Bosse

Der Weg war oft ziemlich steinig

Sänger Bosse über das Leben als Musiker und Vater, die Vergänglichkeit des Lebens, den langen Weg zum Erfolg und einen Wohnwagen an der Elbe

Bosse

© Patrick Wamsganz

Bosse, die Tour zu deinem aktuellen Album „Wartesaal“ musste Ende November 2011 aufgrund einer akuten Kehlkopfentzündung überraschend unterbrochen werden. Derzeit holst du sechs abgesagte Konzerte nach. Wie geht es dir heute?
Bosse: Super! Ich bin wieder kerngesund. Im November haben wir uns alle gegenseitig angesteckt, die halbe Crew war krank. Es dürfen ja alle krank werden, nur nicht der Sänger. Ich habe noch zwei, drei Konzerte durchgezogen, aber dann hat der Arzt gesagt: „Alter, lass es einfach, sonst machst du dir dein halbes Leben kaputt!“. Dann habe ich die Tour unterbrochen, nicht mehr geraucht und war nach eineinhalb Wochen auch wieder fit.

Für einen Sänger ist eine Kehlkopfentzündung sicherlich der Worst Case. Wie bist du damit umgegangen?
Bosse: Das ist wirklich das Blödeste was passieren kann. Wir hatten in Leipzig schon alles aufgebaut und die ersten Leute waren unterwegs zur Halle. In so einem Moment das Konzert absagen zu müssen, das war schon bitter. Aber auf der anderen Seite ist es auch einfach menschlich. Es gibt andere Bands, die super oft abbrechen müssen, aber das gab es bei uns vorher noch nie. Ich glaube, ich muss einfach ein bisschen mehr auf mich achten, mehr pennen und so.

Bist du ein Mensch, der sonst nicht so sehr auf seine Gesundheit achtet?
Bosse: Doch, ich mache jeden Tag Sport und versuche so oft wie möglich in die Sauna zu gehen. Wir haben auch immer so ein paar Fitness-Utensilien im Tourbus und die ganze Crew ist mit am Start. Das ist ganz geil. Außerdem verausgabe ich mich auf einer Tour auch jeden Abend zwei Stunden auf der Bühne und schwitze auch so viel aus. Aber ich bin jetzt kein Gesundheitsfanatiker oder so. Das ist alles noch im Rahmen.

Hier in Hannover sind es jetzt noch zwei Stunden bis zu deinem Auftritt. Wie aufgeregt bist du kurz vor dem Konzert?
Bosse: Wenn ich ehrlich bin, gar nicht. Es gibt schon Konzerte, wo im Vorfeld so ein positiver Druck auf allen Beteiligten lastet, aber heute wird es ein Konzert wie jedes andere. Ich spüre momentan eher Vorfreude als Aufregung.

Die Konzerte und das Leben als Musiker sind mittlerweile zur Routine geworden?
Bosse: In meiner Anfangszeit konnte ich drei Wochen vor einem Konzert schon nicht mehr richtig schlafen. Das hat sich extrem normalisiert. Heute sind es eher so die letzten zehn Minuten vor dem Konzert. Da werde ich dann schon sehr hibbelig und will endlich raus auf die Bühne.

Du bist mittlerweile Vater einer kleinen Tochter. Beim Soundcheck standet ihr eben gemeinsam auf der Bühne. Ist sie bei allen Auftritten dabei?
Bosse: So im Rahmen der Möglichkeiten. Jetzt auf der Herbsttour war sie bei einigen Konzerten dabei, zusammen mit einer Nanny. Sie ist mit dem Tourbus mitgefahren, das fand sie schon super. Heute habe ich außerdem Geburtstag, meine Familie und Freunde aus Braunschweig sind gekommen und da darf sie natürlich auch nicht fehlen.

Wie nimmt deine Tochter deinen Beruf als Musiker und die Umgebung auf den Konzerten wahr?
Bosse: Das ist alles ziemlich normal für sie, sie war ja schon als Baby dabei. Sie ist immer noch so ein bisschen aufgeregt und will auf der Bühne alle Instrumente ausprobieren, aber eigentlich gehört das für sie so dazu, also dass ich verreise, auf der Bühne stehe.

Was ist dir in der Erziehung besonders wichtig?
Bosse: Ich glaube, dass Liebe echt das Wichtigste ist, also dass du deinem Kind Nestwärme und ein extremes Vertrauen geben kannst. Das wird in der Pubertät dann eh wieder durchbrochen, aber dafür wird man, wenn das Kind zwanzig Jahre alt ist, auch wieder belohnt. Es ist schon faszinierend so ein Kind aufwachsen zu sehen.

