so eine wirklich gruselige Atmosphäre erschaffen kannst, mit filmischen Mitteln, die den Leuten wirklich unter die Haut gehen. Das war mein Ziel. Und momentan sieht es so aus, als würde es funktionieren. „Insidious“ läuft erfolgreich in den USA, Großbritannien, Frankreich und Spanien… Das ist sehr aufregend für mich, wenn die Leute so auf deinen Film reagieren, wie du dir es vorgestellt hast.

Zitiert

Ich sage den Leuten immer: Hey, es ist nur ein Film, reg dich ab!

James Wan

Wie schaffen Sie es, während der Dreharbeiten die Perspektive des Zuschauers nicht zu vergessen?
Wan: Das ist sehr schwer, denn beim Drehen verlierst du tatsächlich irgendwann die Perspektive und das Gefühl dafür, was jetzt gruselig ist und was nicht.
Ich versuche, den Zuschauerblick beizubehalten, in dem ich mich an meine initiale Reaktion auf die Geschichte erinnere. Wenn mir der Film schon beim Ausdenken der Szenen Angst macht, ich nervös bin, eine Gänsehaut bekomme – dann versuche ich, das im Hinterkopf zu behalten und mich während der Dreharbeiten daran zu erinnern, was genau mir Angst machte. Und dann hoffst du einfach das Beste, das ist alles, was du tun kannst.

Wir sprechen darüber, dass Horrorfilme den Zuschauern Angst einjagen. Halten Sie es auch für möglich, dass ein Horrorfilm einen Zuschauer erregt?
Wan: (lacht) Ja, ich glaube es kann erregend sein. Besonders die „Saw“-Filme, da gibt es Leute, die das total anturned.
Bei „Insidious“ lieben die Leute die Spannung, sie sitzen auf der Kante ihres Kinosessels, erschrecken, sie werden panisch – und im nächsten Moment lachen sie darüber. Ich glaube, das ist für sie das Vergnügen, dass auf den Angstschrei ziemlich schnell das Lachen über die eigene Ängstlichkeit folgt.

Aber warum kann ein Film wie „Saw“, in dem Menschen mit Fallen und Foltergeräten dazu gebracht werden, sich gegenseitig umzubringen oder sich zu verstümmeln, jemanden erregen?
Wan: Keine Ahnung. Ich bin kein Psychiater.

Ihre Ideen in „Saw“ wurden oft als krank und ekelhaft bezeichnet. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Wan: Wenn die Leute sagen, ich habe ekelhafte Ideen, dann verstehe ich das als ein Kompliment (lacht).
Also, ich sage den Leuten immer: „Hey, es ist nur ein Film, reg dich ab.“ Es ist ja nicht so, dass ich versuche, hohe Kunst zu erschaffen, es ist nur ein Film. Und ich meine, warum schreibt Edgar Allan Poe so düstere Geschichten? Warum schreibt Shakespeare ein so trauriges Drama? Es ist das, worin er gut ist und was ihm Spaß macht. Es gibt da kein richtig oder falsch. Ein Regisseur, der eine Komödie dreht, ist doch auch nicht automatisch netter als jemand, der einen Film über schreckliche Dinge macht. Ich muss sogar sagen, dass Macher von Horrorfilmen die nettesten Menschen überhaupt sind: Schauspieler, die Bösewichte spielen, Regisseure, die schaurige Filme drehen, wo du dich eigentlich fragst, wie sich jemand so etwas ausdenken kann.

