Ingo Appelt

Hinter jedem Baum lauert der Wahnsinn.

Seit über 30 Jahren steht er auf der Bühne und bewegt sich erfolgreich zwischen Comedy und Kabarett. Ein ausführliches Gespräch mit Ingo Appelt über seine Mission, verzweifelte Politiker, Provokation, weiblichen Humor, einen Karriereknick, missverstandene Gags und ein Geburtstagsgeschenk, das im Müll landete.

Ingo Appelt

© Felix Rachor, Sven Knoch

(Nach einem Auftritt in den Berliner „Wühlmäusen“)
Herr Appelt, vorhin auf der Bühne haben Sie erzählt, dass die Fußballnationalmannschaft samt Trainer Jogi Löw schwul ist. Können Sie diese Nummer auch im Fernsehen bringen?
Ingo Appelt: Ja, die habe ich schon im Fernsehen gemacht, die ist auch so durchgegangen. Comedy wird ja Gottseidank nicht so kritisch beäugt, ich bin manchmal selbst erstaunt, was da geht. Etwas Anderes wäre, wenn ich diese These bei Markus Lanz aufstelle, oder bei Anne Will.

Was steckt hinter so einem Gag?
Appelt: Ich spiele da mit dem Thema Homophobie. Wenn ich das auf der Bühne erzähle, merke ich, wie sich im Saal eine gewisse Panik ausbreitet. Wenn ich davon spreche, dass die ‚Rosetten knacken‘, dann kommt so eine seltsame Stimmung auf, die Jungs im Publikum fangen an, nervös zu werden. Da kann man beobachten, wie weit verbreitet Homophobie immer noch ist.

Woran misst sich, ob Sie selbst mit einem Abend zufrieden sind?
Appelt: Entscheidend ist immer: Wie geht es anfangs los und wie geht es am Ende raus. Heute war ich sehr zufrieden, die Leute waren begeistert, auch an der Länge der Show merke ich das.

Wie ist es, wenn es mal nicht so gut läuft?
Appelt: Das ist schon etwas länger her, aber ich hatte mal einen Auftritt auf Sylt, im „Meerkabarett“. Dort habe ich den Eröffnungsabend gespielt, was eine recht schnöselige Veranstaltung ist, da kommen die ganzen Honorationen: Hoteliers, der Pfarrer, Bürgermeister usw. Mein erster Satz war zwar nicht „Freunde, habt ihr heute schon gefickt“, aber so ähnlich. Wie ich halt bin, sehr direkt habe ich die Leute angesprochen – und es kam nichts zurück. Ich bin gestorben. Die saßen dort alle wie versteinert. Nach 90 Minuten habe ich frühzeitig aufgehört und bin ohne Zugabe von der Bühne. Danach dachte ich mir: Wenn jeder Abend so wäre, würde ich aufhören.

Wie viele Jahre standen Sie da schon auf der Bühne?
Appelt: Fünf, sechs Jahre.

Inzwischen sind es über 30 Jahre…
Appelt: Stimmt, 1989 hatte ich meinen ersten Auftritt, bei der Gewerkschaftsjugend. Danach habe ich sofort gekündigt und gesagt: Geil, das will ich jetzt immer machen. 1990 war ich dann mit Oskar Lafontaine bundesweit unterwegs, „Stimmen für Oskar“, da habe ich schon gutes Geld verdient: Ein Auftritt bei einer Gala auf dem Hotelschiff Florentina für 5000 DM. Das gefiel mir. Es lief dann natürlich nicht immer so gut, aber damals habe ich Blut geleckt und mir gedacht: Man kann auch davon leben.

Ihre ersten Auftritte hatten also einen politischen Hintergrund?
Appelt: Ich war seit dem 16. Lebensjahr in der IG Metall, dort habe ich mich engagiert. u.a. als Jugendbildungsreferent. Diese politische Arbeit hat auch Spaß gemacht, sie war aber bei weitem nicht so dankbar. Ich kann mich erinnern, dass wir mal eine Betriebsräteschulung gemacht haben, 1990 in Zittau, also kurz nach dem Mauerfall. Ich wollte denen erklären, wie eine Gewerkschaft funktioniert – das hat die aber gar nicht interessiert. Die hatten jahrzehntelang Gewerkschaften, die wollten das nicht mehr hören.
Das ist so ein Dilemma, das kann man übrigens auch heute wieder beobachten.

Inwiefern?
Appelt: Es ist kaum jemand mehr bereit, sich in Parteien zu engagieren. Gerade mal zwei Prozent der Wahlberechtigten sind Mitglied einer Partei. Weil es seit den Nazis und der SED oft heißt: Wer in der Partei ist, ist ein Arschloch. Auf der anderen Seite denke ich: Ihr könnt nicht erwarten, dass die Politik sich um euch kümmert, wenn ihr selbst überhaupt nichts macht. Da sind die Leute sehr bequem.
Im Übrigen sind wir auch noch erschreckend konservativ: Mutti bleibt zuhause und Vater geht arbeiten, dieses Rollenbild ist nach wie vor weit verbreitet. Eigentlich müssten wir längst viel weiter, viel aufgeklärter sein.

Könnte man sagen, dass Sie mit Ihren Shows aufklären wollen?
Appelt: Es ist immer noch politische Bildungsarbeit.

So sehen Sie Ihre Auftritte?
Appelt: Auf jeden Fall. Ich mache das jetzt auf eine unterhaltsame Art und Weise, auch provokant und es geht nicht immer nur um Politisches. Aber im Prinzip möchte ich politische Bildung betreiben, deshalb trete ich zum Beispiel bei Dieter Nuhr auf, der das ja auch möchte.

Und als Politiker diese Aufgabe wahrzunehmen, das war nichts für Sie?
Appelt: Ich habe ja politische Arbeit gemacht. Ich war bei der SPD, bin als Gesamtjugendvertreter der IG Metall bei den Jusos reinmarschiert. Die fragten mich damals als erstes: Bist du neoreformistischer Marxist oder reformistischer Marxist? Da habe ich gesagt ‚ich bin evangelisch‘ – und bin gegangen. Das war so eine verkopfte, elitäre, abgehobene Veranstaltung, da willst du nicht dabei sein. Da habe ich als Arbeiter auch nichts zu suchen, das hat man mir zu verstehen gegeben. Die reden gar nicht mit dir.

