Gotan Project

Koalition von Vergangenheit und Zukunft

Philippe Cohen Solal und Eduardo Makaroff von Gotan Project über Tango-Fundamentalisten, die Szene in Buenos Aires, elektronische Einflüsse, Piazzolla und warum sie selbst nicht Tango tanzen

Gotan Project

© Ya Basta/Universal

Mr. Solal, Mr. Makaroff, ist das Gotan Project auf dem Gebiet des Electrotrango ein Monopolist?
Eduardo Makaroff: Ja, ein Großunternehmen (lacht)…
Solal: Nein, wir lieben es, diesen Schatz mit anderen zu teilen.
Makaroff: OK, stimmt. Wir sind gegen jede wirtschaftliche Konzentration. Wir mögen kleine, mittelständischen Unternehmen (lacht).
Philippe Cohen Solal: Wir waren die ersten, die es gemacht haben, vielleicht haben wir deshalb den Electrotango-Sound geprägt…
Makaroff: Aber ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt „Electrotango“ oder „Tango Electronico“ sind. Es gibt natürlich eine Electrotango-Szene, aber diese Bezeichnung reduziert eigentlich das, was wir machen.

Wer macht denn sonst noch Electrotango?
Solal: Es gibt einige Bands, die noch mehr Electrotango machen als wir, vor allem in Argentinien: Bajofondo oder Narcotango, Tanghetto… Aber ehrlich gesagt bin ich nicht so begeistert über die Bands, die Gotan Project gefolgt sind. Es gibt viel interessantere Dinge, die gerade aus Buenos Aires kommen, junge Leute die akustischen Tango spielen, wie Fernández Fierro. Nueva Cumbia finde ich auch sehr interessant zu hören, der neue Sound von Buenos Aires ist sogar viel mehr Cumbia als Electrotango. Also, ehrlich gesagt: Ich persönlich finde die Electrotango-Szene sehr langweilig.

Woran liegt das?
Solal: Viele Sachen sind nicht so kreativ, oft ist es nur eine Collage von Tango und elektronischer Musik, also genau das, was wir immer versuchen, zu vermeiden. Wir wollen die Genres miteinander verheiraten, verbinden. Wenn man einfach nur einen House-, Dance-, oder TripHop-Beat nimmt und dann einen Bandoneon-Spieler bittet, über den Beat zu improvisieren, damit es nach Tango klingt – das ist eine Kollage, so was machen wir nicht.
Wir komponieren Musik, schreiben Songs… Klar fragen wir unsere Musiker auch manchmal, zu improvisieren, aber wir arbeiten dann an dem Sound damit es abstrakter klingt. Vielleicht kann man es so sagen: Innen drin steckt Tango, aber außen ist es eine neue Form.
Das ist auch der Grund, warum ich Nueva Cumbia interessanter finde, weil die Leute da zum Beispiel Dub mit einbauen, das ist grooviger und kreativer als die Electrotango-Szene.
Makaroff: Ich denke, dass man, um den Tango zu erneuern, nicht zwingend mit den neuen Technologien arbeiten muss, es muss nicht Electrotango sein. Es gibt viele klassische Musiker wie Fernández Fierro, Daniel Melingo oder Juan Carlos Caceres, die den Tango heute bewegen und die zum Teil moderner sind als manche Electro-Tangueros.
Trotzdem gibt es natürlich auch Electrotango-Künstler, die auch komponieren, die auch professionelle Musiker sind und sehr gute Musik schreiben.

Als Piazzolla seinen Tango Nuevo populär machte, reagierten die Traditionalisten zunächst mit Ablehnung. Wie war die Reaktion der Szene als Sie das erste Mal Tango mit elektronischer Musik kombiniert haben?
Solal: Leider haben wir nicht so viele Gemüter erregt wie Piazzolla damals. (lacht) Ehrlich gesagt waren wir überrascht von der guten Reaktion der Tango-Szene. Wobei uns natürlich einige Tango-Fundamentalisten dafür gehasst haben, die hassen uns auch immer noch. Aber das ist für mich kein Problem, von Fundamentalisten gehasst zu werden. Ich denke, es ist sogar gesund, von Leuten gehasst zu werden, die der Auffassung sind, dass Musik „rein“ sein kann. Wie stellen die sich das vor, dass Tango „rein“ ist? Wo es doch so ein Mix von verschiedenen Kulturen ist, von verschiedenen Migrationsströmen aus Europa und Afrika. Für mich leugnen diese Leute die Geschichte des Tango.

Ist dieser Kreis von Traditionalisten denn besonders groß?
Makaroff: Nein. Wir wurden ja von der offiziellen Seite der Tangoszene auch gut aufgenommen, beim offiziellen Tango-Festival in Buenos Aires gibt es inzwischen auch ein bis zwei Abende, wo nur elektronischer Tango gespielt wird. Nein, die Fundamentalisten haben keinen großen Einfluss mehr. Wir kennen sie aber, weil manche Leute uns erzählen, dass sie schlecht über uns reden.

