DJ Ötzi

Wir lassen unsere Helden nicht mehr leben

Gerry Friedle alias DJ Ötzi über Tschaikowsky, Thomas Bernhard, sein Bauchgefühl, den Eurovision Song Contest und die Plagiatsdiskussion um Cascada

DJ Ötzi

© Volker Neumueller

Herr Friedle, Sie mögen Tschaikowsky?
Gerry Friedle: Ich mag klassische Musik, seit ich „Schwanensee“ gesehen habe. Das war in Salzburg, ich hatte eine Einladung zum Ballett, wobei ich in dem Moment dachte: „Das kann ich gerade echt nicht gebrauchen.“ Doch dann fing die Vorstellung an und es hat mich total begeistert. Auch weil die wirklich gut drauf waren, vom russischen Ballett.
Dann habe ich mir 100 Meisterwerke heruntergeladen, mich damit auseinandergesetzt… Das hier zum Beispiel höre ich jetzt immer im Auto (Friedle spielt auf seinem Handy den dritten Satz von Beethovens Violinkonzert in D-Dur ab) Genial! Ich finde das cool. Vielleicht hat ein anderer keinen Zugang dazu, den habe ich auch nicht gehabt. Aber heute höre ich so etwas und es tut mir gut.

Und Sie verwenden jetzt eine Melodie aus Tschaikowskys erstem Klavierkonzert auf Ihrem Album „Es ist Zeit“.
Friedle: Das habe nicht ich gemacht, sondern ein Produzenten-Team aus Flensburg. Das war deren Idee, die haben mir das geschickt und ich habe das genommen, weil ich die Melodie cool fand.

Sie haben beim Covern in den letzten Jahren mehr als einmal ein glückliches Händchen bewiesen. Worauf kommt es beim Covern an?
Friedle: Grundsätzlich sollte man ein Ohr dafür haben, was gut ist, worin man sich wiederspiegeln kann, was man verändern könnte und wie man es verändern könnte.
Ich würde nie „Jump“ von Van Halen covern, weil der Song einfach zu stark ist. Ich würde auch „Down Under“ von Men at Work nicht in der Originalversion nehmen. Wir haben den Song verändert, und in der jetzigen Bearbeitung, mit dem Text über Tirol ist das super. Man muss sich beim Covern schon wirklich Gedanken machen, wie, was und wer. Den Song „Anton aus Tirol“ haben vor mir zwölf Leute gemacht und es hat nicht funktioniert. „Hey Baby“ von Bruce Channel haben auch schon Hunderte gecovert, meine Version war dann weitaus erfolgreicher als das Original.

Auch der Song „Ein Stern, der deinen Namen trägt“, war so eine Erfolgsgeschichte.
Friedle: Richtig, den hatte es schon sieben oder acht Jahre gegeben, der war damals bei Nik P. auf irgendeinem Album versteckt.

Was genau ist denn diese ‚DJ Ötzi-Qualität‘, die den Song dann hoch in die Charts katapultiert hat?
Friedle: Ich glaube, das ist bei mir eine Sache des Feelings, das hat mit Berechnung nichts zu tun. Man muss ein Gefühl dafür haben: Was kann ich dazu tun, was nehme ich vielleicht weg, wie singe ich das? Nik singt „Ein Stern“ im Original ja ganz anders. Du musst mit dem, was du machst, die Leute aufmachen, sie treffen. Das ist aber nicht berechenbar, du hast das nie in der Hand. Ich habe schon Sachen gemacht, die überhaupt nicht funktioniert haben. Und die Coverversionen, die funktioniert haben, waren dann extrem groß.

