Jack Conte

Wir füllen das Internet mit Leben, aber davon leben können wir nicht.

Jack Conte ist Musiker und Gründer der 'Social-Payment'-Plattform Patreon, mit der Fans ihre Lieblingskünstler direkt finanzieren können. Judith Holofernes oder die Einstürzenden Neubauten sind auf Patreon vertreten, ebenso Podcaster, Illustratoren, Comedians und Journalisten. Im Interview spricht Conte über unterbezahlte Youtube-Videos, gestiegene Band-Einnahmen, Erfolg in der Corona-Krise und das Verhältnis zwischen „Creators“ und ihren „Patrons“.

Jack Conte

© Patreon

Jack Conte, Sie haben 2013 die Internet-Plattform Patreon gegründet. Was war der Auslöser dafür?

Conte: Ich bin selbst Musiker, ich spiele mit meiner Frau Nataly Dawn im Duo Pomplamoose, außerdem in der Cover-Band Scary Pockets und ich habe das Soloprojekt Conte. Für Letzteres habe ich ein Musikvideo gedreht, das sehr aufwendig war – und das führte zur Gründung von Patreon.

Inwiefern?

Conte: Für das Video habe ich keine Kosten und Mühen gescheut: Ich habe mein Studio in ein Raumschiffcockpit verwandelt, einen animatronischen Kopf gebaut, der die Texte singt, ein Laufband für die Effektgeräte meiner Gitarre errichtet und mit einem 3D-Drucker einen Hexapod-Roboter produziert. Das Ganze hat mich 10.000 Dollar gekostet, dafür habe ich zwei Kreditkarten ausgereizt und alle Ersparnisse aufgebraucht – ich habe mir dafür echt ‚den Arsch aufgerissen‘.

Sie dachten, es wird ein Hit?

Conte: Mein Plan war, es auf Youtube zu veröffentlichen. Und es bekam dort auch innerhalb eines Monats eine Millionen Klicks. Doch dann kam die Abrechnung von Youtube: 166 Dollar.

Für mehr als eine Million Klicks hat man Ihnen lediglich 166 Dollar gezahlt?

Conte: So ist es. Und das brachte mich zum Nachdenken. Es hat mich angewidert, zu sehen, wie wenig Kreative in dieser Welt wertgeschätzt werden. Das reicht für niemanden zum Leben! Dabei sind wir doch die Menschen, die das Internet Tag für Tag mit Inhalten füttern. Wir füllen das Internet mit Leben, aber selbst davon leben können wir nicht.

Screenshot der Youtube-Einnahmen des "Pedals"-Videos nach 1.9 Mio Clicks

Screenshot der Youtube-Einnahmen des „Pedals“-Videos 2013, nach 1.0 Mio Clicks

Und so kam Ihnen die Idee für Patreon...

Conte: Genau. Und das Prinzip war denkbar einfach: Gib mir einen Dollar und du kriegst im Gegenzug exklusive Inhalte von mir: Blog-Beiträge, Videos, einmal im Monat einen Live-Stream, extra Fotos etc. Mein Mitgründer und ehemaliger Mitbewohner Sam Yam hat die Social-Payment-Plattform dann innerhalb von zweieinhalb Monaten gebaut. Über Social-Media-Kanäle habe ich dann meine Follower informiert. Und es hat funktioniert: Zwei Wochen nach Start der Website habe ich bereits 5.000 Dollar monatlich verdient – statt der vorherigen 160 Dollar.

Welches Ziel verfolgen Sie jetzt mit Patreon?

Conte: Mit Patreon versuchen wir das Problem zu lösen, dass „Creators“, wie wir die Kreativen bei uns nennen, für ihr Schaffen fair bezahlt werden und davon leben können.

Worin liegt für einen Musiker der Vorteil gegenüber dem Vertrag bei einer Plattenfirma?

Conte: Zuallererst, ich habe überhaupt nichts gegen Plattenfirmen. Und ob Vertrag oder nicht, das kommt auf den Künstler an. Aber wenn du im Besitz deiner Masterbänder bleiben, dein Geschäft verstehen und sicherstellen willst, dass andere Leute dir nicht den Großteil deines Geldes wegnehmen; wenn du Kontrolle über deine Arbeit behalten willst, wenn du dein eigenes Team zusammenstellen und eine lange Karriere haben willst, die nicht nur auf einer Single oder einem Hit, sondern deinem gesamten Output basiert, dann ist Patreon auf jeden Fall eine Lösung.

