Florian Opitz

Ich glaube, dass viele Politiker nicht viel Ahnung von Wirtschaft haben.

Florian Opitz über Privatisierung, seinen Film "Der große Ausverkauf", Methoden und Grenzen des Dokumentarfilms und die Diskussion um Michael Moore

Florian Opitz

© Majestic Filmverleih

Florian, was hat dich dazu bewegt, einen ganzen Film dem Thema der Privatisierung zu widmen?
Opitz: Privatisierung ist ja in den Mainstreammedien bisher hauptsächlich positiv besprochen worden. Mit den immer gleichen Argumenten: Privatisierung macht alles effektiver, effizienter, billiger, es gibt mehr Wettbewerb usw.
Ich wusste aber von einigen Fällen, weltweit, wo es nicht so gut gelaufen ist. Es gab im NGO-Bereich eine Diskussion über das GATS (WTO-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen; Anm. d. Red) welches vorgesehen hätte, dass alle Dienstleistungen der Daseinsfürsorge – Wasser, Strom, Gesundheit, Bildung – privatisiert und liberalisiert werden sollen. In dem Zusammenhang kam ich auf die Idee, einen Film über Privatisierung zu machen. Zum einen mit den Leuten, die darüber wirklich entscheiden, und zum anderen mit denen, die es betrifft.

Du bist dafür nach Bolivien, Südafrika, Großbritannien und auf die Philippinen gegangen, Deutschland jedoch kommt in deinem Film nicht vor.
Opitz: Ich bin dorthin gegangen, wo das alles schon durchdekliniert wurde, wo Privatisierung schon vor ein paar Jahren vollzogen worden ist, um zu zeigen, welche Effekte das auf die Menschen hat.
Als wir 2003 mit den Recherchen begonnen haben, war das Thema in Deutschland noch in den Anfängen. Und da ist es meistens schwierig, das filmisch und visuell umzusetzen, wenn es eben nur auf dem Papier steht und gerade erst langsam umgesetzt wird. Da überwiegen manchmal auch noch die positiven Werbeeffekte. Ein Beispiel dafür ist die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe, das war ganz geschickt gemacht: die ersten fünf Jahre waren Preiserhöhungen vertraglich ausgeschlossen. So, dass die Bevölkerung, als die Privatisierung vollzogen wurde, erst mal nichts gemerkt hat. Die Preiserhöhung kam erst sechs Jahre später, war mit 15 Prozent aber gleich ziemlich happig. Und das kann jetzt jedes Jahr so weitergehen.

Du befürchtest also auch negative Folgen für die Bevölkerung in Deutschland?
Opitz: Sicher. Möglicherweise passiert es in Deutschland später und langsamer als in anderen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien. Dort ist mittlerweile auch die Wasserprivatisierung ein Riesenthema. Die dortige Firma Thames Water war ja eine Tochterfirma von RWE .. Da funktioniert kaum noch was, was die Infrastruktur angeht. In vielen Stadtteilen Londons ist tagsüber nicht mehr genug Druck da, dass die Leute Wasser aus ihren Hähnen bekommen. Weil seit der Privatisierung einfach keine Investitionen mehr passiert sind.
Momentan sind wir hier noch in einer relativ komfortablen Position. Aber der Fokus der großen Unternehmen ist sehr stark auf Deutschland gerichtet, weil hier noch viel Gewinn zu holen ist. Wir haben europaweit die beste Wasserversorgung, das sauberste Wasser, aber natürlich sind RWE, Veolia usw. natürlich schon dabei, da ihre Pfründe abzustecken.