Trotzdem sind Sie bis heute SPD-Mitglied. Warum?
Appelt: Ganz einfach: Für mich bedeutet das Solidarität, ich unterstütze etwas. Wenn ich Tierschutz will, bin ich im Tierschutzverein. Wenn ich ein Auto habe, bin ich im ADAC, wenn ich an Gott glaube, bin ich in der Kirche. Das ist eine simple Unterstützung. Nur sagen eben 98% der Bevölkerung: Ich will weder Mitglied einer Partei noch einer Gewerkschaft sein. Als Gewerkschaftsfunktionär hat mich diese Haltung gewurmt: diese ganzen Leute, die keinen Beitrag zahlen, die sagen ‚ich drück euch die Daumen, geht schön streiken, aber warum soll ich für so etwas bezahlen‘? Die sogenannten ‚Streikbrecher‘, die haben mich immer geärgert.

Als Kabarettist in einer Partei zu sein, birgt das nicht Konflikte?
Appelt: Die meisten Kabarettisten haben natürlich den Anspruch, Schiedsrichter zu sein. Aber wenn jeder versucht, Schiedsrichter zu sein, funktioniert das Spiel nicht. Wenn jeder immer nur objektiv sein will… – wir sind doch keine Journalisten! Ich bin Kabarettist, ich stehe für etwas. Und ich bin gerade aufgrund meiner Mitgliedschaft rotzfrech gegenüber der SPD.

[TV-Auftritt von Ingo Appelt aus den 90er Jahren]

 

[Auftritt im SPD-Wahlkampf 2013]

Ist die SPD denn noch unterstützenswert, Ihrer Meinung nach?
Appelt: Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich warte darauf, dass ich irgendwann das letzte Mitglied bin und das Licht ausmachen darf. – Ich weiß es nicht.

Wenn man sich anguckt, welche Ideale die SPD hatte und wie sie diese nicht umsetzt…
Appelt: Ich könnte mir auch vorstellen, Mitglied der Grünen zu sein. Andererseits bin ich so ein alter, loyaler Klassenkämpfer, das Parteibuch habe ich seit meinem 16. Lebensjahr. Ich war kein glühender Verehrer der großen Andrea Nahles, aber ich kenne zum Beispiel Olaf Scholz ganz gut, der war ja auch ein Gewerkschaftsfuzzi. Scholz hat damals viel mit Jochen Kletzin von der IG Metall gearbeitet, und Kletzin war für mich eine Leitfigur. Ich bin ohne Vater groß geworden und Kletzin war jemand, der mir beigebracht hat, wie das Leben in der Politik funktioniert. Diese Leute haben mich zum Kämpfer gemacht, zu denen spüre ich eine gewisse Nähe, da weiß ich: mit denen kannst du.

Aber wie können Sie damit, dass Ihre Partei nach der Wahl 2017 umgekippt und doch wieder in eine Große Koalition eingetreten ist?
Appelt: Der Punkt ist: Die Parteien sind so schwach, die haben keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung. Die Bevölkerung mag Politik oft nicht. Wenn du mit einem Politiker drei Bier trinkst, merkst du, wie verzweifelt die sind. Die haben keinen Rückhalt, die werden ständig beschimpft, leben unter Morddrohungen – müssen aber trotzdem diesen Apparat machen. Und Fehler verzeihen die Bürger einem Politiker nicht. Ja, die SPD ist umgefallen, das will ich gar nicht verteidigen. Aber der Wähler schwankt doch viel mehr. Der macht was er will, mal wählt er AfD, dann geht er mal nicht zur Wahl, dann wählt er wieder was Anderes – wie ein Fußball-Fan, der ein Borussia-, ein Schalke- und ein Bayern-Trikot im Schrank hat und sagt: Ich weiß noch nicht, was ich morgen anziehe.

Sie bleiben also der treue SPD-Fan.
Appelt: Bei mir ist einfach eine gewisse Loyalität da, ich habe das SPD-Shirt schon so lange an. Ich kenne auch sehr viele in der Partei, denen ich vertrauen kann, denen ich glaube, die ich auch mag. – Und natürlich kenne ich auch unheimlich viele, die ich in der Pfeife rauchen würde.
Am Ende müssen wir froh sein, dass überhaupt noch Menschen bereit sind, politische Arbeit zu machen. Viele glauben ja wirklich, dass Politik so eine One-Man-Show ist, man ruft nach dem einen starken Mann, der es dann richten soll. Wie in einer Diktatur, grauenvoll. Wir lernen nicht mehr in Gruppen zu denken und zu arbeiten.

Zitiert

Ich gehe an die Grenzen, um zu gucken: Wie ehrlich sind wir miteinander?

Ingo Appelt

Wie hat sich in 30 Bühnenjahren Ihr Humor verändert, gibt es da eine Form der Altersmilde?
Appelt: Nein, Altersmilde glaube ich nicht. Ich muss natürlich gucken, dass ich nicht zu sehr auf die Ocken haue, weil ich im Prinzip seit den letzten 15 Jahren gegensteuere.

Wie meinen Sie das?
Appelt: Bis zum Jahr 2000 ging es bei mir ja oft um „ficken“… – Das war wie so ein Wettbewerb: Wie weit geht Appelt beim nächsten Mal, welche Sauerei macht er als nächstes? Alles, was eigentlich nicht ging, habe ich gemacht und das auch sehr erfolgreich.
Und dann kam der Bruch, als die „Ingo-Appelt-Show“ abgesetzt wurde. Da wurde genau das, was an mir geschätzt wurde, wofür mich ProSieben eingekauft hatte, gegen mich gerichtet. In der Schule sagt man ja: Wenn du Witze über den Lehrer machst, sind die solange witzig, bis er im Klassenzimmer steht. Das ist mir damals passiert.

Was waren die Folgen?
Appelt: Ich bin abgestürzt, von 3500 Zuschauer auf 100. Das war auch existentiell ein großes Problem. Privat hatte ich eine Trennung hinter mir, fast alles, was ich in der Zeit verdient habe, ist bei meiner Ex-Frau gelandet. Da musste ich mir überlegen, wie ich weitermachen will. Ich habe damals auch in der Schweiz gespielt, wo sie eine Umfrage gemacht haben. Ergebnis: 90 Prozent der Männer würden zu Ingo Appelt gehen, aber nur 20 Prozent der Frauen. Frauen sind aber meistens diejenigen, die entscheiden, wo es am Abend hingeht. Und bei denen hatte ich ein Imageproblem.