Mit welchen Kosten ist es eigentlich verbunden, wenn man sich vom Urheber die Genehmigung für ein Cover holen will?
Friedle: Kosten tut das nichts. Du bringst dem Autor ja etwas, er wird schließlich beteiligt. Nik P. hat den Song „Ein Stern“ geschrieben und komponiert, er hat dadurch auch Einiges verdient. Die Band Opus hat sich auch bei mir bedankt, als wir „Life ist live“ gecovert haben und 800.000 Stück in Frankreich verkauft haben. Da hat der Ewald Pfleger zu mir gesagt: „Gerry, das war leider eine coole Aktion, die du da gemacht hast.“

Wie sieht es denn mit eigenen Songs aus?
Friedle: Ich würde gerne mehr selbst schreiben und komponieren, nur bin ich noch nicht soweit. Momentan schreibe ich mit, bin auch bereit, in der Produktion mitzuarbeiten, dort sage ich, dass ich es so und so haben will. Aber es ist bei mir eine reine Feeling-Geschichte, ich habe das nicht gelernt sondern mache das aus dem Bauch heraus.

Was ist der gewagteste oder experimentellste Song auf Ihrem neuen Album?
Friedle: Da gibt es keinen. Ich wollte bewusst nicht experimentieren, sondern ich wollte, dass eine roter Faden drin ist.

Würden es Ihre Fans nicht wollen, dass Sie experimentieren?
Friedle: Doch, aber es gibt keinen Grund.

Wie lange dauert ein Song in der Produktion?
Friedle: Von der Idee bis zur Ausführung, bis alles passt, inklusive Gesang und Instrumente, die von Musikern eingespielt werden und Abmischen – das kann schon ein paar Monate dauern. Es ist ja ein großer logistischer Aufwand.

Sind Sie auch selbstkritisch, wenn Sie ins Studio gehen?
Friedle: Ja, das ist wichtig. Wenn du das nicht bist, hast du es nicht verdient erfolgreich zu sein. Wenn du abgehoben bist und alles besser weißt, das ist nicht meine Welt. Mit solchen Leuten umgebe ich mich auch nicht.

Edmund Stoiber beklagte gegenüber uns im Interview, dass „immer weniger Politiker ein Bierzelt füllen können“. Wie schafft man das musikalisch?
Friedle: Eine Musik sollte nicht nur im Bierzelt funktionieren, das wäre der falsche Ansatz. Der André Heller hat einmal zu mir gesagt, er würde so gerne mal ein Hütten-Lied schreiben (lacht). Aber das ist nicht mein Anspruch. Wenn es dann dort gespielt wird ist super, wenn die Masse, wenn die Leute dazu feiern können und meine Musik ihnen hilft, in eine gute Stimmung zu kommen. Ich selbst reduziere das nicht nur auf Bierzelte oder Hütten. „Ein Stern“ wurde in der langsameren Version auch auf Begräbnissen gespielt. Die schnelle Version wurde bei Geburtstagen, bei Geburten… bei allem Möglichen gespielt. Das war ja das Wunderbare an dem Song, dass du ihn überall einsetzen konntest.

Es geht Ihnen aber immer um eine positive Grundstimmung, oder?
Friedle: Warten Sie, ich spiele Ihnen was vor (nimmt sein Handy und spielt seinen Song „Tauch auf“)

Zitiert

Wenn du nicht selbstkritisch bist, hast du es nicht verdient erfolgreich zu sein.

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Ein andächtiger Song. Bekannter sind Sie jedoch für Ihre Party-Hits.
Friedle: Ich versuche, mit meiner Musik wirklich viele Leute zu treffen. Das will jeder Musiker. Manche Individualisten vielleicht nicht, die wollen nur, dass ein oder zwei zuhören, was auch legitim ist. Meine Aufgabe ist es, den Leuten ein gutes Gefühl zu geben.

Hören Sie selbst viel Gute-Laune-Musik?
Friedle: Nicht nur, ich höre zum Beispiel Philipp Poisel rauf und runter. Das ist sehr traurige Musik, aber ich liebe es.

