David Wnendt

Das größte Problem ist, dass rechte Ideologien ins Bürgertum hineinwachsen.

David Wnendt über den schwierigen Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, den Terror des NSU, jugendliche Neonazis und seinen Film "Kriegerin"

David Wnendt

© Ascot Elite Filmverleih/Pola Beck

Herr Wnendt, als Kind einer Diplomatenfamilie sind Sie in Brüssel, Islamabad, Prag, Meckenheim und Miami aufgewachsen. Inwiefern haben Sie Fremdenfeindlichkeit selbst erfahren?
Wnendt: Ich persönlich weniger. Aber natürlich gibt es Fremdenfeindlichkeit überall, in jedem Land.

Welche Konsequenzen haben Sie aus dieser Beobachtung gezogen?
Wnendt: Nur weil etwas offenbar zur "Normalität" gehört, heißt es nicht, dass man diese Normalität nicht bekämpfen müsste. Xenophobie, also Fremdenfeindlichkeit "im Griff zu haben" ist keine Selbstverständlichkeit. Die Aufgabe besteht darin, stetig dagegen zu arbeiten und das ist in der Regel kompliziert, weil die Xenophoben auf so einfache Schlagworte zurückgreifen. Wenn man gegen die argumentieren will, kann man das nur mit Differenzierungen. Und Differenzierung ist immer der schwerere Weg. Aber wenn man diesen Weg nicht geht, kann es recht schnell zu Gewaltausbrüchen, auch zwischen Minderheiten kommen. Die zivilisatorische Oberfläche ist eben recht dünn.

Haben diese Überlegungen dazu geführt, dass Sie für die "Kriegerin", Ihren Abschlussfilm an der Filmhochschule, die Neonazi-Szene als Handlungsraum gewählt haben?
Wnendt: Nein, der Auslöser war ein Fotoprojekt, das ich nach dem Abitur mit meiner damaligen Freundin gemacht habe. Wir sind 1998/99 im Auto durch die Lausitz gefahren, bis nach Sachsen-Anhalt zu den Industrieruinen und den ehemaligen Tagebaugebieten. Da bin ich mit Jugendlichen vor Ort in Kontakt gekommen. Ich habe einen großen Teil meiner Schulzeit in der Nähe von Bonn verbracht und das Leben dieser Jugendlichen war krass anders, als ich es gewohnt war. Viele waren da offen rechts, aber ganz normal im öffentlichen Leben integriert.

Rechtsradikalismus gehört dort zur Normalität?
Wnendt: Die Jugendlichen haben mir erzählt, dass man sich entscheiden müsse: Gehe ich jetzt zu den Punks oder zu den Rechten? Das fand ich schockierend aber auch faszinierend. Ich war damals gerade nach Berlin gezogen und dort hat sich niemand um dieses Thema geschert. Man ahnte diese Zustände im Umland oder wusste davon, aber hat es hingenommen. Zu dem Zeitpunkt wurde mir klar, dass der Rechtsradikalismus ein großes Problem ist, ein Massenphänomen – und damit eben  ein Problem, dass nicht von alleine wieder verschwinden würde und größere Probleme nach sich ziehen wird.

Das zu ignorieren war lange Zeit allerdings die standardisierte Haltung der etablierten Parteien. Noch im September letzten Jahres haben die Kandidaten der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern die NPD als reine Protestwählerpartei abgekanzelt und beriefen sich auf deren sinkenden Erfolg bei der Wahl. Zwei Monate später flog der real existierende rechtsradikale Terror der NSU auf.
Wnendt: Die drei Terroristen des NSU, die untertauchten und Menschen ermordeten, hatten zwar ihr Netzwerk, waren also nicht völlig isoliert. Aber diesen Terror halte ich für ein Problem, das polizeilich in den Griff zu kriegen ist, jetzt, wo man in dieser Richtung wohl sensibilisierter sein müsste. Was die Argumentation der Politiker angeht – es kommt eben immer darauf an, welche Zahlen man für seine Argumentation heranzieht. Es gibt viele Statistiken, die meine persönlichen Erfahrungen belegen. Statistisch ist belegt, dass viele Themen der extremen Rechten Anknüpfungspunkte bei der normalen Bevölkerung finden. Das ist für mich das eigentliche Problem. Diese jugendlichen Neonazis sind eben nicht isoliert, sondern mit ihren Haltungen in der Gesellschaft integriert. Das sind immer Töchter, Söhne oder Freunde von jemandem, den man kennt.

Wie haben Sie für Ihren Film in der Szene recherchiert?
Wnendt: Als ich nach einem Thema für meinen Diplomfilm an der Hochschule gesucht habe, kam ich auf dieses Thema wieder zurück und habe auch begonnen, Interviews in dieser Szene zu machen. Je mehr ich recherchiert habe, umso spannender wurde das, weil ich dann auch auf die vielen Frauen in dieser Szene gestoßen bin. Die verstricken sich so offensichtlich in Wiedersprüche. Laut ihrer Ideologie haben sie eigentlich nur den Platz am Herd und als Mutter, aber gleichzeitig leben sie ganz anders und sind in der Szene oft sehr aktiv.

Zitiert

Es ist inzwischen so, dass über 50% der Deutschen und im Osten über 70% Zweifel an der Demokratie haben.