Und da haben Sie ‚gegengesteuert‘?
Appelt: Eigentlich habe ich nicht viel gemacht, um das zu verändern, ich habe nicht strategisch dagegen gearbeitet. Das war viel mehr so ein ‚einfach weitermachen‘. Ich bin ein Aufstehmännchen.

Sie haben damals Ihre Frisur verändert.
Appelt: Das hatte einen anderen Grund. Ich saß einmal bei der RTL- Sendung „Frei Schnauze“ in der Maske und dort meinten die zu mir: Der spitze Scheitel ist doof, mach das mal weg. Danach habe ich einige Freunde gefragt, auch meinen schwulen Maskenbildner, und alle meinten: Ja, das sieht nicht aus. – Ich höre gerne auf Frauen und schwule Männer. Manchen Hetero-Männern ist meine Garderobe ja zu bunt, oder zu glitzer. Torsten Sträter sagt das manchmal: „Schon wieder so ein Glitzerteil“.
Ich bin ja auch schon in Frauenkleidern aufgetreten, bei „Yes We Can Dance“ mit Kai Pflaume: als „Britney Spears“ habe ich roten Lack und Silikon-Brüste getragen. Das war sehr lustig, kam aber nicht überall gut an.

Bei der „Ingo Appelt Show“ hatte man den Eindruck, dass Sie gerne Grenzen austesten.
Appelt: Ich tue das bis heute: Ich gehe an die Grenzen, um zu gucken: Wie ehrlich sind wir miteinander? Die Nummer mit der schwulen Nationalmannschaft, die ist total provokant – und an der Reaktion des Publikums merke ich, wie die Menschen wirklich drauf sind. Das Gleiche wenn ich Flüchtlinge thematisiere. Oder wenn ich provozierend sage: Ich bin Nazi, wer ist noch Nazi, bitte Hand hoch… – Was ich dagegen überhaupt nicht mag, ist dieses: mit erhobenem Zeigefinger rausgehen und sagen ‚ich weiß es besser, ich bin besser und kann es besser‘.

Sie stellen sich nicht über Ihr Publikum.
Appelt: Nein, ich ziehe ich mich eigentlich immer selber mit der Kuh aufs Eis. Ich weiß nicht was richtig ist, bin selber hin- und hergerissen. Ich will auf keinen Fall belehrend daherkommen, es ist eher der Ansatz eines Therapeuten. In der Paartherapie, oder der Sexualtherapie wird ja sehr stark provoziert, um aus den Patienten Wahrheiten raus zu locken. Du setzt die Leute gewissem Stress aus, um zu sehen, wie sie drauf sind.

Ist das Grenzen-Austesten auch ein bisschen eine Mutprobe? So wie andere Leute Bungee-Jumping machen?
Appelt: Ja, das ist etwas sehr Ähnliches. Es ist auch etwas sehr Maskulines. Wenn man ein kleiner unscheinbarer Typ ist wie ich, weder besonders sportlich, noch besonders intelligent was Geld anbelangt, dann pochert man so ein bisschen, dann macht man gern auf große Fresse und überspielt damit die eigenen Makel. Vielleicht hat das auch mit meiner Schulzeit zu tun, da wurde ich nicht respektiert. Ich war ja Hauptschüler und ich erinnere mich noch gut an den Abschluss-Abend. Da wurde die ganze Schule eingeladen, es wurde Theater gespielt hat, Sketche und Musik gemacht…

Und Sie standen auf der Bühne?
Appelt: Nein, ich hatte das Problem, dass das ganze von den Mädels organisiert wurde. Und bei denen hatte ich kein gutes Händchen, jede wollte mal mit mir gehen, ich aber nicht mit ihnen… und die, mit der ich gerade Schluss gemacht hatte, war die Chefin vom Abschluss-Abend. Und die hat mich dann nicht auf die Bühne gelassen. Das hat mich richtig gewurmt. Aus so einem Antrieb heraus habe ich gesagt: Jetzt erst recht!
Und dann bin ich bei den Betriebsversammlungen der IG Metall als Jugendvertreter in die Bütt gegangen, vor 2500 Leuten. Erst spricht der Bürgermeister, der Chef vom Betrieb, der Gewerkschaftsfunktionär, dann einer von der SPD – und dann Ingo Appelt. Ich habe ausgeteilt, „vielen Dank liebe Geschäftsführung, dass ihr alle Auszubildenden rausschmeißt, dass ihr keinen übernehmt, dass ihr euch alle einen Mercedes vor die Tür gestellt habt und eure Bonis so ausgereizt sind, dass ihr euch jetzt schon mit Naturalien ausfüttern müsst.“ – Da kam aus dem Publikum natürlich gar nichts, keine Reaktion. Die Leute saßen wie versteinert da. ‚Was macht der da? Das kann man doch nicht machen!‘

Sie hatten keine Sorgen?
Appelt: Ich habe mir fast in die Hosen gemacht vor Angst, ohne Skript. Aber hinterher hieß es „Super, du hast Recht gehabt, genauso muss man es machen.“
So ging mir das in meiner politischen Laufbahn eigentlich immer, dass ich viele lustige Sachen gemacht habe, dafür aber keinen Applaus bekam, weil ich als Nestbeschmutzer, als Verräter galt. „Du darfst nicht über die Betriebsräte schimpfen, nicht über die IG Metall. Wir müssen doch zusammenhalten.“ Ich war politisch nicht korrekt in deren Augen. Als ich dann aber als Comedian aufgetreten bin, in der gleichen Rolle, fanden das auf einmal alle lustig. Auf einmal konnte ich über die Betriebsräte herziehen, über die SPD Witze machen und es war plötzlich kein Verrat mehr – sondern Kabarett. In dem Moment haben sich für mich die Vorzeichen geändert, da habe ich gedacht: Ich glaub, hier bin ich richtig.

© Ava Elderwood

© Ava Elderwood

Die Absetzung der „Ingo Appelt-Show“ im Jahr 2000 war für Sie finanziell schwierig, aber ist so eine Absetzung für einen Provokateur nicht auch ein Stückweit ein Erfolg?
Appelt: Nein, so habe ich das nie gesehen. Ich bin keiner, der sagt, „Haha, kaputt gemacht“. Allerdings: Als Gewerkschafter misstraue ich Erfolg. Millionäre sind mir suspekt, deswegen will ich auch keiner sein. Ich kann mit diesem Geld nicht. Ganz ehrlich, diese Zeit um die Jahrtausendwende war die Schlimmste Zeit meines Lebens, weil ich nur von Arschlöchern umgeben war, die mir gesagt haben, ‚du musst dein Geld auf die Kaimaninseln packen, du musst ein Steuersparmodell machen, du musst es in die Schweiz packen, du musst Aktien kaufen, dies machen, jenes machen‘ – es ging die ganze Zeit nur um Kohle, Geld, Geld, Geld.

