Fritz Pleitgen

Keine andere europäische Region steht so sehr für den Wandel.

Fritz Pleitgen über Ruhr.2010, die wirtschaftliche Zugkraft von Großereignissen, das Ruhrgebiet als Vorbild für Europa und die Bedeutung der Currywurst

Fritz Pleitgen

© WDR

Herr Pleitgen, am 09. Januar wurde das Jahr der Kulturhauptstadt offiziell eröffnet. Welche Erwartungen haben Sie an Ruhr.2010?
Ruhr.2010 wird ein Jahrtausendereignis der Metropole Ruhr. Wir haben sehr konkrete Erwartungen. Wir wollen dafür sorgen, dass das Ruhrgebiet einen starken Entwicklungsschub bekommt. Wir wollen, dass unser Programm nachhaltig wirkt. Wir wollen, dass alle Menschen daran beteiligt sind. Wir wollen alle Städte mitnehmen, das scheint gewährleistet. Und: Wir wollen endlich loskommen von dem völlig veralteten Image des Ruhrgebiets.

Haben die Menschen tatsächlich immer noch ein falsches Bild vom Ruhrgebiet? Mittlerweile dürfte doch auch in den letzten Zipfeln der Republik angekommen sein, dass die Luft hier nicht mehr grau ist, nur die wenigsten noch im Bergbau arbeiten und die Zechenzeit Geschichte ist…
Leider nicht. Überall in den Köpfen außerhalb des Ruhrgebiets glaubt man, das Ruhrgebiet sei eine niedergekommene Montanregion, eine Region mit grauen abgewrackten Städten und mit einer vergifteten Landschaft – aber das alles stimmt nicht! Wir wollen zeigen, dass das Ruhrgebiet eine spannende Metropole mit 53 Zentren ist. Dass es eine der ungewöhnlichsten und eine der reichsten Kulturregionen in Europa ist mit einer innovativen Industrie und einer vitalen Wissenschaft. Und dass sie aus spannenden Gegensätzen zwischen Industrielandschaft und Idylle besteht. Sie können bei uns alles finden, was interessant ist. Es wird ein langer Weg sein, das Image der Wirklichkeit anzupassen.

Wie will Ruhr.2010 dazu beitragen, das Image zu verändern?
Wir wollen starke und frische Bilder schaffen, die geeignet sind, um die Welt zu gehen.
Ich habe vor Weltrekorden gar keine Angst. Wenn es am Day of Song heißen wird, dies ist der größte Chor der Welt, so what? Wenn beim Projekt Schachtzeichen, um die 300 Ballons aufsteigen, dann gehen diese Aufnahmen um die Welt und man wird sehen, wofür das Ruhrgebiet steht:  durch Kultur. Kultur durch . Es gibt keine andere europäische Region, die so sehr für den Wandel steht.

Ihre Erwartungen sind nicht gerade bescheiden. Kann denn in einem Jahr überhaupt all das erreicht werden? In einer Pressemitteilung heißt es, Ruhr.2010 „soll Besucher aus ganz Europa ins Ruhrgebiet locken.“
Wenn wir schon zu Beginn mutlos sind, brauchen wir gar nicht anzufangen. Wir sind es den Menschen im Ruhrgebiet schuldig, dass wir Risikobereitschaft und Wagemut zeigen. Sie haben Recht, die Erwartungen sind ungeheuer hoch. Danach müssten wir einen Etat von einer Milliarde Euro haben, um alle Wünsche zu erfüllen. Ich verstehe auch, dass man diesen unglaublich pompösen Begriff Kulturhauptstadt Europas hört und denkt, nun wird die Welt verändert, aber mit einem Etat von rund 60 Millionen Euro lässt sich das nicht bewerkstelligen. Zumal der Etat für vier Jahre gilt. Aber trotzdem können wir mit guten Ideen wichtige Impulse setzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Ganz wichtig sind nachhaltige Projekte – wichtige Projekte, die andere nach sich ziehen.

Welche sind das zum Beispiel?
Schauen Sie sich das Dortmunder U an, das zu einem Zentrum für Kunst und Kreativität umgestaltet wird. Das ist nur möglich geworden durch die Kulturhauptstadt Europas, obwohl die Ruhr2010 GmbH kein Geld dazu beigesteuert hat. Allein das Ereignis hat dazu geführt, dass man eine Idee, die in der Schublade schlummerte, herausgeholt hat. Man wusste, eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Aber plötzlich hat man alle Kräfte gebündelt und Gelder gesammelt. Und das U entwickelt sich weiter. Andere Projekte flanschen an. In die Nähe kommt das DFB-Museum. Der Hauptbahnhof wird runderneuert. Auf einmal entsteht am Ostportal des Ruhrgebiets ein Stadtteil, der eine hohe Anziehungskraft hat und andere Interessenten anlocken wird. Um nur ein Bauvorhaben zu nennen.
Aber nachhaltig wird es auch woanders: Zum ersten Mal dominiert statt Stadtrivalität ein Geist der Kooperation. Sechs Theater werden beispielsweise gemeinsam ein Programm anbieten. Ich bin sicher, dass diese Kooperationen auch über 2010 bestand haben werden, weil man eine gute Erfahrung gemacht hat.

