Chen Kaige

Das chinesische Kino wird heute Teil des internationalen Kinos.

Der chinesische Regisseur Chen Kaige über kulturellen Wandel in China, seinen Film "Xiaos Weg" und das Vorgehen der chinesischen Zensoren

Chen Kaige

© Tobis Film

Herr Kaige, seit Ihrem Film "King of the Children" von 1987 ist Ihr neuer Film "Xiaos Weg" nun ihr erster, der sich wieder mit der heutigen Zeit beschäftigt. Warum haben Sie so lange keinen Film über die Gegenwart gemacht?
Kaige: Das weiß ich nicht. Ich denke, ich bin ein Regisseur, der sich immer von seinem Instinkt leiten lässt. Natürlich ist ein Grund, dass ich deprimiert war dadurch, dass die traditionelle chinesische Kultur verschwunden ist, insbesondere in den letzten 60 Jahren. Das macht mich traurig und so habe ich mich entschieden, Filme über die Zeit zu machen, in der diese Kultur noch existiert hat. Meine Sichtweise hat sich aber in den letzten Jahren sehr verändert, weil ich in der chinesischen Gesellschaft ein paar sehr interessante Veränderungen beobachte. Ich bin aber auch kein Richter, kein Lehrer, ich will den Leuten nicht erklären, was ich mag und was ich nicht mag. Vielmehr will ich den Leuten erzählen, was ich gesehen habe. Viele interessante Dinge sind passiert, aufregende Dinge.

Sie leben in Peking, wie erleben Sie dort die angesprochenen Entwicklungen?
Kaige: Manche Entwicklungen sind sehr gut, aber man sieht in Peking natürlich, wie schnell die Stadt wächst, es wird viel gebaut, es gibt mehr Autos, mehr Menschen. In einer Stadt wie Bejing gibt es 2,8 Millionen Autos — das ist zu viel. Jeden Tag gibt es Stau, die Umweltverschmutzung nimmt zu. Andererseits hat man in ein gutes Gefühl, in so einer großen Stadt zu leben, weil die Vielfalt an Kultur wächst — das macht Spaß. Aber man ist auch traurig, weil viel von unserem alten Lebensstil verschwindet. Das friedliche Leben ist vorüber.
Ich wurde in Beijing geboren, ich bin dort aufgewachsen, ich weiß, wie wunderbar diese Stadt einmal war. Unsere Vorfahren haben 600 Jahre gebraucht, um diese Stadt zu erbauen — und über Nacht ist diese Schönheit verschwunden. Man betrachtet das also alles mit gemischten Gefühlen.

In "Xiaos Weg" kommt ein junger Geigenvirtuose vom Land in die Großstadt, wo er auf den neuen Kapitalismus stößt, auf Konkurrenzkampf — wollten Sie mit der Geschichte auf diesen Konflikt zwischen alt und neu hinweisen?
Kaige: Also, es ist immer mein Ziel, das moderne China zu repräsentieren, egal ob dieses China gut aussieht oder schlecht. Ich will nicht urteilen. Natürlich habe ich dazu auch meine persönliche Meinung. Es ist in diesem Film aber nicht der Konflikt zwischen dem alten und dem neuen China, sondern es geht darum, wie der Junge auf die Erwachsen trifft, die ihre eigenen Probleme haben, sie leiden, hassen, lieben. Aber dieser Junge ist so unschuldig, er kommt in die Stadt mit seiner Geige und er hat mit seiner Musik die Kraft, das Leben einiger Leute zu verändern. Dieser Junge ist ein wenig wie die Sonne, die in das Leben der Erwachsenen hineinscheint. Ich sehe ihn auch als Rebell in der Gesellschaft, der die Werte der Moderne ignoriert, der seine eigene Vorstellung von Musik, von der Liebe hat. Aber die Realität der Gesellschaft verändert auch ihn mit der Zeit, insofern habe ich letztendlich auch für ihn keine Hoffnung.

Sind oder waren Sie selbst ein Rebell?
Kaige: Ja, ich denke schon, dass ich ein Rebell war, ich habe davon geträumt, alles zu verändern, wie viele in meiner Generation. Ich teile meine Vorstellungen von früher jetzt mit diesem Jungen. Aber wenn Sie mich heute angucken (lacht): ich habe meinen Traum verloren, die Zeit hat auch mich verändert. Bernardo Bertolucci dreht ja im Moment einen Film mit dem Titel "The Dreamers" — ein wunderbarer Titel. Meine Generation, ja, wir waren wirklich Träumer.

Hat Sie denn diese Desillusion dazu gebracht, im Film die Rolle desjenigen Geigenprofessors zu übernehmen, der der strengere ist, der verbittertere, der aber selbst vielleicht ein Träumer war, aber dann von der Realität eingeholt wurde?
Kaige: Richtig, der Professor, den ich spiele, ist einer, der einmal geträumt hat, der früher begeistert war von Musik und seiner Wirkung. Heute spricht er aber nur noch über Erfolg, Erfolg, Erfolg.
Früher, da ging ich zur Schule mit Leuten, die etwas älter waren als ich, von denen ich dachte, sie würden die Welt in die Hand nehmen und alles verändern. In den letzten Jahren habe ich diese Menschen wiedergetroffen und war sehr enttäuscht. Heute sind sie Konzernvorsitzende, CEOs und so weiter. Das hasse ich, so was sind Lügner für mich, sie betrügen die Leute und dabei sind sie noch so stolz auf sich.