Wer erzählt einem das?
Appelt: Mein Management damals. Ich bin gefühlt von allen abgezockt worden. Das führte bei mir zu einer Unsicherheit, ich hatte das Gefühl, nur noch von Kriminellen umgeben zu sein. Und ich brauche Menschen, denen ich vertrauen kann.

Heute haben Sie ein anderes Management?
Appelt: Ja, heute bin ich in der glücklichen Situation, einen Manager zu haben, dem ich blind vertrauen kann. Ich habe nicht mal ’nen Vertrag mit dem. Der nimmt meine ganzen Gelder ein, seit fast 20 Jahren – ich vertrau dem mein Leben an.
Aber in so einer Zeit, wo du so viel Geld verdienst, da sind die Verführungen groß. Da waren Summen dabei, mit denen konnte ich nichts mehr anfangen. Die Beträge, die ich heute verdiene, verstehe ich. Und ich habe heute immer wieder eine unfassbare Demut dem gegenüber, wenn die Hütte voll ist.

Sie sind nicht neidisch auf Mario Barth.
Appelt: Doch, total. Der Sack! Natürlich ist man da neidisch. Ich bin überhaupt immer neidisch. Ich fühle mich schon sehr verkannt.

Das war jetzt ironisch.
Appelt: Nein. Das ist das Dilemma: Ich bin nicht so doof wie viele denken, ich bin weder so sexistisch…

Aber Sie fühlen sich doch nicht wirklich verkannt.
Appelt: Doch, teilweise schon. Mit der Prominenz, die ich habe, müsste ich auch im Tempodrom spielen können, vor 3500 Leuten. Torsten Sträter zum Beispiel hat mehr Zuschauer als ich.
Ich kämpfe ja im Grunde seit dem Beginn meiner Bühnenlaufbahn immer am Limit, es kam nie der Moment, wo ich gesagt habe: Jetzt ist alles gut. Sondern hinter jedem Baum lauert der Wahnsinn. Mein erstes Gastspiel hab ich in München gehabt, da kam ich gerade vom Zivildienst. Jetzt hatte ich es in meiner Zivildienstzeit geschafft, mit Wohnung und Auto insgesamt 32.000 DM Schulden anzuhäufen. Da meinte der Sparkassen-Fuzzi zu mir: Das geht gar nicht. Ich habe also am Hinterhof-Theater in München vier Wochen am Stück durchgespielt, nur Montag/Dienstag frei – und in den vier Wochen genau 32.000 DM verdient. Die habe ich dann, in kleinen Scheinen, meinem Sparkassen-Fuzzi vorgelegt.
Also, es bleibt immer auf der Nulllinie. Von daher alles gut. Daran habe ich auch immer geglaubt: Das wird schon. Ich hatte nie Angst, weder um mein Leben noch um meine Zukunft.

Als Ihre Show damals abgesetzt wurde, kommentierte Dieter Hallervorden: „Comedy darf alles, was Fernseh-Redakteure zulassen“. Ist da heute noch etwas Wahres dran?
Appelt: Absolut.

Wobei Sie eingangs sagten, Sie hätten keine Probleme.
Appelt: Ich habe deswegen keine Probleme, weil ich genau das mache, was der Redakteur will. Ich betrachte mich da auch als Dienstleister, nicht als Selbstdarsteller. Ich stelle mich bei Dieter Nuhr nicht so dar wie hier in den Wühlmäusen. Bei „Kabarett aus Franken“ bin ich ein reiner politischer Kabarett-Dienstleister, ich mache da keine Ingo Appelt Personality-Show. Ich sehe Fernsehen heute viel mehr als ein didaktisches Medium, das auch einen Erziehungsauftrag hat. Da sollen bestimmte Dinge gemacht werden, aber bestimmte Dinge auch nicht. Man muss im Fernsehen nicht über alle Grenzen gehen.

Und die Redakteure bestimmen die Grenzen?
Appelt: Ja. Wobei es einen Unterschied macht, ob du öffentlich-rechtlich oder bei den Privaten arbeitest. Bei den Privaten ist es genauso der Redakteur, aber da ist die Zielrichtung eine andere. Warum ist die „Ingo Appelt Show“ abgesetzt worden? Nicht etwa weil die so schlimm war, sondern weil zu wenig Frauen eingeschaltet haben. Die Quote lag bei 65 % Männer. Und das ist für die Werbeindustrie uninteressant. Männer treffen weniger Kaufentscheidungen.

Ist doch aber auch für Sie schöner, wenn mehr Frauen im Publikum sind, oder?
Appelt: Es ist immer gut, mehr Frauen um sich herum zu haben. Bei „Kabarett aus Franken“ sind es übrigens nur weibliche Redakteure, das ist eine ganz andere Kommunikation. Wenn die fragen, „Kannst du den Türkenwitz nicht vielleicht weglassen?“ dann sagst du: Klar, ihr habt Recht.

Gibt es bei Fernsehauftritten Autoren die Ihnen zuarbeiten?
Appelt: Wenig. Bei der „Ingo Appelt Show“ gab es das. Aber heute mache ich das alles selbst. Mein Bühnenprogramm – das kann dir keiner schreiben. Ich dachte auch, das würde gehen, ich habe das mal probiert. Die Autoren dachten dann, wenn sie 15 mal „ficken“ in einem Satz unterbringen, wäre das ein Ingo Appelt-Text. Ich glaube, viele begreifen die Mission nicht, die ich habe und von der ich auch beseelt bin.

