Ina Müller

Ich klatsche jedes Mal meine komplette Seele auf die Bühne.

Ina Müller über erlebte Songtexte, weinende Männer, Kosenamen und ihr Selbstbewusstsein

Ina Müller

© Mathias Botor

Ina Müller, auf Ihrem neuen Album „Das wär dein Lied gewesen“ geben Sie sehr viel von sich preis und erzählen Geschichten aus Ihrem Leben. Im Zuge dessen wurden Sie mal als „Chronistin des Alltags“ beschrieben. Sehen Sie sich selbst auch so?
Müller: Ich finde es toll, Lieder über Themen zu singen, zu denen ich wirklich etwas sagen kann. Der Nachteil ist natürlich, dass die Lieder dann immer sehr nah an einem dran sind.

Die Kunst zu nutzen, um dem Alltag zu entfliehen, liegt Ihnen also nicht?
Müller: Nein. Das bin ich einfach nicht. Ich möchte keine Rolle spielen müssen. Dadurch würde man sich selbst zwar ein bisschen aus dem Fokus nehmen, und das wäre manchmal sicherlich ganz ratsam, aber das Abstrakte langweilt mich. Stattdessen klatsche ich jedes Mal meine komplette Seele auf die Bühne.

Es wird Ihnen also nicht manchmal zu persönlich, wenn Sie scheinbar ungefiltert von Ihrem Privatleben singen?
Müller: Auf der Bühne zu stehen und privat zu sein, finde ich überhaupt nicht schlimm. Schlimm wird es dann, wenn man ein Interview dazu geben muss. Das ist mir oft zu intim. In vielen Texten ist bereits alles gesagt, sodass ich oft keine Notwendigkeit sehe, mich auch noch in Interviews detailliert dazu zu äußern. Das, was ich mitzuteilen bereit bin, kann man in den Songs nachhören.

Dann ist der Song „Paparazzia“, in dem Sie davon singen, dass es Ihnen an Paparazzi fehlt, sicher ironisch gemeint…
Müller: In dem Lied geht es ausnahmsweise mal nicht um mich. Das ist eher an die Indiras dieser Welt gerichtet. Leute, die bei Kachelmanns Verhaftung sofort die passende SMS parat haben, um auf RTL exklusiv darüber sprechen zu können. Das ist ein Promitum, das ich überhaupt nicht mag und das mir vollkommen fremd ist.

Wahrscheinlich sind Sie einfach anders sozialisiert worden. Sie sind sehr bodenständig großgezogen worden und haben auch mal acht Jahre lang als Apothekerin mit Ihrem damaligen Freund in einem Reihenhaus auf Sylt gewohnt. Zudem ging Ihre Karriere erst einigermaßen spät los, während eine Indira mit Anfang 20 über eine Casting-Show ins Showgeschäft geschliddert ist.
Müller: Ja, mag sein. Hinzu kommt aber wohl auch, dass ich mit einer anderen Arbeit unterwegs bin als Indira. Meine Sachen haben stets eine andere Aufmerksamkeit bekommen und sind vermutlich auch fundierter – ich bin immerhin zwölf Jahre lang mit Musik-Kabarett durch die Gegend getourt.

Sie haben mal erklärt, dass Ihre Platten stets eine Dokumentation Ihrer jeweiligen Lebensphase darstellen. Müssen Sie sich bestimmte Dinge von der Seele schreiben oder erzählt das Leben einfach die besten Geschichten?
Müller: Ich benutze die Musik tatsächlich als eine Art Therapie und habe stets ein kleines Büchlein für Notizen dabei. Jeder interessante Gedankengang wird darin festgehalten, und daraus entstehen dann meine Lieder. Nicht alle zwar, aber einige.

Welche zum Beispiel?
Müller: Das Stück „Fremdgehen“ hatte seinen Ursprung in meinem Notizbuch. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie man eine eingeschlafene Beziehung nach vielen Jahren wieder aufpeppen kann. Wenn die Partnerschaft eher einen Geschwister-Charakter hat, dann muss man Wege finden, die Leidenschaft neu zu entfachen.

