Heike Makatsch

Manchmal wünsche ich mir die Aufregung zurück.

Heike Makatsch über Kompromisse im Filmgeschäft, ihre frühen Erfahrungen im Showbusiness, den Abschied vom Mädchensein, den Kinofilm „Schwesterherz“ und den Luxus des Drehbuchschreibens

Heike Makatsch

© Egoli Tossell Film

Heike, hast du das Gefühl, dein Leben bislang so ausgefüllt zu haben, wie du es dir gewünscht hast?
Makatsch: Ich bin sehr zufrieden damit, wie mein Leben bis jetzt gelaufen ist. Manchmal glaube ich, dass ich bestimmte Momente gar nicht so sehr wertgeschätzt habe, wie ich es hätte tun sollen…

Warum nicht?
Makatsch: Ich vermute, dass es daran liegt, dass man im jeweiligen Augenblick noch gar nicht die nötige Distanz zu einem Ereignis hat, um wirklich erkennen zu können, was es für einen selbst bedeutet. Was ich alles erlebt habe, ist mir oft erst in der Distanz klar geworden.

Was zum Beispiel?
Makatsch: Als ich noch für Viva beim Musikfernsehen gearbeitet habe, bin ich oft darauf angesprochen worden, dass ich diesen oder jenen interessanten Menschen getroffen habe. Ich glaube, mir war damals überhaupt nicht klar, dass das einen besonderen Wert hatte. Was vielleicht auch ganz gut war! So konnte ich alles etwas entspannter angehen… Im Nachhinein wundere ich mich auch manchmal, wie wenig ich damals aufgegangen bin, wie selten ich gedacht habe: Was für eine außergewöhnliche Metropole, in der ich mich gerade befinde! Ich hätte vieles sicher noch intensiver mitnehmen können.

Eine solche Einstellung kann auch davor schützen, durchzudrehen…
Makatsch: Vielleicht. Vielleicht schützt sie außerdem davor, sich an etwas zu klammern und alles daran zu setzen, den Standpunkt, den man meint, erreicht zu haben, halten zu wollen. In einer solchen Lebenssituation wäre der Verlust davon unerträglich. Wenn man entspannter ist, geht man auf eine Art und Weise an eine Sache heran, wo man sich sagt: Wenn es nicht klappt, dann mache ich halt was anderes…

Die Musikmanagerin Anne, die du im Kinofilm „Schwesterherz“ spielst, geht für ihre Karriere immer wieder Kompromisse ein. Kannst du nachempfinden, warum sie das tut?
Makatsch: Sie hat sich einmal aus Liebe zur Musik bei ihrer Plattenfirma angedient. Das war etwas, das ihr sehr nah war. Es hat sie glücklich gemacht. Irgendwann stand sie jedoch da und war verantwortlich für Dinge, die mit Musik überhaupt nichts mehr zu tun hatten. Das Kommerzielle wurde immer wichtiger. Man kann sagen: Anne ist Teil einer Industrie geworden, die Bedürfnisse erfüllt, die erst zwanghaft geweckt werden müssen. Nur so kann diese Art von Geldzirkulation aufrechterhalten werden. Im Endeffekt war es für Anne mit Kompromissen halt einfacher. Doch der Weg, den die gegangen ist, hat sie dort hingeführt, wo sie jetzt ist. Ich selbst kenne das Problem zum Glück nur im Ansatz. Aber im Filmgeschäft gibt es diese Gefahren natürlich auch…

Inwiefern bist du denn gezwungen, bei deiner Arbeit als Schauspielerin Kompromisse einzugehen?
Makatsch: Ich habe immer versucht, mich davor zu bewahren. Wenn ich zurückgucke, kann ich schon verstehen, wieso ich die meisten meiner Filme gemacht habe. Aber es gibt sicherlich auch Phasen, in denen man siebt und siebt und es kommt einfach nicht das Projekt, bei dem man sofort denkt: Das ist ein Drehbuch, das mir aus dem Herzen geschrieben ist! Genau darauf habe ich gewartet! – Dann muss man anfangen, ein Stück weit von seinen eigentlichen Wünschen und Vorstellungen wegzugehen. Weil man gerne arbeiten möchte, weil man Geld verdienen muss. Das ist vielleicht etwas, was man als Kompromiss bezeichnen könnte. Aber trotz allem kann es gelingen, eine Liebe zu einem solchen Projekt zu entwickeln, es kann auch Spaß machen, es kann auch etwas Gutes dabei herauskommen. Man muss jedoch aufpassen, dass man nicht seine Leidenschaft verliert, weil man in einer Unterhaltungsindustrie funktionieren muss, die nur Quatsch produziert. Sonst kann es passieren, dass man irgendwann aus dem Auge verliert, was einem wirklich wichtig ist.