Wie sieht diese Mission aus?
Appelt: Ans eigene Geschlecht ranzugehen, dieses Hadern mit der eigenen Geschlechtlichkeit. Dass wir Männer so scheiße kriminell sind, dass ich darunter leiden muss. Wenn ich heute über Sex rede, werde ich schnell als Sexist bezeichnet. Nicht weil ich einer bin sondern weil meine Artgenossen der Auffassung sind, Frauen kaufen oder Macht über sie ausüben zu können. Ich als guter Mann leide darunter. Auch dass Väter ihre Kinder nicht kriegen, weil die Frauen sagen, der Vater kümmert sich nicht. Und Gerichte sagen: ‚Die Männer sind alle so‘. Anstatt dass die Gerichte mich dazu verdonnern, mich um meine Kinder zu kümmern, drücken sie mir die Kosten aufs Auge. Ich leide letztendlich unter diesem beschissenen Image, dass wir Väter als Minderleister gelten, was Kinderpflege anbelangt. Ich kümmere mich unheimlich gerne um Kinder, ich liebe Kinder, eigentlich bin ich eine totale Mama. Und ich bin immer noch total frustriert darüber, dass mir das keiner zugesteht. Wenn ich vor Gericht gehe: Ich würde niemals die Kinder zugesprochen bekommen. Niemals würde ein Richter sagen: Kümmern Sie sich um die Kinder, die brauchen Sie. Sondern es heißt: Lieber weg vom Vater.

Sie sagten einmal in einem Interview mit der „Welt“: „Meine Böshaftigkeit habe ich meiner nicht gerade glücklichen Kindheit zu verdanken“. War damit gemeint, dass Sie ohne Vater aufgewachsen sind?
Appelt: Ja, diese Vaterlosigkeit… Also, ich musste mich immer um meine Mutter und meine Schwester kümmern. Letztendlich war ich der Mann im Haus, mit elf Jahren sozusagen der Chef. Ich war ein Tyrann, unausgeglichen, nicht besonders fleißig, aber ich habe mich immer durchgebissen. Ab dem 15. Lebensjahr habe ich mein eigenes Geld verdient. Ich habe immer versucht, mir eine gewisse Unabhängigkeit zu erarbeiten. Das ist mir auch gelungen. „Unglückliche Kindheit“, das sagt man so. Wir haben doch alle eine unglückliche Kindheit.

Ich fragte nur, weil Sie daraus Ihre „Böshaftigkeit“ ableiteten.
Appelt: Mittlerweile bin ich ja ein bisschen älter, ich schiebe das heute nicht mehr so sehr auf meine Kindheit. Was vielleicht aus dieser Zeit kommt ist die Wut. Ich war schon immer sehr wütend auf Väter, die sich nicht kümmern. Ich war aber auch wütend auf meine Mutter, weil die ihr Leben nicht auf die Kette gekriegt hat. Ich bin mit sehr viel Wut groß geworden, und diese Wut kanalisiert sich dann letztendlich auch in die Arbeit auf der Bühne. Auch für die meisten Politiker ist das glaube ich ein wichtiger Antrieb, Wut und Unzufriedenheit. Wobei – auch das lernt man im Laufe der Zeit – der Mensch ja immer unzufrieden ist, egal was er hat. Irgendeiner hat immer mehr. Darüber mache ich mich auch gerne lustig: Dass ein Land wie Deutschland allen Ernstes rumläuft und jammert ‚uns geht’s schlecht, alle verarschen uns…‘ – so etwas kann man ja nicht ernst nehmen. Aber Menschen sind so.

Muss man als Komiker ganz besonders studieren, wie Menschen sind?
Appelt: Ich denke, du musst generell sehr viel über Menschen wissen, wenn du mit dem Leben irgendwie klarkommen willst. Und ich habe früher nicht so viel gewusst. Deswegen habe ich sehr viele Bücher gelesen: Wo kommen wir her? Wie sind wir entstanden? Auch so ein lustiges Buch wie „Der dressierte Mann“ aus den 70er Jahren. Die Autorin Esther Vilar hat damals die These aufgestellt, dass Männer die besseren Menschen sind, Männer haben immer alles erfunden usw. Eine unfassbare These, die aber ernst gemeint war. Da habe ich mir dann gesagt: Wenn eine Frau behauptet ‚die Männer sind geiler‘, dann muss ich als Mann hergehen und sagen: Die Frauen sind geiler. Ich bin der männliche Esther Vilar – finde ich zumindest. Das mal auf den Kopf zu stellen, ist eine sehr witzige und bereichernde Perspektive. Daraus entstand später mein Buch „Männer muss man schlagen“.

Leisten Sie heute als Komiker Bildungsarbeit auf der Mann/Frau Ebene?
Appelt: Urban Priol meinte mal zu mir: „Dieses Männer-Bashing ist doch 70er Jahre, das brauchen wir doch nicht mehr, das ist doch Quatsch“ – Aber wenn wir uns Trump & Konsorten anschauen, gerade jetzt läuft es doch männlich völlig aus dem Ruder. Weil sie merken: ihre Felle schwimmen ihnen davon.

Das Kabarett selbst hat nach wie vor einen sehr hohen Männeranteil.
Appelt: Es liegt ihnen halt, das Rampenlicht. Der Mann steht gerne auf der Bühne, ist bedeutend, hat was Wichtiges zu sagen.

Und Frauen?
Appelt: Frauen sind lieber Models und Sängerinnen, oder Designerinnen, die sind eher mit ihrem Äußeren beschäftigt. Natürlich nicht alle, aber viele, das ist immer noch sehr gesetzt.

Das heißt, es liegt an den Frauen und nicht am Kabarett-Betrieb, dass der Frauenanteil so niedrig ist?
Appelt: Einerseits, andererseits. Ich glaube, dass der Kabarett-Betrieb, dass überhaupt wir Männer unglaublich wegbeißen. Die Piraten-Partei zum Beispiel ist deswegen abgestürzt, weil die zu chauvinistisch waren, die Frauen fühlten sich bei diesen Männern nicht wohl.
Neulich war Hazel Brugger Gast in Dieter Nuhrs Sendung. Sie hatte ihren Auftritt und dann stehen da Andreas Rebers, Torsten Sträter und ich und machen Pimmelwitze. Wie Männer eben so reden. Und die Hazel guckt uns nur an nach dem Motto: Wenn ihr immer so eine Scheiße redet, braucht ihr euch nicht zu wundern, wenn Frauen nicht bei euch auftreten wollen. – Das ist schon so, wir Männer haben so eine komische Kommunikationskultur. Erst sind wir total devot, helfen der Frau in ihren Pelzmantel – und wenn sie weg ist, reden wir über Pimmel und Kacken. Du musst als Frau schon sehr viel aushalten können, um in dieser Branche überleben zu können. Und du musst die ein oder andere maskuline Eigenschaft mitbringen, wie in der Politik ja auch.

Gibt es weiblichen Humor?
Appelt: Ja. Frauen haben eine ganz andere Form von Humor, sie sind viel moralischer als wir Männer in der Bewertung. Das kann man gut bei Comedy-Shows sehen, wenn da ein Mann auf der Bühne steht und die Kamera ins Publikum schwenkt, geht der erste Schnitt immer zu Frauen. Immer, grundsätzlich. Weil: Wenn die Frau lacht, ist alles gut. Wenn der Mann lacht, könnte es auch eine Hinrichtung sein.

