Annette Dasch

Mich hat niemand konzipiert. Außer vielleicht der liebe Gott.

Opernsängerin Annette Dasch über Kritiker und Publikum, nebulöse Engagements, Schutzmechanismen und warum sie keine Programmhefte sammelt

Annette Dasch

© Daniel Pasche

Frau Dasch, verfolgen Sie, was Kritiker über Sie schreiben?
Dasch: Nein.

Warum nicht?
Dasch: Zum einen aus Zeitmangel… – zum anderen scheue mich ein bisschen davor.

Wovor konkret?
Dasch: Dass ich mich darüber aufregen muss. Ich nehme gerne wahr, was die Leute mir direkt sagen. Ein Publikum, wie es im Saal applaudiert, oder Zuschauer, die hinterher zu mir kommen. Aber was sonst so geschrieben wird, da habe ich das Gefühl, dass ich daran sowieso nichts ändern kann und dass es da auch nicht lohnt, Stellung zu beziehen. Sollen die doch schreiben, was sie möchten.

Lesen Sie Artikel über die Kollegen?
Dasch: Auch äußerst selten. Weil mir ist völlig klar, Journalismus ist auch ein Geschäft, und das ist nicht…

…objektiv?
Dasch: Nein, es kann auch nicht objektiv sein. Gerade Kunst ist ja nichts, was man objektiv bewerten kann. Meiner Meinung nach ist Kunst auch gar nicht dazu da, dass man sie beurteilt, sondern dass man sie wahrnimmt.

Dann wären Musik-, Film- und Kunstkritiker arbeitslos.
Dasch: Natürlich verstehe ich, dass Journalisten auch dazu da sind, genau das zu tun. Aber mich muss das nicht wirklich interessieren. Weil es nicht wiedergibt, ob ein Kunstwerk die Menschen, für die es gedacht ist, erreicht hat oder nicht.

Wie hoch schätzen Sie denn den Einfluss des Feuilletons auf den Opernbetrieb ein?
Dasch: Keine Ahnung.

Ob davon Karrieren abhängen…
Dasch: Glaube ich nicht. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich das alles für Schwachsinn halte, ich glaube sogar, dass letztlich das, was geschrieben wird, in der Menge zusammengenommen und filtriert ein relativ realistisches Bild eines Künstlers wiedergibt.
Nur, wenn man die guten Kritiken glaubt, dann muss man die schlechten auch glauben. Und da habe ich oft das Gefühl: Wenn jemand verrissen wird, ist das viel seltener objektiv. Da frage ich mich immer: Was hat der Sänger diesem armen Kritiker getan, warum schreibt der mit giftiger Feder so etwas Gemeines? Warum schreibt der über das Doppelkinn meines Kollegen? Diese Boshaftigkeit kann ich nur schwer ertragen, weil ich weiß, dass keiner von uns in seiner Darstellung auf der Bühne boshaft ist. Sondern man steht da, ist irgendwie ausgesetzt – das kostet ja auch ganz schön viel Mut, sich da hinzustellen. Wie sich da manche Leute angegriffen fühlen können, verstehe ich nicht.

Gab es denn auch Ihnen gegenüber boshafte Worte?
Dasch: Nein, ich glaube nicht. Ich mag es natürlich schon ganz gerne, wenn die Leute mich eher sympathisch finden.

Bei Ihnen war im Zusammenhang mit Ihren Auftritten bei den Salzburger Festespielen und Ihrem Vertrag mit Sony/BMG oft vom „Durchbruch“ zu lesen.
Dasch: Das ist ein Wort, was ich absolut merkwürdig finde. Da muss ich immer an „Blinddarm-Durchbruch“ oder Ähnliches denken. Und in Zusammenhang mit einem Künstler finde ich das Wort eigentlich fast einen Affront. Weil: Man wird nicht über Nacht zum Künstler. Das gibt es nicht. Wir arbeiten alle permanent, singen permanent irgendwo Premieren, Konzerte mit schwerem Zeug… Das Schöne daran ist, dass das nie die ganze Welt wahrnimmt, sondern eben nur die 2000 Leute, die an dem Abend im Saal sind. Und ob das für die ein „Durchbruch“ ist, dass die Decke sich öffnet und sie den Himmel sehen – das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Aber was ein Durchbruch für einen Künstler sein soll, ist mir völlig schleierhaft. Eigentlich hat man den doch schon in dem Moment, wo man sich auf die Bühne begibt. Da hebt man sich ja schon von der Masse ab, stellt sich hin und singt. Das ist doch schon durchgebrochen genug.