Der Vorteil von Patreon lässt sich also herunterbrechen…

Conte: …auf kreative und finanzielle Unabhängigkeit. Die bekommt man nicht unbedingt, wenn man einen herkömmlichen Plattenvertrag unterschreibt.

Inzwischen gibt es mehrere Konkurrenzplattformen zu Patreon.

Conte: Ja, Steady, Substack und andere. Aber wir sind bereits vor sieben Jahren gestartet, haben den anderen gegenüber also einen gewissen Vorsprung, weil wir uns mit der Komplexität der Thematik wirklich sehr intensiv auseinandergesetzt haben.

Wie haben sich Ihre Nutzerzahlen in der Corona-Krise entwickelt?

Conte: Seit Mitte März haben sich bei Patreon 70.000 neue Creator angemeldet – das sind fast dreimal so viele wie sonst üblich. Weil sämtliche Tourneen, Events und Konferenzen überall auf der Welt abgesagt wurden, sind die Leute auf der Suche nach digitalem Ersatz für die verlorenen Einnahmen. Bei uns sind u.a. Bands gelandet, die in diesem Jahr 300.000 Dollar Toureinnahmen eingeplant hatten, und die nun weg sind.

Wie sieht es auf Unterstützerseite aus? Mussten nicht viele ihre Abos kündigen, weil sie in der Krise selbst sparen müssen?

Conte: Nein, das Gegenteil ist der Fall, auch bei den „Patrons“, wie wir die Unterstützer nennen, hat die tägliche Wachstumsrate in den Hauptregionen im Vergleich zum Februar um etwa 25% zugenommen. Und die Unterstützer zahlen sogar 75% mehr als es eigentlich üblich war. Weil sie wissen, dass die Künstler im Moment ganz besonders auf ihre Hilfe angewiesen sind. Patrons sind außergewöhnlich tolle Leute, die sich umeinander kümmern, die ein großes Herz haben und die mit ihren Dollars das Richtige tun wollen.

Das klingt ja fast romantisch.

Conte: Es stimmt aber. Es gibt eine emotionale und psychologische Komponente zwischen Creator und Patron. Die Patrons spüren das, weil man ihnen nicht nur eine Ware verkauft. Auf Patreon gibt man einen Teil seiner Identität preis – und zwar beide Seiten. Die Patrons unterstützen teilweise Projekte, die sie als Teil ihrer selbst wahrnehmen und sich mit den Inhalten identifizieren. Die sagen: Ich unterstütze das, weil ich in der Welt davon mehr haben will.

Nataly Dawn und Jack Conte alias Pomplamoose ©

Nataly Dawn und Jack Conte alias Pomplamoose © Patreon

Wie viele Patrons gibt es derzeit?

Conte: Mehr als vier Millionen, die seit Beginn von Patreon über eine Milliarde Dollar an Creators bezahlt haben – 500 Millionen Dollar davon allein im letzten Jahr. Durchschnittlich zahlen sie 12 Dollar im Monat.

Um auf Patreon erfolgreich zu sein, braucht man aber schon einen gewissen Bekanntheitsgrad, oder?

Conte: Wenn man eine Künstlerkarriere aufbauen will, sind zwei Dinge besonders wichtig: Erstens musst du ein Publikum aufbauen, du musst Leute finden, die sich für deine Kunst interessieren. Und zweitens musst du, wenn du diese Zielgruppe hast, ein Geschäft daraus entwickeln, um davon leben zu können. Viele Leute fangen leider mit dem zweiten Punkt an, obwohl der erste viel wichtiger ist.

Aber wie ist das nun als Newcomer?

Conte: Ich sollte das nicht sagen, aber um ehrlich zu sein: Im ersten Punkt ist Patreon nicht sonderlich gut. Wir sind – noch – keine Plattform, mit der man sich eine Zielgruppe aufbaut. Wenn du auf Patreon anfängst und noch kein Publikum hast, wirst du nicht sehr erfolgreich sein. Daran müssen wir noch arbeiten.

