Georg Schramm

Ich schieße nur auf Scheiben, Blechtiere und Tontöpfe

Kabarettist Georg Schramm über tatsächliche und vermeintliche Aufregung, Charakterdefizite in der Politik, Verschwörungstheorien und die öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten

Georg Schramm

© Achim Käflein

Herr Schramm, von Ihnen ist kürzlich ein frühes Werk, die Serie „Hühnerfieber“ auf DVD veröffentlicht worden. Die entstand Anfang der 90er, noch bevor in Deutschland die Comedy-Welle einsetzte. Wie waren damals die Umstände so einer Produktion?

Georg Schramm: Naja, wir hatten im Prinzip alle keine richtige Ahnung. Uwe Römhild, damals Redakteur beim SFB, war der Einzige, der zumindest handwerklich und technisch Erfahrung hatte. Er machte uns Mut, er hat die Bücher nach meinen Vorgaben überarbeitet und der Rest, meinte er, finde sich dann beim Drehen. Das war schon ziemlich schwierig, zumal wir vier Darsteller im Ensemblespiel keine Erfahrungen hatten. Aber wir haben uns abends mutig getrunken und das hat dann immer den nächsten Tag über angehalten.

Welchen redaktionellen Einfluss gab es von Seiten des Senders?

Schramm: Wir hatten vor uns ausschließlich Uwe Römhild, mit dem ich teilweise bizarre, aber tolle Diskussionen geführt habe. Zum Beispiel wollte ich unbedingt, dass in einer Folge der Herr Wutzke, den ich spielte, im Schlafanzug auftritt und einen Urinfleck auf seiner Schlafanzughose hat, als Hinweis auf Inkontinenz. Aber da hat Römhild gesagt: „Diese Geschmacklosigkeit kommt mir nicht auf den Sender. Wir haben es dann heimlich mit Tee ausprobiert, ich habe mich direkt neben ihn gestellt mit einem dicken Teefleck auf der Hose und da hat er einen Lachanfall gekriegt. Anschließend habe ich es aber trotzdem nicht machen dürfen.

Im Text geblieben sind jedoch zum Beispiel Witze über Behinderte, wo man sich fragt, ob so etwas heute überhaupt gesendet würde.

Schramm: Ich vermute mal, dass heute die Bedenkenträger schon im Vorfeld alle mitlesen und sagen würden: „So können Sie doch nicht über einen Behinderten sprechen.“ Wir haben das damals einfach aus der Lamäng gemacht und die haben uns machen lassen. Vielleicht haben sie auch schon geahnt, dass das eh keiner guckt. (lacht) Wir hatten einen obskuren Sendeplatz, da hat auch niemand auf die Quote geschielt. 
Heute weiß ich, dass meistens zehn Leute an so einem Drehbuch sitzen, von denen jeder hochspezialisiert ist. Da gibt es Gag-Schreiber, Gag-Polisher usw.

Wird heute, 20 Jahre später, mit Kabarett im Fernsehen anders umgegangen? Werden ihm andere Grenzen gesetzt?

Schramm: Ich muss sagen, dass ich immer Glück hatte. Im Scheibenwischer hatte ich die breite Brust von Dieter Hildebrandt vor mir. Er und Uwe Römhild haben die ganzen Streitereien über politisch bedenkliche Stellen mit dem Sender ausgetragen. So etwas war lästig, aber nicht so von zentraler Bedeutung. Ich habe mich zwischendurch gewundert, dass sie uns relativ frei haben machen lassen.
Anderseits vermute ich, dass es mittlerweile viele Leute gibt, die selbst eine Schere im Kopf haben und es gar nicht mehr probieren, sich auf einen Konflikt einzulassen. Die Angst vor den Redakteuren und vor politischer Beeinflussung ist mit Sicherheit nicht kleiner geworden, vor allem nach der Geschichte mit Nikolaus Brender. Aber es ist immer eine Frage des Ausprobierens.

Gab es denn bei Ihnen mal die Schere im Kopf?

