David Rodigan

Es gab keine Drogen, kein Ecstasy, kein Crack – es gab nur die Musik, Fußball und die Mädchen.

Reggae-DJ David Rodigan über den Kern des Rastafaritums, sein Outfit, seine Hippie-Zeit und dass er auf Reggae-Partys kaum noch Altersgenossen findet

David Rodigan

© rodigan.com

Mr. Rodigan, Ihr Management hat uns mitgeteilt, das Interview könnte nicht sehr lange dauern, weil Ihre Stimme angeschlagen ist …
Rodigan: Oh ja, ich habe mich neulich in Italien ein wenig erkältet, wurde aber nicht ganz gesund, weil die Tour sofort weiterging, nach Polen, und irgendwann war die Stimme dann komplett weg.

Ist das auch auf Ihr lautstarkes Engagement hinter den Turntables zurückzuführen?
Rodigan: Nein, das nicht. Es war aber zuletzt so, dass meine Sprach-Einlagen die ganze Zeit durch Husten unterbrochen wurden. Natürlich, während ich auflege rede ich mit den Leuten und ich tue das auch auf eine sehr lebendige Weise, ich bereichere damit die Platten, die ich spiele. Das habe ich schon immer gemacht, im Reggae ist das auch Gang und gebe. House-DJs hingegen machen so etwas eher weniger. Die können einfach nur brillant mixen, darum geht es aber bei Reggae nicht wirklich. Beim Reggae ist es mehr die Kommunikation mit den Leuten, mit ihnen zu reden zwischen den Platten und manchmal auch während die Platten spielen.

Sie beschäftigen sich schon sehr lange mit Reggae, befassen sich auch intensiv mit den Texten der Platten, die Sie auflegen. Wenn also Texte zur Gewalt aufrufen oder sich – wie es beim Reggae ja vorkommt – gegen Homosexualität richten, sortieren Sie diese Platten aus.
Rodigan: Richtig, ich habe immer geglaubt, das der Reggae im Grunde eine Musik über die Liebe gewesen ist, zumindest war das für mich immer die größte Kraft, die von dieser Musik ausging. Tief im Inneren hatte der Reggae immer diese Leidenschaft. Und im Kern des Rastafaritums, der ja zur bestimmenden Kraft in dieser Musik wurde in den frühen 70er Jahren, ging es um Frieden, Liebe und Gerechtigkeit, die Ablehnung des babylonischen Systems, sich nicht die Haare zu schneiden, die Bibel zu lesen, Vegetarier zu sein, keinen Alkohol zu trinken, nur Ganja zu rauchen wie der große König Salomon – das war fast religiös, eine ganz andere Lebensweise, die die Leute angenommen haben. Sie können heute nach Jamaika gehen und Sie werden dort viele deutsche Hippies, japanische Hippies, Hippies aus der ganzen Welt finden, die nach Jamaika gegangen sind, um ihr Leben mehr oder weniger so zu leben wie jemand vom Land. Und dem entsprach für mich auch immer Kern des Reggae. In letzter Zeit allerdings gibt es im Reggae hier und da eine Verherrlichung der Waffengewalt, die man schon vom HipHop kennt, eine Art Gang-Verhalten und ein aggressiver, streitlustiger, verspottender Ton, der in diese Musik gekommen ist. Das war am Anfang noch nicht so.

Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass Sie über solche Entwicklungen nicht wirklich urteilen könnten, da Sie nicht in dieser Kultur verwurzelt wären – aber sind Sie nicht mit der Zeit hineingewachsen?
Rodigan: Also, als ich gesagt habe, dass ich nicht in dieser Kultur stecke, meinte ich einfach, dass ich kein Jamaikaner bin. Ich wurde dort nicht geboren, ich bin nicht schwarz und auch kein Rastafari. Also gibt es Erfahrungen, die werde ich als weißer Mann nie so machen, wie sie ein schwarzer Mann oder eine schwarze Frau erlebt. Ich habe natürlich immer versucht, mich in diese Kultur hineinzubegeben so viel ich nur konnte – als Außenstehender, als einer der in England lebt, nach Jamaika reist, sich in die Musik und Kultur dort verliebt, die mich fasziniert. Aber trotzdem, du musst dort geboren sein und du musst in dieser Kultur gelebt haben um ihre Bedeutung zu verstehen. Ich möchte das einmal vergleichen mit unser Sicht auf den Islam. Wie die Muslime die Frauen behandeln – ich persönlich kann das kaum verstehen, aber das ist deren Lebensweise, deren Kultur. Und in Jamaika ist es so, dass es dort schon lange eine sehr christliche Einstellung in der Gesellschaft gibt, Religion spielt eine so große Rolle im Leben der Kinder, die in Jamaika groß werden. Die bekommen eine ganz bestimmte Vorstellung von dem, was richtig oder falsch ist und was sie ablehnen sollen. Und das kommt auch heraus in der Musik, die sie machen, wenn sie Teenager oder junge Männer sind.
Ich sehe mich also nur als ein Außenstehender, ein fremder Beobachter mittlerweile auch ein bisschen als Botschafter dieser Musik.