Es geht in "Xiaos Weg" und vielen Ihrer anderen Filme vor allem um die Musik. Sie selbst hatten in Ihrer Jugend nicht wirklich Zugang zur Musik, haben sich klassische Musik nur in geheimen, versteckten Räumen anhören können, weil sie verboten war. Welche Bedeutung kommt der klassischen Musik in China heute zu?
Kaige: Es ist schon so, dass einige amerikanische Plattenfirmen China inzwischen als einen großen zukünftigen Markt sehen, weil sie sagen, das Interesse an westlicher klassischer Musik im Westen geht zurück, in China hingegen wächst es. Ich denke, der Grund für das wachsende Interesse ist, dass die Chinesen durch diese Musik etwas erleben, was sie früher nicht hatten, und ich will besonders betonen, dass diese Musik für die Menschen eine Art Schutz darstellt, der verhindert, dass die Menschen bösartig werden. Aufgrund der Erfahrungen, die ich selbst mit dieser Musik gemacht habe, bin ich sehr überzeugt davon, dass wir diese Musik brauchen, besonders heute.

Ihr Regie-Kollege und früherer Kameramann Zhang Yimou hat vor kurzem in Deutschland in einem Interview gesagt, er würde nie einen Film im Westen machen, sondern nur chinesische Filme machen wollen. Was denken Sie darüber? Sie haben ja mit "Kiling me Softly" bereits eine Produktion im Westen hinter sich.
Kaige: Ich denke, man kann heute keinen reinen chinesischen Film mehr machen. Denn heute ist China ein Teil der Welt geworden. Wenn Zhang Yimou das so möchte, warum gibt er dann einem europäischen Journalist überhaupt ein Interview? Für mich ist klar, das chinesische Kino wird zu einem Teil des internationalen Kinos. Auch die Sprache ist da nicht mehr entscheidend, du kannst einen Film in chinesischer Sprache machen, der aber eine internationale Geschichte erzählt.
Ich finde, wir sollten auch immer versuchen, die Filme zu machen, die wir machen wollen. Auch wenn ein Film hier und da vielleicht missverstanden werden könnte — du musst dir im Klaren darüber sein, was du willst.

Einige Ihrer Filme wurden in China vom Staat abgelehnt und nicht in die Kinos gebracht. Wie ist es Ihnen mit "Xiaos Weg" ergangen?
Kaige: Der Film kam Ende letzten Jahres in die chinesischen Kinos und wurde sehr gut aufgenommen. Die Leute fühlen sich mit den Figuren sehr vertraut, weil sie ähnliche Probleme haben. Und die Leute haben angefangen, über eine Thematik des Films nachzudenken: wir haben heute mehr Geld — warum sind wir nicht glücklich? Was ist unser Ziel?

Was können Sie momentan zur Zensur in China sagen?
Kaige: Ich habe mich darüber schon mit vielen Kollegen unterhalten und ich finde, die Zensur ist die größte Einschränkung für chinesische Filmemacher. Ich hoffe wirklich, dass wir eines Tages von der Zensur befreit sind.

Wie läuft denn diese Zensur ab, wo setzen die Zensoren an?
Kaige: Wir müssen zuerst das Drehbuch einreichen, bevor wir anfangen zu drehen. Und wenn der Film fertig ist, dann sind die Zensoren die ersten, die den Film zu sehen bekommen. Da darfst du auch nicht mit dabei sitzen, wenn die sich deinen Film angucken, ganz einfach, weil sie mit dir erst gar nicht diskutieren wollen. Die wüssten auch gar nicht, wie sie mit dir diskutieren sollten. Das sind ja keine Filmemacher und eine Konfrontation wollen die natürlich vermeiden. Am nächsten Tag erhältst du dann schriftlich, welche Teile rausgeschnitten werden sollen und dem musst du Folge leisten.

Wie war das bei "Lebewohl meine Konkubine", für den Sie in Cannes 1993 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurden?
Kaige: Auch bei dem Film haben sie mich gebeten, Teile herauszuschneiden. Aber da habe ich geantwortet: "Ich glaube, das kann ich nicht." Und dann ist es interessant zu beobachten, wie diese Zensoren einen Film schneiden. Für die ist das ungefähr so etwas, als würden Sie einem Menschen die Haare schneiden. Aber, wenn man bei dem Vergleich bleibt, die Zensoren schneiden dem Menschen nicht nur die Haare ab, sondern gleich den ganzen Kopf.
Was ich bei der Zensur nicht verstehe, ist zweierlei: Warum sollte ein guter Film die soziale Stabilität eines Landes gefährden können? Und warum bekommen diese unprofessionellen Leute das Recht, professionellen Filmemachern zu sagen, wie sie einen Film zu drehen haben? — Aber natürlich wird niemand diese Fragen beantworten.

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