Schramm: Die habe ich auch gehabt, aber die kam ziemlich spät. Damals bei „Hühnerfieber“ gab es eine Szene, wo sich ein Kameramann weigerte, Erwin Grosche auf dem Klo ein Gedicht zitierend und mit heruntergelassenen Hosen zu filmen. Da habe ich mich dann schon gefragt: „Muss es denn zwingend sein?“ Manchmal hat einen einfach das Fell gejuckt und bei längerem Nachdenken ist man zu dem Schluss gekommen, dass man es eigentlich nicht braucht. In so einem Fall habe ich es dann etwas reduziert.

Man hört von verschiedenen Kabarettisten, wie zum Beispiel Helmut Schleich, dass die Kirche immer wieder Einfluss nimmt.

Schramm: Ja natürlich, die Kirchen sind hoch wachsam. Ich kenne vom Bayerischen Rundfunk auch reichlich Geschichten, da ist die Kirche besonders dick drin, da sitzt die Kirche und die CSU in allen Gremien. Mir selbst ist es nicht passiert, aber wenn bei mir etwas herausgeschnitten worden wäre, dann hätte ich gesagt: „Mit ihnen mache ich keine Sendung mehr.“

Wie bewerten Sie denn den Fall Carolin Kebekus: Können Sie verstehen, warum man ihr Kirchen-Satire-Video „Dunk dem Herrn“ nicht wie geplant im Fernsehen gezeigt hat?

Schramm: Die Zensur von Frau Kebekus hat mich erstaunt, weil die Nummer meines Wissens ja bereits abgesegnet worden war. Aber grundsätzlich wundert mich nicht mehr viel.

Wenn Sie auf die vergangenen 20 Jahre zurückschauen, hat sich Ihr Humor verändert?
Schramm: Ja. Mein Humor hat mich ein bisschen verlassen. (lacht) Ich bin fatalistischer geworden. Und meine Pointendichte hat sich nicht unbedingt vergrößert. „Hühnerfieber“ ist eine der wenigen Sachen, die ich anschaue und sage: „Mein Gott, haben wir da ein Zeug gemacht.“ Aber ich muss dabei immer noch lachen.

Schauen Sie sich denn viel alte Mitschnitte an?
Schramm: Nein, gar nicht! Ich meide es tunlichst mir eigene Sachen anzuschauen, bis auf wenige Ausnahmen.

Das Portal Youtube ist ja voller Videos von Ihnen.
Schramm: Ja, aber da mache ich einen großen Bogen drum. Meine Kinder haben mir mal gesagt: „Hey, du hast ja ganz viele Sterne auf Youtube.“ Ich wusste gar nicht, was das ist. Und vor kurzem hat mir jemand erzählt, dass die aller erste Nummer, die ich geschrieben habe, auf Youtube steht. Da war ich völlig baff, ich habe keine Ahnung, wie die da rein gekommen ist. Das ist vor Urzeiten vom NDR gesendet worden, aber ich selber habe keine Aufzeichnung davon.

Neben Sternen gibt es auf Youtube Klickzahlen, und manche Ihrer Videos wurden über 500.000 Mal geklickt. Wenn Sie so eine Zahl hören, beeinflusst das Ihr Selbstwertgefühl?
Schramm: Eine halbe Millionen klingt sehr viel. Ich kann es aber nicht einordnen. Ich habe keine Vorstellung davon, ob das auf Youtube sehr viel oder normal ist.

Haben Sie sich denn auch mal für die Quote der Sendungen interessiert, in denen Sie aufgetreten sind?

Schramm: Also, bei „Neues aus der Anstalt“ haben wir uns für die Quote interessiert, weil am Anfang unser Überleben davon abhing. Wir hatten die Vorgabe, dass es über zehn Prozent Marktanteil sein sollen und es war uns auch wichtig, dass wir immer drüber sind. Nach ungefähr einem Jahr haben wir gemerkt, dass wir deutlich und konstant darüber lagen – da mussten wir uns dann keine existentiellen Sorgen mehr machen.
Nur wenn wir ab und zu gegen Fußball antreten mussten, wollten wir wissen, ob die Quote abgestürzt ist. Ansonsten hat sich unser Redakteur mit Quoten- und Zuschauerzählen beschäftigt, mit Dingen wie „Audience Flow“, wo wir noch nicht einmal wussten, was das ist.