Sie haben mal gesagt: „Ich würde mir mehr Exzentriker wie Falco wünschen, dafür leben wir aber in der falschen Zeit.“ Was genau meinten Sie damit?
Friedle: Ich glaube, das würde momentan nicht gehen, mit diesem Hochmut. Der Michael Wendler macht das ja ein bisschen im Schlagerbereich, zu ihm passt das auch. Ich selbst könnte mir nicht vorstellen, in dieser Art aufzutreten. Falco war ein extrem guter Bassist, der war schon sehr schräg. Ich weiß nicht, ob das heute funktionieren würde, ob es dafür eine Plattform gäbe, in einer Zeit, wo so viel Leute Angst haben, etwas zu verlieren. Dass da einer mit diesem Hochmut kommt und sagt „ist mir alles wurscht“ – ich glaube nicht, dass das möglich wäre.

Verfolgen Sie aktuell die Vorbereitungen zum Eurovision Song Contest?
Friedle: Ja, das interessiert mich schon. Da würde ich auch gerne mal die Verantwortung übernehmen und die Leute dafür suchen, so wie Stefan Raab das in Deutschland gemacht hat. Ich hätte zum Beispiel gerne die österreichische Band Kontrast ins Rennen geschickt, das ist Heavy Metal und Musikantenstadl in einem.

Und selbst beim ESC singen?
Friedle: Wenn die Leute das wirklich wollen, klar. Ich bin Österreicher, ich habe damit kein Problem, mein Land zu vertreten. Wenn es gewünscht wird, mache ich das mit hundertprozentigem Einsatz.

Für Deutschland geht in diesem Jahr Cascada mit dem Eurodance-Titel „Glorious“ ins Rennen.
Friedle: Das finde ich gut, immerhin ist Cascada in Europa schon bekannt, das sehe ich als Vorteil.

Mag sein, besonders individuell klingt diese Produktion allerdings nicht.
Friedle: Ja, aber was wollen wir? Wollen wir unbedingt cool sein und fünf Leuten gefallen oder wollen wir gewinnen? Ich will gewinnen, und nicht nur dabei sein.

Einigen Leuten in Deutschland missfällt zumindest, dass „Glorious“ dem Gewinner-Song des Vorjahres „Euphoria“ sehr ähnelt.
Friedle: Diese Plagiats-Diskussion finde ich blöd. Cascada hat sich inspirieren lassen und sogar die Urheber selbst haben gesagt, dass sie es nicht als Plagiat empfinden. Dass man da immer so einen blöden Nachsatz machen muss, finde ich nicht gut. Wir lassen unsere Helden nicht mehr leben. Die Leute müssen doch aber aufschauen können auf bestimmte Leute, damit sie eine Motivation haben, eine Zielsetzung bekommen. Bei uns waren früher die Ski-Läufer die großen Helden, Hermann Maier oder Franz Klammer. Das war für uns etwas Großes, daran haben wir uns festgeklammert. So etwas gibt es heute nicht mehr. Wenn heute einer erfolgreich wird, dann wird der gleich abrasiert.

Wenn man sich das Verhältnis zum eigenen Land anschaut, fällt auf, dass einige prominente österreichische Künstler wie Thomas Bernhard oder Georg Kreisler eine gewisse Hassliebe mit ihrer Heimat verband. Können Sie das als Österreicher nachvollziehen?
Friedle: (lacht) Der Thomas Bernhard wollte nur provozieren. Das war sein Trick, nicht mehr und nicht weniger. Was er geschrieben hat, war gut, aber es war auch so wie bei Schönberg: „Ich mache die normale Musik auf schräg, und das ist dann etwas Besonderes.“ Manche Leute springen da vielleicht drauf an, aber es ist doch nur Show. Das wissen auch seine Fans, aber die würden das nie zugeben. Wenn einer über sein Land so herzieht, dann hat er es meines Erachtens nicht verstanden. Man beschmutzt nicht das eigene Nest.
Natürlich gibt es auch Situationen, wo mir in Österreich etwas nicht gefällt. Aber wo gehobelt wird, da fallen Späne, darüber brauchen wir nicht reden. Und jemand zum „großen Lyriker“ zu erklären, dem nichts Besseres einfällt als über sein Land und bestimmte Leute herzuziehen, der sich dafür groß abfeiern lässt – das ist alles nur eine Show. Also, ich finde Thomas Bernhard nicht cool.

