Herman van Veen

Aufhören wäre tödlich für mich.

Der 70-jährige Herman van Veen ist ein Allround-Künstler. Seit über 40 Jahren ist der Niederländer als Liedermacher, Geiger und Komiker auf der Bühne zuhause und spannt den Bogen zwischen intellektueller Hausmusik und clowneskem Spaß. Im Interview spricht van Veen über das Alter, soziale Netzwerke, wie er in Deutschland erfolgreich wurde und Begegnungen mit Flüchtlingskindern.

Herman van Veen

© Jesse Willems

Herman van Veen ist ein Ausnahme-Künstler oder ein Auslaufmodell“ schreibt Ihre Plattenfirma in einer Presse-Mitteilung. Eine zutreffende Umschreibung?
(Überlegt) Nein, so sehe ich das selbst natürlich nicht (lacht)! Ich würde mich selbst nicht als Auslaufmodell bezeichnen, man muss sich schließlich jeden Tag neu bewerten und ich will mich auch nicht in einen starren Zeitrahmen zwängen lassen. Ich war noch nie so jung wie jetzt.

Gibt es Momente, in denen Sie als 70-Jähriger merken, dass Sie nicht mehr alles verstehen, was in der technisierten Welt vor sich geht?
Ich bekomme glücklicherweise keine Chance, mich da zu verlaufen, weil wir uns im Studio und auf der Bühne mit sehr vielen jungen Leuten umgeben haben. Das sind alles Google-Menschen, Digital Natives, deswegen liegt das Durchschnittsalter bei uns auf Tour auch unter dreißig Jahren.

Sie können also immer nachfragen, wenn Ihnen etwas bei Facebook, Twitter oder Instagram unverständlich ist?
Ja, exakt. Ich begebe mich tatsächlich auf diese neuen Wege, und bin immer wieder erstaunt, dass uns über 200.000 Leute im Netz folgen, wenn man alle Online-Auftritte, von Alfred Jodocus Kwak bis zu meinem eigenen, zusammenzählt. Und wenn ich mich nicht selbst ständig auf den neuesten Stand bringe, kann ich eben auch nicht mit den jungen Kollegen plaudern.

Selektieren Sie denn für sich persönlich, welche Quellen Sie nutzen möchten?
Ich benutze die Netzwerke vor allem, um die Leute, die an uns interessiert sind, darüber zu informieren, was wir tun und was wir denken. Das ist sehr lebendig und es findet unheimlich viel Kommunikation statt, zwischen uns und den Fans. Früher musste man dafür Anzeigenplatz in einer Zeitung kaufen. Jetzt reicht es schon fast, wenn man postet, dass man beispielsweise bald nach Wuppertal kommt. Das erzeugt sofort großes Feedback, eine fantastische neue Entwicklung.

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Man kann mit Musik erklären wie eine Gesellschaft funktioniert.

Herman van Veen

„Alles alles wird notiert, registriert“ heißt es in „Offenes Geheimnis“ auf Ihrem Album „Fallen oder Springen“. Auch in einigen anderen Liedern finden die sozialen Netzwerke kritische Erwähnung …
… Ja, die Sache hat natürlich zwei Gesichter! Mit den vielen Informationen, die über mich, oder auch über allen anderen Menschen im Internet verfügbar sind, kann man sehr viel über fremde Menschen erfahren. Versicherungen sind zum Beispiel sehr interessiert an solchen vermeintlich privaten Informationen, weil sie damit ein Bild vom alltäglichen Verhalten oder der Gesundheit ihrer Kunden erstellen können. Die Privatsphäre, die ich sehr schätze, wird da natürlich in Frage gestellt. Es ist eben nicht nur positiv, sondern oft auch beängstigend.

Jetzt wo Sie über 70 Jahre sind, denken Sie da manchmal in Kategorien wie Ruhestand oder Rente?
Nein, überhaupt nicht! Meine beiden Eltern sind an Herzproblemen gestorben und ich gehe seit Jahren regelmäßig zum Kardiologen, um mich checken zu lassen. Der sagt mir immer, dass für mich das Aufhören tödlich wäre.

Einen Gang runter zu schalten kommt für Sie also momentan nicht in Frage?
Natürlich wird irgendwann der Moment kommen, an dem die Kraft nachlässt, dann muss ich das akzeptieren und alles etwas langsamer erledigen. Aber ich habe noch überhaupt keine Lust, mein Leben anders zu leben, als ich das seit jeher getan habe. Ich bin dankbar und froh darüber, dass ich dahingehend noch keine Signale von meinem Körper erhalte.