Bei „Audience Flow“ muss ich auch passen.
Schramm: Ich kann es Ihnen an einem Beispiel erklären. Der Redakteur hat uns gesagt, Urban Priol und ich müssen bei „Neues aus der Anstalt“ zwischen der 23ten und 25ten Sendeminute ein Duo haben. Da haben wir gesagt: „Wieso? Das hängt doch davon ab, was für eine Dramaturgie die Sendung hat!“ Und da meinte der Redakteur: „Nein, das ist der Zeitpunkt, wo ein hoher Audience Flow ist, weil vier oder fünf Privatsender das Programm wechseln. Da müsst ihr beiden zu sehen sein, damit die Leute eventuell bei euch hängen bleiben.“

Und? Haben Sie sich dem dem gefügt?
Schramm: Nö. Aber seit dem weiß ich, was Audience Flow ist. (lacht)

Eine Frage, die man sich bei vielen Ihrer Auftritte stellt: Was ist vermeintliche und was tatsächliche Aufregung?
Schramm: Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen meiner persönlichen Empörung über ein Thema und der Aufregung, der ich dann in der Nummer Ausdruck gebe. Ich rege mich grundsätzlich nur über Sachen auf, die mich auch interessieren.
Im Sketch sind die Aufreger natürlich gespielt, die muss man auch genau dosieren, weil man ja nur eine bestimmte Zahl von Sätzen zur Verfügung hat. Man darf nicht vergessen, dass zum Beispiel auch jemand wie Chruschtschow seinen Wutausbruch vor den Vereinten Nationen mit dem Schuh vorher geübt haben soll. Angeblich hat auch Norbert Blüm seine Aufreger vorher vor dem Spiegel geübt. (lacht)

Es ist bei Ihnen also die privat-persönliche Aufregung, aber in komprimierter Form.
Schramm: Ganz genau, in komprimierter, fernsehgemäß domestizierter Form. Es ist die Überspitzung dessen, was ich meine und glaube, es ist polemisiert und es ist eine Aufforderung, sich damit auseinanderzusetzen.

Stimmt denn der Eindruck, dass in Ihren Augen die politische Klasse von Grund auf schlecht, ja böse ist?

Schramm: Nicht grundsätzlich. Aber es ist eine Ansammlung von Leuten, die charakterliche Defizite haben. Das ergibt sich aus der Art und Weise, wie man sich verhalten muss, damit man als Politiker Karriere macht. Die Zahl der Seiteneinsteiger in der Politik wird immer seltener und für den Aufstieg innerhalb der Politik braucht man Charaktereigenschaften wie zum Beispiel Herr Söder, Philipp Mißfelder, Rösler, Lindner und solche Gestalten.

Sie würden diesen jungen Politikern nicht zubilligen, dass Sie am Allgemeinwohl interessiert sind?
Schramm: Das würde ich bei denen, die ich genannt habe, geradewegs in Abrede stellen. Wobei ich mich mit dem „von Grund auf“ schwer tue. Ich glaube, es gibt keine Eltern, die ihren Kindern absichtlich so etwas antrainieren würden, sondern das sind dann immer Fehlentwicklungen. Es gehen vielleicht viele mit guten Absichten in die Politik, werden dann aber deformiert. Der politische Betrieb, so wie wir ihn haben, hat Persönlichkeitsbeeinträchtigungen zur Folge.

Gibt es aber erfreuliche Ausnahmen?
Schramm: Ganz wenige, die sind schon relativ alt und aus dem politischen Alltagsbetrieb raus. Erhard Eppler und Egon Bahr gelten als große Köpfe der Sozialdemokratie, aber das sind alte Männer. Und Heiner Geißler, dem würden seine eigenen Leute in der Partei am liebsten Rattengift geben.

Welchen Anteil an Ihrer Polemik hat denn Beleidigung?

Schramm: Bei mir? Ich finde, relativ wenig (lacht) – falls Sie das überrascht.

Es überrascht in der Tat ein wenig, ich hätte da ein paar Zitate.
Schramm: Au ja!