Glaubst du, dass die Kräfte, die privatisieren wollen, immer nur profitorientiert sind? Welche Rolle spielen gesamtwirtschaftliche Interessen, mit denen auch Politikern immer wieder argumentieren?
Opitz: Ich glaube, dass viele Politiker nicht viel Ahnung von Wirtschaft haben. Die Kenntnis dessen, was passieren kann, ist dort nicht besonders groß.
Es ist gerade eine Bericht rausgekommen, an den Club of Rome, in dem weltweit 200 Privatisierungsfälle untersucht wurden. Und der Bericht, der auch als Handhabe für Politiker gedacht ist, ist zu einem sehr kritischen Ergebnis gekommen: Nämlich dass, wenn es irgendwie funktioniert, die öffentlichen Dienstleistungen in öffentlicher Hand bleiben sollten. Die Gefahren sind einfach zu groß, weil es sich dabei meistens um natürliche Monopole handelt.

Und wenn es dann doch zu einer Privatisierung kommt, liegt das daran, dass die Politiker keine Ahnung haben?
Opitz: Tja, das habe ich Joseph Stiglitz auch gefragt, woran es denn eigentlich liegt. Zum einen natürlich daran, dass eine ganze Menge Interessen damit verbunden sind. Zum anderen wirft Stiglitz den Leuten, die für die Privatisierung und den neoliberalen Kurs votieren, vor, dass sie diesen Kurs als Ergebnis moderner Wirtschaftsforschung verkaufen. Was aber nicht der Fall ist. Die moderne Wirtschaftswissenschaft hat schon ganz lange festgestellt, dass es bestimmte Fälle gibt, wo Regularien und Eingriffe der öffentlichen Hand notwendig sind.
Eine weitere Erklärung von Stiglitz ist, dass die Leute, die heute an den Schalthebeln sitzen, die Theorien vertreten, die sie einmal gelernt haben. Die Theorie des freien Marktes, von Adam Smith, nach der der freie Markt wie von unsichtbarer Hand geleitet zu wirtschaftlicher Effizienz führt ist eine alte und zentrale Theorie, die bis heute gelehrt wird. Neue, moderne Wirtschaftstheorien, die besagen, dass es die unsichtbare Hand nicht gibt und dass freie Märkte eben nicht automatisch zu guten Ergebnissen führen, wie eben auch die von Stiglitz – für die er seinen Nobelpreis bekommen hat – scheinen dagegen noch nicht wirklich bei den Politikern angekommen zu sein. Und ich glaube, dass viele Politiker einfach dem Hype glauben, den sie in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen lesen. Dort hat sich der Glaube an den Neoliberalismus sehr stark durchgesetzt.

Hast du mit Politikern gesprochen?
Opitz: Nein. Ich wollte wirklich die Leute zeigen, die von Privatisierungen betroffen sind und die Leute, die auf internationaler Ebene Privatisierungen vorantreiben.

Aber wenn ein Staatsbetrieb in die Privatisierung entlassen wird spielen doch auch die Politiker eine Rolle.
Opitz: Die internationalen Regeln dazu werden aber auf der Ebene von WTO, Weltbank und IWF und in Brüssel gestaltet. Ich denke, dass gerade die innerstaatlichen Institutionen, die nationalen Parlamente und Politiker da viel weniger Einfluss haben, als man gemeinhin glaubt.

Nehmen wir das Beispiel der Privatisierung der Deutschen Bahn…
Opitz: Auf europäischer Ebene sind in vielen Dingen schon die Weichen dafür gestellt worden, dass der Bahnverkehr liberalisiert und in eine private Organisationsform überführt werden soll, in allen Ländern der EU. Oft ist das Kind schon viel früher in den Brunnen gefallen. Die Weichen dafür sind schon in ganz anderen Institutionen gestellt worden. Viele Entscheidungen haben sich mittlerweile auf internationale, transnationale Ebene verlagert, an Schauplätze, die von der deutschen Bevölkerung noch nicht als so wichtig wahrgenommen werden…

…wie eben auch die EU…
Opitz: Ja, zum Beispiel versucht das Brüsseler Büro des WDR seit zehn Jahren eine Europa-Nachrichtensendung zu etablieren, einmal pro Woche eine Viertelstunde – das guckt aber kein Mensch, das interessiert niemanden. Brüssel wird als total unsexy empfunden. Aber natürlich werden dort viele Entscheidungen getroffen. Und es gibt starke Lobby-Organisationen u.a. auch großer Konzerne, die dort direkten Zugang haben. Anders als möglicherweise ein Lokalpolitiker aus Deutschland.

