Hans-Joachim Flebbe

Die junge Altersgruppe wird dem Kino nicht mehr so treu sein.

Hans-Joachim Flebbe brachte einst die Multiplexe nach Deutschland, heute setzt er auf "Premiumkinos" wie die Astor Film Lounge und den Berliner Zoo-Palast. Im Interview spricht Flebbe über Entschleunigung, den Verzicht auf Action- und Gewaltfilme und die wichtige Rolle von Nachos und Popcorn.

Hans-Joachim Flebbe

© Clemens Bilan

Herr Flebbe, im November 2013 haben Sie in Berlin den Zoo-Palast wiedereröffnet. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Hans-Joachim Flebbe: Die Stimmung ist ausgezeichnet, der Erfolg der ersten Wochen hat unsere Erwartungen noch übertroffen. Unsere Besucher entsprechen der Zielgruppe, die wir anvisiert hatten, es kommen durchweg Erwachsene, über 30-Jährige. Mein originellstes Erlebnis war eine Gruppe von Senioren im hohen Alter. Die holten sich gerade etwas zu trinken als eine Mitarbeiterin von uns sie ansprach und sagte „Sie wollen bestimmt den „Medicus“ sehen, der beginnt gleich“. Aber die antworteten: „Nein, wir wollen in „Fack ju Göhte““. Das waren alles ehemalige Lehrer, die sich ansehen wollten, wie die heutigen Schulklassen in dem Film dargestellt werden. Distinguierte Herren, in ein normales Multiplex-Kino wären die wahrscheinlich nicht gegangen.

Warum?
Flebbe: Weil sie sich dort unwohl fühlen. Die wollen nicht in der Schlange stehen und das Geschubse miterleben, wie man es oft im Multiplex hat. Bei uns schätzen die Leute die entschleunigte Atmosphäre. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, dass bei uns alles viel ruhiger zugeht, dass der einzelne Gast im Vordergrund steht. Dafür brauchen wir allerdings auch doppelt so viel Mitarbeiter wie ein normales Kino.

In Ihren sogenannten „Premiumkinos“ kann man sich am Logen-Platz bedienen lassen, es gibt eine Garderobe, Begrüßungsgetränk und viel Beinfreiheit. Wie kam es zu dieser Neuorientierung bei der Zielgruppe? Hat man die jüngeren aufgegeben?
Flebbe: Nein. Den jüngeren stehen ja alle Multiplexe zur Verfügung, in Berlin am Alexanderplatz, am Potsdamer Platz usw., dort finden Sie die frühere Hauptzielgruppe der 14-25-Jährigen. Die Lücke bestand eher bei den Älteren, für die gab es kaum Kinos, die nicht diesen Massenauflauf haben.

Ist für Sie die jüngere Zielgruppe auch weniger interessant geworden, weil die sich immer häufiger über das Internet mit Filmen versorgt?
Flebbe: Das trifft sicher zu und ich glaube auch, dass wir mit dem Premiumkinos langfristig auf das richtige Pferd setzen. Ich habe selber zwei Kinder, 16 und 18 Jahre alt, da erlebe ich, dass im Internet viele Filme schon vor Kinostart abklassifiziert werden. Man kommuniziert online mit Freunden, und oft heißt es dann „musst du dir nicht angucken, brauchst nicht ins Kino zu gehen“ weil sich irgendjemand den schon illegal besorgt hat. Die großen Filme sehen auch die jungen Leute noch im Kino, aber die mittleren und kleinen Filme haben es schwer. Ich denke, diese Altersgruppe wird dem Kino nicht mehr so treu sein, wie sie es noch vor 10, 15 Jahren gewesen ist, bevor das Internet seinen Siegeszug antrat.

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Ein Besuch im Multiplex-Kino wäre vielleicht so etwas wie ein Essen bei McDonalds und ein Premiumkino wie ein Restaurantbesuch.

Hans-Joachim Flebbe

Zu den zehn erfolgreichsten Kinofilmen zählten im letzten Jahr „Fack Ju Göthe“, „Hangover 3“, „Fast & Furious 6“, „Kokowääh 2“ oder „Die Schlümpfe 2“ – passen diese Filme in Kinosäle, die eher nach exklusiven Clubs oder Bibliotheken aussehen?
Flebbe: Eher weniger. Bei uns würden Sie allerdings auch Film wie „Django Unchained“ oder „Hobbit“ sehen können, die an der Kasse auch weit vorne waren. Sogar „Fack Ju Göthe“ hatten wir im Programm, der hat sowohl jüngere als auch ältere Zuschauer interessiert.

