Corinna Milborn

Menschenhändler haben ein leichtes Spiel.

Die Journalistin Corinna Milborn über ihre Recherchen zum Thema Zwangsprostitution in Europa, Frauenhandel aus Nigeria, die Machenschaften der ‚Madames’, Opferschutz und Bestrafung von Freiern

Corinna Milborn

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Frau Milborn, Sie haben das Buch „Ware Frau“ geschrieben, über nigerianische Zwangsprostituierte in Europa. Wer sind die Organisatoren des Frauenhandels aus Nigeria? Wenn man die Berichte in Ihrem Buch liest, wirkt es manchmal so, als wäre es der gute Bekannte von nebenan.
Milborn: Der Markt ist in Europa. Am Ende der Kette stehen also die Freier, aber auch die Bordellbesitzer. Organisiert wird der Handel allerdings durch nigerianische Netzwerke. Die Knotenpunkte dieser Netzwerke sind die Madames. Das sind Frauen, die in Europa leben, die sich Frauen kaufen, herbringen lassen und sie dann ausbeuten. Es sind Trolleys involviert, das sind die Schlepper, die die Frauen bringen und die die Reise organisieren. An den äußeren Enden des Netzwerkes stehen diejenigen, die die Frauen ansprechen, ob sie nach Europa kommen wollen. Das sind oft Vertrauenspersonen: Angesprochen werden die Frauen typischerweise von einem Cousin, einem Nachbarn oder einem Schulkollegen. Die bekommen dann eine Art Provision dafür. Die Frauen müssen dann in Europa die Kosten für den Transport abzahlen: 45.000 bis 100.000 Euro. Solange sind sie versklavt.

Oft arbeiten nigerianische Frauen als Zuhälterinnen, jene Madames. Es wundert einen, dass hier Frauen Frauen ausbeuten. Wie kommt es dazu?
Milborn: Das hat uns auch erstaunt – es durchbricht das Schema, dass Frauen die Opfer und Männer die Täter sind. Das Phänomen hat einerseits historische Wurzeln: Dieser Frauenhandel hat durch Frauen begonnen, die in Zeiten des nigerianischen Öl- und Wirtschaftsbooms in Italien Lederwaren, Luxuswaren und Gold eingekauft und in Nigeria verkauft haben. Als die große Krise eingesetzt hat, haben einige dieser Frauen begonnen, sich selbst zu prostituieren und so in Europa ihr Geld zu verdienen. Dann haben sie auch Frauen nachgeholt, die sie ausgebeutet haben. Dieser Handel hat sich von Italien aus über ganz Europa verbreitet. Auf der anderen Seite waren viele Madames selbst Opfer von Frauenhandel. Sie hatten nach dem Freikaufen weder in Europa noch in Nigeria eine Perspektive. Dazu kommt ein Effekt der Traumatisierung: Wenn etwas nicht aufgearbeitet wird, wird es weitergegeben. Die Frauen haben keine Möglichkeit, ihre Erlebnisse aufzuarbeiten. Es gibt für die meisten keine psychologische Betreuung und nur einen spezialisierten Psychiater in ganz Europa, in Italien. Mit dem nigerianischen Frauenhandel sind ja auch spezifische Probleme verbunden, etwa wegen des Voodoo-Schwurs, der abgeleistet werden muss.

Sie haben für Ihr Buch mit verkauften Frauen, mit Freiern und mit Frauenhändlern gesprochen. Wie sind Sie an die herangekommen?
Milborn: Die betroffenen Frauen haben geschworen, nicht darüber zu sprechen. Sie bringen sich selbst und ihre Familie in Gefahr. Wir haben daher hauptsächlich mit Frauen geredet, die schon ausgestiegen sind, die abgeschoben wurden oder die gerade dabei waren auszusteigen. An dem Punkt erzählen die Frauen eher ihre Geschichte. Joana Adesuwa Reiterer vom Verein Exit, die Betroffene betreut, hat uns bei der Kontaktaufnahme sehr geholfen. Bei den Menschenhändlern hatten manche das Bedürfnis, darüber zu sprechen, weil sie selbst auch leiden. Sie fühlen sich nicht nur als Täter sondern auch als Opfer eines Systems, das ihnen keine andere Möglichkeit bietet, als sich in kriminelle Nischen zurückzuziehen. Die Freier haben wir vor allem in Freier-Foren gefunden, in denen sie sich in der Anonymität offen austauschen. Es wird über die Frauen wie über eine Ware gesprochen, Tipps und Preise werden ausgetauscht.  

Und die Madames?
Milborn: Da haben wir undercover recherchiert. Eine Nigerianerin hat für uns zu einer Madame in Österreich gesagt, sie will jemanden herbringen und ob die das organisieren kann. Schon nach einer Viertelstunde wurde über Preise verhandelt: Der Kauf einer Frau kostet 10.000 bis 15.000 Euro. Die Madame war gleich bereit, in Nigeria anzurufen, um den Transport zu organisieren.

