Andreas Kümmert

Mit dieser Gesellschaft stimmt etwas nicht.

„Recovery Case“ ist das erste Album von Andreas Kümmert seit seinem überraschenden Rücktritt vom Finale des Eurovision Song Contest 2015. Im Interview spricht der Sänger und Songwriter über das Erlernen von Instrumenten, Mitspracherecht im Studio, Berieselung im Radio, Mobbing-Erfahrungen und wie er seine Angststörung bewältigt.

Andreas Kümmert

© Ben Wolf

Andreas, stimmt es, dass du auf deinem Album „The Mad Hatters Neighbour“ (2012) bis auf die Bläser alle Instrumente selbst eingespielt hast? Also Gitarre, Klavier, Schlagzeug….
Andreas Kümmert: … und Bass. Ja, stimmt.

Wie wird man denn Multi-Instrumentalist?
Kümmert: Mit Schlagzeug habe ich angefangen als ich neun Jahre alt war, das war mein erstes Instrument. Zur Gitarre bin ich gekommen, weil mein Bruder unbedingt Gitarre lernen wollte, das Interesse daran aber verloren hat – also hab ich mir das Instrument geschnappt und versucht, mir das beizubringen, autodidaktisch. Zum Beispiel habe ich Gitarren-Parts von Bands abgehört und die nachgespielt. Und wenn man Gitarre spielen kann ist es – zumindest bei der Musik die ich mache – nicht allzu schwer, auch Bass zu spielen.

Welches war das schwierigste Instrument für dich?
Kümmert: Klavier. Damit habe ich sehr spät angefangen und ich finde es nach wie vor sehr schwer. Live spiele ich nur 1-2 Songs auf dem Klavier, richtig gut bin ich auf dem Instrument noch nicht.

Stammen die Instrumenten-Parts auf deinem neuen Album „Recovery Case“ auch wieder alle von dir?
Kümmert: Nein, da spiele ich bei den meisten Stücken ’nur‘ Bass und Gitarre. Christian Neander (von der Band Selig) hat auch einige Gitarren-Parts übernommen.

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Im Radio ist vieles sehr ausdruckslos.

Andreas Kümmert

Über das vorherige Album „Here I Am“ hast du einmal gesagt, es sei unpersönlich, da die Songs nicht von dir stammten. Tatsächlich stehen in den Credits bis zu sieben Personen, die an einem Song gearbeitet haben. Das stelle ich mir nicht so angenehm vor…
Kümmert: Das war auch nicht wirklich angenehm, allein aus dem Grund, dass ich kaum Mitspracherecht hatte. Meine Vorschläge und meine Song-Ideen wurden zum Teil aus Zeitgründen, zum Teil aus Nicht-Verständnis abgelehnt.

Wie erklärst du denn einem Fan, dass bei der Platte, wo vorne dein Name drauf steht, du selbst kaum Mitspracherecht hattest?
Kümmert: Ich bin dann Interpret, der Erst-Interpret dieser Songs, die es vorher noch nicht gab. Das macht es auf dem Papier zu meinen Songs, aber es fühlt sich nicht so an. Für „Here I Am“ kamen zwei Songwriter aus New York nach Deutschland, mit denen war ich jeden Tag im Studio. Ich hatte ein bisschen die Möglichkeit mit denen zu reden, zum Großteil haben die aber alles alleine geschrieben und meine einzige Aufgabe war letzten Endes, die Songs einzusingen.

Hat das dein Bild vom Musikgeschäft verändert?
Kümmert: Ja und Nein. Im ersten Moment war ich natürlich schockiert, weil ich dachte: Das ist doch mein Album – und ich muss die Songs ja auch live performen. Auf der anderen Seite: Man hat einen gewissen Zeitdruck, wenn man Gewinner von so einer Casting-Show ist („Voice of Germany“), das Zeitfenster bis zur Albumveröffentlichung ist sehr klein. Das muss auch klein bleiben, weil sonst der Promotion-Schub, um das Album zu verkaufen, weg ist.

Wie viel Wochen hat man da?
Kümmert: In meinem Fall war es schon etwas mehr als nur Wochen, weil wir das Album mit kompletter Band eingespielt haben. Die Produktion dauerte zwei Monate und dann waren es nochmal zwei Monate bis zur Veröffentlichung. Bei „Recovery Case“ hatten wir jetzt ein wesentlich größeres Zeitfenster, für das Album habe ich schon 2015 angefangen, erste Demos aufzunehmen.

