Anne Will

Ein absolutes Megathema

Anne Will über den demografischen Wandel, die Verantwortung der Politik, Jugendwahn und die Notwendigkeit eines Generationenvertrags

Anne Will

© WDR / Andre Poling

Frau Will, Sie unterstützen als Patin die ARD-Themenwoche zum demographischen Wandel. Inwiefern liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?
Will: Ich vermute mal, ich werde auch altern und insofern muss mir das Thema natürlich am Herzen liegen. Zudem finde ich gut, dass in der ARD-Themenwoche ein Thema positiv gewendet wird. Denn man kann das Thema „alternde Gesellschaft“ natürlich über Ängste, über Beschwernisse oder über Sorgen erzählen, man kann einen Panikdiskurs führen. Aber genau das macht die ARD nicht und deshalb habe ich die Patenschaft auch sehr, sehr gerne übernommen. Außerdem war ich beeindruckt von der ersten Themenwoche, die ich noch bei den „Tagesthemen“ miterlebt habe – es ging um das Thema Krebs. Auch eines der Themen, das einem zunächst einmal Angst machen könnte. Dennoch hat die ARD auch hier die positive Wendung hinbekommen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Gesellschaft auf den demographischen Wandel vorbereitet ist?
Will: Die deutsche Gesellschaft schrumpft und altert – aber wir sehen einfach noch nicht genug, dass das wirklich ein absolutes Megathema ist, mit dem wir uns noch ganz anders und wesentlich intensiver beschäftigen sollten. Wir müssen uns sehr viel mehr damit auseinandersetzen, was das für unsere Gesellschaft bedeutet. Wir müssen uns überlegen, womit wir in nächster Zeit alles beginnen sollten, um nicht irgendwann völlig überrascht vor einer Situation zu stehen, in der wir sehr viel mehr alte Menschen haben als junge Beitragszahler und unsere Sozialversicherungssysteme hintereinander weg zusammenbrechen.

Hat die Politik mit dem Problem einen angemessenen Umgang gefunden?
Will: Ich glaube, dass wir mehr tun müssten. Deutschland muss sich in Hinblick auf den demographischen Wandel anders aufstellen. Es ist wichtig, das Thema jetzt zu diskutieren, weil es sehr schnell sehr akut sein wird. Wir alle und nicht nur die Politiker tragen die Verantwortung dafür, das Problem in den Griff zu bekommen.

Besorgte Beobachter wie Frank Schirrmacher in seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“ warnen vor einem „Krieg der Generationen“. Ist das aus Ihrer Sicht ein realistisches Szenario?
Will: So ein Szenario halte ich für übertrieben und auch für viel zu martialisch formuliert. Ich glaube, dass wir einen neuen Generationenvertrag schließen müssen und das wird auch passieren. Wann? Vielleicht in fünf Jahren. Vielleicht in zehn. Viel mehr Zeit dürfen wir uns dafür aber auch nicht lassen.

Wie stellen Sie sich einen solchen neuen Generationenvertrag vor?
Will: Ein Punkt müsste sein, dass man nicht mehr ein klares Renteneintrittsalter formuliert, sondern dass man den Menschen selbst überlässt, wie lange sie arbeiten wollen –abhängig auch davon, was sie tun. Es gibt körperlich beschwerliche Tätigkeiten, die wird man mit Mitte 60 oder gar mit 70 nicht mehr ausführen können. Das berühmte Dachdeckerbeispiel ist in dem Zusammenhang sicher ein gutes. Nur arbeiten die meisten Menschen in Deutschland nicht in solchen körperlich anstrengenden Berufen. Wir sind eine Informationsgesellschaft und arbeiten alle eher in Jobs, die man auch im Alter noch ausüben kann. Möglicherweise kürzer, als ich das jetzt tue. Wenn ich 70 bin, werde ich nicht mehr 16 Stunden pro Tag arbeiten, sondern vielleicht nur noch vier oder fünf. Ich bin sehr sicher, dass das ein wesentlicher Teil eines neuen Generationenvertrages sein wird. Ein Beispiel kann man sich auch an den USA oder Japan nehmen, wo es üblich ist, dass Menschen mit Mitte 60 aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis aussteigen, um dann aber in Teilzeit in einem neuen Arbeitsverhältnis weiterzuarbeiten.