Wie kann man den betroffenen Frauen helfen, auszusteigen?
Milborn: Mit einem stark verbesserten Opferschutz. In Österreich und Deutschland hat eine Frau, die sich meldet, nur wenige Wochen Zeit, um sich zu entschließen, ob sie aussagen will. Wenn sie sich dagegen entscheidet, wird sie meist abgeschoben. Sagt sie aus,  bekommt sie ein temporäres Aufenthaltsrecht, aber keine Arbeitsgenehmigung, und hat nur solange das Recht zu bleiben, wie sie für das Verfahren wichtig ist. Der Fokus liegt darauf, organisierte Kriminalität aufzudecken, nicht, den Betroffenen zu helfen. Frauen, die für das Verfahren nicht nützlich genug sind oder nicht genug aussagen, werde abgeschoben. In Nigeria sind die Frauen den Händlern ausgeliefert. Wir haben auch von mehreren Fällen gehört, in denen Familienangehörige umgebracht wurden. Die einzige Ausnahme ist Italien. Dort haben die Betroffenen auch dann eine Chance auf eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie nicht gegen den Täter aussagen. Wenn die Frauen Ausbildungen machen und einen Arbeitsplatz nachweisen können, dann bekommen sie auch eine Arbeitsgenehmigung. Das hat in Italien nicht zu dem Ansturm geführt, den man befürchtet hat. Die Argumentation in Deutschland und Österreich gegen diese Art des Opferschutzes ist, dass sich dann Tausende melden, die behaupten, sie wären Opfer von Frauenhandel. Das ist aber unbegründet, wenn man sich das Beispiel Italien ansieht.

Gibt es Verbindungen zu Drogen- und illegalem Waffenhandel?
Milborn: Kaum. Es gibt einige Verbindungen, es sind teilweise Menschenhändler, die die Transporte organisieren, auch im Drogenhandel involviert. Aber man darf sich das nicht vorstellen, wie eine große pyramidenförmig aufgebaute Mafiastruktur mit einem Boss, der überall mitschneidet. Es gibt keine Organisation, die man zerschlagen könnte – es ist ein Netzwerk. Wenn eine Madame verhaftet wird, dann springt sofort eine andere ein. Wobei auch im Drogenhandel Menschenhandel eine große Rolle spielt, aber mit Männern. Der Straßenverkauf von Drogen in Europa wird oft von Opfern des Menschenhandels betrieben, auch aus Nigeria.  

Die Frauen marschieren oft zu Fuß durch die Sahara, kommen mit dem Boot nach Europa. Wie funktioniert das bei so einem lockeren Netzwerk?
Milborn: Die Kontrolle funktioniert erstaunlich gut. Wenn eine Frau in einer Kontrolle hängen bleibt oder in ein Transitland abgeschoben wird, dann schickt die Madame sehr schnell Geld, um sie rauszuholen. Die Verbindung zwischen den Schleppern, die auf der Route immer wieder wechseln, und der Madame ist immer da. Es ist auch erstaunlich, wie gut die Madames in Europa vernetzt sind. Sie zahlen in gemeinsame Geldtöpfe ein, um sich gegenseitig aus dem Gefängnis zu holen, Anwälte zu bezahlen, aber auch um neue Frauen zu kaufen. Das ist eine Art Bausparsystem für Menschenhändlerinnen. Wenn eine Madame verhaftet wird, ist sehr schnell eine andere zur Stelle, die die Mädchen übernimmt. Wenn sich ein Freier in eine Frau verliebt und sie rausholen will oder wenn sie abgeschoben werden soll, dann wird die Frau sehr schnell in ein anderes Land verschoben und einer anderen Madame sozusagen auf Provision überlassen.

Zitiert

Der Kauf einer Frau kostet 10.000 bis 15.000 Euro.

Corinna Milborn

Soll Prostitution verboten, sollen Freier bestraft werden?
Milborn: Das ist vielleicht ein Wunsch, der aufkommt, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Die Freier sind die Nutznießer. Sehr viele von ihnen wissen, dass es da in vielen Fällen um Zwang und um Frauenhandel geht. Sie nutzen das aus und bedienen sich dieser Frauen. Es geht nicht nur um den Straßenstrich, aber in den meisten Fällen um das billige Segment in der Prostitution, das auch die härtesten Arbeitsbedingungen bietet. Der durchschnittliche Preis ist hier 30 Euro. Allerdings haben solche Gesetze wenig Wirkung: In Schweden werden Freier bestraft, in den USA ist Prostitution fast überall verboten. Aber auch dort nimmt Frauenhandel kaum ab. Es hat auch keinen großen Einfluss, wenn man Prostitution legalisiert. In Deutschland ist Prostitution ein normales Gewerbe. Auch hier findet Frauenhandel weiter statt. Man muss tiefer ansetzen als auf der gesetzlichen Ebene.