Und du konntest dir das Territorium des Songwriting wieder zurückerobern?
Kümmert: Auf jeden Fall. Die Arbeit an „Recovery Case“ war sehr angenehm, die Texte sind alle von mir, sowie die meiste Musik, es ist ganz klar mein Album. Die Musik habe ich zum Teil mit Christian Neander geschrieben, mit ihm hatte ich ja schon bei der EP zusammengearbeitet, die wir für den ESC aufgenommen haben. Da hatte sich herauskristallisiert, dass es funktioniert, dass wir konform gehen.

© Ben Wolf

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War es für dich denn auch eine Genugtuung, wenn du mal eine schlechte Rezension über „Here I Am“ gelesen hast?
Kümmert: Nein. Denn die Stimme ist ja trotzdem meine. Ich lese Kritiken aber auch grundsätzlich nicht. Ich habe allerdings Leute aus dem Publikum gehört, die zu mir meinten: Das klingt nicht nach deinem Album. Insofern hat man das wohl schon wahrgenommen.

Bist du den damaligen Produzenten andererseits dankbar, immerhin landete „Here I Am“ auf Platz 3 der Charts?
Kümmert: Klar bin ich denen dankbar. Genauso wie ich dem Publikum dankbar bin, denn verantwortlich dafür, dass wir auf Platz 3 waren, sind ja die Käufer. Aber man hätte mir bei „Here I Am“ auf jeden Fall mehr Freiraum lassen können. Wenn man das gewollt hätte, wäre das möglich gewesen.

Inwiefern hast du dich als Musiker jetzt weiterentwickelt?
Kümmert: Ich bin selbstreflektierender geworden. Aber ob ich jetzt kreativer bin als vorher, das kann ich schwer selbst beurteilen. Ich habe ja vor „Here I Am“ schon zwei Platten gemacht, wo alles meins war, meine Ideen, mein Songwriting. Ich bin es eigentlich gar nicht anders gewohnt, als Songs zu schreiben, denn das tue ich seit meinem 15. Lebensjahr.

Bei den Texten auf „Recovery Case“ hat man den Eindruck, dass es dir nicht schwer fällt, Texte auf Englisch zu schreiben und auch zu reimen. Wie kommt das?
Kümmert: Ich denke das liegt am Hörverhalten, an dem, was man sich antrainiert. Ich habe seit meiner Kindheit nur englischsprachige Musik gehört, Bands wie Aerosmith, Guns N’Roses, Eagles, Black Sabbath. Auch Dinge, die in die Folk-Richtung gingen, Bob Dylan, Neil Young…
Man muss sich natürlich auch etwas mit der Grammatik befassen, klar. Aber der Grund, warum ich mich dazu entschieden habe, Englisch zu singen, ist vor allem die Ästhetik der Sprache. Deutsch dagegen ist sehr kantig…

Das würde nicht zu dir passen?
Kümmert: Ich denke nicht, nein. Diese Idee gab es auch noch nie, das stand noch nie zur Debatte.

Bedeutet es dir eigentlich etwas, eine hohe Chartplatzierung zu erreichen?
Kümmert: Die meisten Menschen beziehen ihre Musik ja inzwischen aus Online-Portalen, deswegen bin ich mir nicht sicher, wie ernst man die Charts noch nehmen kann.
Ich bin in einer Liga, wo man froh sein kann, wenn man 50.000 Platten/Einheiten verkauft – für mehr fehlt mir der Schub und das Interesse der Leute. Ich werde nie so viele Alben verkaufen wie zum Beispiel…. – Ach, ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wer aktuell gerade so am Start ist, ich kenne mich da nicht aus, ich höre kein Radio.

