Danny Boyle

Das strangulierte Kino

Regisseur Danny Boyle über seinen Thriller „Trance“, stille Arbeiter im Schneideraum, seine Skepsis gegenüber Sequels und die Arbeit mit der Queen bei den Olympischen Spielen

Danny Boyle

© Twentieth Century Fox

Mr. Boyle, Sie arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich im Filmgeschäft. Was braucht es, um Sie zu begeistern?
Danny Boyle: Ich glaube, dass alles mit allem zusammenhängt, selbst Gespräche wie unseres tragen zu Entscheidungen bei. Aber letztlich entscheide ich eher instinktiv. Normalerweise versucht dein Agent ja nach einigen Erfolgen verzweifelt, Sequels für dich an Land zu ziehen, aber die wecken kein Feuer in mir. Mit meinen Filmen ist es wie mit Frauen: Ich verliebe mich in sie und kann das meinen Freunden nicht erklären, kann das nicht analysieren. Würde ich das nämlich können, würde es mein Agent schaffen, mich von einträglicheren Projekten zu überzeugen. Das ist verrückt, aber fühlt sich für mich nur so organisch an. Filme an sich sind sehr technisch und im Entstehungsprozess sind viele Schritte vorgegeben. Ich mag es aber, wenn nicht jeder Schritt vorgezeichnet ist. Das birgt Gefahren, aber nur so kann Großes entstehen.

Wie kamen Sie zum Thema Identität, das Sie in „Trance“ ausführlich beleuchten?
Boyle: John Hodge, der „Trainspotting“ schrieb, ist Arzt, praktiziert aber nicht mehr. Sein großes Thema ist Identität. In „Trance“ gibt es dazu eine Sequenz, in der sie als eine zerbrechliche Kette von Erinnerungen beschrieben wird. Erinnerungen, die nicht akkurat geordnet sind. Unsere Erinnerungen an dieses Gespräch hier werden sich unterscheiden. Welche ist denn nun wahr? „Trance“ stellt die Frage, was passiert, wenn die Kette unterbrochen wird. Was impliziert das? Die letzten Filme, die wir gemacht haben, drehten sich um Erinnerungen.

Sie meinen auch „Slumdog Millionär“?
Boyle: Ja, das war ein Film darüber, wie unser Held mit Hilfe seiner Erinnerungen die Fragen der Show lösen kann. Bei „127 Hours“ ist das Einzige, was dem verunglückten Kletterer aus seiner Situation raus hilft, die Macht der Erinnerungen. In „Trance“ geht es eher um gestohlene Erinnerungen, die es wieder zu finden gilt. James McAvoy sieht immer wie jemand aus, der etwas wissen müsste, sich aber nicht erinnern kann.

War das während der Dreharbeiten nicht verwirrend für ihn?
Boyle: Das war es. Wir hätten das clever anstellen und den Film chronologisch nacheinander drehen können. Aber das war zu kompliziert. Also haben wir mit einer Timeline gearbeitet, und wir haben für uns eine DVD des Films in der korrekten Reihenfolge geschnitten. Auf diese Weise erschien der Plot geradezu simpel.

Der Film verdankt seinen Clou also seinem Schnitt?
Boyle: Ja, wie jeder Film, wenn man es genau nimmt. Regisseure und Drehbuchautoren oder Schauspieler stehen immer im Blickpunkt, aber die Essenz jedes Films ist immer diese stille Person – und es ist immer eine stille Person – die in diesem kleinen Zimmer sitzt und Filme mit einem Knopfdruck verändern kann. Ich war ein großer Fan von dem britischen Regisseur Nicolas Roeg, der in den 70er und 80er Jahren eine Reihe herausragender Filme machte. Sein Schnitt hat mich sehr beeinflusst, weil seine Vorstellung von Zeit sehr fließend ist.

Zitiert

Mit meinen Filmen ist es wie mit Frauen: Ich verliebe mich in sie und kann das meinen Freunden nicht erklären.