Was heißt das?
Milborn: Da landet man an den Grundfesten der Gesellschaft, etwa dem ökonomischen Ungleichgewicht zwischen Afrika und Europa. Solange der Druck so groß ist, auswandern zu müssen, hat Menschenhandel eine Chance. Zweitens bei der europäischen Migrationspolitik: Solange die Grenzen geschlossen sind und es keine legale Möglichkeit gibt, einzuwandern, haben Menschenhändler ein leichtes Spiel. Sie können sich als Helfer präsentieren. Es geht aber auch um die patriarchale Ordnung. Für Männer ist es anerkannt, viele Sexualpartnerinnen zu haben, während für Frauen eine Zweiteilung da ist. Da gibt es die guten, die Ehefrauen sind, und logischerweise muss es Zweite-Klasse-Frauen geben, die zur Verfügung stehen. Diese Zweiteilung in die Heilige und die Hure, die Ehefrau und die Schlampe sitzt sehr tief, auch wenn sie oberflächlich gesehen überwunden scheint. So gesehen wird es Prostitution als schlecht angesehenes Gewerbe geben, solange dieses Geschlechterverhältnis aufrecht ist. Nun arbeiten Frauen in Westeuropa kaum mehr im billigen Segment der Prostitution, weil sie andere Perspektiven haben. Da das System sich aber nicht geändert hat, wird dieses Segment aufgefüllt durch Frauen aus anderen Teilen der Welt. Die sind entweder ökonomisch gezwungen, oder werden gezwungen und versklavt.

Die englische Innenministerin überlegt, Freier zu bestrafen, die zu Zwangsprostituierten gehen. Gegen die Pläne hat sich sogar eine englische Prostituiertenorganisation beschwert.
Milborn: Nicht sogar, sondern natürlich sind Prostituiertenorganisationen die ersten, die gegen die Bestrafung von Freiern sind, weil es ja ihr Geschäft mit trifft. Die Bestrafung von Freiern von Zwangsprostituierten wird auch in Deutschland diskutiert. Das Ziel dabei ist, Bewusstsein zu schaffen. Man sieht am Verbot von Prostitution von Minderjährigen, dass es ein Gesetz einen bewusstseinsbildenden Effekt haben kann: Die Freier sind sehr vorsichtig, es heißt dann etwa in den Foren „Lieber Finger weg, die könnte minderjährig sein“. Das ist das Ziel solcher Vorstöße: Klarzustellen, dass Zwangsprostitution ein Verbrechen ist, und so einen Nachdenkprozess bei Freiern auszulösen. Ohne Freier gäbe es schließlich keinen Frauenhandel. Aus der Welt zu schaffen wird Frauenhandel auch durch so ein Gesetz nicht sein.

Wie ist es gekommen, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigen?
Milborn: Einerseits entstand das aus meinem letzten Buch heraus, das sich mit Migration nach Europa beschäftigt. Bei den Recherchen in Afrika habe ich gesehen, wie schwierig und gefährlich es ist nach Europa zu kommen. Es ist schwierig geworden per Flugzeug einzureisen. Viele sind daher auf dem harten Weg durch die Sahara und über das Meer unterwegs. Auf den vielen Flüchtlingsboten, die in Lampedusa oder auf den kanarischen Insel landen, sind immer wieder Betroffene von Frauenhandel. Ich habe damals gesehen, dass die Frauen andere Wege nehmen, schneller reisen und auch dass sie mehr zahlen. Ein Platz in einem Flüchtlingsboot kostet für Frauen doppelt soviel wie für Männer. Das weißt darauf hin, dass es da um Frauenhandel geht: Die Frauen sind mehr wert, weil sie in Europa Geld bringen. Der zweite Anlass war die Beobachtung, dass in Wien und in anderen europäischen Städten die Zahl von Afrikanerinnen am Straßenstrich auffällig zugenommen hat. Schließlich haben wir eine Nigerianerin kennengelernt, Joana Adesuwa Reiterer. Sie war verheiratet mit einem Nigerianer mit österreichischem Pass. Erst nachdem sie nach Österreich gekommen ist, hat sie entdeckt, dass er Frauenhändler ist. Sie hat uns viel Einblick gegeben und uns bei der Recherche unterstützt. Inzwischen hat sie einen Verein namens Exit gegründet hat, der in Wien Betroffene von Frauenhandel aus Nigeria berät.

Woher kommt Ihr Interesse und die intensive Beschäftigung mit dem Thema Menschenrechte?
Milborn: Ich frage mich eher, wie man sich nicht dafür interessieren kann. Schon im Studium habe ich mich mit Globalisierung beschäftigt, dann mit dem Thema Migration. Da stößt man dauernd auf die Frage der Menschenrechte. Es fällt auf, dass sie in Europa meist dann verletzt werden, wenn es um Migrantinnen und Migranten geht.

Welche Funktion hat die Menschenrechtszeitschrift "Liga", die Sie mitgegründet haben?
Milborn: Bei dem Thema besteht viel Bedarf an Veröffentlichung und Reflexion. Da wo große Ungerechtigkeit herrscht, gibt es auch die Notwendigkeit, sie aufzudecken. Änderungen gibt es immer nur, wenn es Wissen um die Ungerechtigkeiten gibt und die Betroffenen gehört werden. Man muss ihnen eine Plattform dafür geben.

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