Wie sieht es denn bei Privatisierung mit dem Handlungsspielraum der Bürger aus?
Opitz: Ich will ja mit dem Film zeigen, dass – wenn man sich wehrt – es eben nicht naturgesetzartig über einen kommt. Man kann sich, wenn es passiert ist, zum einen wehren, aber was eigentlich viel wichtiger ist, ist die Aufklärung. Das Bewusstsein, dass es sich bei Privatisierungen eben nicht um ein Naturgesetz handelt, auch nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern dass das nur ein bestimmtes Dogma, eine bestimmte Ideologie ist. Es gibt eine ganze Menge anderer Meinungen dazu, und bevor wir die Entscheidung über eine Privatisierung treffen, sollten wir einfach diese verschiedenen Positionen überprüfen. Wenn wir danach denken, Privatisierung ist immer noch das tollste, na gut, dann müssen wir das machen. Allerdings glaube ich, wenn die Aufklärung erfolgt ist, dass die Leute dann zum Beispiel sagen: Hey, Moment mal, vielleicht ist es gar nicht die richtige Entscheidung, dass unsere Stadt ihre Sozialwohnungen verkauft, denn das hat diese und jene Folgen und nicht nur die ganzen positiven Folgen, die uns versprochen werden. In Freiburg ist das gerade passiert. Da hat ein grüner Bürgermeister versucht, die Sozialwohnungen und die städtischen Wohnungen zu verkaufen, aber die Bevölkerung hat in einer Volksabstimmung gesagt: Nein, wollen wir nicht.

Nun zeigst du in „Der große Ausverkauf“ eine Frau, die in den Slums von Manila, Philippinen, lebt und die für ihren kranken Sohn Geld für eine Dialyse sammelt. Die kostet nach der Privatisierung des dortigen Gesundheitssystems 40 Euro, für ihre Verhältnisse viel Geld – für uns aber nicht. Da stellt sich für mich die Frage…
Opitz: Wir haben ihr natürlich geholfen – das ist ja klar. Wir versuchen auch jetzt noch, ihr regelmäßig zu helfen und bei unseren Vorstellungen und über unsere Film-Webseite [www.dergrosseausverkauf.de] Geld für ihren Sohn für eine Nierentransplantation zu sammeln. Aber es war eben nur ein Zufall, dass wir an sie gekommen sind. Es gibt Millionen andere Frauen wie Minda, wo kein deutscher Dokumentarfilmer da ist, der ihr am Ende des Tages 40 Euro in die Hand drückt. Und genau das wollten wir auch zeigen. Natürlich greifst du als Dokumentarfilmer immer in die Situation ein, die du filmst. Wobei wir deswegen auch schon von einem Festival abgelehnt wurden. Wir haben versucht, für uns eine Lösung aus diesem Dilemma zu finden. Mindas Situation so abzubilden, wie sie sich für sie und hunderttausende andere täglich abspielt, und ihr dennoch ein Stück weit aus dem Hamsterrad herauszuhelfen.