Sie selbst scheinen auch ein gutes Beispiel für diesen Gegensatz zu sein. Können Sie denn sagen, woher ursprünglich die Inspiration für „Saw“ kam?
Wan: Leigh Whannel und ich wollten damals einen Thriller schreiben, der wie ein Puzzle funktioniert. Wenn vom Erfolg von „Saw“ die Rede ist, wird ja oft vergessen, dass der Film eine knifflige Handlung und am Ende eine überraschende Wendung hat. Es ist eine „wer war’s“-Geschichte, wie bei Agatha Christie, und der Zuschauer versucht herauszukriegen, wer der Täter ist. Wir fanden es eine coole Idee, dass der Killer die Leute nicht mit eigenen Händen umbringt, sondern dass er die Menschen in eine Situation bringt, in der sie sich für das kleinere oder größere Übel entscheiden müssen, um selbst zu überleben. Das war die Richtung, aus der Leigh und ich kamen. Dann haben wir die Ideen der Fallen entwickelt, wie der Killer seine Opfer in diese Art Spiel bringt und wie seine Opfer versuchen, herauszukommen.
Es war nicht so, dass wir uns gedacht haben, ‚wir versuchen jetzt den krassesten und übelsten Film aller Zeiten zu drehen’. Sondern wir wollten einen Film mit einer coolen Handlung, intelligenten Wendungen und der dir Angst einflößt. Man sieht den Jigsaw-Killer nie, was ihn sehr furchterregend macht, du fühlst seine Anwesenheit nur. Da war für mich zum Beispiel „Die üblichen Verdächtigen“ ein großer Einfluss, „Keyser Söze“, vom dem im Film die ganze Zeit gesprochen wird, zeigt sich nicht. Aber du fühlst seine Präsenz. „Die üblichen Verdächtigen“, oder auch „The Sixth Sense“, das sind Filme mit unglaubliche Wendungen. Die Killer befinden sich die ganze Zeit vor unseren Augen, ohne, dass wir es merken.

Hatte für Sie das Kreieren der Fallen und Folterwerkzeuge in „Saw“ auch so etwas wie ein spielerisches Element?
Wan: Vielleicht, ja. Es hatte etwas von kindlicher Neugier, so wie manche Kinder ein Insekt nehmen und ihm die Flügel rausreißen. Also schon ein bisschen pervers … das sind Dinge, die ich nie tun würde. Aber es gibt Leute, die so etwas machen und „Saw“ ist quasi die Horrorversion davon. Der Bösewicht stellt diese Dinge mit Menschen an, er reißt ihnen die Flügel raus und beobachtet, wie sie versuchen, aus der Situation heraus zu kommen.

Es gibt ein Buch über Horrorfilme, in dem steht, „Saw“ sei inspiriert durch das Foltergefängnis Abu-Ghuraib. Stimmt das? (Anmerkung: Diese Frage basiert auf einer falschen Behauptung in dem Buch „Horror Cinema“ von Jonathan Penner und Steven Jay Schneider, erschienen im Taschen Verlag 2008; die Taten von Abu Ghuraib kamen erst ans Licht, als „Saw“ bereits abgedreht war)
Wan: Haha… Wer hat das geschrieben?

Ein Filmemacher und Schauspieler namens Jonathan Penner. Was denken Sie darüber?
Wan: Es ist ein interessanter Aspekt. Kunst ist ja meistens – also ich sehe meine Filme nicht als hohe Kunst an, ich würde sie eher Pop-Art nennen – aber als Filmemacher beeinflussen dich die Dinge, die um dich herum sind, ob bewusst oder unbewusst. „Saw“ war der erste Horrorfilm nach den Terroranschlägen vom 11. September und der Antwort Amerikas darauf, nach der zweiten Invasion im Irak. In der Zeit ist wirklich viel schlimmes passiert, die Leute haben fürchterliche Dinge getan, Menschen wurden bei Verhören gefoltert…
Ich würde nicht sagen, dass „Saw“ direkt davon beeinflusst wurde. Aber wer sagt dir, dass es nicht im kollektiven Unterbewusstsein ist? Es war ja in jedermanns Kopf, es war überall. Auch wenn du so etwas nicht als bewusste Vorlage nutzt, du bist trotzdem nicht frei davon, da wurde sozusagen ein Keim in deinem Hinterkopf eingepflanzt.
Der Film hat viel von dem aufgenommen, was da draußen war. Deswegen hat der Film auch diese Reaktion hervorgerufen, weil es schon im Unterbewusstsein der Leute war. „Saw“ war der erste Film, der diese Richtung gezeigt hat, in die sich die Welt damals bewegt hat. Früher waren Filme wie „Dawn of the dead“, „Night of the living dead“, oder „Texas Chainsaw Massacre” auch massiv vom Vietnam-Krieg beeinflusst. Ob dieser Einfluss direkt oder indirekt war bin mir nicht sicher, aber diese Geschehnisse waren definitiv im gesellschaftlichen Bewusstsein.

