Helmut Kury

Es gibt Gutachter, die im Sinne des Auftraggebers gutachten.

Helmut Kury gehört zu den bekanntesten Kriminologen und Gutachtern in Deutschland, kürzlich ist sein Buch „Im Gehirn des Bösen“ erschienen. Yvonne Stock sprach mit dem 72-Jährigen über seine Methoden, Begegnungen mit Schwerverbrechern, die Rolle der Gutachter im Fall Mollath und den Druck der Öffentlichkeit.

Helmut Kury

© Fotostudio Ganter, Denzlingen

Herr Kury, Sie sind als psychologischer Gutachter tätig und haben einst den Ex-RAF-Terroristen Christian Klar begutachtet. Was hat Sie damals sicher gemacht, dass er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt?
Helmut Kury: Christian Klar war viel älter und es gab die RAF nicht mehr. Der Mann war durch die Haft und Hungerstreiks gezeichnet. Da wurde deutlich, dass keine kriminelle Energie mehr da war. Man musste sich fragen, was ist überhaupt noch an Energie da? Dass der nochmal zur Kalaschnikow greift, war extrem unwahrscheinlich. Der kam ja raus in eine ganz andere Welt. Hinzu kam, dass sich während seiner langen Inhaftierung seine Einstellung verändert hat.

Hat damals die öffentliche Debatte über Christian Klars fehlende Reue und Entschuldigung sowie die fehlende Bereitschaft über die Anschläge zu sprechen, Ihr Gutachten beeinflusst?
Kury: Nur insoweit diese Punkte etwas über die Rückfallgefahr aussagen. Darüber haben wir sehr intensiv gesprochen.

Wie hoch ist für Sie als Gutachter der Druck in einem Prominentenprozess?
Kury: Sie stehen unter einem enormen Öffentlichkeitsdruck. Sich davon frei zu machen, ist oft schwer möglich. Sie müssen auch damit rechnen, dass sie aufgrund ihres Gutachtens öffentlich angegriffen, eventuell beschimpft oder gar bedroht werden. Man kann sich nie absolut sicher sein, dass ein Täter bei der Begutachtung die Wahrheit sagt. Die Gerichte verlassen sich auf das Gutachten, schließen sich ihnen in der Regel an, wenn es kein Gegengutachten gibt.

Wie erstellen Sie ein Gutachten?
Kury: Ich mache heute nur noch Prognosegutachten zur Rückfallwahrscheinlichkeit, das sind meines Erachtens mit die schwierigsten Gutachten. Meistens sind es Menschen, die zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Ich lese ihre Akte und die Gefangenenakte aus der Vollzugsanstalt und treffe mich dann mindestens zwei Mal mit dem Inhaftierten. Manchmal auch häufiger, wenn ich noch nicht richtig weiß, was das Ergebnis sein könnte. Dabei gibt es zwei Richtungen: Das eine sind statistische Instrumente, die gibt es inzwischen in Hülle und Fülle…

Wie funktionieren die?
Kury: Die Instrumente wurden mit Hilfe wissenschaftlicher, kriminologischer Untersuchungen entwickelt. Man hat geguckt, worin sich Rückfalltäter von Nicht-Rückfalltätern unterscheiden. Diese Punkte hat man gewichtet und zu einem Instrument zusammengestellt. Das hat dann zum Beispiel 40 Fragen, etwa ob der Täter vorbestraft ist, er sehr jung kriminell geworden ist, er eine psychische Störung hat oder er sehr grausam vorgegangen ist. Meistens ist es so, dass man dann 0 Punkte für „trifft nicht zu“ bis 2 Punkte „trifft voll zu“ vergibt. Wenn der Täter insgesamt einen hohen Punktwert hat, muss er in Haft bleiben. Manche sagen, diese Instrumente machen bessere Prognosen als das so genannte „klinische Vorgehen“.