Zum Beispiel?
Makaroff: Ich habe mal so etwas gehört wie, wir seien das McDonalds des Tango.

Vermutlich weil Sie in deren Augen den Tango zu sehr kommerzialisieren.
Solal: Ja, sicher, weil das jetzt so populär und erfolgreich geworden ist. Da werden bestimmte Leute neidisch. Manche spielen schon 30 Jahre Tango, haben 5000 Platten verkauft – und wir haben jetzt schon zwei Millionen verkauft. „Die machen keinen echten Tango!“ hören wir dann. Nein, machen wir auch nicht. Wir sind nicht der echte Tango. Aber was ist denn überhaupt echter Tango?
Makaroff: Man muss aber schon sagen, dass einige der besten Tango-Musiker mit uns zusammenarbeiten. Gustavo Beytelmann, Nini Flores, Nestor Marconi – die großen Tangueros aus Paris und Buenos Aires arbeiten mit uns.
Persönlich lieben und respektieren wir ja auch den traditionellen Tango. Aber als Band wollen wir etwas Neues kreieren, den Tango an einen anderen Ort tragen.
Solal: Bei uns ist die Elektronik ein weiteres Instrument, ein neuer Klang, der dazu kommt. Ich bin sicher, wenn Piazzolla eine E-Gitarre auf der Bühne gehabt hätte dann wäre es vielleicht für manche furchtbar gewesen…
Makaroff: Er hat in den 70ern ja mit Synthesizern angefangen.
Solal: Ja, ich vermute, die Leute waren damals sicher entsetzt, weil er diese Sachen verwendete.
Makaroff: In der Geschichte der Kunst hat die neue Technologie immer die Ästhetik verändert. Erst hat man mit Fingern gemalt, dann hat jemand den Pinsel erfunden und das bringt eine Veränderung in der Geschichte der Malerei. Genauso hat die E-Gitarre die Musikgeschichte verändert und die Elektronik hat auch den Tango verändert.

Was hat sich seit der Gründung 1999 beim Gotan Project verändert?
Solal: Ich denke, auf dem neuen Album gibt es eine große Weiterentwicklung vom Sound her, wir zeigen damit, dass wir uns nicht selbst wiederholen. Auch wenn man den Sound vom ersten bis zum dritten Album mit Gotan Project identifizieren kann, gibt es jetzt glaube ich  keinen Track, wo jemand sagen würde: Hab ich schon mal gehört. Der Sound ist ähnlich aber die Form haben wir weiterentwickelt. Es sind jetzt auch viele verschiedene Einflüsse zu hören, vom Blues, von Country-Musik, nordamerikanischer Roots-Musik, all diese Elemente passen dazu..

Und der Album-Titel „Tango 3.0“?
Solal: Tango ist ja eine Musik, deren Geschichte mittlerweile mehr als ein Jahrhundert umfasst – und das 3.0 steht für die Zukunft des Web. Wir arbeiten beim Gotan Project ja an einer Koalition von Vergangenheit und der Zukunft. Es ist nicht Science-Fiction, es ist nur die Frage, was man in diese Musik einbringen kann, um sie frisch klingen zu lassen. Dafür ist die Technologie auch da.

Zitiert

Um den Tango zu erneuern muss man nicht zwingend mit den neuen Technologien arbeiten.

Gotan Project

Aber um so zu arbeiten sollte man auch die traditionelle Kompositionsweise kennen, oder?
Makaroff: Ja, ich kenne die Ästhetik und die Regeln des Tangos auch. Doch beim Gotan Project brechen wir diese Regeln und machen etwas eher Abstraktes.
Es ist ja in vielen Bereichen so: Wenn du mit einem ästhetischen Material arbeiten willst musst du es genau kennen. Nehmen wir Picasso in der Malerei, bevor er abstrakte Bilder gemalt hat, war er ein sehr guter Portrait-Maler.
Du musst schon wissen, wie die Harmonien und die Gesetze im Tango sind. Und dann fällst du die Entscheidung: Entweder du verfolgst die Tradition oder du entwickelst den Tango weiter mit neuen Ideen.

Sehen Sie manchmal die Gefahr zu elektronisch zu werden?
Solal: Nein, im Gegenteil, ich sehe eher die Gefahr zu wenig elektronisch zu sein.
Makaroff: Würde ich auch sagen, ich bin zwar Tanguero aber ich habe überhaupt keine Angst vor der Elektronik.