Sie haben zum Beispiel die Moderatorinnen Maybrit Illner und Sandra Maischberger als „Klofrauen der öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten“ bezeichnet, oder Reinhold Beckmann und Markus Lanz als „emotionale Pissrinne“, wo „Reste der Notdurft“ unters Volk gebracht werden.
Schramm: Zu der Namensnennung stehe ich, wobei es, wenn man den ganzen Satz liest, eindeutig sein dürfte, dass mich das ganze Talkshowsystem ärgert. Frau Illner in ihrem Stil schätze ich persönlich, aber nicht die Funktionsweise, wie sie sich dort ausbreitet, wie die Themen von der Redaktion gesetzt werden oder so Krawallschachteln wie Arnulf Baring gezielt eingeladen werden, damit mal wieder Randale ist. Das ist verachtenswert und da stehe ich zu jedem einzelnen meiner Worte. Auch bei der scheininvestigativen Haltung von Herrn Beckmann und dem ferngesteuerten Herrn Lanz, der ja ein oder zwei Leute hinten sitzen hat, die ihm jede Frage ins Ohr diktieren, damit er weiß, was er zu sagen hat.

Würden Sie Frau Maischberger nur auf, oder auch abseits der Bühne als „Klofrau“ bezeichnen?
Schramm: Es gibt für mich keinen Anlass zu sagen: „Frau Maischberger, Sie sind eine Klofrau“, sondern es geht mir um die Funktion. Das sind öffentlich-rechtliche Bedürfnisanstalten und die Klofrauen, die weisen die Plätze zu und wischen hinterher den Sitz sauber. Das ist kein persönlicher Angriff, weder gegen Frau Illner, noch gegen Frau Maischberger. Ich glaube, das wissen die beiden auch.
Übrigens sind Klofrauen meistens ehrenwerte Leute, die aber für andere den Dreck wegmachen müssen.

Sie würden also nicht sagen, dass Beleidigung ein wichtiger Bestandteil Ihrer Auftritte ist?
Schramm: Nein.

Auch nicht bei Guido Westerwelle oder Angela Merkel, die Sie als „Furunkel am Gesäß des Bösen“ bezeichnen?
Schramm: (lacht) Das finde ich besonders gelungen. Bei dieser Textstelle ging es um die Frage: Ist die Bundesregierung das Böse in der heutigen Zeit? Und dann stelle ich fest: Nein, ist sie nicht, denn dafür ist die Regierung viel zu kleinteilig.

Kennen Sie Reaktionen von Personen, über die Sie bei Ihren Auftritten sprechen?
Schramm: Nein, dafür ist die Distanz viel zu groß. Und die sind sich ihrer selbst ja viel zu sicher, weshalb sollten sie dagegen eine Beleidigungsklage einreichen? Das wäre doch lächerlich.

Gab es mal eine Beleidigungsklage gegen Sie?

Schramm: Nein, interessanterweise nicht. Mir ist einmal eine angedroht worden vom Sekretariat des Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes. Bedauerlicherweise kam die Klage nicht. Und dann hat mir mal jemand gesagt, er würde Volker Rühe, als der Verteidigungsminister war, bitten, gegen mich zu klagen. Da ist aber auch nichts draus geworden.

Zitiert

Grundsätzlich wundert mich nicht mehr viel.

Georg Schramm

Welchen Kontakt haben Sie denn überhaupt zu Politikern?
Schramm: Ich habe einen Brief von Hans-Jochen Vogel, auf den ich sehr stolz bin. Und ich habe mich zwei Mal mit Egon Bahr unterhalten, was für mich ein großer Gewinn war. Wolfgang Thierse hat mir mal zugeguckt, als ich mit vier Kollegen im alten Plenarsaal nach dem Abschied des Bundestages in Bonn eine Aufführung gemacht habe. Er hat uns hinterher wohlwollend gesagt, dass ihn das sehr beeindruckt hätte. Ein paar Jahre später haben wir auf Einladung von Thierse den politischen Aschermittwoch im Berliner Abgeordnetenhaus gemacht. Er hat dann aber vom Ältestenrat einen auf den Deckel gekriegt, weshalb es dort dann nicht mehr stattfinden durfte.