Sie werden in Deutschland unter anderem als der „Holländische Clown mit der Glatze“ bezeichnet…
Wirklich? Also, ein Clown bin ich nicht. Eher ein Musiker, der ab und zu komisch ist. Aber eine Glatze habe ich, das kann ich nicht leugnen (lacht)!

Ist der Clown als Figur im klassischen Theater heute überhaupt noch relevant?
Der Clown wird heute oft gesehen als die Person mit weißer Schminke und roter Nase aus dem Zirkus. Aber es ist wichtig, da zu differenzieren. Das Theater bezeichnet man im Niederländischen auch als einen „plek van verbeelding“ (Ort der Illusionen, d. Red.). Diese Illusionen, oder auch Phantasien, machen es möglich, sehr unterschiedliche Themen auf eine sarkastische oder satirische Weise zu behandeln. Das soll dem Publikum den Raum bieten, die Wirklichkeit anders zu betrachten.

Dieser Ort der Illusionen ist also der Ort, an dem, abstrakt formuliert, Herman van Veen am liebsten auftritt?
Ja. Wo ich mich da am wohlsten fühle, ist bei der „Commedia dell’arte“, einer Theaterform aus dem Mittelalter. Leute wurden damals aus der Kirche geschmissen, weil sie Sachen sagten, die den Bischöfen nicht gefielen. Daraufhin haben sie dann einfach auf den Treppen vor der Kirche weitergemacht. Das schöne an dieser Theaterform ist, dass Obrigkeiten ins Lächerliche gezogen werden. In Stücken von Shakespeare wird beispielsweise der König als überspitzte, theatralische Figur dargestellt. Das gibt dem Publikum die Möglichkeit, das Gespielte zu objektivieren und sich zu fragen, ob vielleicht der eigene König oder das eigene Regierungssystem damit gemeint ist.

© Danny van Kolck

© Danny van Kolck

Sie sind Sänger, Kabarettist, Poet, Liedermacher und Geiger. Sind dies Kunstfertigkeiten, die heute nur noch vom älteren Bildungsbürgertum geschätzt werden?
Natürlich, und das ist schade, denn ich halte musikalische Erziehung für sehr, sehr wichtig. Ich würde Eltern immer empfehlen, ihren Kindern Musikunterricht zu gönnen. Musik ist nicht nur eine ästhetische Ausdrucksform, um sich selbst kennen zu lernen, man kann mit ihr auch erklären wie eine Gesellschaft funktioniert. Es geht um Konsonanzen und Dissonanzen und Harmonien, das sind im übertragenen Sinne auch Grundbegriffe unserer Gesellschaft. Kindern ohne musikalische Erziehung wird dieses Wissen auf eine gewisse Art und Weise vorenthalten, und sie müssen es auf einer anderen Ebene erlernen. Aber das gilt eigentlich auch für die Literatur, für Sport und vor allem für Geschichte. Viele junge Leute können heute keine historischen Zusammenhänge mehr erkennen, weil ihnen das Hintergrundwissen fehlt.

Wie ist eigentlich Ihre langjährige künstlerische Beziehung zu Deutschland entstanden?
Es hat damit angefangen, dass Alfred Biolek und Thomas Woitkewitsch, mit denen ich sehr gut befreundet bin, eine Dokumentarserie über Kunst in Holland gemacht haben, in der ich Erwähnung fand. Da war ich Anfang zwanzig und trat im Theater Carré in Amsterdam auf. Die haben mich anschließend gefragt, ob ich nicht auf Tournee nach Deutschland kommen möchte. Das war damals noch gar nicht so selbstverständlich, denn der zweite Weltkrieg war in den Niederlanden noch immer in den Köpfen der Menschen. Aber mein Vater meinte, ich wäre Teil einer neuen Generation und hat mich bestärkt, das Angebot anzunehmen. Ohne Biolek und Woitkewitsch wäre ich vielleicht niemals in Deutschland aufgetreten, und außerdem haben Sie damit ein riesiges Sprachgebiet für uns geöffnet. Daraus hat sich auch die Möglichkeit ergeben, in England, Frankreich und in den USA auftreten zu können. Die Leute zu unterhalten, mit den Dingen, die mir am Herzen liegen, das hat mit dem Land, in dem es stattfindet dann letztendlich gar nicht mehr viel zu tun.