In dem Song geht es darum, sich wieder fremd zu werden, um sich noch einmal neu kennenzulernen. Sind Sie wirklich der Meinung, dass so etwas klappen kann?
Müller: Schwer zu sagen. Aber eine Trennung ist eben nicht immer die einzige Alternative, wenn es nach zehn Jahren in einer Beziehung ein bisschen öde geworden ist. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Das Lied soll kein Plädoyer für affige Rollenspiele sein. Eher eine Art Hilferuf, um dieses Gefühl zurückzubekommen, dass man am Anfang der Beziehung für den Partner empfunden hat.

Haben Sie persönlich denn Tipps für eine dauerhaft funktionierende Beziehung?
Müller: Ich habe zum Beispiel gemerkt, dass es oft schon hilft, wenn man nicht zusammenzieht. Ich mag es, wenn man sich noch gegenseitig besucht. Das hält eine Beziehung lange frisch.

Zwei Wohnungen verursacht aber auch Kosten, die nicht für jedes Paar zu stemmen sind. Und wenn Kinder dazukommen, klingt das auch nicht sonderlich praktikabel.
Müller: Ja, bestimmt. Aber wenn man Kinder hat, wird sowieso alles ganz anders.

Sie meinen: Dann ist eh alles vorbei?
Müller: Genau (lacht). Zumindest geht es dann ja nicht mehr in erster Linie um Sex. Da müssen erstmal alle mit ihrer neuen Rolle fertig werden, bevor sie sich scheiden lassen (lacht).

Sonderlich optimistisch klingt das nicht.
Müller: Ganz ernst meine ich das natürlich nicht. Trotzdem werde ich jetzt bestimmt als frustrierte Mitt-Vierzigerin abgestempelt. Aber ich habe mir bei den letzten Interviews mal den Spaß gemacht, die Reporter nach ihrem Beziehungsstatus zu fragen. Und die waren wirklich alle gerade getrennt oder geschieden. Männer und Frauen, die meisten so zwischen 40 und 50.

Das traurige Resümee lautet also: Es wird uns alle irgendwann treffen – wenn es uns nicht längst getroffen hat?
Müller: Nein, um Gottes Willen. Aber ich stelle gewisse Tendenzen fest. Ich selbst hatte einige langjährige Beziehungen und habe festgestellt, dass es für mich besser funktioniert, wenn man sich durch eigene Wohnungen noch bestimmte Freiräume lässt. Man freut sich dann mehr aufeinander und nimmt sich mehr Zeit, anstatt sich in die Haare zu kriegen, weil einer seine Hose im Flur liegen gelassen hat. Alltag ist ungeil.

Viele Leute finden einen gemeinsamen Alltag aber schön.
Müller: Mag sein, und das ist ja auch vollkommen ok. Aber ich finde es schöner, auch mal die Möglichkeit zu haben, drei Tage lang im Bett zu bleiben, Horrorfilme zu gucken und Pizza bestellen zu können.

Und mit einem Partner geht das nicht?
Müller: Nein! Doch! Aber irgendwie will ich mich dann doch nicht so gehen lassen. Das kann man vielleicht mal einen Tag zusammen machen, aber nicht länger. Heino hat mal gesagt, seine Frau will keinen Stinker. Und das mit gutem Grund.

Zitiert

Was ich nicht kann, ist dieses klassische weibliche Moderieren. Ich bin keine Michelle Hunziker.

Ina Müller

In einer Folge von „Inas Nacht“ haben Sie mal erzählt, dass Sie mit einem Typen Schluss gemacht haben, weil er im Kino bei „Titanic“ neben Ihnen geweint hat. Dürfen Männer ihre Gefühle nicht zeigen?
Müller: Selbstverständlich dürfen sie das. Sie sollten bloß nicht vergessen, dafür raus zu gehen (lacht). Es kommt eben immer darauf an, wo man heult. Es gibt auch durchaus Filme, bei denen man weinen darf. Aber doch bitte nicht bei „Titanic“. Wer da weint, gehört zu einer bestimmten Kategorie Mann. Und die ist wohl nicht meine.

Warum denn nicht?
Müller: Ich weiß, das ist total oberflächlich und gemein. Aber bei Titanic heult man nicht!