Und Kontakt zu Politikern außerhalb solcher Anlässe?
Schramm: Nein, den gibt es nicht. Überhaupt nicht. Ich habe auch gar kein Bedürfnis danach. Ich hätte den meisten nichts zu sagen, es sei denn es sind Leute, wo ich ein persönliches Interesse habe, zu fragen: „Können Sie mir mal was erklären?“
Ich habe mal in der Talkshow bei Maischberger Lothar Späth getroffen…

…jener Sandra Maischberger….
Schramm: Ja, das war ein altes Versprechen, das ich mal gegeben hatte und dazu habe ich gestanden. Danach habe ich aber gesagt: „Da gehe ich nicht mehr hin.“
Jedenfalls habe ich Lothar Späth, der damals eine hohe Funktion bei Merrill Lynch hatte, nach der Sendung gefragt, was wirklich der Grund war, warum er damals als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurückgetreten ist. Weil ich gerne gewusst hätte, ob das Gerücht stimmt, dass er von Helmut Kohl persönlich abgeschossen wurde. Da hat er geantwortet: „Wenn wir uns mal wieder treffen, machen wir die Tür zu, holen uns zwei Bier und dann erzähl ich es Ihnen.“

Und, kam es dazu?
Schramm: Nein, ich habe Späth nicht wieder getroffen.

Wären Sie auch an einer Konversation mit Peer Steinbrück interessiert?
Schramm: Das wäre einer, mit dem ich aus Neugierde gerne mal diskutieren würde, aber nicht öffentlich. Ich würde ihn fragen, wie er heute darüber denkt, dass er an dieser neoliberalen Entwicklung in der SPD so maßgeblich Teilhabe hatte. Ob das nicht ein Granatenfehler gewesen ist und wie man dem heute entgegenwirken kann.

Gäbe es einen Politiker, mit dem Sie auch öffentlich diskutieren würden?
Schramm: Nein, da habe ich gar keinen Bedarf.

Wäre auf jeden Fall interessant – auch für Ihre Fans.
Schramm: Das weiß ich nicht. Sie wissen doch, wie Politiker sich öffentlich äußern. Die haben im Kopf einen Automatismus, die wissen genau, was sie sagen dürfen und was nicht. Und dabei kommen dann diese Statements raus, die praktisch nix bedeuten.

Doch beim Kontakt zwischen Kabarett bzw. Comedy und Politkern hat sich in den vergangenen Jahren ja Erstaunliches getan…
Schramm: Sie meinen, dass Rainer Brüderle jetzt als Gast in die „heute-show“ eingeladen wird?

Zum Beispiel.
Schramm: Also entschuldigen Sie, aber da ist Brüderle eine Plattform geboten worden, auf der er sich verkaufen und als Menschenfreund hinstellen konnte. In Wirklichkeit ist er ein neoliberaler Politiker, der Besitzstandswahrer der Besserverdienenden ist. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Kommunikator, der aber eine katastrophale Politik vertritt, die für unsere Gesellschaft und unser ziviles Zusammenleben ein Desaster ist. Das Ganze verkauft er als jovialer weinseliger Kumpel, doch das ändert nichts an seiner politischen Funktion. Wenn der sich mit dem Moderator Oliver Welke zusammensetzt und sie sich gemeinsam über Philipp Rösler lustig machen, dann ist mir das zu armselig. Das war doch keine politische Auseinandersetzung!
Es gibt übrigens eine Umfrage, dass danach der Sympathiewert von Herrn Brüderle bei jungen Zuschauern gestiegen ist. Na, das ist ja eine politische Großtat! Donnerlittchen!

Ob nun bei Welke, Stuckrad-Barre oder Erwin Pelzig, es scheint jedenfalls, dass heute Politiker der Ansicht sind, auch in die Humor-Sendungen reinzumüssen, um die Menschen zu erreichen. 
Schramm: Anders als vor 20 Jahren haben die Politiker heute alle Medienberater. Das ist eine Branche, die aus Amerika gekommen ist, und die trainieren denen das an. Die Berater schauen sich die Analysen der Zuschauerzahlen an und dann heißt es: „Dort muss du hin, das passt zu deinem Image, oder das musst du machen, damit es dein Image wird. – Das ist nicht meine Welt.