Wie würden Sie den Unterschied Ihres Erfolgs in Deutschland und den Niederlanden definieren?
Da gibt es glaube ich gar keinen so großen Unterschied. Ich glaube, dass die Sprache für das deutsche Publikum wichtiger ist als in den Niederlanden. In der Sparte, in der ich mich befinde, ist in den Niederlanden der Humor der größte Reiz. In Deutschland ist man auf eine sehr sachliche Art auch an den Liedtexten interessiert.

Es gibt viele Niederländer, die in Deutschland erfolgreich sind oder waren. Was bringt der Niederländer mit, was der Deutsche nicht hat?
Ich glaube, dass die Deutschen unseren Akzent gemütlich finden, um nicht das Wort „lustig“ zu benutzen. Es macht die Sprache zerbrechlicher und freundlicher. Ein bisschen so, wie wenn man einen Franzosen Englisch sprechen hört.

Haben Sie als Künstler noch unerfüllte Wünsche?
Nein, Wünsche in der Form habe ich nie gehabt. Ich glaube, dass unsere Ambitionen aus dem entstehen, was wir erlebt haben. Ich bin zum Beispiel Feyenoord-Fan, denn das war in meiner Jugend einer der besten Fußballclubs der Welt. Und natürlich habe ich als Junge davon geträumt, eines Tages bei Feyenoord zu spielen. Wenn in meiner Jugend ein Niederländer Schachweltmeister geworden wäre, hätte ich vielleicht die Ambition gehabt, als Schachspieler gegen die Nummer eins aus Russland spielen zu wollen. Letztendlich hat es auch mit Glück und dem Schicksal zu tun.

Familie und Kinder spielen eine große Rolle in Ihren Texten. Wie haben Sie selbst Kinder und Karriere unter einen Hut gebracht?
Als die noch jünger waren, habe ich vorwiegend in den Niederlanden gespielt, da musste ich erst nachmittags los, weil es keine besonders großen Entfernungen gibt. Die weiteste Strecke zu einem Auftritt war 200 Kilometer, da kann man Hin- und Rückfahrt sogar mit dem Zug an einem Tag erledigen. Heute würde ich meine Enkelkinder gerne öfter sehen, aber da habe ich so meine Tricks, wo immer es geht, nehme ich die als Opa einfach mit.

Ihre Diskografie ist enorm umfangreich und zählt angeblich 179 veröffentlichte Alben. Wie kommt man zu so einer hohen Anzahl?
Das hat vor allem mit den verschiedenen Sprachen zu tun, ich veröffentliche ja auf Niederländisch, Deutsch, Französisch und Englisch. Die 180. Platte ist übrigens vor kurzem auch fertig geworden.

Wobei sich die Titellisten Ihrer deutschsprachigen und niederländischen Platten unterscheiden. Schreiben Sie verschiedene Lieder für verschiedene Sprachen?
Ja, zunehmend schreibe ich in den Originalsprachen, und lasse die Texte dann korrigieren. Ich schreibe auch oft Texte über Themen in dem Land, in dem ich mich gerade befinde.

Auf Ihrem Album „Im Augenblick“ von 2009 gibt es ein verständnisvolles Lied über Migranten in Köln-Ehrenfeld. Wie betrachten Sie die derzeitige Flüchtlingsdebatte?
Die Problematik, mit der wir es zu tun haben, ist von einer phänomenalen Komplexität! In den Niederlanden ist die Situation ja nicht viel anders als in Deutschland, es wird unheimlich viel über die Situation geredet und es gibt einen riesigen Aufklärungsbedarf. Für mich ist es eher eine Frage des Handelns, als dass ich das großartig erklären will oder eine Meinung kundtun muss.

Handeln, aber wie?
Im „Herman van Veen Arts Center“ in Soest zum Beispiel bringen wir Kinder aus den Flüchtlingsunterkünften mit niederländischen Kindern zusammen, malen, tanzen oder singen mit ihnen. Wir versuchen, den Alltag für die Kinder ein kleines bisschen leichter zu machen und dafür zu sorgen, dass sie mit niederländischen Kindern in Kontakt kommen, denn sie können viel von einander lernen.

Wie erleben Sie das Aufeinandertreffen?
Bei einem dieser Treffen haben wir kleine Gemälde gemalt. Ein Bild, das mich dabei besonders berührt hat, war von einem syrischen Mädchen. Sie hatte unter das Bild den Satz „wil naar huis weg“ (zu Deutsch: will nach Hause weg) geschrieben. Das ist sprachlich natürlich falsch, aber die Botschaft ist klar, denn niemand möchte freiwillig sein Zuhause verlassen.

[Das Interview entstand im Februar 2016.]

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