Im Moment sind in den Single-Charts zum Beispiel einige Major Lazer-Kopien, R’n’B und seichte House-Songs im Stil von Robin Schulz.
Kümmert: Ja, und angesichts der Tatsache, das solche Musik in den Charts ist, stelle ich mir schon die Frage, ob es überhaupt wichtig ist, in den Charts zu sein. Wenn ich mal Radio gehört habe, dann war da vieles für mich sehr ausdruckslos. Das hat keine Message, man hat nicht das Gefühl als würde man etwas Tiefgründiges daraus ziehen und auf sich beziehen können. Wenn man sich aber Sachen anhört, die aus der Vergangenheit kommen, wie zum Beispiel Led Zeppelin oder auch Bob Dylan-Texte, da steckt ja etwas dahinter. Man hat das Gefühl, jemand erzählt einem etwas. Wenn ich heute das Radio anmache kommt mir das eher wie so eine Art Berieslung vor, dazu dient es ja auch. Bevor ich beruflich Musik gemacht habe, war ich ein paar Monate Schreiner, als Hilfsarbeiter. Und in der Werkstatt lief den ganzen Tag das Radio. Da kommen dann in Heavy Rotation die ganzen Hits und man lässt sich davon berieseln. Aber man zieht nichts daraus.

Du sprichst von tiefgründiger Musik aus der Vergangenheit – gibt es denn auch aktuelle Bands, die dich ansprechen?
Kümmert: Es gibt auf jeden Fall heute auch Bands, die mich umhauen. Zum Beispiel die Rival Sons, aber die haben auch keine Radio-Hits, weil sie einfach Rock’n’Roll machen und das geht nicht konform mit dem, was im Radio läuft. Ich finde auch ein paar Sachen von Philipp Poisel gut, textlich vor allem, weil es einfach eine Tiefe hat. Natürlich gibt es auch heute gute Leute. Aber beim Radio liegt der Schwerpunkt auf etwas Anderem: auf Musik, über die man nicht nachdenken muss.

Als du beim Vorentscheid zum ESC angetreten bist, war dies insofern ein Kontrast, als dass beim ESC nur selten Vollblutmusiker auftreten. Dass dort jemand Gitarre oder  Klavier spielt, kommt fast nicht vor….
Kümmert: Ehrlich gesagt: Ich habe den ESC vor meiner Teilnahme am Vorentscheid nie gesehen. Ich habe mich mit dem Format nicht beschäftigt – und dann alles volle Breitseite mitbekommen.

Hast du dir denn das Finale mit Ann Sophie angeschaut?
Kümmert: Nein, auch das nicht. Ich verwende das Medium Fernsehen generell nicht. Ich habe gar keinen Anschluss – zum Glück! Ich habe zwar einen Fernseher, aber auf dem gucke ich Sachen von Amazon Prime oder Netflix. Das Medium Fernsehen, so wie es heute ist, nutze ich überhaupt nicht.

Weil du nicht damit aufgewachsen bist?
Kümmert: Doch, aufgewachsen bin ich damit schon. Aber man hat ja irgendwann das Gefühl, dass man verarscht wird. Das möchte ich nicht. Hast du mal mittags ferngesehen? Ich erinnere mich , dass ich mal diese Gerichtssendungen gesehen habe. Oder Nachmittags-Talkshows. Nach der Schule kommt man nach hause, macht den Fernseher an – und macht ihn sofort wieder aus, weil man das Gefühl hat: Sozialer Abstiegsabgleich. Bei einer Sendung wie „Frauentausch“ sieht man doch ganz klar, dass das gescripted ist und dass es nur dazu dient, dass sich der deutsche Bürger aus der Mittelschicht auf dem Sofa nicht so schlecht fühlt.

Recovery Case - CoverAber warum bist du dann überhaupt in eine Casting-Show gegangen, wenn du dem Medium Fernsehen so skeptisch gegenüber stehst?
Kümmert: Gute Frage. Zum einen, weil es eine Möglichkeit war, meine Musik zu pushen. Bei „Voice of Germany“ war auch nichts gescripted, wie man es von anderen Shows kennt. Aber geil war es auch nicht. Es war eine super Chance für mich, die meisten Leute waren nett zu mir und man hat mich so sein lassen wie ich bin. Und das ist ja nicht unbedingt Standard.

Du hast nach deiner Absage der ESC-Finalteilnahme sehr offen deine Angststörungen thematisiert. Therapierst du die heute mit deiner Musik?
Kümmert: Mit dem Schreiben verarbeitete ich sie, auch mit Musikhören und Musikmachen. Aber der Großteil der Therapie besteht schon darin, dass ich mich in ärztliche Behandlung begebe. Nur mit Musik würde ich es glaube ich nicht auf die Kette kriegen.