Wie würdest du dich als Vater beschreiben?
Bosse: Ich glaube, ich bin ein ganz normaler Vater – ein Vater, der mal gut und mal schlecht gelaunt ist, der mal streng und mal albern ist, ganz normal eben. Ich bin auch zu Hause voll der Hausmann. Meine Frau arbeitet sehr viel, ist viel unterwegs und dann koche und bügle ich auch. Das macht mir gar nichts aus. Mir macht das Spaß. (lacht)

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Ich glaube, ich muss einfach ein bisschen mehr auf mich achten, mehr pennen und so.

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Ein Kind aufwachsen zu sehen, bedeutet auch, sich der eigenen Vergänglichkeit stärker bewusst zu werden…
Bosse: Ja klar, aber der Vergänglichkeit wird man sich ja auch so immer wieder bewusst. Ich bin jetzt 32, alle meine Freunde sind über 40 – da bleibt das nicht aus, auch körperlich und so. (lacht) Aber, das stimmt schon. Das Kind wächst und gedeiht und die Jahre gehen ins Land. Das ist aber auch vollkommen okay. Das gehört halt zum Leben dazu.

Eltern erzählen oft, dass sie durch ihr Kind die Welt mit anderen Augen sehen, Gewohntes wieder neu entdecken. Geht dir das auch so?
Bosse: Auf jeden Fall. Allein schon die vielen Fragen, die so ein Kind stellt. Meine Tochter interessiert sich sehr für Meeressäuger, und das ist echt nicht mein Spezialgebiet: „Was ist das für ein Wal? Wie viele Kinder bekommt der?“ – solche Fragen halt. Ohne Google wäre ich da oft hilflos verloren. (lacht) Und auch sonst verändert ein Kind einiges. Mein Leben hat eine ganz neue Qualität bekommen und auch die Musik macht mir viel mehr Spaß, seitdem sie da ist. Früher war ich sehr viel unterwegs, aber hatte keinen wirklichen Platz, an den ich nach einer Tour gerne zurückgekommen bin. Heute freue ich mich nach schönen Konzerten nach Hause zu kommen und meine Tochter zu sehen. Dieses Gefühl von Heimat genieße ich.

In Songs wie „Weit weg“, „Nach Haus“ und „Wartesaal“ auf deinem aktuellen Album geht es ja sehr oft um Heimat, darum seinen Weg zu finden, sich selbst ins Verhältnis zur Welt zu setzen. Du scheinst ein Mensch zu sein, der sein eigenes Leben sehr genau reflektiert…
Bosse: Das spielt schon eine große Rolle bei mir, ja. So ein Album steht jetzt aber nicht stellvertretend für die Erlebnisse der letzten zwei Jahre. Ganz viel Zeugs auf „Wartesaal“ war als  Idee auch schon da, als ich 18 Jahre alt war. Aber die Texte geben meine Gedankenwelt schon ganz gut wieder. Da ist vieles von dem drin, was mich so berührt und umtreibt. Und das hat halt oft mit Selbstfindung und dieser Reise des Lebens zu tun.

Auch deine bisherige Musikkarriere wirkt wie eine Reise mit zahlreichen Zwischenstopps und Neuanfängen. Mit 17 bekamst du mit deiner Schülerband „Hyperchild“ einen Vertrag bei Sony Music, zwei Jahre später löste sich die Band auf. Nach zwei Soloalben verlorst du deinen Plattenvertrag bei EMI und hast dein drittes Soloalbum „Taxi“ in Eigenregie herausgebracht. Heute bist du bei Universal unter Vertrag…
Bosse: Ich sehe das als totalen Vorteil, wie das alles gekommen ist. Ganz viele Bands sind schon mit ihrem ersten Album total am Start, bekommen Gold für 100.000 verkaufte Platten und spielen in ausverkauften Hallen. Die haben dann aber auch nur 13 Songs im Gepäck, haben noch keine große Live-Erfahrung und sind schnell überfordert. Ich war damals mit 17 ja genauso überfordert, als wir mit „Hyperchild“ anfingen. Natürlich wäre es schön gewesen, etwas früher großen Erfolg zu haben, also vielleicht etwas mehr als 3000 Exemplare vom ersten Soloalbum zu verkaufen, aber das war halt so. Der Weg war schon oft ziemlich steinig.

