Ioan Holender

Je berühmter das Haus, desto niedriger die Gagen

Staatsopern-Chef Ioan Holender über schwarze Zahlen, Musicals und Verpflichtungen gegenüber dem Publikum

Ioan Holender

© Wiener Staatsoper

Herr Holender, Sie werden in Deutschland ein wenig als Wundertier angesehen, ein Opernintendant, der schwarze Zahlen schreibt innerhalb seines Budgets – wie schafft man das?
Holender: Schwarze Zahlen schaffe ich natürlich nicht, weil schwarze Zahlen im wirtschaftlichen Sinn ja bedeuten würden, dass ein Unternehmen Gewinn macht. Seit dem es Oper gibt, also seit rund 400 Jahren hat die Oper noch nirgendwo einen Gewinn erwirtschaftet. Und selbstverständlich kostet die Wiener Staatsoper mehr Geld als sie einspielt. Unter "Schwarze Zahlen" versteht man in Theatern, dass man mit dem Budget auskommt, dass man keine Schulden macht und dass man seine künstlerischen Vorhaben erreicht, ohne täglich zu jammern, dass das Geld nicht reicht. Und man versteht auch darunter, dass das Nichtvorhandensein von finanziellen Mitteln nicht als permanente Ausrede für vielleicht nicht so gelungene Produktionen gilt. Darüber habe ich höhere Einnahmen als die prognostizierten und notwendigen Einnahmen durch einen höheren Kartenverkauf, durch Verkauf und Verleih von Bühnenbildern und durch Gastspiele in Japan, dem einzigen Ort, wo man noch Geld verdienen kann mit Gastspielen. Ich bin nicht dieses Wundertier, rechnen kann jeder. Und wenn man sich bewusst ist, dass auch bei uns es eine finanzielle Decke gibt, die nicht endlos lang werden kann, dann kommt man schon aus. Ich bin auch überhaupt kein Sparmeister, ich überlege nur vielfach, wofür ich nicht bereit bin Geld auszugeben.

Die Wiener Staatsoper ist eine GmbH, das wird hier in Berlin immer gerne als mögliche Lösung aller Probleme dargestellt, wenn man die Theater aus der öffentlichen Hand, aus der Kameralistik entlässt. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dieser Rechtsform?
Holender: Die GmbH ist sicher eine Form, die zur größeren Unabhängigkeit des Unternehmens führt – auch die Staatsoper ist in diesem Sinne ein Unternehmen. Ich betrachte mich auch als politikunabhängig in meinem Tun, und in meinem Wirken in der Oper. Das Geld kommt aber genauso aus Steuergeldern und es bleibt im Eigentum das Landes. Ganz wichtig, es fehlt die Kameralistik. Das Jahresende ist also nicht das Ende der Welt, man kann Reserven machen, man kann Gelder anlegen – man könnte auch an die Börse gehen mit dem Geld, was man hat. Man gebärdet sich wie eine Kapitalgesellschaft, die auf Gewinn ausgerichtet ist, obwohl wir nicht auf Gewinn ausgerichtet sind. Also, ich sehe nur Vorteile bei einer GmbH. In Deutschland wäre vielleicht der größte Vorteil das Verschwinden der Unsicherheit bei Budgetkürzungen. Ich kann per Bundesgesetz nicht weniger Geld bekommen, Geld wegnehmen kann man mir nur mit einer Gesetzesänderung. Ich will aber auch deutlich sagen, dass ich auch nicht mehr bekommen kann, seit 1995 haben wir dasselbe Budget. Der Weg zur GmbH ist ein mühsamer Weg der Ausgliederung und es ist auch mühsam, festzulegen, wie viel Geld man bekommt – wir haben zehn Jahre nach hinten geprüft, um rauszubekommen, wie dieses Budget aussehen. Kartenpreise kann ich selbst bestimmen, allerdings würde ich sie nie erhöhen wollen um mehr Geld zu machen, was in Berlin offenbar als eine Möglichkeit in Erwägung gezogen wird. Die GmbH ist für ein Opernhaus durchaus eine anstrebenswerte Betriebsform aber das Heil der Berliner Opernhäuser kann in meinen Augen nicht nur durch die GmbH erwirkt werden.