Zitiert

Wir müssen einen neuen Generationenvertrag schließen.

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Momentan wird überall auf die Jugend gesetzt – nicht zuletzt auch im Medienbereich. Wird sich dieser Jugendwahn irgendwann automatisch legen?
Will: Ja, das glaube ich. Ich glaube auch, dass sich das Problem Arbeitslosigkeit so nicht mehr darstellen wird, wie es sich im Moment darstellt. Wir werden nicht mehr so etwas wie eine qualifizierte Arbeitslosigkeit haben. Alle Menschen, die qualifiziert sind, werden Arbeit haben. Sie werden gesucht werden und sie werden gebraucht werden. Nur indem sehr viel mehr Menschen arbeiten als bisher, mehr Frauen arbeiten und die Menschen eben auch länger arbeiten als sie es bislang tun, kann der demographische Wandel aufgefangen werden. Das ist einigermaßen logisch. Ich glaube auch, dass sich unser gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl verändern wird. Man wird nicht immer nur die Kraft, den Einsatzwillen und das Potential bei jungen Menschen vermuten können, sondern man wird erkennen, das die Kraft, der Einsatzwillen, die Gelassenheit und die Erfahrung bei älteren Menschen liegt und sie diese Gesellschaft damit nach vorne bringen können.

Die Migration ist unter den drei demographischen Größen im Vergleich zu Geburten- und Sterberate die am meisten beeinflussbare. Was muss getan werden, damit Deutschland von Zuwanderung profitiert?
Will: Die Menschen, die herkommen, könnten die Entwicklung einer alternden Gesellschaft auffangen. Ich glaube, wenn sie alle besser ausgebildet werden würden, wäre das vorhandene Potential noch sehr viel größer. Deshalb halte ich es beispielsweise für sehr wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund sehr früh Deutsch lernen.

Inwiefern beschäftigen Sie sich selbst mit dem Älterwerden?
Will: Ich werde jetzt 42 und beschäftige mich ein bisschen damit. Aber noch nicht so, dass ich Beschwernisse fühlte und dass ich mir vorstellen könnte, wie ich mit 60 oder 70 Jahren leben werde. Meine Eltern sind beide 70, mein Vater hat mit Anfang 60 noch einmal angefangen zu studieren und das nehme ich mir schon in gewisser Weise als Vorbild.

Gibt es Dinge, auf die Sie sich im Zuge des Älterwerdens freuen?
Will: Wenn ich dann noch als Fernsehmoderatorin arbeiten würde, wäre das aus heutiger Sicht sensationell. Das gibt es so in Deutschland noch nicht. Barbara Walters in den USA moderiert mit inzwischen 78 Jahren immer noch. Ich habe mich mit Sandra Maischberger und Maybrit Illner mal verabredet, dass wir versuchen wollen, das auch zu tun. Wenn wir das schaffen, wären wir echte role models! Aber unser Beruf lässt viele Möglichkeiten, auch ganz andere Dinge zu machen, die nicht notwenig vor der Kamera spielen müssen. Ich glaube, ich werde mich freuen, irgendwann nicht mehr vor der Kamera zu stehen und anderes zu tun. Ich würde wohl nicht wieder anfangen zu studieren wie mein Vater, denn ich erinnere mich noch gut daran, dass ich froh war, als ich fertig war. Aber ich weiß, dass ich viel machen werde, wenn ich denn gesund bleibe. Dafür tue ich etwas, indem ich Sport treibe. Insofern habe ich im Moment eine sehr, sehr positive Einstellung zu dem, was so kommen wird.

Letzte Frage: Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 66 Prozent der Zuschauer von Talkshow-Moderatoren, dass sie in der Sendung auch ihre eigene Meinung kundtun. Was halten Sie davon?
Will: Was ich wichtig finde, ist, dass man eine klare Haltung hat und dass man die auch spürt. Denn die Talkshows moderieren ja keine Sprechpuppen, sondern gestandene Journalisten. Insofern darf man gesichert annehmen, dass sie alle eine politische Haltung haben oder auch eine Haltung zu einem bestimmten Thema. Ich wünsche mir, dass man das merkt, und ich weiß, dass es bei mir so ist. Aber man muss und sollte sich nicht parteipolitisch einlassen.

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