Aber Sie wählen das Programm nicht in erster Linie unter kommerziellen Gesichtspunkten aus?
Flebbe: Wir suchen bewusst Filme für unsere Zielgruppe, die wir jenseits der 30 verorten und die nicht das normale Multiplex-Publikum ist. Wir berücksichtigen dabei ganz klar: Es wird kein „Robocop“ laufen und kein „Fast & Furious“, stattdessen eher Erzählkino, Filme wie „American Hustle“, „Mandela“ oder „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“. Wir verzichten ganz bewusst auf reine Action- und Gewaltfilme.
Glücklicherweise gibt es für ein erwachsenes Publikum auch immer mehr Filme, weil die Studios diese Nachfrage erkannt haben. „Ziemlich beste Freunde“, „Der Medicus“, „Die Bücherdiebin“ oder „Wolf of Wallstreet“ ziehen ein anderes, erwachsenes Publikum an.

Wie schauen Sie auf Ihre Multiplex-Zeit zurück?
Flebbe: Ich habe vor 20 Jahren viele Multiplexe gebaut und ich erinnere mich gerne daran: Als wir zum Beispiel das erste eröffneten, gab es großen Beifall, als der Vorhang zur Seite fuhr und die Besucher merkten, wie groß die Leinwand ist. Die Bars im Foyer waren neu und die Inneneinrichtung spektakuläör .
Aber mittlerweile geben wir uns Mühe, uns von Multiplexen abzugrenzen. Beim Zoo-Palast haben wir viel Geld in den Innenausbau gesteckt, mit Wasserfall, mit Vorhängen usw. Weil wir die Emotionen die mit man mit einem Kinobesuch verbindet, wieder beleben wollen.

Die FAZ bezeichnete den Zoo-Palast als „Retrokino“.
Flebbe: Äußerlich ist es das ja auch. Das hängt natürlich damit zusammen, dass das Foyer und der große Saal unter Denkmalschutz stehen, ebenso das Kino 2, das frühere Atelier. Das betrifft die Holzverkleidung, die Decken, die Lampen, die Vorhänge. Also haben wir uns entschieden, auch bei den anderen Sälen in diesem Stil zu bleiben. Wir haben uns angeschaut, wie Kinos früher von der Inneneinrichtung her ausgesehen haben und uns daran orientiert.

Ist der Wasserfall im Großen Saal jetzt so etwas wie das Erwachsenen-Update der einstigen Lasershow?
Flebbe: Ja, das könnte man so sagen. Wir waren früher die ersten, die in den Multiplexen Lasershows einbauten, in Hamburg haben wir damit angefangen. Weil wir uns gefragt haben: Was kann man mehr machen? – Für die Lasershow hat es am Anfang auch viel Beifall gegeben. Allerdings, wer sie dann zwei, drei Mal gesehen hat, dachte wahrscheinlich: „Oh, nicht schon wieder!“

© privat

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Die FAZ nannte Sie einen Kinobetreiber, „dessen Ehrgeiz über die möglichst kostensparende Abschöpfung des Besucherinteresses hinausgeht.“ Finden Sie sich darin wieder? Worauf ist denn Ihr Ehrgeiz gerichtet?
Flebbe: Also, natürlich ist es ein kommerzielles Unternehmen, das ich führe. Ich bin ja kein Mäzen. Natürlich will ich damit auch Geld verdienen, aber es geht nicht darum, den Besuchern den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen. Bei uns gibt es zum Beispiel auch keine Nachos mehr. Was ein großer Fehler wäre, wenn man die Wirtschaftlichkeit von Kinos betrachtet.