Auf „Saw“ folgten damals verschiedene ähnliche Horrorstreifen, der Film „Captivity“ wurde in den USA auf großen Plakatwänden mit dem Wort „Folter“ beworben. Da wäre doch die Frage: Welcher Mensch möchte Filme sehen, für die mit Folter geworben wird?
Wan: Aaahm… also, das weiß ich nicht. Ich will es jedenfalls nicht. Deswegen habe ich mich vor einiger Zeit auch sehr darum bemüht, diesen wirklich lästigen Begriff „Folterporno“ loszuwerden, mit dem ich unfairer Weise abgestempelt wurde. Im ersten „Saw“-Film gab es sehr wenig Folter, wenngleich es die Imitatoren in den Fortsetzungen weiter in diese Richtung getrieben haben. Aber weil „Saw“ der erste Film war, der in dieser Welt spielte und erfolgreich war, wurde ich als „Urvater des Folterpornos“ bekannt. Dieses Label finde ich sehr ärgerlich, zumindest zum heutigen Zeitpunkt. Vielleicht war es, wenn ich zurückschaue, am Anfang noch irgendwie cool, aber inzwischen stört es mich, weil es mich einengt in Bezug auf die Filme, die man mir erlaubt, zu drehen. Die Leute aus Hollywood kamen nur noch mit Filmen zu mir, deren Drehbücher sich wie „Saw“ lasen, wieder und immer wieder. Allerdings hatten diese Filme, im Unterschied zu „Saw“, keine coole Handlung, sondern waren einfach nur brutal. Das fand ich langweilig.

Nicht wenige Regisseure beklagen sich über das Type-Casting. Aber das hat ja auch einen klaren wirtschaftlichen Hintergrund. Darf ich Ihnen dazu ein Zitat von einem Verantwortlichen von Lionsgate (Produktionsfirma von „Saw“) vorlesen?
Wan: Von wem ist es?

Von Zygi Kamasa, CEO von Lionsgate UK, das Zitat ist aus dem Jahr 2007.
Wan: Ich kenne die Mitarbeiter von Lionsgate in Großbritannien nicht. Aber klar, schießen Sie los.

Zygi Kamasa sagte dem „Herald Scotland“ zu der Brutalität in „Saw“ und den Fortsetzungen: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo der Schock-Faktor sehr extrem ist. Ich persönlich verstehe die Frage, ob wir – moralisch gesehen – so etwas produzieren sollten. Wir sind aber – leider – zuerst unseren Investoren und Shareholdern verpflichtet. „Saw II“ war sogar ein größerer Erfolg als der erste Teil, also musst du noch einen machen. Wenn wir „Saw“ oder „Hostel“ nicht gemacht hätten, dann hätte es jemand anders gemacht. Und dann verlierst du Geld aufgrund von moralischen Bedenken. Im Geschäft musst du liefern und das tun diese Filme ganz bestimmt. Aber ich fühle mich auch etwas hin- und hergerissen.“ (Quelle hier)
Wan: (lacht leise)… Das ist ein großartiges Zitat, Sir. Es ist lustig. Wissen Sie, was es mir zeigt, auch wenn es aus Großbritannien kommt? Es zeigt mir mehr als alles andere diese sehr amerikanische Mentalität des Kapitalismus. Es sagt viel darüber aus, wie das Business hier funktioniert: Es ist uns egal, wie viele Leute darunter leiden, solange es Geld bringt. Das ist es, was zählt.