[Auftritt von Ingo Appelt im SWR, 2013]

Welchen Stellenwert hat Provokation für Sie heute?
Appelt: Sie ist nur Mittel zum Zweck, grundsätzlich. Wenn du provozierst musst du auch verdammt charmant sein, du kannst nur dann einen versauten Witz erzählen, wenn du ihn gut verpackst. Klar, ich schlage oft über die Stränge, aber ich hole auch viele andere Sachen wieder rein. Michael Mittermeier sagt immer: „Appelt kann der größte Idiot sein, aber er ist mit der talentierteste, der auf der Bühne rumturnt“. Weil ich halt sehr viel bedienen kann. Ich kann parodieren, Klavier spielen, ich kann das Politische, aber ich kann auch total versaut. Es gibt eigentlich kaum ein Programm in Deutschland, wo du so viel geboten kriegst, wie bei Ingo Appelt.

Diese Bandbreite von Pinkeln bis Politik, die kennt man auch von Serdar Somuncu.
Appelt: Ja, aber Serdar geht mir teilweise zu weit. Ich kenne ihn gut, er ist privat ein unfassbar charmanter Mensch. Auf der Bühne ist er unerträglich, immer nur „Fotze, Ficken, Bumsen, blasen“ und „ihr seid doch alles Schlampen“ – er gibt sich nicht die Mühe charmant zu sein. Ich finde, du musst schon ein bisschen zaubern, hier und da ein kleines Bonbon, ein Tischfeuerwerk – warum denn nicht? Er sieht das sicher anders, für Serdar bin ich wahrscheinlich zu sehr Mainstream. Er ist ein Knallharter, der es wissen will. Er macht Dinge, die würde ich mich nicht trauen. Vor 800 Nazis aufzutreten und „Mein Kampf“ vorzulesen, und die Leute da zu verarschen – das musst du erst mal hinkriegen.

Aber auch bei Ihnen ist Hitler noch die ein oder andere Pointe wert. Warum?
Appelt: Weil das Thema im Moment total aktuell ist, weil wir im Moment mit unserer Nazi-Schiene… Ich habe eigentlich nie Hitler gemacht, nur mal ganz am Anfang, dann aber sehr lange nicht. In der Comedy ist Hitler immer wichtig, irgendein Hitler-Gag muss immer sein…

Warum?
Appelt: Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht. Comedians arbeiten sich daran ab. Irgendwas mit Hitler oder Drittem Reich ist immer. Bei „Freitag Nacht News“, da waren es mir mal zu viele Hitler-Witze, da hab ich gesagt „Nee, lass mal weg.“ Aber dann gibt es auch eine persönliche Affinität, durch mein Geburtsdatum 20. April. Mir hat mal einer zum Geburtstag „Mein Kampf“ geschenkt, mit Widmung. Das lag bei mir jahrelang im Regal, bis ich es weggeschmissen habe. Wie kann man nur auf so eine Idee kommen!

War das Serdar Somuncu?
Appelt: Dem würde ich das zutrauen. Aber nein, das war damals ein Produzent einer TV-Show.

Serdar sagte mal: Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung. Ist das auch für Sie eine Leitplanke?
Appelt: Ach, das ist genauso ein Allgemeinplatz, wie wenn du sagst: „Was darf Satire? – Alles.“ Jede Minderheit? Ich weiß nicht ob vergewaltigte Frauen ein Recht darauf haben, diskriminiert oder verarscht zu werden, oder ob missbrauchte Kinder unbedingt auf der Bühne stattfinden müssen. Ich habe das mal im Ansatz versucht, das Thema Missbrauch einzubauen, das war wirklich haarig. Man muss auch immer wissen wo man ist. Ich habe mal in einem Hospiz gespielt, also wirklich bei sterbenden Menschen. Dort habe ich Witze gemacht über Krebs und Tod, das kam super an. Da ist dann die Pointe „ich hab drei Monate länger als du“. Das ist eine ganz andere Welt, sehr grausam, mit viel Fatalismus. Aber auch dort musst du dich mit den Leuten auf Augenhöhe stellen. Und nicht drüber stellen. Das hat mir bei Oliver Pocher oft nicht gefallen, wenn er sich drüber gestellt hat, herablassend war. Das mag ich nicht. Mir ist Selbstironie wichtig, die aktive Beteiligung an der eigenen Zerstörung, die musst du als Comedian verinnerlicht haben.

Sie stellen infrage, ob man Witze über Vergewaltigungsopfer machen sollte – wie ist es mit Todesopfern? Zum Beispiel hatten Sie mal in Ihrem Programm einen Witz über den Germanwings-Absturz, auch über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Wenn Sie deutschlandweit auftreten und die Germanwings-Nummer bringen, ist es doch gar nicht so unwahrscheinlich, dass Angehörige im Publikum sitzen.
Appelt: Die Reaktion des Publikums ist an der Stelle ist ja auch immer „ups“ – und die ist auch berechtigt.

Überprüfen Sie Ihre Witze dahingehend?
Appelt: Nein. Der Punkt ist folgender: Als damals die Germanwings-Maschine abgestürzt ist, habe ich etwa zwei Wochen nicht gespielt. Ich habe abgesagt. Weil ich kein Bock hatte. Ich konnte das Thema nicht nicht ignorieren, konnte aber auch keine Witze darüber machen.