Der Dortmunder Hauptbahnhof ist ein gutes Beispiel. Wie beim Hauptbahnhof in Essen war eine Modernisierung doch längst überfällig. Warum braucht es erst ein Großereignis, damit zum Teil notwenige, zum Teil wirtschaftlich sinnvolle Investitionen getätigt werden?
Das ist immer eine schwierige Entscheidung. Ich finde es faszinierend und ermutigend, dass die Städte und das Land in diesem Maß mitmachen. Die Haushalte sind überstrapaziert. 28 Städte haben einen Nothaushalt. Da bedarf es eines Sonderereignisses, damit man Kräfte mobilisiert. Denn dafür muss das ein oder andere zurückstehen. Ich habe größte Hochachtung vor den Städten, gerade wo wir eine Punktlandung mitten in der Krise gemacht haben. Wenn das ein oder andere Projekt jetzt nicht fertig wird, so what?

Inwieweit hat die Wirtschaftskrise die Vorbereitungen zur Ruhr.2010 überhaupt beeinflusst?
Wir haben das eine oder andere ändern müssen. Zum Glück haben wir nur ein großes Projekt aufgeben müssen: Das Projekt Zollverein unter Tage. Menschen sollten 1000 Meter tief in die Zeche einfahren und dort eine Lichtkunst anzusehen, die deutlich machen sollte, dass es beim Bergbau um Ewigkeitslasten geht. Denn die Pumpen müssen laufen, sonst sackt das ganze Ruhrgebiet ab.

Zitiert

Das vereinte Europa gründet auf Kohle und Stahl.

Fritz Pleitgen

17 Millionen wurden von Unternehmen für Projekte gestiftet. Könnten die Gelder angesichts der Wirtschaftskrise nicht besser eingesetzt werden?
In andere Projekte? Warum? Die Beträge, die die einzelnen Unternehmen gestiftet haben sind nicht so gewaltig, dass sie flächendeckend Arbeitsplätze hätten sichern können…Wir wollen, dass das Ruhrgebiet in Zukunft ein interessanter Standort wird. Das schafft auch  Arbeitsplätze. Insofern ist das Geld der Unternehmen gut angelegt, es ist eine Investition in die Zukunft.

Das Programm folgt drei Leitthemen: Mythos begreifen, Metropole gestalten und Europa bewegen. Was macht den Mythos Ruhr aus Ihrer Sicht aus?
Ganz oben steht Solidarität. In schwierigen Verhältnissen mussten die Menschen zusammen stehen. Es war egal, woher man kam, egal welche Stellung man hatte. Das zweite ist Toleranz: Da man aus verschiedenen Ländern kam, hatte man Verständnis für den anderen, der aus einem anderen Kulturraum kam. Und schließlich der unbedingte Wille, immer wieder aufzustehen. Das ist für mich in Kurzform der Mythos Ruhr. Dieser Geist ist noch da und von dem gehen wir aus.

Ein anderer Leitgedanke ist „Europa bewegen“. Inwieweit kann das Ruhrgebiet auf europäischer Ebene eine Rolle spielen?
Das vereinte Europa ist von hier ausgegangen. Es gründet auf Kohle und Stahl. Wir wollen auch in Zukunft ein Motor Europas sein. Von uns sollen Ideen ausgehen, die für andere wertvoll sind. Für das Zusammenleben von Kulturen und Religionen haben wir hier zum Beispiel ein wunderbares Experimentierfeld.  Da gibt es viele Programme interkultureller Art:  Kulturen verbinden sich und schaffen etwas Neues, Starkes. Wir betrachten die Frage der kulturellen Vielfalt als eine große Chance.

Emotionaler Gründungsmoment der Metropole Ruhr soll das Straßenfest auf der A40 werden. Wird sich das Selbstverständnis der Bürger als Ruhrgebietler durch ein Straßenfest herstellen lassen?!
Das ist nicht nur so ein Picknick. Die A40 wird für 60 Kilometer, von Dortmund bis Duisburg, gesperrt. Der Aktion liegt der Gedanke zugrunde, dass wir die Menschen zusammenführen wollen. Wir wollen sie für Kultur gewinnen. Jeder, der dort einen Tisch beantragt, kommt mit seinem Verständnis von Kultur. Es soll eine große Tafel der Kulturen, Nationalitäten und Generationen werden. Ein Nebeneffekt: Das Fest wird Bilder schaffen, die nicht nur in Deutschland gezeigt werden.

Wenn Besucher sich einen Tag Zeit nehmen für das Ruhrgebiet, was sollten sie unternehmen, um die Mentalität des Ruhrgebiets kennenzulernen?
Man sollte nach Bottrop oder Herne gehen. In Kleinkunsttheater gehen. Wir haben fantastische Museen. Da können wir mit Weltmetropolen mithalten. Wir sind ganz anders als Paris und London, aber wir sind interessant.

Sollte man auch eine Currywurst essen oder gehört das nicht zu einem Wochenende im Ruhrpott?
Ich selbst bin kein großer Anhänger der Currywurst. Für mich ist eine Bratwurst das interessantere Angebot, aber ich sehe, wie Menschen beglückt schauen, wenn sie eine Currywurst essen. Also kann man das empfehlen. Das passt zum Ruhrgebiet hundertprozentig und zur Kultur auch. Es muss nicht immer ein Sechs-Gänge-Menü sein.

Ein Kommentar zu “Keine andere europäische Region steht so sehr für den Wandel.”

  1. Karl Wilhelm Goebel |

    Metropole Ruhr???

    Das Gebiet an der Ruhr ist keine Metropole sondern höchstens in Teilen eine Anhäufung von Mittel- und defizitären Oberzentren.

    Die hohe Zahl von Bewohnern macht alleine keine Metropole. Das gilt vor allem kulturell.

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