Aber erst seit kurzem liest man von der „jungen Starsopranistin“ Annette Dasch.
Dasch: Aber ich habe mich ja nicht verändert, ich singe nicht auf einmal besser als früher. Auch nicht an berühmteren Orten: Ich habe schon an der Scala gesungen, da hat auch niemand von „Durchbruch“ gesprochen, obwohl es sehr gute Kritiken gab. Das hat mich auch nicht gestört. Aber dieses Durchbruch-Ding stört mich jetzt. Wohin bin ich denn jetzt durchgebrochen?

Salzburg ist zum Beispiel ein Ort, wo viele sagen, dass es nach dem Debüt nur noch bergauf geht.
Dasch: Aber es ging bei mir auch vorher schon bergauf. Es hat sich höchstens verändert, dass es jetzt ein größeres öffentliches Interesse gibt. Dass ich jetzt auf einmal Interviews gebe, was ich vorher selten gemacht habe. Wenn man das als „Durchbruch“ bezeichnen mag, bitte.

Es wird auch geschrieben, Ihre Plattenfirma würde Sie als Gegenfigur zu Sängerinnen der Deutschen Grammophon, zum Beispiel Anna Netrebko, positionieren. Glauben Sie, es gibt solche Überlegungen seitens Ihrer Plattenfirma?
Dasch: Nein. Als Sony auf mich zugekommen ist mit einem Vertrag habe ich gleich gesagt, dass ich das nicht mache. Ich würde mich nicht an Anna Netrebko orientieren, das gleiche machen wie sie und dann vielleicht auch noch 10 Kilo abnehmen, um so auszusehen wie ein Model, dann die Haare ganz blond, damit ich eine Art Gegentyp bin… Das würde ich nicht können und vor allen Dingen gar nicht wollen.

Aber das Plattenfirmen solche Gegenentwürfe konzipieren…
Dasch: Mich hat niemand konzipiert. Außer vielleicht der liebe Gott. Ich bin sehr selbstbestimmt, ich habe kein Mediencoaching gemacht, ich bin auch nicht das Produkt meiner Plattenfirma. Dass mein Debüt-Album eine Konzeptplatte war, das ist auf meinem Mist gewachsen. Wahrscheinlich hätten die es lieber gehabt, ich hätte mehr Repertoire aufgenommen, was sich besser verkaufen lässt. Aber sie haben sich drauf eingelassen. Das rechne ich denen hoch an.
Ich könnte mich nicht zu irgendeinem Image stilisieren lassen. Es gibt nur den Fakt, dass die Deutsche Grammphon Anna Netrebko als junge Sopranistin hat, und die Sony mich. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt gegeneinander antreten. Das Plattengeschäft ist ja auch nur ein sehr kleiner Teil von dem, was wir machen. Der andere Teil spielt sich in Theatern und Konzertsälen ab. Und da kann ich Ihnen versichern, dass kein Operndirektor überlegen wird, nach dem Muster: Wir machen jetzt die Oper XY, da könnten wir entweder Frau Dasch oder Frau Netrebko besetzen. Weil wir singen überhaupt nicht das gleiche Fach. Wir haben glaube ich eine einzige Rolle, die sich vom Repertoire überschneidet.

Spielen Plattenverkäufe bei der Besetzung für eine Oper eine Rolle?
Dasch: Das ist sehr nebulös. Man weiß eigentlich nie, wie das zustande kommt, dass man irgendwo engagiert wird, oder nicht. Aber ich glaube, dass die Operndirektoren solche Sachen sehr autark entscheiden. In Amerika könnte das anders sein, weil es dort keine staatlichen sondern private Veranstalter sind und die viel mehr darauf angewiesen sind, dass sie Prominenz ans Haus holen. Aber ich denke, dass man Leute wie Jürgen Flimm unterschätzt, wenn man ihnen unterstellt, sie würden nach Popularität oder Plattenvertrag ihre Leute besetzen.
Im Gegenteil, ich weiß es von manchen Dirigenten, dass die sagen: „Wenn die jetzt von ihrer Plattenfirma so sehr gepusht wird, engagiere ich die erst mal gleich gar nicht.“

Nebulös heißt, Sie wissen zum Beispiel nicht, warum man Sie bei den Salzburger Festspielen als „Armida“ engagiert hat?
Dasch: Nein. Ich reibe mir das ein bisschen zusammen. Vermutlich werden die Frau Bartoli (Sopranistin Cecilia Bartoli; Anm. d. Red.) gefragt haben, die entweder keine Zeit gehabt hat, oder die Partie ist ihr live zu heikel. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass man nicht immer erste Wahl ist. Die müssen sich das ja auch überlegen dürfen: Wenn ein Sänger in eine bestimmte Konstellation nicht passt, müssen die ihn nicht engagieren, nur weil er berühmter ist, als ein anderer Sänger.