Heute können Sie es?
Appelt: Es ist die Frage, ob das Thema richtig aufgenommen ist. Und das Thema habe ich richtig aufgenommen. Tatsächlich war es doch so: Hätte der Pilot mal gesagt „Pass auf, ich habe Depressionen“ – dann hätte er nicht im Cockpit gesessen. Den Ansatz finde ich richtig, über die Form kann man immer streiten.
Ich habe übrigens auch Leute in meinem persönlichen Bekanntenkreis, die von dem Absturz betroffen waren. Oder vom Anschlag am Breitscheidplatz, den ich ja auch manchmal einfließen lasse. Ich kenne Leute, die dort vor Ort waren, wie der Axel Kaiser, der Opfer in seiner Bude versorgt hat. Trotzdem finde ich, kann ich auf der Bühne darüber reden.
Was bei diesen Themen ja am häufigsten passiert, ist das Missverständnis, also dass du von der falschen Seite angegriffen wirst. Zum Beispiel von den schwulen Funktionären…

Von denen werden Sie angegriffen?
Appelt: Ja, natürlich. „Der nächste tote Schwule auf dem Schulhof geht auf Ihre Rechnung, Herr Appelt“, das durfte ich mir anhören. Ich habe in Köln ein Projekt mit Hauptschülern gemacht, eigentlich so ein Transgender-Ding. Die waren 8. Klasse, ein Deutscher, der Rest Italiener, Türken etc., bei den Mädels das gleiche in grün, drei mit Kopftuch, die anderen aufgebrezelt wie sonstwas. Mit denen habe ich eine Woche eine Aktion gemacht, wo es darum ging, was sie werden wollen. Die Jungs: Fußballer, die Mädchen: Model, Schauspielerin oder Näherin.
Daraus haben wir dann eine Art TV-Show gemacht, inklusive Original-Einspieler von „TV Total“. Die Jungs mussten dann Sport machen – aber in Stöckelschuhen, mit Kleid und Perücke auf dem Kopf. Diese Jungs dazu zu bringen, ins Frauenkostüm zu schlüpfen, das war für die die größte Überwindung überhaupt. Aber wir haben eben diese ganzen Gender-Klischees auf den Kopf gestellt. Wir haben auch ein Lied gemacht mit dem Refrain, „Hauptschule ist cool, Abitur ist schwul“ – und als diese Zeile in der Zeitung stand, kamen auf einmal die Schwulenverbände und meinten: Wie kannst du so was sagen? Volker Beck kam deswegen extra nach Köln zu dieser Schule, der große Schwulen-Beauftragte der Grünen. Dann hat er unseren Film gesehen und war so klein hinterher, weil es genau das Gegenteil von dem war, was er erwartet hat. Oder was er von Ingo Appelt erwartet hat.
Das erlebe ich auch immer wieder, dass Leute zu mir in die Vorstellung kommen, mit so einer Klischee-Vorstellung, dass es bei mir den ganzen Abend nur um Ficki-Ficki-Trulala und Sauereien geht. Gott sei Dank hat mich da Dieter Nuhr ein bisschen gerettet, der mich unter seine Fittiche genommen und ein wenig resozialisiert hat. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

[Auftritt im SWR 2017, „Wir sind alle schwul“]

Ich habe Dieter Nuhr einmal im Interview Ihren Gag „Warum ist Wolfgang Schäuble nicht schwul? Weil er seinen Arsch nicht mehr hochkriegt.“ vorgelegt. Nuhr sagte dazu: „Ingos Programm ist sehr vernichtend und schont niemanden. So wie über Schäuble würde Ingo auch über sich selbst reden. Er ist jemand, der mit dem Humor den Teufel austreibt, weil er ihn auf die Spitze treibt. Dass er Grenzen überschreitet, gehört zu seinem Humor dazu.“
Appelt: Das Problem ist, dass wir in der Comedy ganz oft Dinge tun, die, wenn man sie ausbuchstabiert und hinschreibt, eigentlich nicht gehen. Andreas Rebers zum Beispiel hat in einem Sketch Fahrradfahrer als Arschlöcher beschimpft, ‚die immer mit ihrem Scheiß-Helm‘, und seine Nachbarin hat einen Unfall gehabt, da fährt er sie natürlich ins Krankenhaus, mit dem Fahrrad. Er hat richtig auf die Radfahrer eingekloppt und wir haben uns kaputt gelacht, weil das so befreiend ist. Und dann bekam er in einer Tour Briefe, Mobbing, die Fahrradorganisationen, ‚wie kann man nur so über Fahrradfahrer reden’…. Das passiert vor allem dann, wenn Interessengruppen organisiert sind. Die sehen das sehr eng, die sehen ihre eigenen Interessen und gucken überhaupt nicht über den Tellerrand. Da werden hier in Berlin schon mal Gedichte von den Wänden genommen. Das ist die Absurdität von politischen Debatten, wenn man anfängt, alles so eng zu sehen.

Aber es gibt offenbar auch Provokation, die Ihnen zu weit geht. Sie haben zum Beispiel in einem Zeitungsartikel Kollegah und Farid Bang mit den Worten kritisiert „Provokation dient nicht als Verkaufsschlager.“
Appelt: Die machen Scherze mit Arschficken, Jude, Hitler Tralala, weil sie ihrem Publikum gefallen wollen, weil die 16-jährigen Jungs das alles geil finden. Wenn du Männern gefallen willst bist du ganz schnell in der Ficken-Töten-Bumsen-Abteilung, ich kenne diese Falle.
Was ich manchmal nicht verstehe: Wenn jemand wie Bushido auf der Bühne steht, eine frauenfeindliche Zote nach der anderen runter reißt – und die Mädels alle dabei sind. Aber das ist eben der Promi-Effekt, der hat Geld. 42 Prozent der amerikanischen Frauen haben Trump gewählt. Es ist eine Plage, dass Männer so dämlich sind und dumme Scheiße erzählen. Trotzdem gibt es immer noch hunderte von Frauen, die sagen: Find ich geil. Jeder Massenmörder hat irgendeine Frau, die ihn heiraten möchte. Das ist absurd. Aber so funktionieren wir halt.

Aber nochmal zur Provokation als Verkaufsschlager: Sie witzeln auf der Bühne zum Beispiel über Angela Merkel „Hat sie sich hochgeschlafen? Wollen wir uns das vorstellen?“ – Ist das Provokation um seiner selbst willen oder hat es eine tiefere Ebene?
Appelt: Es ist die Auf den Kopf-Stellung der Provokation. Man macht es halt gerne, weil es lustig ist, aber man weiß: Eigentlich dürfte man das gar nicht machen.
Andererseits: Es stimmt doch auch irgendwie, Angela Merkel, was für eine Langweilerin! Macron ist sexy und wir haben da vorne eine Frau stehen, die mich zu Tode langweilt. Eigentlich gehört ihr der Friedensnobelpreis verliehen, für ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage, aber dann hatte sie politisch nicht das Kreuz, das wirklich positiv durchzuziehen. Sie redet auch nicht mit uns. Sie hat jeden politischen Streit unterdrückt, solange bis außer Eskalation nichts anderes mehr möglich ist. Aber selbst das saugt sie weg. Genau wie Jogi: Es läuft nicht, aber es geht immer weiter… – das kann doch nicht wahr sein! Merkel hätte doch längst aufhören müssen nach 12 Jahren. Aber nein, es geht immer noch weiter, und noch weiter – die nervt mich.