Vermuten Sie hinter den Äußerungen mit denen Peer Steinbrück im Wahlkampf so gestolpert ist, ebenfalls Medienberater?
Schramm: (lacht) Gute Frage. Der Anfang ist auf jeden Fall granatenmäßig verstolpert worden.

Dabei dürften die Äußerungen doch Ihren Geschmack treffen, den verklausulierten Politikersprech lehnen Sie ja ab.
Schramm: Seinen Stil finde ich picobello. Und dass er damit aneckt, war auch allen klar. Dass die geballte Medienmacht von Springer und Bertelsmann, wo Friede Springer und Liz Mohn als die engsten Freundinnen von Angela Merkel das Sagen haben, dass die sich dort einiges rauspicken, war zu erwarten. Allerdings waren ja auch ein paar blöde Bemerkungen dabei. Das Kanzlerinnengehalt zum Beispiel hat mich sowas von überhaupt nicht interessiert.
Ich denke, Steinbrück ist manchmal ein bisschen eitel und hat Lust, mit einer Pointe zu antworten, und hin und wieder geht ihm dann eine daneben. Bei mir gehen von zehn Bemerkungen bestimmt auch zwei daneben – nur kriegt das keiner mit. Bei ihm sitzt aber immer jemand dabei und wartet nur darauf. Also, ich möchte mit ihm nicht tauschen.
Die Kanzlerin hat dieses Problem dagegen nicht, sie kann nicht daneben liegen, weil sie ja nichts sagt.

Sind Sie eigentlich ein Verschwörungstheoretiker?
Schramm: Ja! Ich bin ein Fan von Verschwörungstheorien.

Warum?
Schramm: Ich finde das interessant, weil sich schon einige Verschwörungstheorien als richtig erwiesen haben. Es gibt aber auch welche, denen ich nicht folge, zum Beispiel die über 9/11 und die Twin Towers. Damit habe ich mich viel auseinandergesetzt und vielem stimme ich nicht zu. Man weiß natürlich, dass der Clan der Familie Bin Laden einen Tag nach dem Attentat unter Kenntnis der CIA aus den USA ausgeflogen wurde. Aber die große Verschwörungstheorie, die das zum Beispiel den Juden hinschieben will, das ist alles sehr zweifelhaft. Ich glaube auch nicht, dass die Amerikaner nicht auf dem Mond waren, obwohl ich die Theorie toll finde.

Hintergrund meine Frage ist die von Ihnen geäußerte Verschwörungstheorie, dass in Deutschland ein beachtlicher Teil der Menschen absichtlich ungebildet gelassen wird.
Schramm: Ich finde, das ist keine Verschwörungstheorie. Ich kann es mir einfach nicht anders erklären, wieso man fast ein Drittel der Bevölkerung seinem Schicksal überlässt. Und dann bin ich irgendwann mal darauf gekommen, dass das ja auch ganz praktisch sein kann: Wenn man die Menschen ungebildet hält, werden sie nicht am politischem Leben teilnehmen. Wir müssen lediglich dafür sorgen, dass sie immer ein Sixpack, was zu Essen und einen Fernseher haben, damit sind die schon bedient. Denen kann man auch Dreck zu essen geben und minderwertiges – wie Harald Schmidt es nennt – „Unterschichtenfernsehen“ vorsetzen. Das ist dann wie panem et circenses (Brot und Spiele), was man dem Pöbel und dem Plebs im alten Rom vorgesetzt hat. 
Also, ich finde die Theorie ist nicht übel.

Doch dagegen sprechen Bildungsministerium, Pisa-Studien….
Schramm: Sind Sie sicher, dass die dagegen sprechen?

Es gibt große Anstrengungen, die Bildungspolitik voranzubringen, europäische Vergleiche werden veröffentlicht.
Schramm: Aber wenn man sieht, wie viel Geld wir pro Schulkind ausgeben, dann sind wir in den Vergleichen ziemlich weit hinten. Da ändert sich auch nichts dran. Wir haben außerdem viele Schulabbrecher und die Chance, als Kind der bildungsfernen Unterschicht zu entwachsen, wird immer kleiner statt größer. Da können Sie jetzt nicht behaupten, dass das eine Verschwörungstheorie ist. Es ist eine Theorie und die hat gewisse Abbilder in der Realität.