Die erste Veröffentlichung des Gotan Project war die Bearbeitung eines Piazzolla-Stücks – wie viele Stücke von Piazzolla haben Sie eigentlich arrangiert?
Makaroff: Zwei. Wir haben noch zusammen mit Brigitte Fountaine eine Version von „Rue Saint-louis-en-l’île“ gemacht.
Solal: Das war ein unveröffentlichter Song von Piazzolla, der nie zuvor aufgenommen wurde. Fountaine lebte in der früheren Pariser Wohnung Piazzollas, die Wohnung gehörte George Moustaki und war in der Rue Saint-louis-en-l’île. Moustaki gab ihr dann irgendwann die Originalpartitur dieses Songs und es war sehr aufregend, den zum ersten Mal aufzunehmen.

Aber warum arbeiten Sie insgesamt nicht noch mehr mit der Musik Piazzollas?
Solal: Warum? Piazzolla braucht uns doch nicht. Ganz sicher nicht.
Makaroff: Wir sind in erster Linie Komponisten, wir mögen es, neue Sachen zu komponieren. Das ist auch die Bedeutung von Gotan Project. Die besteht nicht darin, dass wir Remixe oder Remakes machen.

Sie leben in Paris, Piazzolla lebte in Paris – spielt diese Parallele eine Rolle?
Makaroff: Natürlich. Paris ist historisch gesehen die zweite Hauptstadt des Tango. Nicht nur Piazzolla sondern auch Gardel und die Tango-Orchester waren da. Tango hatte erst Erfolg in Paris, dann in Buenos Aires. Als der Tango in Paris und Europa erfolgreich war wurde er vom Establishment in Buenos Aires akzeptiert. Vorher war er in Buenos Aires noch Underground und unbedeutend. Und dann war es eine Geschichte des Hin- und Her, zwischen Paris und Buenos Aires, eine Liebesgeschichte zwischen den beiden Städten.
Solal: Ich denke auch: dass Piazzolla überhaupt auf den Tango Nuevo kam, hat genau damit zu tun, dass er in Paris war. Seine Lehrerin Nadia Boulanger motivierte ihn dazu und es ist ja so, wenn du eine Distanz zur Tradition hast, dann bist du offener für Improvisation. Deshalb leben so viele fantastische Tango-Musiker in Paris, wie Gustavo Beytelmann, sie können kreativ sein, niemand guckt sie dumm an, wenn sie Tango zum Beispiel mit modernem Jazz vermischen.

Wie oft sind Sie in Argentinien?
Makaroff: Ich bin normalerweise ein bis zweimal im Jahr dort. Wir haben dort auch schon Einiges aufgenommen.
Solal: Ich bin es meistens nur, wenn wir dort auf Tour sind.

Wie oft gehen Sie Tango tanzen?
Makaroff: Ich tanze nicht Tango. Nur ein kleines bisschen. Aber mit jedem Mal wird es weniger…

Warum?
Makaroff: Ich bin kein guter Tänzer. Das ist ja auch sehr schwierig.
Solal: Ich tanze auch nicht. Das benötigt viel Zeit und man muss schon ein bisschen Tango-Fanatiker sein, um das richtig gut zu machen. Tango ist ja ein Tanz, bei dem es nicht funktioniert, dass man ihn nur ein bisschen tanzt. Entweder du machst es gut, konzentrierst dich darauf – oder du lässt es sein. Man kann das nicht mal eben so zwischendurch machen.
Übrigens sind auch die meisten argentinischen Tango-Musiker keine Tango-Tänzer.
Makaroff: Das ist so eine Tradition: Musiker tanzen nicht. So hält man das in Argentinien. Die einen spielen – und die anderen tanzen.
Solal: Ich bin mir sicher, dass auch Piazzolla kein Tango-Tänzer war.

Inzwischen läuft in Tango-Studios ja auch Gotan Project…
Solal: Ja, bei bestimmten Milongas schon, das stimmt. Aber bei traditionellen, also, da erinnere mich an eine Milonga in Buenos Aires, wo ich mich mit einer Frau unterhielt, die zu mir meinte, der DJ sei ein großer Fan von Gotan Project. Ich habe sie gefragt, ob er unsere Sachen auch bei der Milonga auflegen würde. Aber da sagte sie: „Oh nein, dann würde er gefeuert.“ (lacht)

Der Tango hat meist eine melancholische, schwermütige Stimmung – fühlen Sie sich dadurch manchmal eingeengt?
Solal: Ich finde Melancholie sehr angenehm, ich liebe melancholische Musik. Wobei das Gotan Project nicht nur das ist, es gibt viele Tracks auf dem neuen Album die sehr fröhlich sind. Makaroff: Ich mag Melancholie auch gerne, wir komponieren Stücke normalerweise auch in Moll-Tonarten. Es gibt im Tango zwar auch Dur – aber wir mögen Moll. (lacht)

Das "Gotan Project" gilt als Begründer eines noch recht jungen Musikgenres, des Electrotango. Die Gruppe besteht aus den Musikern Philippe Cohen Solal, Eduardo Makaroff und Christoph H. Müller - wobei sie ihre Konzerte mit verschiedenen mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.