„Schwesterherz“ versucht die Problematik einer neuen Generation zu beschreiben. Worin besteht diese Problematik deiner Meinung nach?
Makatsch: Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich Frauen wie Anne einem Markt andienen müssen, der auf lauter verschiedenen Ebenen Ansprüche an sie stellt, die sie eigentlich gar nicht erfüllen können. Überall wird Flexibilität, Jugend und Attraktivität von dir erwartet. Egal ob im Job, in der Beziehung oder was die Präsentation von dir als weibliches Wesen betrifft. Wenn Anne nicht mehr ihre Jugend und Frische in den Job einbringen würde, wenn sie ihrem Freund nicht mehr ihre Unabhängigkeit und Flexibilität präsentieren würde und wenn sie sich als Frau nicht mehr ständig äußerlich auf dem Markt der Eitelkeiten als „available“ darstellen würde, dann würde sie in diesem Leben durchs Raster fallen. Sie hätte das Gefühl, in all dem nichts mehr zu sein. Deshalb hält sie an einem Status Quo fest, der gar nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht. Genau deshalb fängt sie an, eine Fassade aufzubauen, die man eigentlich nur als Teil einer Entfremdung von sich selbst sehen kann.

Du hast eben die Phasen erwähnt, in denen man als Schauspieler auf gute Drehbücher wartet. Nun hast du für „Schwesterherz“ zusammen mit Johanna Adorján ein eigenes Drehbuch geschrieben. Aus welcher Motivation heraus? Wolltest du nicht länger auf gute Bücher warten?
Makatsch: Die Idee ist aus vielen Gesprächen entstanden, die wir über die Welt, über uns in dieser Welt und darüber, wie wir das Leben empfinden, geführt haben. Irgendwann haben wir uns gefragt: Wieso lassen wir nicht alle unsere Ideen in einen Topf fließen und machen etwas daraus? Also haben wir uns dazu entschlossen, das Drehbuch zu schreiben und mir am besten gleich eine Rolle dazu…

Ist man kritischer mit sich selbst, wenn man ein Drehbuch umsetzt, das man selbst geschrieben hat?
Makatsch: Bei mir ist es so, dass ich mir eine Rolle so zu Eigen mache, dass es keinen Unterschied macht, ob es eine fremdgeschriebene Rolle ist oder eine, die ich mir selbst geschrieben habe. Die größere Irritation gibt es vielmehr bei den anderen Rollen. Normalerweise würde ich mir nicht überlegen, wie ein Kollege eine Rolle anlegt und ich nehme einfach an, was der andere Schauspieler aus seiner Rolle macht. Damit wird dann halt gearbeitet. Aber bei „Schwesterherz“ hatte ich ja ein relativ klares Bild von dem, was ich mir von den anderen Figuren vorgestellt habe. Wenn dann plötzlich ein Schauspieler aus Fleisch und Blut kommt und sein eigenes Ding mit der Rolle macht, ist es manchmal schon nicht ganz einfach, loszulassen und dem Schauspieler die Chance zu geben, seine eigene Identifikation mit der Rolle zu finden.

Zitiert

Manchmal glaube ich, dass ich bestimmte Momente gar nicht so sehr wertgeschätzt habe, wie ich es hätte tun sollen.

Heike Makatsch

Wird das Schreiben jetzt dein zweites Standbein?
Makatsch: Ich schreibe sehr gerne, aber ich setze mich da nicht unter Druck. Ich denke, wenn sich noch mal irgendetwas in mir löst und aufgeschrieben werden will, dann passiert das. Und wenn nicht, dann nicht. Ich sehe das Schreiben nicht als zweites Standbein, sondern eher als Luxus, den ich in Anspruch nehme, wenn ich mich danach fühle oder wenn es aus mir heraus fließt.

Um noch einmal auf das Stichwort „loslassen können“ zurückzukommen: Im Film geht’s auch darum, das Mädchensein loszulassen und erwachsen zu werden. Wie schwer ist dir das eigentlich gefallen?
Makatsch: Der entscheidende Punkt ist gar nicht so sehr der, dass man das Mädchensein nicht loslassen möchte. Es ist eher so, dass man von dem, was danach kommt, erst einmal gar keine Ahnung hat. Man weiß nicht: In welche Richtung soll es gehen? Was ist denn der nächste Schritt? Wer zeigt mir, wie es geht? Wo sind die Regeln? Man ist einfach orientierungslos auf Grund der Unsicherheit, die man hat. Im Moment fühle ich mich allerdings nicht so orientierungslos – im Moment fühle ich mich ganz wohl, angekommen und am richtigen Platz zur richtigen Zeit. Aber teilweise war es auch manchmal so, dass ich gedacht habe: Das habe ich doch alles schon einmal gemacht – jetzt drehe ich schon die dritte Runde in diesem Zirkus… wo ist der Ausgang?