Welches Verhältnis haben die Musiker in Jamaika zu Ihnen, nach all den Jahren müssten Sie so etwas wie ein Bruder für die sein, oder?
Rodigan: Absolut, Dennis Brown beispielsweise ist ein guter Freund von mir geworden. Ich hatte die Ehre, Bob Marley kennen zu lernen, Luciano, Jimmy Cliff, Peter Tosh – ich konnte also viele Leute treffen, die für mich in meiner Jugend Helden waren. Und wissen Sie, ich bin auch heute noch ein Fan. Ich bin zwar ein Radio-DJ, spiele in Clubs hier und da – aber ich bin immer noch Fan. Ich gehe immer noch in Plattenläden um die neuen Scheiben anzuhören. Es hat sich eigentlich nicht so viel verändert seit ich 16 war. Ich mag diese Musik immer noch, sie fasziniert mich noch immer, ich bin heiß auf neue Platten – und mittlerweile sind es 25 Jahre, die ich professionell dabei bin.

Aber, Sie sehen auf den ersten Blick nicht wirklich aus wie ein DJ. Keine Turnschuhe, kein Basecap … – Sie wirken eher wie ein seriöser, britischer Immobilienhändler. War Ihr Outfit schon immer so?
Rodigan: Ja, ungefähr so (lacht). Das hat damit zu tun, dass ich in meiner Jugend, in den 60er Jahren, ein Mod war. Ich habe "The Who" gehört, Prince Buster, Otis Redding, James Brown, "The Skatalites" und die "Wailers". Und als Mod war dein Kleidungsstil sehr, sehr wichtig. Du hattest die ganze Woche hart gearbeitet, da war der Samstagabend und die Nacht einfach der Höhepunkt der Woche. Es gab keine Drogen, kein Ecstasy, kein Kokain, kein Crack – es gab nur die Musik, Fußball und die Mädchen. Und Motorroller, natürlich. Die Musik war also sehr wichtig und dazu musstest du gut aussehen. Du konntest nicht ausgehen ohne gut auszusehen, du konntest nicht tanzen gehen, ohne dass du deine Schuhe vorher poliert hattest – die Leute hätten dich sonst angeguckt wie einen Mülleimer. Dein Hemd musste gebügelt sein, deine Hose musste die Bügelfalte haben. Am besten hast du einen dreiteiligen Anzug angezogen, vielleicht auch einen Zweiteiler und die Haare so gemacht wie Rodger Daltry von "The Who" damals. Es ging um Stil, Präsenz und auch um den Stolz auf das eigene Aussehen. Du konntest nicht einfach nach nichts aussehen.

Und Sie haben die Kleiderordnung quasi beibehalten.
Rodigan: Ja, diese Gewohnheit konnte ich bis heute nicht wirklich ablegen. Ich habe das schon versucht, mich etwas weniger chic anzuziehen, bin auf die Bühne gegangen in einem etwas gewöhnlicheren Outfit. Aber da fühlte ich mich schon schmuddelig, das ging nicht.

Und mit den Haaren, haben Sie da mal etwas ausprobiert, hatten Sie beispielsweise mal Rasta-Locken?
Rodigan: Ja, Anfang der 70er, bis 1973 glaube ich. Ich hatte einen Bart, lange Haare, ich war ein Hippie, bin per Anhalter durch Europa gefahren – das muss abscheulich ausgesehen haben. Damals habe ich aber auch Wirtschaft studiert, war in der Studentenvereinigung, war politisch motiviert – ich war ein Rebell mit langen Haaren und einem Bart. Ich wollte Veränderungen. Und natürlich hatte ich deswegen auch großes Interesse am Reggae, weil der Reggae kein Blatt vor den Mund nahm, weil er sich gegen die Dinge stark machte, die ich für falsch hielt. Ich war auf den Demos gegen den Vietnam-Krieg, Protest und Diskussion gehörten zu meinem Leben dazu.

Hat die Arbeit als Reggae-DJ für Sie also auch etwas mit politischer Motivation zu tun?
Rodigan: Ich weiß nicht, ob ich jetzt das Wort ‚politisch‘ benutzen würde.