Als Operndirektor erhalten Sie – stellvertretend durch den Minister – das Geld des Volkes. Wozu sehen Sie sich dadurch verpflichtet?
Holender: Diese Verpflichtungen stehen in meinem Vertrag. Da steht drin, was man von uns erwartet, ein breites Repertoire, eine Forderung der großen klassischen Werke, aber auch der zeitgenössischen Werke, weiterhin die Verpflichtung zu spielen und nicht durch Schließtage das Publikum zu bedienen. Ich sehe auch die Verpflichtung, die Oper dem Steuerzahler zugänglich zu machen, das heißt die Preise nicht so hoch wie möglich anzusetzen. Eben keine kommerziellen Preise wenn irgendwelche Domingos singen, da können die Preise nicht höher sein und bei uns sind sie das auch nicht, nicht an Ostern oder zu Weihnachten, nicht wenn es schneit oder die Sonne scheint. Das sind so in Kürze die Verpflichtungen, die ich fühle und die ich wirklich ganz bewusst versuche durchzuführen. Dann gibt es immer wieder Diskussionen mit Sängern, Dramaturgen oder Assistenten die Gelder wollen – da sage ich immer "es ist nicht mein Geld, wenn ich es hätte würde ich Ihnen es ja geben". Und diese Argumentation wirkt. Zum Beispiel hatten wir eine alte Inszenierung bei uns vom "Liebestrank", traditionsgemäß wurden dort im Hochzeitsbild Wiener Würstchen gegessen und die Sänger haben sich schon immer auf die Szene gefreut – ich habe das sofort abgeschafft, wir verteilen auf der Bühne doch keine Nachtmähler. Künstlerisch müssen wir das nicht diskutieren, da man ja nur den Eindruck des Essens erwecken sollte. Die Folgewirkungen aber dieser Sparmaßnahme waren größer als man glaubt, das Sparen, das Nichtherausschmeißen des Geldes im Kleinen hat Wirkungen auf die Bewusstseinsbildung der Menschen auch im Großen.

Sehen Sie als eine Ihrer wesentlichen Verpflichtung auch an, das Publikum zu erziehen?
Holender: Das Wort "erziehen" gefällt mir nicht. Erziehen tun einen die Eltern und nicht die Theaterleiter das Publikum. Ich sehe meine Aufgabe darin, das Publikum neugierig zu machen, Interesse zu wecken und auch Dinge zu zeigen, wo man sich ein bisschen anstrengen muss um sie zu verstehen. Ich will nicht nur gewohnte Pfade gehen, sondern das Wiener Publikum auch mit einer unbekannten Optik und unbekannten Klängen bekannt machen. Ich würde das aber nicht "erziehen" nennen, vielleicht aber "edukativ".

Interesse wollen auch alle Opernhäuser in Berlin wecken, wenn man sich dann aber Zahlen anschaut verzeichnen Musical- und Variete-Theater weitaus höheren Zulauf. Gibt es in Wien ähnliche Probleme?
Holender: Musical und Variete, Fußball und Harry Potter werden immer einen höheren Zulauf haben als die immer in einer Minderheit lebende Klassik. In Berlin ist das eine besondere Situation, bei drei Opernhäusern braucht man eine gewisse Dramaturgie für eine Stadt wie Berlin. Und wenn da alle drei Neugierde wecken wollen kann es natürlich schwieriger werden mit den verkauften Karten.

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Ich frage mich sehr oft, wer ein "Star" ist und wer nicht.

Ioan Holender

Sie "machen" schon seit vielen Jahren Oper – gehen Sie auch mal ins Theater oder Musical?
Holender: Ich gehe ins Theater sehr gerne, mit großem Interesse. Ich gehe nicht ins Musical, jedenfalls nicht in die Musicals, die man in Wien sieht. Die sind immer unbarmherzig laut und die Geschichte es ist meistens sehr simpel, banal und auch stupide, aufgedonnert mit äußerlichem Glanz und Schönheiten – mir sagt das nichts. Musical rührt mich nicht, es interessiert mich nicht, es gibt mir nichts – und die Verpackung ist meistens wichtiger als der Inhalt.

Eine andere Frage bezüglich Lohntarifen: oft gelten an deutschen Theatern sieben oder acht Tarife von verschiedenen Gewerkschaften. Wie ist das in Österreich organisiert?
Holender: Die Gewerkschaften gibt es natürlich auch bei uns aber diese Tarifstrukturen und Engen in Deutschland finde ich wirklich schlecht. Ich finde auch die Taxierungen von Orchestern und Chören schlecht, das soll sich jedes Theater selbst ausmachen mit der Bezahlung innerhalb seines Budgets. Da soll nicht ein Dritter kommen und sagen, was diese Menschen bekommen, das regelt ja der Markt, wie man so schön sagt. Und wenn es einem Sänger nicht passt, dann sage ich "gehen Sie doch weg, ich bin Ihnen überhaupt nicht böse, wenn Ihnen die Gage nicht genügt, die Welt ist doch groß, wir haben freie Marktwirtschaft und Sie können überall hingehen".