Und Sie sind überzeugt davon, dass in Deutschland Leute bewusst dumm gelassen werden?
Schramm: Nein, das nicht. Aber ich glaube, dass billigend in Kauf genommen wird, das es so ist.

Ich habe nun selber eine Verschwörungstheorie für Sie, aufbauend auf einem Interview mit Wolfgang Stumph, der über seine Arbeit beim Kabarett Herkuleskeule zu DDR-Zeiten sagte: „Ich denke der Staat hat Kritik im geschlossenen Raum des Kabaretts vor 150 oder 200 Leuten mehr geduldet, als im öffentlichen Raum“. Übertragen auf heute lautet meine Theorie: Dem Kabarett wird möglichst freien Lauf gelassen, um zu verhindern, dass sich das Ventil auf der Straße entlädt in Form von Protest, Demonstrationen usw.
Schramm: Ich glaube das ist eine Überbewertung des politischen Kabaretts. Diese Kraft hätte es nicht.

Sie meinen, damit würde die Ventilfunktion des Kabaretts überschätzt?
Schramm: Ich glaube schon, ja. Politisches Kabarett ist bis auf wenige Ausnahmen immer etwas für eine Minderheit innerhalb des Bildungsbürgertums gewesen. Wenn dieser kleine Teil der Bevölkerung stattdessen auf die Straße gehen würde, hätte das kaum Bedeutung.
Den Freiraum haben wir heute, weil sich die Meinungsvielfalt insgesamt verbreitert hat. Und die Tatsache, dass wir solche Dinge äußern dürfen, hat politisch weniger Bedeutung als früher.

Urban Priol sagte im Interview, wenn er sieht, wie Leute zum Beispiel gegen Stuttgart21 auf die Straße gehen, dann könne er behaupten, dass die Kabarettisten schon ein bisschen was erreicht haben.
Schramm: Ich bin da skeptischer. Aber das ist auch meine Grundhaltung, skeptisch zu sein. Es wäre schön, wenn Priol Recht hat, aber ich glaube es eigentlich nicht.
Ich war zwei Mal bei den Stuttgart-21 Demonstrationen und da hatte ich das Gefühl, wenn man da spricht, kann man die Leute bei Laune halten und Mut machen, mit dem Protest nicht nachzulassen. Aber die waren in dem Moment schon auf der Straße.

Herr Schramm, stimmt es, dass Sie ab 2014 nicht mehr auftreten werden?
Schramm: Nein. Ich habe gesagt, dass ich keine Tournee mehr mit einem Soloprogramm machen werde.

Und das heißt?
Schramm: Ich werde Gelegenheitskabarettist. Wenn sich mal wieder etwas anbietet, mich jemand einlädt, dann gehe ich da hin, nach Lust und Laune oder Bedarf, wenn die Krisenzeiten größer werden. Aber ich werde nicht mehr eine Tournee mit 100 Auftritten im Jahr zwei Jahre im Voraus planen. Deswegen gibt es von mir auch kein neues Soloprogramm.

Aber wenn Sie nicht mehr so häufig auftreten, wo geht Ihr ganzer Zorn hin?
Schramm: Ich grabe dann Löcher im Garten. Und mein Hund fängt meinen Zorn gut ab, wenn ich frühmorgens nach dem Aufstehen schlecht gelaunt bin. Dann diskutiere ich auch – und ab und zu gehe ich irgendwo hin und mache was. Mal sehen, irgendwie werde ich mich schon nützlich machen.

Das Kabarett hatte ja auch für Sie eine Ventilfunktion, wie sie einmal sagten.
Schramm: Ja, aber vielleicht ist der therapeutische Effekt nach all den Jahren so groß, dass die therapeutische Selbstbefriedigung allmählich ihre Folgen zeigt und ich trotz Zuspitzung der Krise gelassener werden und sagen kann: „Ich muss nicht mehr dabei sein, es gibt genug junge Leute, die das machen.“

Gibt es genug?
Schramm: Also, wenn Sie sich den Zulauf ansehen zum Beispiel bei Attac oder Campact – das finde ich schon sehr hoffnungsvoll.