Im Stück „Ja, ich will“ sprechen Sie eine gewisse Form von Romantik an, mit der Sie nichts anfangen können.
Müller: Es gibt diese fiese Form von Romantik, die so unglaublich unsexy ist, dass ich es kaum in Worte fassen kann.

Klischee-Romantik.
Müller: Genau. Wenn Leute zu Kai Pflaume gehen, sich auf unschönen Fliesen in ein großes Herz aus Teelichtern stellen und vollkommen unmusikalisch schlecht gereimtes Liedgut für ihre Partner vortragen. Das ist für mich der Inbegriff von Fremdscham.

Offensichtlich gibt es aber auch eine Reihe von Menschen, denen so etwas gefällt.
Müller: Ja, furchtbar. Aber vielleicht bin ich da auch zu hart. Letztlich muss das jeder für sich selbst entscheiden. Es gibt eben Titanic-Weiner und Nur-die-Liebe-zählt-Sänger.

Meinen Sie nicht, dass das dieselben sind?
Müller: Ja, das könnte gut sein. Nichtsdestotrotz finde ich es persönlich oberpeinlich, wenn in irgendwelchen halbvollen Oberligastadien bei strömendem Regen Heiratsanträge über die Stadionlautsprecher gemacht werden. Das hat für mich schon beinahe etwas Tragisches.

Hätten Sie Angst vor so etwas?
Müller: Auf jeden Fall! Deshalb sind mir bei Männern zwei Dinge immer ungeheuer wichtig gewesen: Zum einen, dass sie im Sommer nicht diese offenen Sandalen und kurze Hosen tragen und mir zum anderen niemals singend im Fernsehen zeigen wollen, wie sehr sie mich lieben. Wenn ich einen Mann kennenlerne, muss ich das Gefühl haben, dass er beides nie tun würde. Sobald ich das ausschließen kann, ist schon viel gewonnen.

Sie haben lange im NDR die Kuppel-Show „Land & Liebe“ moderiert. Sind Sie manchmal in einen inneren Konflikt geraten, wenn Sie dort auf solche „Anders-Romantiker“ getroffen sind?
Müller: Nein. Schlimme Sachen wie schief singen oder dergleichen hat ja keiner von denen gemacht. Bei „Bauer sucht Frau“ werden die Paare ja auch gerne mal mit Alkohol auf die heiße Wiese geschickt, aber so etwas haben wir nie gemacht.

Ihnen war es also immer wichtig, dass da…
Müller: …Style dabei ist. Deshalb finde ich „Bauer sucht Frau“ auf RTL ja auch so schlimm. Die behaupten immer, sie würden sich für die Bauern einsetzen. Aber die werden lediglich vorgeführt, und das tut mir wahnsinnig leid. Ich komme ja selbst von einem Bauernhof und kann mich daher sehr gut mit diesen Leuten identifizieren. Bei „Land & Liebe“ habe ich damals stets darauf geachtet, dass da keiner verarscht wird.

Im Stück „Mitte 20“ reden Sie über die Vorzüge junger Männer. In der ersten Zeile singen Sie: „Du bist so süß, darf ich dich Schnucki nennen?“ Ist das der Kosename, mit dem man bei Ihnen rechnen muss?
Müller: Ja, und zwar beinahe jeder zweite. Entweder nenne ich die Männer „Kleines“ oder „Schnucki“. Mittlerweile bin ich aber so vorsichtig geworden, dass ich mir das „Kleines“ zumindest bei kleinen Männern verkneife. Das geht schnell nach hinten los, und da wähle ich dann lieber die Schnucki-Variante. Große, dicke Männer nenne ich aber nach wie vor gerne „Kleines“. Ich sage aber auch ganz gerne „mein Süßen“.

Sie haben sich vor kurzem selbst als nicht besonders selbstbewusst charakterisiert. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das irgendjemand abnimmt. Sie würden sich doch nicht allen Ernstes als schüchtern bezeichnen.
Müller: Ach, ich habe viele körperliche und geistige Unzulänglichkeiten und das hält mich in punkto Selbstbewusstsein immer ein bisschen auf dem Boden. Aber ich beschwere mich nicht darüber. Im Gegenteil.