Ist die Marge bei Nachos so enorm hoch?
Flebbe: Ja, Popcorn und Nachos erwirtschaften in einem normalen Kino fast die Hälfte der Einnahmen. Ohne Popcorn und Nachos könnten viele Multiplexe nicht überleben.
Mir geht es darum, dass die Besucher im Kino einen schönen Abend haben und zufrieden sind. Und dass man diejenigen, die nicht mehr ins Kino gegangen sind, wieder zurückgewinnt. Dafür haben wir Geld investiert, in der Hoffnung, dass das Publikum so darauf reagiert, wie wir uns das vorstellen. Und im Moment sehen wir, dass die Rechnung aufgeht. Ich vergleiche den Kinobesuchgerne mit einem Restaurant: DVD gucken heißt, ich koche zuhause, ein Multiplex-Kino wäre vielleicht so etwas wie ein Essen bei McDonalds – und dann gibt es die Premiumkinos, das wäre dann das Restaurant, wo man ja auch bereit ist, zwei, drei Euro mehr auszugeben.

Wäre es bei diesem Aufpreis denkbar, auf Werbung vor dem Film zu verzichten?
Flebbe: Ich finde, Werbung wird zu Unrecht verteufelt, schließlich geben sich die Produzenten ja die größte Mühe. Die Werbezeitdarf nur nicht überlang sein, wenn der Werbeblock eine Dreiviertelstunde geht, da platzt mir auch die Hutschnur. Bei uns sind es maximal 25 Minuten, in der Regel aber nur 5 bis 10 Minuten. Das ist nicht so exzessiv. Und wirtschaftlich gesehen ist es eine Einnahmequelle, auf die wir nicht verzichten können.

Nun hat vor kurzem das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit des Filmförderungsgesetz bestätigt, welches Sie als Kinobetreiber zu einer Förderabgabe für den Deutschen Film verpflichtet. Zahlen Sie diese Abgabe gerne? Oder tut Sie Ihnen als Unternehmer weh?
Flebbe: Nein, ich bin glücklich über die Entscheidung, weil jetzt wieder Klarheit herrscht und weiterhin Geld für die deutsche Filmproduktion zur Verfügung steht.

Kino ist ein Freizeitvergnügen geworden, für das tendenziell immer weniger Menschen immer mehr Geld ausgeben müssen.
Flebbe: Ich würde es anders formulieren: Kino war immer relativ günstig.

Aber wenn die Preise weiter anziehen, könnte es sein, dass dann diese soziokulturelle Institution Kino, die sich früher jeder leisten konnte, verloren geht?
Flebbe: Also ich finde, man kann da nicht von einem Publikum reden. Früher zu meinen Cinemaxx-Zeiten hatten wir uns lange Zeit Preiskämpfe geliefert. Ich hatte ich immer darauf geachtet, dass die Preise niedrig blieben, so dass sich viele Menschen einen Kinobesuch das leisten können, dass keiner ausgeschlossen wird. Aber mittlerweile ist es ja so, dass sich viele potentielle Besucher – gerade aus kleineren Einkommensgruppen – so oder so sagen: Kino ist mir zu teuer, egal ob es fünf Euro oder sieben oder acht Euro kostet. Die kaufen sich dann DVDs, ziehen Fernsehen vor oder laden sich Filme illegal aus dem Internet.

Wie sehen Sie die Situation der Programmkinos?
Flebbe: Die Programmkinos kreuzen ja seit 50 Jahren unbeschadet durch die Lande. Die haben immer noch ein treues Publikum.

Wo sind Ihre nächsten Premiumkinos zu erwarten?
Flebbe: Ich habe viele Projekte, die ich aber noch nicht nenne. Bereits voraussagen kann ich, dass wir in Hamburg in der Hafencity in ca. zwei Jahren eine Astor-Filmlounge eröffnen.
Ich hätte gerne schon mehr Astor-Kinos aufgemacht, aber es gibt keine alten Kinosäle, die man umwandeln kann. Und wenn man neue Kinos bauen will, braucht man die Hilfe Banken. Doch die Banken finanzieren keine Kinos mehr, seit dem Multiplex-Schock. Deswegen ist die Expansion für Astor sehr mühselig und geht langsamer voran, als ich mir das wünschen würde.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Multiplex-Kinos ein?
Flebbe: Ich glaube, es wird in vielen Multiplexen zu Umgestaltungen kommen. Weil man sich sagen wird, dass nur eine blanke Wandbespannung, schwarze monotone Decken und Linoleumfußboden nicht mehr ausreichen, sondern man ein bisschen mehr tun muss, um Atmosphäre zu bieten. Da wird eine Welle von Renovierungen auf uns zukommen, weil sich auch die Multiplex-Betreiber bemühen werden, ein bisschen mehr Glamour, Phantasie und mehr Spaß reinzubringen.