Ich meinte eigentlich, ob es genug Nachwuchs im Kabarett gibt.
Schramm: Da muss ich ehrlich sagen, dass ich das kaum verfolge, das weiß ich nicht.

Sie beklagen einerseits, dass es viele Bürger ohne gute Bildung gibt, andererseits wenden Sie sich mit Ihrem Programm eher an die geistige Elite. Ein Widerspruch?
Schramm: Kabarett war schon immer eine Veranstaltung für die Mittelschicht, für das Bildungsbürgertum. Es war nie anders.
Beim politischen Kabarett im Fernsehen gibt es allerdings auch einen beträchtlichen Teil von Zuschauern – das sagen zumindest die Analysen beim ZDF – die nicht zur geistigen Elite gehören.
Meine Eltern zum Beispiel haben immer „Scheibenwischer“ geguckt – und das waren ganz einfache Leute, die die Schwelle zur Kabarett-Bühne nie übertreten haben. Die haben nie live ein Programm gesehen, Kabarett im Fernsehen aber immer geguckt.

In den 90er Jahren wurde ja mit „Comedy“ versucht, eine Art Brücke geschaffen.
Schramm: Aber das hat ja mit politischem Kabarett nichts zu tun.

Waren Sie mal in einer Comedy-Show?
Schramm: Ich war ein Mal als Gast bei „RTL Samstag Nacht“ als Hugo Egon Balder das noch gemacht hat. Er wollte mich damals regelmäßig dabei haben, ich hatte aber das Gefühl, dass das meiner Figur nicht gut tut. Die wäre totgelacht worden, die hätten sich über den zornigen Alten einfach lustig gemacht, das wäre Verrat an der Figur und am Thema gewesen. Der Balder hat das übrigens verstanden, er fand es schade, hat meine Entscheidung aber akzeptiert.

Wer Sie als Lothar Dombrowski oder Oberstleutnant Sanftleben kennt und dann Ihre Biografie liest, wundert sich, dass Sie vor Ihrer Kabarett-Zeit eine Karriere bei der Bundeswehr anstrebten. War das damals Patriotismus?
Schramm: Nein, ich habe auch nie eine Bundeswehrkarriere geplant. Ich habe mein Studium geplant.

Sie gingen damals aus rein finanziellen Motiven zum Bund?
Schramm: Ja. Ich hatte nicht den Mut, den Kriegsdienst zu verweigern, und ich wusste noch nicht, was ich studieren will. Die Bundeswehr hat einem damals in Aussicht gestellt, dass man, wenn man sich freiwillig meldet, anschließend eine Abfindung kriegt. Davon wollte ich mein Studium finanzieren und ich dachte, bis dahin weiß ich vielleicht auch, was ich studieren will.

Es gab also nicht den Sinneswandel vom Mitglied der Streitkräfte zum Staatskritiker?
Schramm: Nein. Mein politisches Bewusstsein ist allerdings geschärft worden in der Bundeswehr. Es war die Zeit der Notstandsgesetzgebung, es gab die Diskussion, ob die Bundeswehr im Inneren im Falle eines Notstandes eingesetzt werden darf. Das hat mein politisches Bewusstsein sehr geschärft. Ich komme aus einer sozialdemokratischen Familie und die war immer schon sehr militärkritisch eingestellt.

Aber Sie haben angeblich ein Faible für Waffen.
Schramm: Ja. Das ist eine persönliche Macke von mir.

Werden Sie denn im Ruhestand vielleicht Jäger?
Schramm: Nein. Ich schieße nur auf Scheiben, Blechtiere und auf kaputte Tontöpfe. Auf sonst nix.

Aber das machen Sie tatsächlich?
Schramm: Ab und zu ja. Und hin und wieder am Geburtstag. (lacht)

Georg Schramm wurde 1949 in Bad Homburg geboren. Nach einem Studium der Psychologie arbeitete er zunächst 12 Jahre lang in einer neurologischen Reha-Klinik. Parallel zu diesem Beruf baute er seine Laufbahn als Kabarettist auf. Den ersten mehr

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