Aber wie geht man als Dokumentarfilmer mit diesem Grenzbereich um, gibt es da bestimmte Grundsätze?
Opitz: Wir haben während der Dreharbeiten tatsächlich darüber diskutiert. Und es gibt im Dokumentarfilm seit 40 Jahren Theorien und Diskussionen genau über diese Frage. Und ein Ethos, der von manchen Leuten vertreten wird, besagt: Werde niemals Teil der Geschichte, mische dich niemals ein, sonst verfälschst du die Realität. In unserem Fall hieße das: diese Frau zu filmen, ihr aber kein Geld zu geben und möglicherweise am Ende der Dreharbeiten ihren Sohn sterben zu sehen. Das ist die Realität. Und da frage ich mich, ob die Leute, die diesen Ethos vertreten, jemals in so einer Situation gewesen sind. Wir sind da letztlich keinen der theoretisch astreinen Wege gegangen, sondern auf dem Weg, den wir als den gangbarsten empfunden haben. Wir wollten ja auch der Bevölkerung hier im Westen zeigen, was Mindas Geschichte mit den Entscheidungen da oben zu tun hat. Deswegen haben wir versucht, diesen Mittelweg zu gehen. Wir haben sie portraitiert und ihr am Ende das Geld gegeben – und damit die Realität, wie sie sonst laufen würde, ein Stück weit verfälscht. Aber damit kann ich leben

Du hast für deinen Film auch versucht, Interviews mit Leuten von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfond (IWF) zu führen. Wie frustrierend ist es für dich als Dokumentarfilmer, wenn die Verantwortlichen jede Aussage verweigern?
Opitz: Es ist enorm frustrierend, weil es hat den Film zeitweise infrage gestellt. Mein Versprechen gegenüber den Redakteuren und Geldgebern war ja: ihr kriegt hier beide Seiten zu sehen. Aber als wir dann mit dem gesamten Team bereits in Washington waren, bekam ich einen Anruf und es hieß, der IWF hätte Recherchen über mich eingeholt und ich wäre für die eine gefährliche Person. Wir haben dann in allen Ländern, in denen wir gewesen sind und wo es auch Büros von IWF und Weltbank gibt, immer wieder von Neuem versucht, ein Interview mit demjenigen zu bekommen, der etwas zur Privatisierung sagen kann. Aber überall hieß es dann: „Na ja, derjenige ist gerade zufällig auf Reisen“ – auch wenn wir sechs Wochen vor Ort waren. Da sind wir konsequent blockiert worden.

Hattest du damit gerechnet?
Opitz: Nein. Ich hatte das so nicht erwartet. Vielleicht ist das naiv, aber …. Ich glaube, da hat unser Kollege Michael Moore ziemlich viel Schaden angerichtet. Wir wollten ja nicht wie er die Leute konfrontieren. Ich wollte ganz ehrlich hören, warum sie denken, dass Privatisierung das Richtige ist. Die Zuschauer sollten verstehen, wie diese Institutionen ticken. Aber die haben es mir durch ihre Paranoia wirklich so schwer gemacht, dass ich auf einmal dachte: Wahrscheinlich glauben die selbst nicht mehr so ganz an ihre Sache. Oder sie haben etwas zu verheimlichen.

Und du glaubst, sie haben dir Interviews verweigert, weil sie dachten, da kommt ein zweiter Michael Moore…
Opitz: Michael Moore macht halt eine ganz andere Art von Filmen, dieses Überfallartige, wo möglicherweise noch gezeigt wird, wie jemand zur Tür rausgeschmissen wird… Das befürchten sie, wobei das aber eine Herangehensweise ist, die wir überhaupt nicht wollten.

Aber auch der Art eines Michael Moore lässt sich viel Positives abgewinnen.
Opitz: Seine Art ist auf jeden Fall extrem effektiv. Aber inzwischen gibt ja es einen Dokumentarfilm über Michael Moore, der immer wieder auf Festivals läuft: „Manufacturing Dissent“.

Hast du den gesehen?
Opitz: Ja, ein furchtbar schlechter Film. Weil nach fünf Minuten klar ist, dass er filmisch nicht besonders ist und dass er sich der gleichen Methoden bedient, die er bei Michael Moore anklagt. Der Film macht keinen Unterschied, welche Kritiker von Moore er zu Worte kommen lässt, ob das jetzt knallharte Neo-Konservative sind, die aus ideologischen Gründen mit Moore abrechnen wollen aber mindestens genauso fragwürdige Methoden vertreten oder ehemalige Freunde und Mitarbeiter von Michael Moore, die sich einfach in ihm getäuscht haben – das wird alles vermengt.
Der Film macht aber deutlich, dass Michael Moore es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, dass er seit seinem ersten Film an den Fakten gedreht hat, so, dass sie eine gute Story ergeben. Das glaube ich dem Film schon. Auch wenn ich denke, dass „Manufacturing Dissent“ dem Dokumentarfilm insgesamt keinen guten Dienst erweist. Weil man sich am Schluss fragt: So what?