Welche Gedanken gehen einem dann durch den Kopf?
Bosse: Du überlegst, ob du nicht doch noch eine Ausbildung anfängst, also ob die Musik wirklich das Richtige ist. Im Endeffekt habe ich durch diesen langen Weg aber auch gemerkt, was ich wirklich will. Meine Band und ich sind jetzt seit so vielen Jahren gemeinsam unterwegs, das schweißt zusammen. Den jetzigen Erfolg haben wir uns über die Jahre fleißig erspielt. Als wir unsere ersten Auftritte spielten, waren da vielleicht 10 Leute, heute sind es eben auch mal ein paar tausend Menschen. Wir wissen das aber wirklich zu schätzen, wohingegen andere Bands das vielleicht als selbstverständlich ansehen, weil sie es von Anfang so gewöhnt sind.

Hast du heute das Gefühl angekommen zu sein?
Bosse: Schon irgendwie, aber auf der anderen Seite hat sich auch gar nicht so viel verändert. Wir sind immer noch der selbe Haufen. Den Bus, in dem wir schlafen, müssen wir nicht mehr selber fahren, aber ansonsten unterschieden sich die Tage nicht von den Tagen, die wir früher hatten, als wir alleine über die A7 getingelt sind. Wir machen das immer noch, weil es Bock bringt auf der Bühne zu stehen und den ganzen Tag miteinander zu verbringen.

Du wohnst derzeit in Hamburg-Blankenese, ein Stadtteil, der vor allem für seine reichen Bewohner bekannt ist. Spiegelt sich das Angekommen sein auch in der Wohnsituation wieder?
Bosse: Ich bin ja eigentlich ein Dorfkind aus der Nähe von Braunschweig. Und mein Traum war es immer zwar in einer großen Stadt, aber trotzdem in einer schönen Umgebung zu wohnen. Das hast du in Blankenese. Wir wohnen da aber eher so in der Eastside, also da steht dann nicht der Porsche Cayenne in der Einfahrt, mit dem die reiche Mutti durch die Gegend fährt. Wir sind nicht von Villen und bewachten Anwesen umzingelt.

Auf deiner Homepage ist zu lesen, dass das Album „Wartesaal“ im Wesentlichen in einem 70er Jahre Wohnwagen an der Elbe entstanden ist, mit Blick aufs Wasser. Das klingt nicht schlecht…
Bosse: Wir haben mit der Familie einen Campingwagen an der Elbe, auf so einem Öko-Campingplatz. Von April bis Oktober kannst du da deinen Wagen stehen haben, direkt am Wasser, sieht aus wie in Frankreich. (lacht) Für dieses Album habe ich einfach einen Platz gebraucht, an dem ich meine Ruhe habe, an dem ich Sachen fertig machen kann und vor allem keinen Handyempfang habe. Das alles das traf auf diesen Ort zu.

Wie wichtig ist die Umgebung, um einen guten Song zu schreiben?
Bosse: Um Songs schreiben zu können, ist es eigentlich ganz egal wo ich bin. Entweder es kommt was, oder halt nicht. Es würde mir nichts bringen nach New York zu fahren, die Skyline anzugucken, um dann auf einen tollen Song zu warten. Der kommt dann eh nicht, das klappt nicht. Das habe ich schon oft genug probiert. Eine gute Nummer kommt dann eher so um 08.45 Uhr, wenn man gerade geduscht hat, am Klavier vorbeiläuft, sich hinsetzt und loslegt. Aber um die Songs wirklich fertig zu machen, braucht man vor allem Ruhe. Das ist eine reine Fleißarbeit, wirklich konzentriert an den Texten zu feilen. Das hat an der Elbe sehr gut geklappt.

Viele Künstler erzählen ja, dass das Schreiben von Songs und Texten vor allem ein Handwerk ist…
Bosse: Ja, das stimmt auch. Meistens habe ich abends Ideen, die ich dann auch sofort festhalte. Am nächsten Tag, wenn die Idee etwas gesackt ist, bin ich von 9 bis 17 Uhr damit beschäftigt Schlagzeuge zu programmieren, Sounds zu finden und andere Sachen zu machen. Oft wird dann aus der Idee vom Vorabend aber wieder was ganz anderes. (lacht) Natürlich gibt es auch Songs, die du in zehn Minuten runterschreibst und dir denkst: „Wie geil ist das denn! Wenn das immer so wäre, könnte ich tausend Songs im Jahr schreiben!“. Aber es ist leider nicht so. Das wäre zu schön. (lacht)

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