Das steht in diesem Zitat, ja. Es bedeutet ebenso, dass die Foltermaschinen in den „Saw“-Fortsetzungen auch aus einem finanziellen Kalkül heraus erfunden wurden…
Wan: Ich habe bei den Fortsetzungen ja nicht Regie geführt, weil ich für mich fühlte: künstlerisch bin ich damit durch. Warum soll ich mich wiederholen? Es ist schon lustig, weil „Saw“ so viele Fortsetzungen hat, sehen mich viele als den „Sequel“-Guy…
Ich hatte aber nichts Neues mehr zu sagen. Natürlich hat man mir damals viel Geld angeboten, aber das war nicht mein Antrieb, ich habe das vom kreativen Standpunkt aus entschieden.
Natürlich steht auf den Fortsetzungen mein Name drauf als „Executive Producer“, aber das war Wes Craven bei „Nightmare on Elm Street“ oder John Carpenter bei den „Halloween“-Filmen auch, eben weil sie beim ersten Teil Regie geführt haben, deshalb bekommst du diesen Titel. Ich hatte damit sehr wenig zu tun, ich habe ein bisschen zur Handlung des zweiten Films und des dritten Teils beigetragen, war aber gleichzeitig auch sehr mit meinem Film „Dead Silence“ beschäftigt. Ich hatte also nicht wirklich Zeit und habe das Lionsgate, dem Studio und dem Produzenten überlassen.
Ich denke, sie haben auch einen guten Job gemacht. Sie haben die Fans glücklich gemacht. Die haben den ersten und den zweiten Teil geliebt und wollten noch mehr. Es ist auch nicht einfach, so eine Fortsetzung zu machen, besonders, wenn die Fans mehr wollen. Und am Ende bestimmt, wie gesagt, auch der Kapitalismus: Wenn die Leute es nicht mehr wollen, man damit kein Geld mehr macht, dann wird es nicht mehr gemacht. So einfach ist das. Aber weil die Leute mehr wollten, hat das Studio ihnen mehr gegeben.
Es ist bei Sequels sehr schwierig, sie so frisch aussehen zu lassen wie den ersten Teil und immer wieder neuen Stoff zu finden. Das heißt, inhaltlich können die Produzenten sich hier nicht übertreffen, dafür aber mit noch blutigeren, noch brutaleren Fallen. Das war die einzige Möglichkeit, es weiter zu drehen.

Haben Sie Kontakt zu Fans der „Saw“-Reihe? Mich würde interessieren, ob die wirklich an immer brutaleren Filmen interessiert sind.
Wan: Es gibt viele Leute, die mir immerzu schreiben, besonders junge Leute, die mir kranke Ideen für wirklich grausame und widerliche Fallen schicken. Ich denke dann: „Lasst mich in Ruhe mit dem Mist! Ihr habt nicht verstanden, worum es beim ersten Film ging. Es ging nicht um die Fallen, das ist nur ein kleiner Teil davon.“
Aber die Leute mögen diese Welt, die wir erschaffen haben – ob das jetzt gut oder schlecht ist – sie lieben die Figuren. Da fühle ich mich auch geschmeichelt und geehrt, wenn es die Leute wirklich fasziniert, dann bleiben sie an der Sache dran, die du erschaffen hast. Ich sehe da auch keinen Unterschied zu den 80ern, als Wes Craven „Nightmare on Elm Street“ drehte, und John Carpenter seine Filme machte. Von den Kritikern wurden sie damals „Meister der Gewalt“ genannt, aber heute betrachten wir sie als geniale Filmemacher, wegweisend für die damalige Zeit. Ich bin als Kind damit aufgewachsen, ich habe geliebt, was John Carpenter und Wes Craven gemacht haben. Für die damalige Zeit waren ihre Filme auch sehr nihilistisch, vielleicht nicht so sehr nihilistisch wie die Filme, die wir jetzt haben – aber wir leben heute auch in einer anderen Zeit. Wir werden mit der Zeit immer toleranter gegenüber Dingen, die düster und depressiv sind. Besonders wenn die Welt um uns herum voller Kriege ist, das beeinflusst dich – und du gewöhnst dich daran. Das ist schlecht, aber es ist so.