Wie viel Mädchen steckt noch in dir?
Makatsch: Hmm…was soll ich da sagen: Drei Kilo? Ich sag mal so: Momentan werde ich wieder dann zum Kind, wenn ich mit meiner kleinen Tochter herumspiele und sehe wie sie sich an den einfachsten Dingen erfreuen kann, wenn zum Beispiel irgendetwas glitzert oder so. Da fängt es bei einem selbst wieder an, an solchen Dingen Freude zu empfinden. Und ich glaube, das ist erst der Anfang. Das wird erst noch mal richtig gut (lacht).

Wird das Leben immer schöner, umso älter man wird?
Makatsch: Ich würde das nicht verallgemeinern wollen. Ich mag mein Leben im Moment gerade sehr. Und im Laufe der Jahre werden bestimmt noch viele andere Dinge dazukommen, die mein Leben bereichern werden. Andererseits muss man auch ein paar Dinge gehen lassen, die dann auch nicht mehr wiederkommen.

Was für Dinge sind das?
Makatsch: Die Aufregung, die man als Teenager in bestimmten Situationen hatte, wenn man bestimmte Dinge zum ersten Mal erlebt hat, gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Die Aufregung weicht einer Entspanntheit – was ja auch schön ist. Dennoch würde ich mir manchmal diese Aufregung zurückwünschen… Meine Tochter hilft mir jedoch dabei, manche Dinge – wenn auch indirekt – noch einmal „zum ersten Mal“ zu erleben…

Nicht zum ersten Mal verkörperst du demnächst eine bedeutende Persönlichkeit und stehst diesmal als Hildegard Knef vor der Kamera – zuletzt hattest du die Stofftierunternehmerin Margarethe Steiff dargestellt. Was reizt dich an solchen Biographie-Projekten?
Makatsch: Das Besondere ist, dass am Schluss für alle, die sich den Film ansehen, ein Leben exemplarisch stehen soll. Die Zuschauer sollen sich irgendetwas für sich selbst herausziehen können, sich damit identifizieren können. Wenn man das an einer Figur festmacht und versucht, einen Blickwinkel zu finden, der allgemeingültig ist, finde ich das ziemlich interessant. Weil man sich fragt: Wofür steht dieses Leben? Was könnte uns daran interessieren? Der Unterschied zwischen Hildegard Knef und Margarethe Steiff ist jedoch der, dass Margarethe Steiff fast schon eine fiktive Figur ist, die keiner kannte. Es gibt keine bewegten Bilder von ihr – die Teddybären sind ihr einziger Nachlass. Bei Hildegard Knef ist der Vergleich natürlich viel klarer und insofern ist es auch noch mal eine viel größere Herausforderung, was die Annäherung an die Figur angeht. Diesmal werde ich auch nicht so viel Freiraum haben. Ich muss mich schon ein bisschen mehr der Vorlage annähern…

Du bist als junges Mädchen im Showbusiness gestartet. Inwiefern hat diese Zeit für dich zum Erwachsenwerden dazu gehört?
Makatsch: Ich bin total dankbar für die Erfahrungen, die ich während dieser Zeit gemacht habe und möchte sie in keinster Weise missen. Dass ich das Glück hatte, bei Viva meine Karriere zu starten und dadurch zusammen mit Detlev Buck mit „Männerpension“ meinen ersten Film drehen konnte, ist ein wichtiger Bestandteil meiner Biographie.

Du warst ja auch Vorbild für die ganzen jungen Mädchen damals. Konntest du das verstehen oder dachtest du: Was wollt ihr eigentlich von mir?
Makatsch: Ich konnte das nicht verstehen, weil man sich einfach nicht vorstellen kann, wie es ist, vom Wohnzimmer aus von irgendwelchen Leuten betrachtet zu werden, die irgendetwas in dir sehen. Von anderen wird man immer anders gesehen als man sich selbst sieht. Es ist merkwürdig zu erahnen, dass man irgendeine Projektionsfläche sein könnte. Ein Bewusstsein dafür bekommt man nie so ganz. Es bleibt pure Theorie.

Hast du ein Vorbild?
Makatsch: Ja, ich war großer John Lennon-Fan.

…heute nicht mehr?
Makatsch: Doch, aber ich bin zu alt, um noch Fan zu sein.

Ein Kommentar zu “Manchmal wünsche ich mir die Aufregung zurück.”

  1. Peter |

    Schlussfrage?

    Interessantes Iview…nur wo ist die Schlussfrage geblieben ;)

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