Was meinst du damit?
Opitz: Man muss sich halt überlegen, wenn man so einen Film über Michael Moore macht, was man damit erreicht. Einerseits ist es wirklich ein unterdurchschnittlich schlechter Film, andererseits hat er auf jedem Festival die meiste Presse. Ich glaube, darüber haben sich die beiden Filmemacher nicht wirklich Gedanken gemacht, dass sie auf diese Weise das ganze Genre in Verruf bringen können. Und dass sie als Kronzeugen der neokonservativen Rechten missbraucht werden könnten. Nachher zeigt Fox News dann den Film und sagt: „ Na seht ihr. Diese ewig linken Dokumentarfilmer nehmen es mit der Wahrheit alle nicht so genau.“ All das, was im Nachhinein mit so einem Film passieren kann, haben die beiden, so scheint es mir, nicht bedacht. Die waren reichlich naiv, würde ich sagen.

Ein kritischer Film über Moore könnte also den Dokumentarfilm generell in Verruf bringen?
Opitz: Michael Moore hat den Dokumentarfilmern ja einen guten Dienst erwiesen, weil er zum ersten Mal gezeigt hat, dass Dokumentarfilm im Kino bestehen kann. Und das was er macht, die Technik, die er anwendet, das macht er geschickt. Das kann man nicht anders sagen Auch wenn ich glaube, dass nicht alles stimmt, was in seinen Filmen gesagt wird und dass viele Fakten so gedreht sind, dass sie einfach ein bisschen interessanter klingen.

Nun könnte man argumentieren, dass Michael Moore dies für eine gute Sache tut.
Opitz: Ja, aber es kann der Sache natürlich auch einen Bärendienst erweisen. Weil wenn einmal durchsickert, dass in deinem Film irgendein kleines Faktum nicht richtig ist, dann werden das deine Gegner so ausnutzen können, dass der Film insgesamt und vielleicht auch das ganze Genre diskreditiert wird. Außerdem, wenn die Sachen stimmen, die in „Manufacturing Dissent“ vorkommen, dann ist es schon so, dass Michael Moore ein extrem unsympathischer Zeitgenosse ist, der in vielen Weisen so funktioniert, wie die Industrie, die er anklagt. Er vermarktet sich einfach brutal selbst. Das attestieren ihm sogar Freunde. Wenn er an eine Sache glaubt, nimmt er keine Rücksicht auf Verluste.

Wie weit würdest du gehen, um ein größeres Publikum zu erreichen….
Opitz: Es gibt für mich sicherlich Grenzen. Aber ich muss auch sagen, dass ich vor fünf Jahren noch andere Zielvorstellungen hatte als heute. Inzwischen hat es sich bei mir sehr viel mehr in Richtung Film gewandelt, weg vom reinen Buchstabenjournalismus. Ich will schon ein bestimmtes filmisches Niveau erreichen bei den Geschichten, die ich erzähle. Aber ich erkenne auch an, dass es schwierig ist, ein Gleichgewicht zu halten, zwischen Dramaturgie und Fakten. Ich denke, es muss immer auch ein guter Film sein, in dem Sinne, dass dir nicht irgendwelche O-Töne und langweilige Fakten um die Ohren gehauen werden – das hilft nicht, so ein Film wird keine Menschen erreichen.