Sie sind ein junger Filmemacher, welche Pläne haben Sie? Sind die mehr oder weniger konkret oder leben Sie eher in den Tag hinein?
Wan: Ich weiß, welche Filme ich letztendlich machen will, ich mag es, wenn die Karriere weiter geht. Aber ich verstehe auch wie Hollywood funktioniert. Du machst in einem Bereich einen erfolgreichen Film und dann ist alles, was du danach bekommst, in diesem Bereich. Wenn du eine erfolgreiche Teenagerkomödie drehst bekommst du danach nur Teenager-Komödien angeboten. Also, dieses Type-Casting ist eine Sache, die ich versuche zu bekämpfen.
Andererseits versuche ich es, im positiven Sinne zu nutzen, damit es mir erlaubt, eine andere Sorte von Filmen zu machen. Ich liebe Action-Filme, Science-Fiction-Filme und ich nutze das, was ich im Moment mache, um in diese anderen Bereiche reinzukommen. Das Großartige an „Insidious“ ist – endlich, nach all den Jahren – dass der Erfolg des Films bewirkt, dass die Leute meine Arbeit nicht mehr mit „Folterporno“ beschreiben. Ich bin für die Leute jetzt der Geisterhaus-Typ, ich bekomme im Moment nur Geisterhaus-Drehbücher, was lustig ist. Ich mag solche Filme, sie sind gruselig, gruseliger als brutale Filme. Ich probiere mich jetzt in dieser Welt aus. Und ich bin froh, dass ich auch die „Saw“-Fans damit glücklich machen kann. Das erste was die mitbekamen, war, dass „Insidious“ ein PG13-Film ist (ein Film mit empfohlener Altersfreigabe ab 13 Jahren, Anm. d. Red), und viele fragten sich: „Wie bitte, James macht einen PG13-Film?“ Manche von ihnen haben sich vielleicht darüber aufgeregt. Aber ich sage denen: Es ist doch egal, was für eine Altersbeschränkung der Film hat, wenn du Horrorfilme magst zählt am Ende nur, ob es gruselig ist, und das lässt sich durch die Altersbeschränkung nicht beurteilen. Das sagt nur etwas darüber aus, wie brutal dein Film und wie verstörend deine Ideen sind. Ich empfinde es als eine größere Herausforderung, einen  Film mit Freigabe ab 13 Jahre zu machen, gruselig und angsteinflößend, weil du nur bis zu einer gewissen Grenze gehen darfst. Das bedeutet, dass du viel subtiler arbeitest, du überlässt viel mehr der Vorstellungskraft des Zuschauers, zeigst bestimmte Dinge nicht, täuschst seine Wahrnehmung.
Ich habe bei„Insidious“ gemerkt, dass der Film ein ganz neues Publikum erreicht, eines das nach „Saw“ groß geworden ist. Ich finde es wunderbar, wenn ich eine neue Generation erreiche und einer Menge neuer Kinder Angst einflöße.

James Wan wurde 1977 in Kuching, Malaysia geboren. Er wuchs im australischen Perth auf und studierte am Royal Melbourne Institute of Technology, wo er Leigh Whannell kennenlernte, seinen späteren Partner im Filmgeschäft. Zusammen entwickelten sie mehr

2 Kommentare zu “Wenn die Leute sagen, ich habe ekelhafte Ideen, sehe ich das als Kompliment.”

  1. Udo Dinsing |

    James Wan ist einer der wenigen Regisseure, die es gekonnt verstehen, gewisse Details in Szene zu setzen ! Abgesehen von „Insidious“ legte er auch eine Glanzlesitung ab in dem Film, „Conjuring“ ! Auch sein Film „ein Wort und Du bist tot“ hat er gekonnt in Szene gesetzt ! Er versteht es genau, paranormale Gegebenheiten darzustellen, wovon sich andere mal eine Scheibe abschneiden können ! Ihn deshalb als „Folterporno-Regisseur“ zu bezeichnen halte ich persönlich für unangemessen. Wenn gewisse Leute seine Filme nicht sehen wollen, warum gucken sie sich dann solche Filme an ? Aber es gibt ja in unserer Gesellschaft immer diverse Spinner, die was zu meckern haben. Ohne ihre Meckerei können diese Lackaffen ja nicht leben !

    Antworten
  2. Peter |

    zwei kleine Rechtschreibfehler…

    …die sich eingeschlichen haben.
    Im grauen Kasten ist das Kinodatum falsch und bei der dritten Frage ist im ersten Satz ein ‚es‘ zu viel.
    Ansonsten ein sehr gutes und qualitatives Interview!

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.