Die werden Ihnen nacheifern?
Flebbe: Nicht unbedingt mir nacheifern, aber dem Zeitgeist folgen. Der Zulauf für die Premiumkinos ist ja ungebrochen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Und wenn etwas erfolgreich ist, werden irgendwann auch andere in diese Richtung weiterarbeiten. Am Anfang haben viele Kollegen gesagt, ich sei jetzt übergeschnappt, ich würde mir selbst ein Grab schaufeln, wegen der hohen Investitionskosten, des vielen Personals und der hohen Mieten im innerstädtischen Bereich. Rückblickend amüsiert mich das. Ich bin mir sicher, dass in nächster Zeit noch mehr Betreiber auf die Idee kommen, wieder ein bisschen mehr Glanz in ihre Kinos zu bringen.

Sie waren zwei Mal als Co-Produzent tätig, danach aber nie wieder. Warum?
Flebbe: Ganz einfach: Schuster bleib bei deinen Leisten. Ich kann zwar Filme beurteilen, wenn sie fertig sind, ob sie den Publikumsgeschmack treffen, ob sie gut sind. Aber selber Filme machen, nein. Ich war eher derjenige, der das Geld dazugegeben hat, aber beide Male habe ich viel verloren. Danach habe ich mir gesagt: Entweder Filmproduzent oder Kinobetreiber – da war mir Letzteres die sicherere Variante.

Sie haben im Zoo-Palast auch noch zwei analoge Projektoren. Werden diese Geräte heute und in Zukunft denn überhaupt noch gebraucht?
Flebbe: Eigentlich nicht. Aber wir werden in Matinees auch Klassiker der Filmkunst zeigen, und zwar in analoger Wiedergabe. Neue Filme gibt es nur noch digitalisiert.

Noch ein paar Schlussfragen zum Kinogänger Hans-Joachim Flebbe: Wie oft gehen Sie ins Kino?
Flebbe: Ungefähr zwei Mal im Monat, leider nicht öfter. Meine Frau ist bei uns der Scout, sie sucht die Filme aus, ist bei vielen Pressevorführungen und auf Festivals dabei und hat einen ziemlich guten Riecher dafür, was für unser Publikum geeignet ist.

Das Popcorn lieber salzig oder süß?
Flebbe: Für meine Frau salzig, für mich gemischt: Unten salzig unten oben süß. Kleine Portion. Das reicht mir.

Der Film in der Originalversion oder synchronisiert?
Flebbe: Am liebsten Original mit Untertitel.

Beim Abspann bleiben Sie sitzen?
Flebbe: Ja, aus Respekt. Nicht ganz bis zum Schluss, ich muss nicht wissen, welcher Fahrer die Produzentin zum Drehort gefahren hat, aber ich will schon wissen, wer die Kamera oder die Musik gemacht hat.

Tränen im Kinosaal?
Flebbe: Unterdrückte, ja. Echte Tränen relativ selten.

Autokino?
Flebbe: Ich hatte vor 20-25 Jahren in Delmenhorst selbst eines betrieben. Das habe ich geliebt, das hatte eine tolle Atmosphäre. Es musste aber leider geschlossen werden, weil immer weniger Leute kamen und dann auch noch die Piraterie problematisch wurde – im Autokino konnte man das ja leicht abfilmen.

Gibt es eine Filmfigur, mit der Sie sich identifizieren können?
Flebbe: Nein, gibt es nicht. In meiner Studienzeit war Franco Nero mein Held. Weil er unabhängig war und einsam. Genauso wie ich damals einsam im Kino saß, ist er einsam über die Prärie geritten.
Damals habe ich nur Western geguckt. Zu der Zeit war ich auch zwei, drei Mal am Tag im Kino. Da kannte ich jeden Film.

Womit verbinden Sie Ihr schönstes Kinoerlebnis – mit dem Film, dem Kino oder mit Ihrer Begleitung?
Flebbe: Ich werde mein erstes Kinoerlebnis nicht vergessen, weil ich damals dachte, das sind echte, lebendige Menschen, die da auf der Bühne stehen. Ich konnte nicht fassen, dass das ’nur‘ ein Film ist. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt, in Hannover im Riki-Kino (in Ricklingen) habe ich die „Glenn Miller Story“ gesehen. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich.

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