Was machen Sie dabei?
Kury: Ich mache Interviews mit dem Inhaftierten. Dabei ist die Erfahrung des Gutachters ganz entscheidend. Ich schreibe ab, was er mir gesagt hat und gucke, ob es irgendwelche Widersprüche zu dem gibt, was in der Akte steht oder was er früher bei der Polizei gesagt hat. Wenn sich daraus Fragen ergeben, spreche ich die im zweiten Gespräch an. Dann kennt der Täter mich schon und kann sich vertrauensvoller auf mich einlassen. Ob ein Täter lügt, erfährt man unter Umständen nur, wenn man sich mehrmals mit ihm trifft. Aber viele Gutachter führen nur ein Gespräch. Ich signalisiere dem Täter aber: „Ich habe Zeit, wenn Sie mir etwas erzählen wollen, müssen Sie sich nicht abkürzen.“ Damit bekommen Sie viel heraus.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Kury: Einer hat in einem Gespräch mit mir seine Tat zum ersten Mal gestanden – nachdem er zwei Drittel der Haftzeit abgesessen hatte. Als ich ihn fragte: „Warum erst jetzt?“, sagte er: „Sie sind der Erste, der sich für mich Zeit genommen hat“. Zusätzlich mache ich in der Regel noch psychologische Tests. Das sind auch Fragebögen, die kann der Täter aber relativ leicht verfälschen. Und ich frage den Inhaftierten, ob ich mit seinem Therapeuten sprechen kann. Der kennt ihn ja viel besser als ich. Manchmal spreche ich auch mit Angehörigen. Als Prognostiker muss ich nach jedem Strohhalm greifen, um meine Aussage abzusichern.

Zitiert

Einer hat in einem Gespräch mit mir seine Tat zum ersten Mal gestanden – nachdem er zwei Drittel der Haftzeit abgesessen hatte.

Helmut Kury

Nun schreiben Sie in Ihrem neuen Buch „Im Gehirn des Bösen“, dass unter uns tickende Zeitbomben leben, die plötzlich zu Gewaltverbrechern werden. Leben wir in Deutschland nicht eigentlich ziemlich sicher?
Kury: Doch, das tun wir. Aber die Vorstellung, dass man Kriminalität ausrotten kann, ist falsch. Die wird es immer geben – selbst in der Kirche, wie wir ja inzwischen wissen.

Wie können wir uns gegen die tickenden Zeitbomben schützen?
Kury: Von ganz wenigen Ausnahmefällen abgesehen, kann man die nicht sicher erkennen. Straftaten hängen sehr stark von aktuellen Problemen ab. Der normale Bürger, der etwas aggressiv ist und gerade ein Problem mit seiner Frau hat, sitzt mit seinem Bekannten leicht betrunken in einer Kneipe. Der Bekannte ärgert ihn, da liegt zufällig ein Messer auf der Theke, er sticht seinem Gegenüber in den Rücken und trifft das Herz. Das ist eine Sache von drei Sekunden und der Täter hätte sich vorher nie vorstellen können, dass er so etwas einmal tut.

Kann wirklich jeder zum Straftäter werden?
Kury: Wenn Sie an das Dritte Reich denken, was ganz normale Bürger da alles getan haben, dann kommt man auf die Idee. Ich würde sagen, bei einer entsprechenden „Behandlung“ kann sich jeder junge Mensch zum Gewaltverbrecher entwickeln. Aber die meisten Mord- und Totschlagsfälle passieren aus einer aktuellen Situation heraus. Die Täter sind hinterher oft selbst zerstört. So wie man das im Fernsehen sieht, mit Auftragskillern, ist es meistens nicht.

In den drei Sekunden vor dem Zustechen denkt der Mann kaum über die Konsequenzen nach. Haben Strafen überhaupt eine abschreckende Wirkung?
Kury: Strafen werden in der Kriminologie kontrovers diskutiert. Wir brauchen natürlich ein Strafgesetzbuch, das bestimmte Handlungen verbietet. Aber wir überschätzen oft die Wirkung von Strafen. Der Mann, der wegen schweren Einbruchs zu fünf Jahren verurteilt wird, sitzt – wenn er Pech hat – viereinhalb Jahre ab. Dann wird er vielleicht nach wenigen vorbereitenden Gesprächen zur Bewährung entlassen, ohne, dass er spezielle Therapien bekommen hat. Dann kommt er unter Umständen schlechter raus als er reingegangen ist.