David Wnendt

Wie äußert sich diese Ideologie in der von Ihnen erwähnten "normalen Bevölkerung"?
Wnendt: Oft gibt es da eine Zustimmung in Sachen Ausländerfeindlichkeit oder Demokratieverdrossenheit. Auch bei Aussagen wie: "Todesstrafe für Kinderschänder" stimmen viele zu. Das ist alles durch Umfragen belegt. Es ist inzwischen so, dass über 50% der Deutschen und im Osten über 70% Zweifel an der Demokratie haben. Da wird den Kindern vermittelt: wählen bringt nichts, das ist genauso ein Betrug, wie damals in der DDR. Und es gibt so gut wie keinen, der da wirklich eine Gegenposition vertritt. Dass rechte Ideologien auf diese Weise langsam ins Bürgertum hineinwachsen ist das größte Problem.

Wenn man also das Neonazisein als eine Jugendkultur begreift, haben wir es dann – möglicherweise zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte – mit einer Jugendkultur zu tun, die sich nicht gegen die zu konservativen oder zu liberalen Eltern wendet, sondern, die zur aktiven Speerspitze der Haltung ihrer Elterngeneration geworden ist?
Wnendt: Klar, das könnte man so sagen. Aber es ist natürlich komplizierter. Die rechte Szene ist nicht einheitlich. Im Osten gibt es zum Beispiel eine große Betonung des Sozialismus im Nationalsozialismus, man ist gegen den Kapitalismus. Die haben auch ganz viel von den Linken übernommen, aber eben unter den Vorzeichen: Deutschland zuerst, Deutschland muss geschützt und abgeschottet werden. Da gibt’s wie gesagt Anknüpfungspunkte bei den Eltern, die durch die DDR allerdings auch antifaschistisch erzogen worden sind. Die nehmen das manchmal immerhin noch als Widerspruch wahr.

Alina Levshin, die mittlerweile auch durch die Mini-Serie "Im Angesicht des Verbrechens" bekannt geworden ist, spielt in Ihrem Film äußerst beeindruckend die Hauptrolle. Kannten Sie sich vom Studium in Potsdam?
Wnendt: Ja, aber wir haben sehr viele Schauspielerinnen gecastet, da hat es keine Rolle mehr gespielt, wer woher kam. Während meiner Recherchen habe ich immer wieder Frauen erlebt, die Opfer und Täter zugleich sind. Die kommen sehr liebenswürdig rüber und erweisen sich dann aber als knallharte Rassistinnen. Und Alina war in der Lage, diese beiden Seiten zu zeigen. Auf einer Seite konnte sie emotional transparent und gefühlvoll sein, dann aber auch sehr aggressiv.

Die Aggression bekommt der Zuschauer gleich zu Beginn unmittelbar zu spüren, wenn sie in einer Szene mit anderen Rechten, Fahrgäste in einem Zug terrorisiert. "Was willst du hier?" brüllen sie Leute an, die sie für Ausländer halten.
Wnendt: Wir haben diese Szene schon beim Casting gespielt, um herauszufinden, wie weit die einzelnen gehen. Alina konnte da richtig aus sich rausgehen und hat mich immer wieder überrascht. Sie hat zum Beispiel in den seltsamsten Momenten angefangen zu lachen. Das hat eine äußerst unberechenbare Wirkung.

Wie hat sie sich darauf vorbereitet, eine Neonazi zu spielen?
Wnendt: Ich habe ihr Interviews aus meiner Recherche auf Video gezeigt und zu der einen Frau, die auch optisch das Vorbild von Alinas Rolle war, sind wir nochmal hingefahren. In der Probezeit ging es dann um andere Sachen. Sie hat wirklich in dem Supermarkt gearbeitet, in dem wir später gedreht haben. Und natürlich machen die Tattoos, die Kleidung und die Frisur eine große Veränderung aus. Aline trägt Turnschuhe mit Stahlkappen. Die sind bei Nazis sehr beliebt. Im Film sieht man die Schuhe so gut wie nie, doch mit ihnen ging Alina ganz anders und hatte ein völlig anderes Körpergefühl.

Stehen Sie mit der Frau, die das reale Vorbild der Filmfigur war, noch in Kontakt?
Wnendt: Ja, weil es mich bei ihr echt interessieren würde, ob sie sich nochmal ändert. Alle anderen sind mit Sicherheit noch in der Szene und zu denen habe ich den Kontakt  abgebrochen. Aber bei ihr habe ich noch Hoffnung, obwohl sie sich ein Hakenkreuz hat tätowieren lassen und noch immer so krass aussieht. Sie war früher mal Punk, bevor sie zu den Nazis gegangen ist. Sie hat allerdings  einen Skinhead-Freund und viele Sachen, die sie in der Szene verwurzeln und festhalten. Momentan sieht sie keinen Grund, warum sie ihre Haltung ändern sollte.

David Wnendt wurde 1977 in Gelsenkirchen geboren und wuchs in Islamabad, Miami, Brüssel, Prag und Meckenheim auf. Seinen ersten Kurzflm realisierte er mit 18. Nach dem Abitur arbeitete er bei verschiedenen Fernseh-, Film- und Theaterproduktionen. mehr

2 Kommentare zu “Das größte Problem ist, dass rechte Ideologien ins Bürgertum hineinwachsen.”

  1. Luisa |

    und da ist es wieder

    sorry, aber „Sie hat allerdings einen Skinhead-Freund“ wenn der Freund nur Skinhead ist, wird das nicht der Grund sein wieso sie dort nicht raus will! wann wird das endlich mal kapiert skinhead ist nicht gleich nazi! solche unbedachten aussagen sind der grund wieso echte skins ewig in eine politische ecke geschoben werden…. und das von jemandem der recherchiert haben will, jedes mal das selbe egal von wem…

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