Aber beim Dokumentarfilm willst du bleiben?
Opitz: Ach, das würde ich nicht unbedingt sagen. Aber da das hier mein erster langer Dokumentarfilm ist und ich auch nie an einer Filmhochschule war, fände ich es vermessen zu sagen: Spielfilm ist für mich der nächste Schritt.
Es gibt aber diesen Grenzbereich, zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, das, was Michael Winterbottom macht, mit „Road to Guantanamo“ zum Beispiel. Den Bereich würde ich gernemal ausloten wollen.
Ich habe diese filmischen Dinge in letzter Zeit immer mehr zu schätzen gelernt. Ich habe Geschichte studiert, lange als Journalist für den WDR gearbeitet, habe historische Dokumentationen gemacht, klassische Fernseh-Sachen… Heute interessiert mich das Formale, darin möchte ich mich weiter drin ausprobieren. Mal sehen, wo mich das hinführt.

Du hast lange gebraucht, um das nötige Geld für die Produktion von „Der große Ausverkauf“ zusammenzusammeln. Wie offen ist die deutsche Medienlandschaft für solche Filme?
Opitz: Ich glaube die Medienlandschaft ist in einer Situation, wo sich die Basis für solche Filme immer weiter verschlechtert. Auch wenn jetzt ein, zwei solcher Filme einigermaßen erfolgreich waren, ist doch das allgemeine Denken bei vielen verantwortlichen Finanziers, bei den Filmstiftungen, den Sendern und Verleihern oft: Politische Dokumentarfilme funktionieren nicht gut im Kino, das guckt sich keiner an. Dementsprechend gibt es wenig Geld dafür. Die möglichen Absatzredaktionen, die ja immer mit im Boot sein müssen, um so eine Gesamtfinanzierung hinzukriegen, werden immer weniger. Es muss ja auch die entsprechenden Sendeplätze dafür geben. Aber es gibt im deutschen Fernsehen eben kaum noch Sendeplätze, wo 90-Minuten-Dokumentationen gezeigt werden können. Und wenn es die nicht mehr gibt, gibt es auch keine Finanzierung mehr. Nur fürs Kino wird so ein Film nicht hergestellt. Kino ist zwar die eigentliche Erstverwertung, aber das Fernsehen bezahlt diese Filme mit. Kein Film kann sich allein durch den Verkauf finanzieren, weder im Kino noch auf DVD. Wenn also diese Basis wegbricht, wenn das Fernsehen, auch die öffentlich-rechtlichen Sender, nur noch Stumpfsinn produzieren und immer mehr Geld in Sportrechte investieren, dann wird es irgendwann kein Geld und keine Sendeplätze mehr für unsere Filme geben. Und dann wird es die Filme selbst auch nicht mehr geben.

Aber wird sich die Situation nicht ändern, wenn die heutigen Kinoprojektoren irgendwann durch Digitalprojektoren ersetzt werden und für einen Verleiher die hohen Kosten für die Filmkopien wegfallen?
Opitz: Das stimmt zum einen. Das demokratisiert das Medium zum einen. Teure 35 mm Kopien herzustellen ist natürlich auch eine gewisse Hürde. Vielleicht sind sie aber auch eine gewisse Qualitätsgarantie. Weil es gibt ja nicht zu wenig Dokumentarfilme auf der Welt. Nur sind darunter eben auch viele schlechte Filme, die von irgendwelchen Aktivisten für sich selbst gemacht werden, die aber filmisch nicht viel taugen. Und die Funktion von einer Redaktion und von Verleihern ist ja auch, eine gewisse Auswahl zu treffen.

Trotzdem müsste es doch leichter werden, einen guten Film ins Kino zu bringen, weil der Kostenfaktor Kopien nicht mehr da ist.
Opitz: Ja, aber dann gibt es wahrscheinlich auch 30 mal mehr Dokumentarfilme, die ihren Weg ins Kino finden. Und dann hat der einzelne gute Film halt auch wieder nur 500 Zuschauer. Also, ich kann das nicht vorhersehen.
Ich glaube aber, dass bei dem ganzen Hype ums Internet und die Digitalisierung, aus dem Blick verloren wird: Fernsehsender und Verleiher haben eine gewisse Funktion, in dem sie eine Vorauswahl treffen. Man kann natürlich sagen, das entmündigt den Zuschauer. Aber irgendwo sind die Zuschauer halt auch zu faul, um selbst auszuwählen. Wenn das Angebot zu riesig ist, dann wenden sich viele Zuschauer ab und gucken gar nichts mehr. Dieser Punkt wird glaube ich ein bisschen unterschätzt.