Und wird wieder zum Täter?
Kury: Die Rückfallquote ist nach einer Jugendstrafe ohne Bewährung am höchsten. Bei einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung liegt sie niedriger, aber immer noch über fünfzig Prozent. Man müsste die Täter resozialisieren, dafür braucht man Psychologen und Sozialtherapeuten. Das kostet Geld. Aber langfristig ist das billiger als die die Strafe bis zum letzten Tag zu vollziehen und Rückfälle in Kauf zu nehmen. Ein Haftplatz kostet in Deutschland um die 100 Euro pro Tag, ein Platz in der Sozialtherapie zwischen 250 und 300 Euro. Nach einer sozialtherapeutischen Behandlung sinkt die Rückfallquote um mindestens zehn Prozent. Aber das ist politisch nicht angesagt. Wenn irgendetwas Schlimmes passiert, wollen Politiker als erstes das Strafrecht verschärfen.

Diese Forderung gibt es auch nach dem Fall Sebastian Edathy. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete hat über einen Pornohandel Bilder von nackten Jungen erworben. Er hält sich für unschuldig. Macht so etwas jemand, der nicht pädophil ist?
Kury: Ich würde sagen nein. Es sei denn, er hat beispielsweise ein kommerzielles Interesse, weil er die Bilder weiterverkauft.

Justizminister Heiko Maas (SPD) schlägt jetzt vor, dass Vergewaltigung später verjähren und das Posing von nackten Kindern verboten werden soll. Ist das blinder Aktionismus, weil die Politik im Bereich Kinderpornographie eigentlich machtlos ist?
Kury: Ich denke, eine Verschärfung des Strafrechts wird nicht helfen. Aber den Handel mit Nacktfotos von Kindern sollte man verbieten. Obwohl das wahrscheinlich auch nichts oder nur ganz wenig bewirkt. Denn das Internet ist kaum noch zu kontrollieren.

Wie groß ist der Bereich der Kinderpornographie?
Kury: Bei den Männern schätzt man, dass zwischen einem und fünf Prozent in diese Richtung gefährdet sind. Und nicht jede pädophile Tat wird von einem pädophil orientierten Mann verübt.

Wie kann man verhindern, dass diese Menschen zu Täter werden?
Kury: Da man die Ursache für diese Störung noch nicht genau kennt, ist man mit Behandlungsprogrammen eingeschränkt. Man hat es unter anderem mit medikamentöser Behandlung versucht, die hat aber oft Nebenwirkungen, zum Beispiel, dass der Antrieb insgesamt zurückgeht. Sexualität ist ein normales Bedürfnis. Diese Männer müssen weitgehend darauf verzichten.

Gustl Mollath saß aufgrund eines vermutlich falschen Gutachtens sieben Jahre gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Dann wurde er freigelassen und sein Prozess wird im Sommer neu aufgerollt. Der Gutachter hat sich aber laut Generalstaatsanwaltschaft München nichts zu Schulden kommen lassen, es wird keine juristischen Konsequenzen geben. Ist diese Entscheidung richtig?
Kury: Prognosegutachten sind stets Wahrscheinlichkeitsschätzungen, eine absolut sichere Prognose gibt es nicht. Es wurden im Laufe der Zeit mehrere Gutachten gemacht, teilweise lediglich aufgrund der Aktenlage, was die Unsicherheit nochmal erhöht. Vielfach schreiben die Gutachter auch voneinander ab und schließen sich Vorgutachten an. Offensichtlich haben sich die Gutachter im Fall Mollath getäuscht, was nicht gerade für die Qualität der Gutachten spricht. Aber ich glaube, es gibt in Deutschland nur drei oder vier Fälle, wo ein Gutachter wegen eines ausgesprochen miserablen Gutachtens überhaupt angeklagt und verurteilt wurde. Dann muss er absolut schlampig gearbeitet und extrem grobe Fehler gemacht haben.