Dann vielleicht ‚moralisch‘.
Rodigan: Ja, das würde zutreffen. Wobei es natürlich auch viele Spaß-Platten gibt, die kein bisschen moralisch sind, einfach nur verrückte Songs mit großartigen Rhythmen und Reimen. Generell würde ich sagen, dass die Songs, die mich tief bewegt haben, immer Songs gewesen sind, die ich auch als große Meisterwerke bezeichnen würde – Bob Marleys "Chase those crazy baldheads out of town" zum Beispiel, das ist eine der großartigsten Platten, die je gemacht wurden.

Aber als bekanntester Radio-DJ für Reggae in Europa waren und sind Sie ja so etwas wie ein Gatekeeper, oder? Also jene Person, die entscheidet, was die Leute hierzulande zu hören bekommen.
Rodigan: In gewisser Weise ist das so, ich war und bin in einer Position, wo ich Songs spielen kann, die ich für wichtig halte. Es lässt sich auch nicht vermeiden, dass es da ein bestimmtes Element der Selektion gibt. Aber es ist ja auch so: Sie können zwei verschiedenen DJs im gleichen Raum identische Plattenkisten geben, die die gleichen Platten in der gleichen Reihenfolge enthalten. Dann sollen die DJs sich überlegen, wie sie ein halbstündiges Radioprogramm gestalten – da werden Sie zwei völlig verschiedene Sendungen zu hören bekommen, sogar auch, wenn die beiden die gleichen Platten spielen. Denn ein DJ hat seine ganz eigene Einstellung zu einer Platte, vielleicht wird er das auch in der Sendung erklären, oder er lässt es, weil er diese Platte nicht spielen will.
Ich habe immer versucht in meiner Sendung auf den britischen Radiokanälen Kiss100 und BFBS, die ja zwei Stunden geht, zu reflektieren, was auf dem Markt aktuell passiert. Ich habe auch Platten gespielt, die mir überhaupt nicht gefallen haben. Aber ich weiß, weil ich eben meine Recherchen gemacht habe, dass da draußen Leute sind, die meine Sendung hören und die diese Platten wirklich mögen. Also, ein Radio-DJ sollte natürlich nicht nur das spielen, was ihm gefällt, das wäre auch beleidigend für den Hörer. Andersherum muss man Songs rausnehmen, die für zu viele Leute zu anstößig wären – Sie haben ja selber gesehen, was in den USA passiert, wenn eine Frau wie Janet Jackson live im Fernsehen ihren BH … Also, ich versuche, die Dinge mit einem breiten Verständnis zu sehen und auch eine bunte Mischung von Reggae zu sielen. Das ist ja nicht nur eine Art von Musik, es gibt da ganz verschiedene Stilrichtungen unter dem Namen Reggae.

Das Publikum auf Reggae-Partys war und ist relativ jung – Sie sind jetzt 53 Jahre alt, treffen Sie auf Ihren Partys aber auch manchmal Leute in Ihrem Alter?
Rodigan: (lacht) Nein, ich habe eigentlich nie jemanden in meinem Alter auf diesen Partys gesehen … bis vor vier Wochen. Das war in Palermo, Sizilien, eine erstaunliche Erfahrung. Ich ging in den Club, etwa 200 Leute waren da, später 300 – und darunter sehe ich auf einmal mehrere Typen in meinem Alter, sogar zum Teil noch älter. Das waren auch nicht die Besitzer des Clubs oder die Türsteher, nein, das waren richtige Reggae-Fans, aus Sizilien, die zu meiner Party gekommen waren! Und bestimmt waren vier dabei, die sogar älter waren als ich, das Haar schon weiß, also über 60 schätze ich. Ich war vollkommen fasziniert!

Haben Sie die Leute angesprochen?
Rodigan: Nein, ich dachte das würde vielleicht ein bisschen komisch auf sie wirken. Aber am Ende der Party kamen ein paar von denen zu mir und sagten in etwas gebrochenem Englisch, wie sehr sie die Party genossen hätten, dass sie mich schon lange kennen, mich im Radio gehört haben in den 80ern, dass sie 300 Kilometer gefahren wären, um zu der Party zu kommen… Das war eine sehr interessante Nacht. Denn normalerweise sieht es ja so aus, dass ich der Vater von all denen sein könnte, die sich da vor mir auf der Tanzfläche bewegen.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur wären Sie?
Rodigan: Oh, gute Frage. Irgendwie denke ich gerade an Fred Flintstone. Eine fantastische Frage, wunderbar. Hm, also ich wäre auch nicht Yogi-Bear, oder? Oder Barney Rubble von den Flintstones? Nein, ich entscheide mich für Fred Flintstone, den fand ich irgendwie schon immer gut.

Ein Kommentar zu “Es gab keine Drogen, kein Ecstasy, kein Crack – es gab nur die Musik, Fußball und die Mädchen.”

  1. Spoony |

    Roddi !

    Einfach der beste Plattenschwinger der WELT !!
    Sleng Teng Battle 4ever !

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