Zum Schluss die Frage: Wie lebt es sich eigentlich als Dokumentarfilmer?
Opitz: Meinst du finanziell?

Ja, auch….
Opitz: Also, was das Verhältnis von Arbeit und Geld angeht, ist Dokumentarfilmer wahrscheinlich einer der am schlechtesten bezahlten Jobs auf der Erde. Auch wenn der Film am Ende erfolgreich ist, ist es meistens so, dass viel Geld erst mal zurückbezahlt werden muss. Verleihförderung etc…. Als Regisseur bekommst du einfach ein bestimmtes Honorar und wenn du Glück hast noch einen prozentualen Anteil am Gewinn. Mein Honorar war in diesem Fall ein niedriger fünfstelliger Betrag. Für vier Jahre Arbeit.

Und wovon lebst du während einer Produktion?
Opitz: Viele arbeiten halt so, dass sie gleichzeitig noch Fernseh-Dokumentationen machen. Das habe ich die ersten zwei Jahre auch gemacht. Die letzten zweieinhalb Jahre habe ich dann aber nur noch für diesen Film gearbeitet.
Also, ich will niemand entmutigen. Aber du musst gucken, dass du gleichzeitig mehrere solcher Filme oder nebenher die Standard-Sachen fürs Fernsehen machst oder was ganz anderes.

Wie groß sind denn die Unterschiede zwischen Fernsehdokumentation und einem Dokumentarfilm fürs Kino?
Opitz: Ich habe jetzt gemerkt, dass es etwas total anderes ist, fürs Kino zu arbeiten. Es sind andere Leute, es ist ein anderer Markt, es sind andere Festivals, andere Dramaturgien, da hat Fernsehen und Kino sehr wenig miteinander zu tun. Komplett unterschiedliche Szenen, zwei verschiedene Berufe könnte man sagen. Bei Fernsehdokumentationen hast du etwa 10 bis 20 Drehtage für 45 Minuten. Da ist klar: du machst deine Interviews, dann drehst du ein paar Einstellungen, die vorher schon sehr genau gescripted sind, vieles ist inszeniert, das setzt du um und schneidest es fertig. Beim Dokumentarfilm für’s Kino ist das alles viel organischer, da musst du viel Zeit investieren, bis die Geschichten passieren, die du haben willst. Das dauert eben. Vier Jahre Produktionszeit, wie bei uns, sind da nicht selten.
Die Dokumentationen im Fernsehen haben ja oft eine ähnliche Dramaturgie. Deswegen sind die Geschichten und die Dramaturgie ja auch das Pfund mit dem die Dokumentarfilmer wuchern können. Weil es unglaublich viele verschiedene Dramaturgien gibt, die einfach durch die Realität vorgegeben werden. Und die Realität ist eben der beste Geschichtenerzähler.

Ein Kommentar zu “Ich glaube, dass viele Politiker nicht viel Ahnung von Wirtschaft haben.”

  1. P. Gengler |

    Am Thema vorbei

    Der Beitrag über Südafrika in seinem Film „Der große Ausverkauf“ geht vollkommen am Thema „Privatisierung“ vorbei. Der Energieversorger ESKOM war immer staatlich und ich kann mich auch an keine ernsthafte Privatisierungsdiskussion erinnern (seit 1999 bin ich regelmäßig in Südafrika) . Außerdem kauft der einzelne Haushalt den Strom bei der demokratisch kontrollierten Gemeindeverwaltung, die ihrerseits Großkunde bei Eskom ist.

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.