Konnten die Gutachter seriöse Gutachten schreiben ohne Mollath gesehen zu haben?
Kury: Wenn er sich weigert, kann ich nicht mit ihm sprechen. In bestimmten Fällen kann ein Gutachten trotzdem einen Sinn haben. Wenn die Gutachter nur die Akten haben, können sie eine gewisse Aussage machen, aber sie müssen diese entsprechend vorsichtig ausdrücken.

Mollath-Unterstützer Wilhelm Schlötterer sagt, es bestehe der Verdacht, dass zwei Gutachten sogar vorsätzlich falsch erstellt wurden. Teilen Sie diesen Verdacht?
Kury: Es besteht bei Gutachtern nicht selten der Verdacht, dass „Gefälligkeitsgutachten“ gemacht werden, vor allem, wenn die Gutachter auf weitere Aufträge angewiesen sind. Hinzu kommt, dass die Gutachter teilweise auch unter einem Öffentlichkeitsdruck stehen, genau wie die Gerichte. Da ist die Gefahr groß, dass man es sich einfach machen will, auch um Ärger zu vermeiden. Inwieweit die Gutachten im Fall Mollath vorsätzlich falsch erstellt wurden – ein erheblicher Vorwurf, der ja auch strafrechtlich relevant wäre – kann ich nicht beurteilen.

Kann man Gutachtern überhaupt vorsätzlich falsche Ergebnisse nachweisen?
Kury: Es wird schwierig sein, diesen Vorsatz nachzuweisen. Methodisch schlechte Gutachten werden ja nur in ausgesprochen seltenen Fällen von den Gerichten abgelehnt, obwohl es inzwischen Mindeststandards hinsichtlich der Qualität von Prognosegutachten gibt.

Gibt es schwarze Schafe unter den Gutachtern in Deutschland, die Arbeiten mit einem vom Auftraggeber bestellten Ergebnis anfertigen?
Kury: Ich denke, dass es Gutachter gibt, die im Sinne des Auftraggebers gutachten, vor allem dann, wenn sie sich weitere Aufträge erhoffen. Verallgemeinern kann man das allerdings nicht, die meisten Gutachter werden sich bemühen, eine gute Qualität abzuliefern, wobei allerdings die Untersuchungen vielfach gründlicher durchgeführt werden könnten.

Helmut Kury BuchGibt es die Tendenz bei Gutachtern auf eine weitere Gefährlichkeit zu entscheiden, weil sie damit auf der sicheren Seite sind, weil der Täter das Gegenteil nicht beweisen kann?
Kury: Dass Gutachter vielfach zuungunsten der Inhaftierten entscheiden, um kein Risiko eines „Fehlgutachtens“ in der Weise einzugehen, dass ein tatsächlich gefährlicher Täter fälschlicherweise als ungefährlich entlassen und rückfällig wird, ist inzwischen durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Man beurteilt den Inhaftierten dann im Zweifel als gefährlich, obwohl er das nicht ist. Der Gutachter geht damit kaum ein Risiko ein. Wir brauchen deshalb mehr gut ausgebildete und erfahrene Gutachter.

Wenn Mollath freigesprochen wird, war er sieben Jahre lang unschuldig eingesperrt. Wie kann man solche Fehlurteile verhindern?
Kury: Man muss sich hier fragen, wie das Gericht gearbeitet hat. Denken Sie an den Fall Harry Wörz. Der saß vier Jahre, weil er angeblich seine Freundin so schwer verletzt haben sollte, dass sie bis heute nicht mehr ansprechbar ist, und wurde dann freigesprochen. Laut des Juristen Thomas Darnstädt („Der Richter und sein Opfer“) sind viele Urteile falsch. Wie viele, wird man wohl nie herausbekommen. Berücksichtigt man die Verantwortung der Gutachter, gerade bei Prognosefragen, würde man sich oft auch eine kritischere Prüfung der Gutachtenqualität durch die Gerichte wünschen. Man wundert sich nicht selten, welch schwache Gutachten akzeptiert werden.