Sie als DJ Ötzi provozieren zwar nicht, jedoch polarisieren Sie. Deutlich wird das zum Beispiel, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Kommentare zu Ihren Songs auf Youtube ausfallen.
Friedle: Aber ich polarisiere nicht bewusst. Es gibt Leute, die das bewusst machen, ich tue das nicht aus Absicht.

Macht einem dieses breite Feld von Pro- bis Anti-Meinungen trotzdem auch ein wenig Spaß?
Friedle: Nein. Es macht keinen Spaß, wenn die Leute dich nicht lieben. Du kannst sicher nicht jedem gefallen, aber ungewollt zu polarisieren, das kann einem nicht Spaß machen. Das wäre der falsche Weg.

Kränken Sie negative Kommentare?
Friedle: Nein. Ich meine: Wie soll mich denn jemand bewerten, der mich gar nicht kennt? Das kann ich nicht ernst nehmen. Wobei ich das auch lernen musste. Am Anfang dachte ich bei solchen Kommentaren: „Warum? Ich habe doch nichts Böses gemacht.“ Mittlerweile mache ich mir darüber aber keine Gedanken mehr. Überhaupt nicht.

Sie haben das Musikgeschäft mal als ein „Haifischbecken“ bezeichnet. Ist es das heute noch?
Friedle: Nein, ich würde sagen, es ist ein Goldfischglas. Sicher kämpfen alle mit ihren Produktionen im Plattenbusiness, das ist auch gut so. Aber es ist kein Haifischbecken mehr, die sind heute alle so zahm. Dieses Jeder-gegen-jeden von früher gibt es nicht mehr, alle sind freundlich, grüßen dich, gratulieren dir…
Schwierig ist es natürlich immer noch, die Leute sehen heute tausende Bilder am Tag und um als Künstler auch nur eine Sekunde länger von den Leuten beobachtet zu werden, um jemanden zu erreichen, ihn emotional zu treffen, dafür musst du richtig gut sein. Da freue ich mich um so mehr, wenn ich, wie vor kurzem in Brandenburg eine Autogrammstunde gebe. Ich dachte, da kommen vielleicht 50 bis 60 Leute. Aber es kamen Tausend. Die haben sich Zeit genommen, gewartet, gedrängt, geschwitzt – trotzdem sind sie da gewesen.

Haben Sie sich mal ein Autogramm geholt, von einem Star?
Friedle: Nein. Ich wollte mal von Niki Lauda ein Autogramm, da war ich 23. Aber da habe ich mich nicht getraut, zu fragen. Ich war so nervös, dass ich nicht hingegangen bin. Mittlerweile sind wir Freunde und treffen uns auf Augenhöhe, aber damals hätte ich mir fast in die Hosen gemacht.

Zum Schluss: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Friedle: Das Leben ist ein Geschenk. Und du solltest aus diesem Geschenk auch etwas machen: deine Aufgabe erkennen und deine Aufgabe lösen. Comic, das wäre mir zu einfach.

Ein Kommentar zu “Wir lassen unsere Helden nicht mehr leben”

  1. michael moser |

    5 x cool

    in einem interview, nicht schlecht. dass dj oetzi als person das niveau seiner musik hat, war vielleicht zu erwarten. dennoch: die sog. intelligenz ist nicht alles im leben, herr friedle ist wie er ist und steht offen zu seiner meinung (und wollen wir nicht alle geliebt werden). in diesem sinne lese ich ein interview mit so jemanden fast lieber als eines mit jemandem, der von weit höherem niveau mit zynismus und arroganz um sich wirft. in diesem sinne ist seine aussage bzgl. thomas bernhard gar nicht uninteressant…

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