Danny Boyle

Im Mittelpunkt von „Trance“ steht neben den Darstellern die Kunst. Warum haben Sie den spanischen Maler Goya gewählt?
Boyle: Sein „Flug der Hexen“ war eine tolle Inspiration für den Film. Und Goya steht für einen Epochenwechsel, es gibt eine Zeit vor Goya und die ab Goya. Er ist der erste Künstler, der sich mit dem menschlichen Geist beschäftigte. Auch bei Hieronymus Bosch ging es um Vorstellungskraft, aber Goya geht psychologisch heran. Das ist Modern Art, darum geht es im ausgehenden 19. Jahrhundert, dem 20. und unserem Jahrhundert. Es geht nicht unbedingt um das Verstehen. Außerdem war es Goya, der mit „Die nackte Maja“ die Frau so malte, wie sie ist.

In „Trance“ spielt mit Rosario Dawson zum ersten Mal eine Frau eine tragende Rolle in Ihren Filmen. Wie kam es dazu?
Boyle: Es gibt einfach sehr wenige Storys, in denen Frauen zum Motor der Geschichte werden. Das ist sicher sehr frustrierend für Schauspielerinnen. Frauen haben das gleiche Talent wie Männer, aber es gibt sicher zwei Dutzend Männer, die große Rollen spielen, während für Frauen häufig nur die Rolle als Dekoration bleibt. Sie sind Freundinnen, Affären und so weiter. Ich selbst habe neun, zehn Filme gemacht, in denen Männer im Zentrum standen. „Trance“ war meine Gelegenheit das zu ändern.

Woher kommt diese männliche Dominanz?
Boyle: Für Frauen ist es sehr schwierig in diesem archaischen Geschäft, das sich nur sehr langsam verändert. Es zieht sich durch alle Bereiche, vom Schnitt über die Kamera bis zur Regie. Kathryn Bigelow oder Jane Campion, um zwei zu nennen, sind Ausnahmen in diesem Patriarchat. Insofern schließen wir eine Menge Talent aus. Wobei ich auch dachte, dass die Digitalisierung das verändern würde.

Sie haben einmal kritisiert, dass heutzutage immer weniger Erwachsenenfilme entstehen. Was genau missfällt Ihnen?
Boyle: Ich will gar nicht zu negativ über die Franchises und Sequels sprechen, aber ihre Dominanz schüchtert mich ein. Als „Der weiße Hai“ rauskam, war er ein Erfolg. Und es wurden so lange neue Folgen davon gedreht, bis es sich ökonomisch nicht mehr lohnte. Heute ist das Gegenteil der Fall. Je mehr Fortsetzungen entstehen, desto mehr Menschen sehen sie. Sie kennen deren Figuren, aber sie wissen auch, dass denen nichts passieren kann, weil die ja weitermachen. Das stranguliert das Kino und ist der Grund, warum immer mehr Filmemacher zum Fernsehen fliehen. Das macht mir Sorge. Nur dort kann man sich noch mit herausforderndem Material austoben, deshalb ist vieles im Fernsehen überraschender und schockierender als im Kino. Doch eigentlich war ja das Kino der Ort, wo du verstört und herausgefordert wurdest – egal ob Komödie oder Horrorfilm.

Neben Ihren Filmen haben Sie auch die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London inszeniert. Wie hat das Königshaus reagiert, als es von der Rolle der Queen erfuhr?
Boyle: Dort dauert immer alles eine Weile, aber irgendwann gaben sie ihr Okay. Wir wollten erst ein Double casten, doch dann bekamen wir die Antwort, dass sie einverstanden ist und ihre Rolle selbst spielen will. Ich habe das Gefühl, dass sie unseren Ansatz verstanden hat. Die Queen ist ja in Formalien gefangen, die einen ersticken. Aber sie hat ein gutes Gespür dafür, wie man performt. Sie ist eine Darstellerin und ist es gewohnt eine Plattform zu bieten. Und sie hat einen riesigen Stab von Leuten, die für sie arbeiten. Für die wollte sie ein Date mit Daniel Craig und sie wollte Bilder für ihr Royal-Facebook.

Also will die Queen ein Bondgirl sein?
Boyle: Das können Sie sagen, ich würde das nicht tun. Aber es war toll mit ihr!

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