Kann Mollath, wenn er freigesprochen wird, für die sieben Jahre mehr einklagen als die übliche Haftentschädigung?
Kury: Eigentlich nicht. Das ist relativ wenig, in den USA ist das mehr. Der wegen Vergewaltigung verurteilte Lehrer Horst Arnold, der fünf Jahre unschuldig in Haft saß, hat sich später umgebracht. Durch die Haft entstehen Schäden bei den unschuldig Verurteilten.

Auf der anderen Seite bleiben aber auch eine Menge Verbrechen unentdeckt und die Täter laufen frei herum. Wie viele sind das?
Kury: Wenn man alle Straftaten zusammen nimmt – vom Ladendiebstahl bis zum Mord – dann würde ich sagen, dass etwa 90 Prozent aller Straftaten nicht offiziell registriert werden. Da sind viele Bagatellen dabei. Es gibt eine Untersuchung aus Berlin, nach der mindestens jedes zweite Tötungsdelikt nicht als Tötungsdelikt entdeckt wird. Denken Sie nur mal an den Pfleger, der im Krankenhaus in Sonthofen 28 zumeist hochbetagte Menschen umgebracht hat. Der ist irgendwann aufgefallen. Aber wie viele entdeckt man nicht? Wenn ein alter, schwacher Mensch stirbt, heißt es meistens: „Man musste damit rechnen.“

Muss mehr obduziert werden?
Kury: Das wäre eine Möglichkeit. Dadurch würde die Wahrscheinlichkeit höher, dass solche Fälle entdeckt werden. Prinzipiell vermeiden kann man sie nicht.

Viele der Straftäter, über die Sie ein Gutachten verfasst haben, hatten eine „schwere“ Kindheit. Ist das der entscheidende Punkt, an dem man bei der Verbrechensprävention ansetzen muss?
Kury: Ja, unbedingt. Man weiß, dass familiäre Störungen einen enormen Einfluss auf menschliches Verhalten haben. Wenn man Problemfamilien stärker unterstützen würde, könnte man sicherlich etwas erreichen. Es geht um die Frage, die ein amerikanischer Kollege gestellt hat: „Zahlen wir jetzt oder später?“ – Man könnte hinzufügen: Später wird es teurer.

Nicht jeder mit einer „schweren Kindheit“ wird später zum Täter. Was muss noch hinzukommen?
Kury: Kriminalität hängt von zahlreichen Faktoren ab. Bestimmte genetische Faktoren, wie etwa Impulsivität, könnten auch eine Rolle spielen. Diese Eigenschaft könnte in bestimmten Situationen, wie bei dem Beispiel an der Theke, kriminelles Verhalten begünstigen. Hinzu kommen andere Faktoren, wie die Sozialisation, die Gruppen, in denen man eingebunden ist, und die Lebensbedingungen der Gesellschaft, wie Armut.

Wenn Sie so einem Schwerverbrecher im Gefängnis für ein Gutachten gegenübersitzen, haben Sie dann ein mulmiges Gefühl?
Kury: Eigentlich nicht. Ich habe nur ein einziges Mal erlebt, dass ein Insasse aufgestanden und laut geworden ist, als ich ihm einige kritische Fragen gestellt habe. Aber ich habe manchmal ein mulmiges Gefühl beim Ergebnis. Wenn ich zu dem Schluss komme, der Mann – meistens geht es um Männer – kann entlassen werden, dann gehe ich ein viel größeres Risiko ein, als wenn er nach meinen Ergebnissen nicht entlassen werden darf. Wenn ich gründlich gearbeitet habe und er wird wieder straffällig, kann man mir juristisch keinen Vorwurf machen, aber ich habe natürlich ein moralisches Problem.

Glauben Sie nach all den Straftätern und Verbrechen, mit denen Sie zu tun hatten, eigentlich noch an das Gute im Menschen?
Kury: Ja. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich im Straßenverkehr zu Schaden komme, ist wesentlich größer, als die Wahrscheinlichkeit durch eine Straftat schwer zu Schaden zu kommen. Wir haben in Deutschland pro Jahr rund 3000 tödliche Verkehrsunfälle und rund 2100 Fälle von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen.

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