Zitiert

Warum schreibt ein Kritiker über das Doppelkinn meines Kollegen? Diese Boshaftigkeit kann ich nur schwer ertragen.

Annette Dasch

Man wird auch besetzt, ohne dass man jemals mit einem der Verantwortlichen persönlich gesprochen hat?
Dasch: Klar, das läuft alles über die Agentur. Also, jemand wie die Frau Eva-Maria Wieser, die für die Salzburger Festspiele besetzt, verbringt sehr viel Zeit damit, rumzureisen. Die müssen die Sänger natürlich live erleben. Und wenn sie interessiert sind, fragen sie dich: Könntest du dir vorstellen, dies und das in dem oder dem Jahr zu singen?
Oder meine Agentur macht die Leute auf mich aufmerksam. Also, entweder man wird gefragt, oder man bietet sich an – das gibt es immer beides.

Wie hat Ihnen denn das Publikum in Salzburg gefallen? Es ist ja eine ziemlich noble Gesellschaft…
Dasch: Das kann schon sein. Aber das ist mir ganz egal. Hauptsache sie kommen. Außerdem glaube ich, dass auch die dorthin kommen, weil sie Musik hören oder einen Theaterabend erleben wollen.
Klar, es wird immer auch Leute geben, die man nicht erreicht, die sich in einer Aufführung langweilen, die heimlich mit ihrem Handy hantieren oder die knutschen. Aber ob das jetzt etwas mit reich oder arm zu tun hat? Ich denke, das ist gemischt. Ich finde es auch ungerecht, als Künstler sein Publikum zu bewerten. Wenn jemand sagt: „Ich will aber nur vor Arbeitern und Gebildeten singen“ – das ist Quatsch. Musik hat einfach einen absoluten Wert. Und wer da zuhören will, der darf gerne zuhören.

Was in Salzburg aufgrund der hohen Kartenpreise nicht jedem vergönnt ist.
Dasch: Man gibt sehr viel Geld dafür aus, das ist mir total bewusst. Und natürlich ist das irgendwie ungerecht. Andererseits: Wenn die Karten nicht so teuer wären, dann würde die Qualität des Festivals darunter leiden. Weil Salzburg ist einfach der Ort, an dem man so lange proben darf, wo an keiner Stelle gespart wird. Wenn da mal ein Kostüm verworfen wird, weil es einfach nicht mehr ins Konzept der Inszenierung passt – gut, dann tut es der Kostümchefin vielleicht weh, aber es wird sofort ein neues Kostüm genäht. Keine Frage.
Klar ist es durch die hohen Kartenpreise in gewisser Weise elitär, aber das ist doch überall so: Alles was begehrt ist, gibt es nur für eine begrenzte Anzahl von Menschen. Wie viele Leute sind denn 2006 zur Fußballweltmeisterschaft nicht in die Stadien gekommen?

Finden Sie, dass das Opernpublikum generell ein sehr Spezielles ist?
Dasch: Ich habe im Moment das Gefühl, dass Oper wieder sehr en vogue ist, dass sich immer mehr junge Leute dafür interessieren und hingeben.
Aber es gibt so vieles auf dieser Welt. Die einen züchten Tauben, andere gehen auf Jazz-Konzerte, es gibt Leute, die machen einen Segelschein – und dann gibt es welche, die gehen in die Oper. Natürlich würden wir uns wünschen, dass es mehr Leute gibt, die sich dafür interessieren. Aber dem kann man nicht anders begegnen, als dass man einfach immer wieder versucht, seinen Beruf mit großer Qualität und großem Einsatz zu machen.

Sie sagten vorhin, es koste sehr viel Mut, sich auf die Opernbühne zu stellen. Wird man in der Ausbildung auf diese Exponiertheit in irgendeiner Weise vorbereitet?
Dasch: Nein, dafür gibt es keine Vorbereitung. Das muss man einfach selber schaffen.

Wie waren Ihre ersten Erfahrungen diesbezüglich?
Dasch: Ich habe immer schon viel gesungen, während des Studiums Konzerte mit Jugendorchestern, in Kirchen usw. Ich habe mich sukzessive an die Aufführungssituation gewöhnen können.