Sind Großveranstaltungen für dich noch ausgeschlossen?
Kümmert: Nein. Die Situation vor dem ESC war einfach, dass damals diese Krankheit bzw. diese Angst dominiert hat. Ich arbeite daran und denke, dass ich auch wieder auf großen Bühnen auftreten werde. Diesen Sommer haben wir ja bereits auf Festivals gespielt, vor mehreren Tausend Leuten.

Aber ist dir eine intime Konzertatmosphäre lieber als ein Gig vor 8000 Leuten?
Kümmert. Es kommt immer drauf an, wie man es rüberbringt. Natürlich ist es schön, intim in einem kleinen Club zu spielen, vor 200 Leuten. Aber man kann die Leute auch abholen, oder sich die Mühe geben, sie zu erreichen, wenn man vor 8000 spielt. Auch da kannst du eine intime Atmosphäre schaffen.

In einem „Stern“-Interview sagtest du den Satz: „Ich bin kein Fan dieser Gesellschaft.“ Was konkret meintest du damit?
Kümmert: Also, wenn man mal bedenkt, was mit jemandem passiert, der sich traut, mit einer Sendung wie „Voice of Germany“ in die Öffentlichkeit zu treten: Da glauben auf einmal so viele Menschen, sie hätten eine Meinung zu dir, ohne dich zu kennen. Du wirst beschimpft, deine Familie wird bedroht usw. Wenn ich so etwas sehe, ist doch klar, dass ich über diese Gesellschaft nicht das Beste denke.

Das Stern-Zitat bezog sich also auf Publikumsreaktionen nach deinen TV-Auftritten?
Kümmert: Nicht nur, mich beschäftigt das schon mein ganzes Leben. Als ich in die Schule gekommen bin, habe ich angefangen mehr zu essen – was sicher auch mit dem Druck zusammenhing – , ich war ein Dickerchen, bin es immer noch und ich stehe dazu. Aber ich wurde angespuckt und verprügelt, mir wurden meine Sachen weggenommen, ich wurde hardcore gemobbt, sogar auch von Lehrern. Und da habe ich mich irgendwann zur Wehr gesetzt und gesagt: Nein, so nicht, ihr Spacken!
Danach dachte ich, ich bin cool mit solchen Geschichten. Aber als ich dann in die Öffentlichkeit kam und so viele Menschen ein Urteil über mich fällten, ohne mich zu kennen, mich auf das Übelste beleidigten – da denke ich, dass mit dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt. Es gibt kaum Platz für Individualismus, sondern jeder will eine Kopie des anderen sein.

Haben dich deine frühen Erfahrungen von Mobbing und Hass stark gemacht?
Kümmert: Es hatte auf jeden Fall einen Effekt, ob das jetzt Stärke ist, weiß ich nicht. Aus Wut kann ja auch Stärke resultieren.

Und fließt diese Wut heute in deine Songs?
Kümmert: Ja, klar. Jegliche Art von Emotion. Ich denke, man kann das auch gut hören, in „Notorious Alien“ zum Beispiel. Das ist ein ganz klares Statement: Ich bin hier, nehmt mich so wie ich bin oder verpisst euch. Wenn ihr meine Musik nicht hören wollt, dann hört sie nicht. Und wenn ihr mich nicht akzeptieren wollt, dann akzeptiert mich nicht.
Ich denke, dass so eine gewisse ‚Grund-Schutz-Mechanismus‘-Arroganz aus dem Leben in dieser Gesellschaft, so wie ich sie erlebt habe, resultiert. So etwas verarbeite ich dann auch in einem Song.

Noch zwei Fragen: Wie alt ist eigentlich dein Bart?
Kümmert: Den trage ich seit meiner Jugend. Der wird auch so schnell nicht abrasiert.

Und die Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Kümmert: Pinky und The Brain. Beide. Weil der eine ein bisschen naiv ist und der andere ein bisschen wahnsinnig.

Andreas Kümmert wird 1986 in Schaippach/Unterfranken geboren. Er beginnt mit neun Jahren Schlagzeug zu spielen, später folgten Gitarre, Bass und Klavier. Er ist Schlagzeuger in verschiedenen Punk- und Rock'n'Roll-Bands, bei denen er immer öfter auch mehr

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