Sie bieten mit „Patreon Capital“ auch Kredite für Künstler an. In einem Interview meinten Sie, voraussagen zu können, wie hoch das monatliche Einkommen eines Künstlers sein wird. Dabei sagt man doch immer, der Erfolg von Kunst sei unberechenbar…

Conte: Als Künstler ist es doch so: Du bist kreativ, verkaufst deine Kunst, aber du weißt nie, wie lange das Geld am Ende reicht. Einen Monat? Ein halbes Jahr? Das kann man nicht planen. Der Vorteil bei Patreon jedoch ist: Man bekommt als Künstler eine Art monatliches Gehalt, das in der Regel stetig ein kleines bisschen wächst. Wenn du heute also 3.000 Dollar damit verdienst, wirst du sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Monat drauf auch verdienen – vermutlich sogar etwas mehr.
Den Kredit kann bei uns nur beantragen, wer bereits bei Creator ist, sodass wir über die entsprechenden Zahlen verfügen. Und dann kannst du als Kreativer einen Vorschuss von den erwarteten Einnahmen zum Beispiel der nächsten vier Monate bekommen.

Sie haben kürzlich eine Expansion mit Fokus auf Europa angekündigt. Hat die Corona-Krise diese Expansion gebremst?

Conte: Eine Technologiefirma wie unsere kann das Meiste glücklicherweise digital machen: Währungsumrechnung, Übersetzung, Software etc. Daran arbeiten wir gerade – trotz Corona. Nur das Community-Building, das Treffen mit Kreativen, liegt gerade auf Eis, leider.

Sie haben Patreon gestartet, um mit Kunst Geld verdienen zu können – dieses Problem haben Sie gelöst. Aber bleibt Ihnen als CEO von Patreon jetzt noch Zeit zum Musikmachen?

Conte: Natürlich bin ich nun auch Geschäftsmann, aber ich sehe mich immer noch als Künstler. Mit Pamplomoose veröffentlichen wir immer noch jede Woche ein Musikvideo und haben seit kurzem über eine Million Youtube-Abonnenten. Auch mit der Band Scary Pockets veröffentliche ich jede Woche ein Video – ich bin als Musiker also nach wie vor sehr aktiv.
Ich arbeite Vollzeit an Patreon, das ist schon mein Hauptjob. Immerhin gibt es jetzt über 150.000 Kreative, die uns vertrauten. Denen schulde ich meine Zeit und meine Energie. Aber am Wochenende arbeite ich auch an Musik. Und um ehrlich zu sein: Meine Bands, eben weil sie jetzt Geld im Internet verdienen, bringen beide mehr Geld ein als ich als CEO von Patreon verdiene.

Wie viel verdienen Sie mit Ihrer Band Pamplamoose bei Patreon?

Conte: Mit Pamplamoose haben wir 3.262 Patrons, durch die wir 16.585 Dollar monatlich verdienen.

Wie viele Kreative unterstützen Sie selbst?

Conte: Etwa 30-40 Künstler.

Worauf sind Sie in Bezug auf Patreon am meisten stolz?

Patreon: Dass ich Schecks an Kreative schicken kann, die ihre Jobs kündigen konnten und nun von ihrer Kunst leben können. Das ist das größte Geschenk, das man sich vorstellen kann. Das beste Gefühl, das ich je hatte.

7 Kommentare zu “Wir füllen das Internet mit Leben, aber davon leben können wir nicht.”

  1. Nexte |

    Super Interview, heute erst entdeckt. Link zur englischen Fassung geht direkt an Freunde in UK und Australien.
    Mit Blick auf den Kommentar: Das Originalinterview einer Band für eine englische Google-Übersetzung zu halten, grenzt an Genialität. Habe sehr gelacht!

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  2. jonny (RBB-Netz) |

    Nein, Rasmus. 2x das gleiche Bild+Text ist einfach langweilig, vor allem wenn es nur ne Google Translate Übersetzung ist.

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    1. Rasmus |

      Aber es ist ja auch zweimal dasselbe Interview – bloß in unterschiedlichen Sprachen.
      Woher weißt du denn, dass es eine Google-Übersetzung ist?

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  3. jonny (RBB-Netz) |

    hi interview, ihr habt 2x dasgleiche interview auf der seite. bitte löschen.

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    1. Rasmus |

      Hi, das Interview ist einmal auf Deutsch, einmal auf Englisch. Bitte genau hinsehen.

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      1. jonny (RBB-Netz) |

        unnötig

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        1. Rasmus |

          Deinen Kommentar meinst du? Stimmt. :)

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