Und die erste Opernpartie?
Dasch: Die hatte ich im Saalbau Neukölln. Und als ich danach in Bonn auf der Bühne stand war das kein großer Unterschied mehr. Das ist halt Bühne, Graben, Publikum, Kollegen.
Aber Nervosität und Auftrittsangst, das ist unter uns Sängern sowieso ein waberndes Mysteriosum, da muss jeder für sich selber rausfinden, wie er damit umgeht. Manchmal schlägt es einen von hinten nieder und manchmal merkt man überhaupt nichts.

Glauben Sie, die Exponiertheit auf der Bühne beeinflusst den Charakter eines Opernsängers?
Dasch: Ich glaube, man hat in diesem Beruf die unwahrscheinlich große Chance, wenn man alles bewusst durchlebt und sich keinerlei Schutzmechanismen aufbaut, mit seiner Selbstfindung und der Ausbildung des Charakters unglaublich weit zu kommen, im positivsten Sinne. Was man zum Beispiel lernt, und was vor allem wir lernen müssen, ist, mit Vergänglichkeit umzugehen. Weil das, was wir machen, ist immer nur ganz kurz da. Wir machen „laaa“ – und dann ist es vorbei. Niemand kann das festhalten, wir schaffen nichts für die Ewigkeit. Man trifft mit vielen verschiedenen Leuten zusammen, hat eine tolle Zeit, musiziert zusammen, erlebt die intensivsten Augenblicke miteinander, man bringt dieses Kind von einer Opernproduktion zur Welt – und hinterher verstreut man sich wieder in alle Richtungen. Dieses immer wiederkehrende Auflösen…

Das muss man lernen?
Dasch: Man muss lernen, damit umzugehen und es positiv für sich zu verwerten. Dass man sich immer wieder angreifbar macht, sich als Sänger immer wieder hinterfragen muss und immer wieder neu in eine Situation reingeht. Dass man eben nicht gelangweilt auf die Bühne geht und nur Routine macht, sondern immer wieder von neuem mit Frische und Freude – ich glaube, dann kann man über sich selber unglaublich viel lernen und kann sehr weit kommen. Daran kann man als Mensch unglaublich reifen.

Dennoch wird Opernsängern nicht selten eine gewisse Arroganz nachgesagt.
Dasch: Ja, aber das sind glaube ich diejenigen, die an genau den Fragen scheitern. Die Schwierigkeiten haben, das als Chance zu begreifen. Die sagen: „Mist, jetzt singe ich morgen schon wieder in einer anderen Stadt“. Klar, der Beruf ist sehr aufreibend und ich kann es wirklich gut verstehen, ist, wenn Leute sich bestimmte Schutzmechanismen aufbauen. Und manchmal artet das dann in Großkotzigkeit und Arroganz aus.
Was dem zugrunde liegt ist diese permanente Unsicherheit, mit der wir leben müssen. Dass man nie weiß: Ist es gleich zu Ende? Ist das Publikum mir wohlgesonnen? Halte ich dem stand? Bin ich gut genug, letztlich? Mögen mich die Menschen? Klingt meine Stimme schön? Das ist ja auch eine beschissene Tatsache, dass wir immer mit unserer Stimme rumlaufen müssen. (lacht)
Natürlich kann das alles den Charakter negativ beeinflussen, wenn einem diese Unsicherheit zur Last wird. Aber diese Gefahr kann im Gegenteil auch eine Chance sein. Man kann am Ende mit 60 rausgehen und sagen: „Ich bin erleuchtet.“

Das Divenhafte jedenfalls basiert Ihrer Erfahrung nach allein auf Schutzmechanismen.
Dasch: Ja, eindeutig.

Nicht auf Stolz und hoher Selbsteinschätzung?
Dasch: Nein.

Dabei hätte man doch Anlass genug zu hoher Selbsteinschätzung, wenn einem auf den großen Bühnen der Welt Tausende Leute applaudieren.
Dasch: Ja, aber dann müssen Sie sich vorstellen: Je mehr das passiert, desto mehr will man es auch immer wieder so erleben. Und damit ist die große Angst verbunden, es könnte irgendwann nicht mehr so sein. Der Stolz zieht immer eine Angst nach sich, von dem hohen Ross runterzufallen. Man kann glücklich sein, ja. Ich versuche immer, mich zu freuen. Na klar bin ich auch manchmal stolz. Aber man sollte das in der Relation sehen und sich sagen: Erfolg kann man nicht pachten für sich. Dieses Gebilde ist super fragil.
Man hat als Opernsänger eben nicht so einen Masterplan, wie Leute in anderen Berufen, jemand der in eine große Firma einsteigt und dann genau weiß: Wenn ich gut bin, immer bereit, den Standort zu wechseln, kann ich in 30 Jahren in der und der Position sein. – Das wissen wir doch nicht. Wenn jemand zu Silvester einen Böller neben meinem Ohr abfeuert, ist Sense. Oder wenn man Reflux hat zum Beispiel, dann hat man es sofort ganz schwer. Man kann diese Unsicherheit halt verdrängen, dann wird man ungemütlich – oder man kann es sich bewusst machen und versuchen, einfach damit zu leben.