Sie sehen das also eher als positive Eigenschaft an, weil es Sie erdet?
Müller: Ja, genau. Es wäre doch schlimm, wenn ich mich geistig für einen Überflieger und körperlich für eine Sexbombe halten würde. Dann hätte ich sicherlich ein anderes Selbstbewusstsein. Aber so bin ich einfach bloß realistisch.

Jeder einzelne Song auf Ihrem Album ist einer bestimmten Person gewidmet, das Titelstück „Das wär dein Lied gewesen“ zum Beispiel einem gewissen S. Darin singen Sie „Du reichst nicht mal für 2 ½ Zeilen“. Klingt nach Abrechnung.
Müller: Das ist es auch. Ich hätte genauso gut „Arschloch“ singen können, halte es aber so für die größere Beleidigung. Es sollte wirklich weh tun.

Meinen Sie, S. wird auf dieses Lied in irgendeiner Weise reagieren?
Müller: Keine Ahnung. Ich würde es gut finden, wenn die Menschen, an die die einzelnen Stücke gerichtet sind, wissen, dass sie für sie sind. Aber ich würde mit ihnen nicht darüber diskutieren wollen.

Man spricht ja auch ab und an mal mit Freunden und Bekannten über Sie. Und bisher habe ich noch nie jemanden getroffen, der Sie nicht leiden kann. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Müller: Wow, das klingt toll. Ich vermute, dass das vor allem an meiner Sendung „Inas Nacht“ liegt. Damit können sich die Leute identifizieren. Ich könnte auch mit Ihnen bei „Inas Nacht“ sitzen, ein Bier trinken und wir hätten relativ schnell relativ gute Themen von Fußball über Frauen über…

…Indira.
Müller: Ja, genau (lacht). Und deshalb guckt man da eben auch gerne zu. Was ich jedoch nicht kann, ist dieses klassische weibliche Moderieren. Ich bin keine Michelle Hunziker, obwohl ich toll finde, was die macht. Aber die würde vermutlich auch meine Kneipensendung nicht so gut hinkriegen.

Wenn man sich die Gäste Ihrer Show ansieht, scheinen Sie ein sehr weitgefächertes musikalisches Interesse zu haben.
Müller: In Bezug auf die Sendung bin ich sehr egoistisch. Ich lade sehr subjektiv ein, was mir gefällt. Es muss mich persönlich anzocken. Das sind häufig deutsche Bands, weil mich deren Texte mehr berühren. Englischer Gesang wird schnell beliebig. Deutsch ist in meinen Augen schwerer zu schreiben, schwerer zu singen und dadurch anspruchsvoller. Das ist eine größere Herausforderung, und das möchte ich gerne belohnen, indem ich die Künstler dann zu mir in die Sendung hole.

Sie schrecken auch nicht davor zurück, Rapper einzuladen, deren Bild in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren nicht sonderlich besonders positiv war. Ihre Gäste aus dem HipHop-Bereich haben jedoch stets bewiesen, dass Rap weitaus mehr ist als Ghetto, Knarren und Nutten. Sehen Sie sich in einer Art Verantwortung, bestimmten Künstlern mit lohnenswerten Inhalten und sprachlicher Kompetenz in Ihrer Sendung ein Forum zu bieten?
Müller: Selbstverständlich, aber das ist nicht auf bestimmte Genres beschränkt. Ich möchte mit guten Künstlern in meiner Sendung gerne etwas Originelles auf die Beine stellen und sie in meiner Sendung besser kennenlernen. Wenn jemand wie Sido kommt, interessiert es mich natürlich, ob er wirklich so ein Rüpel-Rapper ist, als der er lange verschrien war. Ist er aber nicht.

Sido ist aber auch jemand, der im Laufe der letzten Jahre eine extreme Wandlung durchgemacht hat.
Müller: Ja, das stimmt. Aber als ich mit ihm gesungen habe, habe ich seine Begeisterung gespürt. Der hat gemerkt, dass ich ihn als Künstler ernst nehme und ihn nicht verarschen will.

Letzte Frage: Sie haben auf Ihrem Bauernhof früher eigenhändig Kälber mit der Zange kastriert. Haben Sie von diesen Erfahrungen auch im späteren Leben noch mal profitieren können?
Müller: Ich glaube schon. Aber ich möchte an dieser Stelle nur ungern ins Detail gehen (lacht).

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