Und diesen Frust packen Sie dann in den Sex-Witz?
Appelt: Ja, es ist auch der Frust, den ich als Mann habe, dass ich eigentlich keine blöden Witze über Merkel machen darf: Steinbrück konnte sie nicht angreifen, Gabriel nicht, keiner kann die Frau angreifen ohne dabei selber in Schutt und Asche aufzugehen. Weil es als unanständig gilt, eine Frau anzugreifen. Ätzend. Wenn ihr gleichberechtigt sein wollt, ja dann tut auch was dafür.
Ich kann mich anstrengen wie ich will, letzten Endes steckt in uns Männern dieses grundsätzliche Beleidigtsein, dieses Frustrierte, dass wir nicht so dürfen, wie wir gerne wollen. Wenn die Frau sagt „ficken“ finden das alle super lustig. Wenn ich das sage, heißt es: Sexist. Frauen können gar nicht sexistisch sein.
Wir haben im Moment einen Hund zuhause, geliehen, von Freunden. Die Hündin kommt aus Griechenland, sie war in einer Zwangszucht, das heißt, die wurde acht Jahre lang gequält, höchstwahrscheinlich von Männern. Wenn ich die jetzt füttern will, die interessiert sich einen Dreck für mich. Ich bringe der Lammöhrchen mit, gehe mit der in den Wald, an den Hundesee – Nichts.
Wenn aber meine Frau kommt, ist sie sofort da. Das heißt, ich bekomme jetzt die Quittung für diese acht Jahre Quälerei von Männern, mit denen ich nichts zu tun habe, für die ich auch nichts kann. Und so geht es uns in der Frauenfrage ja auch: Wir Männer haben zwei Millionen Jahre gebolzt und getreten – das lässt sich nicht innerhalb von einer Generation wieder gut machen.

Live-Termine von Ingo Appelt:

17.01.20 Frankfurt am Main, Zeltpalast an der Commerzbank-Arena
18.01.20 Neustadt an der Aisch, Neustadthalle am Schloss
24.01.20 Erkrath, Stadthalle Erkrath
25.01.20 Ingelheim am Rhein, kING
26.01.20 Darmstadt, Ernst-Ludwig-Saal
01.02.20 München, Lustspielhaus
02.02.20 Stuttgart, Theaterhaus
07.02.20 Hilden, Stadthalle
09.02.20 Xanten, Historisches Schützenhaus
13.02.20 Stade, Stadeum
14.02.20 Delmenhorst, Divarena
15.02.20 Lüneburg, Kulturforum Lüneburg
16.02.20 Elmshorn, Stadttheater
17.02.20 Kiel Metro, Kino
28.02.20 Schortens, Bürgerhaus
29.02.20 Lauenau, Sägewerk
11.03.20 Hildesheim, Audimax
12.03.20 Bielefeld, Komödie
13.03.20 Münster, Kap 8 Bürgerhaus Kinderhaus
14.03.20 Neukirchen-Vluyn, Kulturhalle
15.03.20 Bonn Beuel, Pantheon
27.03.20 Bad Homburg, Kurtheater
28.03.20 Herxheim bei Landau, Festhalle Herxheim
29.03.20 Pforzheim, Kulturhaus Osterfeld
24.04.20 Oberhausen, Ebertbad
25.04.20 Gelsenkirchen, Kaue
26.04.20 Essen, Zeche Carl
30.04.20 Neunkirchen, Neue Gebläsehalle
01.05.20 Kaiserslautern, Lautrer Wirtshaus
02.05.20 Bensheim, Parktheater
03.05.20 Trier, Tuchfabrik
15.05.20 Magdeburg, AMO Kultur und Kongresshaus
17.05.20 Sukow, Dorfgemeinschaftshaus Sukow
26.05.20 Koblenz-Güls, Café Hahn
27.05.20 Eschweiler, Talbahnhof
28.05.20 Leverkusen-Opladen, Scala
29.05.20 Mainz, Frankfurter Hof
04.06.20 Köln, Gloria Theater
05.06.20 Emmelshausen, ZAP – Zentrum am Park
06.06.20 Kaarst, Georg Büchner Gymnasium
07.06.20 Werl, Stadthalle
20.06.20 Dortmund, Spiegelzelt am Steinernen Turm
21.06.20 Dortmund, Spiegelzelt am Steinernen Turm
02.07.20 Berlin, Die Wühlmäuse
03.07.20 Berlin, Die Wühlmäuse
04.07.20 Berlin, Die Wühlmäuse

6 Kommentare zu “Hinter jedem Baum lauert der Wahnsinn.”

  1. Mirko |

    Niemand braucht Ingo Appelt

    Antworten
  2. Erika S. (RBB-Netz) |

    Herr Buhre, interviewen Sie doch auch mal einen AfD-Politiker und nicht immer nur diese SPD-Menschen…

    Antworten
    1. Uhrenbruder Johnny |

      bitte nicht. von dem gesocks will doch kein normal denkender Mensch etwas lesen

      Antworten
  3. Kay Bremer |

    Kurze Korrektur zu den Auftrittsterminen: Das Happy-Comedy Festival in Bremen am 15.&16. Mai fällt leider aus… Ich wollte mir gerade Karten kaufen ;)

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    1. Jakob Buhre Artikelautor|

      Danke für den Hinweis, ist geändert.

      Antworten
  4. Peter Panik |

    „Was ich manchmal nicht verstehe: Wenn jemand wie Bushido auf der Bühne steht, eine frauenfeindliche Zote nach der anderen runter reißt – und die Mädels alle dabei sind“

    Lol, aus welcher Welt stammt Appelt bitte? So ein sexistisches Weltbild muss nicht auf Mann oder Frau beschränkt sein, das geht fließend über, es ist systematisch und strukturell. Ich kenne persönlich tatsächlich mehr sexistische Frauen als Männer. Das sind keine Moralapostelfrauen sondern solche, die wissen was sie wollen. Die darüber lachen, wenn sie beleidigt werden und dir die Entschuldigung herausprügeln. Die sich nicht unterkriegen lassen, schon gar nicht von einem Unverständnis eines Herrn Appelt oder anderen. Der Mann hat die Blüte seines Lebens fast hinter sich und kennt nicht den geschlechtsübergreifenden Sexismus? Das sind so Dinge, die ich manchmal nicht verstehe, noch am Anfang meines Lebens befindlich.

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