Muss man auch ein bisschen Karrierist sein, um es auf der Opernbühne zu schaffen?
Dasch: Glaube ich nicht. Man muss gnadenlos gut und bereit sein, sich in die Wagschale zu werfen. Wenn man von der Hochschule kommt hat man so viele Ängste, die zu so einer gezwungen Haltung führen, nach dem Motto: Ich bin besser als die Sängerin oder der Sänger… Gerade junge Sänger urteilen immer sehr scharf über andere, die schon auf der Bühne stehen. Manchmal schäme ich mich wirklich für all das, was ich im Studium über große, große Sänger gesagt habe, wo ich angefangen habe, Erbsen zu zählen – aber das ist alles Angst und Schutz. Karrieretauglich ist man glaube ich dann, wenn man bereit ist, es einfach zu machen. Das Glück anzunehmen, sich keinen großen Kopf zu machen, sondern es einfach zu tun, einfach zu singen, zu musizieren. Letztlich lösen sich alle Probleme von selbst, wenn man sich auf die Musik konzentriert.

Die positive Kraft der Musik?
Dasch: Ja. Und wenn man die verliert, wird es gefährlich. Wenn man bei einem hohen Ton nur noch denkt: Jetzt werde ich beurteilt, jetzt entscheidet sich, ob die mich zu Recht engagiert haben oder nicht, ob ich erfolgreich bin oder nicht – dann verkackt man. Unter Garantie.
Aber wenn man denkt, der Ton muss jetzt kommen, weil die Szene so ist, weil es in diesem Moment die höchste Form des Ausdrucks ist – dann funktioniert es auf einmal.

Sie haben im Studium sicher auch über Sänger gelästert, die über ihren Altershorizont hinaus gesungen haben.
Dasch: Ja, es gibt hin und wieder Sänger wo man denkt: „Mensch, wir hätten dich gerne in guter Erinnerung behalten, aber leider versaust du dir es jetzt gerade.“ Andererseits gibt es auch einige, die nicht versuchen jugendlich zu wirken, sondern die sehr stimmig mit ihrem Alter und dem, was sie tun, umgehen. Diese Leute sind an Ausdruckskraft dann nicht mehr zu überbieten.

Aber es ist in jedem Fall schwer, die Bühne wieder zu verlassen…
Dasch: Nicht wenn man von Anfang an lernt, loszulassen. Wenn ein Abend fertig ist, dann ist der halt weg. Man kann das nicht festhalten, auch nicht dadurch, dass man zu Hause die Programmhefte sammelt und archiviert. Das geht nicht, da wird man eine frustrierte alte Hexe. Ich sammele zum Beispiel gar keine Programmhefte aus genau diesem Grund. Weil ich mir denke: Ich muss das gehen lassen. Es war schön und jetzt lasse ich’s gehen. Weg.

Und Zeitungsartikel sammeln Sie ja wahrscheinlich auch nicht.
Dasch: Nein, überhaupt gar nicht.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Dasch: Ich bin Osolemirnix aus „Asterix auf Korsika“. Das ist der Korse, der von den Römern verschleppt wird und den die Gallier dann zurück nach Korsika bringen. Und der den Käse mit auf’s Schiff nimmt, der dann explodiert. Weil der korsische Käse so übelst stinkt… (lacht).

Sie kennen sich aus mit Comics.
Dasch: Nein, das hat damit zu tun, dass ich ungefähr schon 100 Mal auf Korsika war und dort durch die Berge gewandert bin. Aber dass sie dieser Figur den Namen Osolemirnix gegeben haben, das hat mich auch schon immer sehr beeindruckt.

Die Sopranistin Annette Dasch wurde am 24. März 1976 in Berlin geboren und zählt zu den wichtigsten Opernsängerinnen ihrer Generation. Sie hat in München und Graz studiert und sich durch Siege bei internationalen Gesangswettbewerben in Barcelona und mehr

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