Sängergagen erreichen heutzutage schwindelerregende Höhen, München schien in Deutschland vor kurzem bei John Tomlinson mit 40.000 DM pro Abend eine Spitze erreicht zu haben. Einerseits versteht man, dass Stars sich den Abend gut bezahlen lassen wollen, andererseits gibt es doch aber einige Summen, wo selbst der Operndirektor schlucken muss, oder?
Holender: Ja, man schluckt sehr oft und ich frage mich sehr oft, wer ein "Star" ist und wer nicht. Unverhältnismäßig teuer ist aber nicht unbedingt die erste Garnitur, sondern viel mehr die zweite Garnitur geworden, jene Sänger, die nützlich und passabel sind, teure Gäste sind. Ich nenne einen teuren Gast einen Sänger der zwischen 10.000 und 20.000 pro Abend bekommt, den kein Mensch kennt und der singt so, dass ich mir oft sage, ich würde den nicht einmal im Ensemble engagieren. Das ist sehr, sehr teuer, aber es passiert leider sehr, sehr oft. Ein weiteres Problem ist die sogenannte Höchstgage, die zum Beispiel in München 10.000 DM höher ist als in Wien, ein großer Unterschied. Denn eine Folge einer Höchstgage ist, wenn sie zum Beispiel 40.000 DM München beträgt, dann hängen Spitzenkünstler, die Brünhilden, Siegfriede und Othellos sich an dieser Höchstgage an und sagen, wenn der 40.000 bekommt, dann will ich wenigstens 38.000 und der nächste sagt, ich will mindestens 34.000 – und so setzt sich das fort. Das ist sehr schlecht, auch für andere Theater und auch aus diesem Grund wollte ich nicht wieder Mitglied werden dieses Clubs der Opernkonferenz. Sicher haben Gagenzahlen auch Informationscharakter, wenn es anders wäre, wäre das gegen das Kartellgesetz. Letztlich zahlt aber auch die Met geringere Gagen als Houston und Köln mehr als Wien – je berühmter das Haus desto niedriger die Gagen.

Als Opernagent haben Sie viele Stars kennen gelernt und lange Jahre betreut – gab es auch Momente, wo Sie einem Star schon mal geraten haben, abzutreten?
Holender: Gute Frage – nein, das habe ich nicht, das kann man nicht. Ich habe halt als Agent vielen einfach keine Engagements mehr verschaffen können. Aber nie habe ich jemandem gesagt, "lassen Sie es und kümmern Sie sich lieber um ihre Enkelkinder" – das habe ich leider nie getan. Aber trotzdem möchte ich sagen, Singen ist meiner Meinung nach mit Jugend verbunden und ein Sänger bzw. eine Sängerin mit 50 Jahren ist alt. Das ist eben ein biologischer Prozess – Ausnahmen bestätigen die Regel. Selbstverständlich sind 50-jährige Menschen noch total fähig, Großes zu leisten, aber nicht im Gesang. Ich habe da folgende goldene Regel: in den ersten zehn Jahren formt sich ein Sänger technisch, um eine volle Leistung zu bringen, das sollte mit 30 vollbracht sein. Dann hat er die besten Jahre im Alter von 30 bis 40, wo er die höchsten Leistungen bringt, und schließlich hat er einen Namen, an dem er dann noch etwa 10 Jahre zehren kann. Daraufhin wird er immer schlechter und dann ist es aus. Aber kaum ein Sänger gesteht sich Alter ein, was auch daran liegt, dass die meisten Sänger kein richtiges Eigenleben haben. Deren Eigenleben ist der Erfolg, die Interviews und die Bühne, wenn sie das nicht mehr haben meinen sie, gar nichts mehr zu haben. Ich bin da hart – so sagt man zumindest, ich bin da anderer Meinung – und gebe lieber einem jungen Sänger eine Chance als mit einem Künstler, der schon über den Zenit seiner Karriere hinaus ist, noch ein paar Abende bestreitet, weil derjenige schon so viel für das Haus geopfert hat. Egal, man hat ihn doch für seine Arbeit bezahlt.

Wenn das Leben eine einzige Oper wäre, welche Rolle würden Sie verkörpern?
Holender: Es gibt keine Figur, in der ich mich wiedergefunden habe. Natürlich hat man als Sänger Rollen, die einen stimmlich oder als Figur sehr reizen, wie Scarpia in Tosca oder Rigoletto. Aber weder möchte ich einen Buckel haben, noch würde ich Frauen vergewaltigen und ihre Liebhaber erschießen lassen… Ich würde auch nicht wollen, dass sich mein ganzes Leben auf der Opernbühne abspielt.

Die Wiener Staatsoper gehört zu den wichtigsten Opernhäusern der Welt. Geleitet wird sie von Ioan Holender. Geboren wurde Holender 1935 in Rumänien, er studierte u.a. Maschinenbau und Gesang und war später als Opern- und Konzertsänger aktiv. 1966 mehr

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