Andreas Altenburg und Harald Wehmeier

Denen ist alles scheißegal – nur nicht die wirklich banalen Sachen.

Radiomacher Andreas Altenburg und Harald Wehmeier über Komik im Alltag, den Erfolg ihrer Radio-Comedy "Frühstück bei Stefanie" und die Sympathie für Underdogs

Andreas Altenburg und Harald Wehmeier

© NDR/Piero Masztalerz

Herr Altenburg, Herr Wehmeier, was ist für Sie typisch norddeutscher Humor?
Harald Wehmeier: Schwierige Frage! Also, bevor diese ganze Comedy-Lawine unser Land verschüttet hat, so vor zwanzig Jahren, gab es hier in Norddeutschland eigentlich nur ganz wenige sogenannte „Humoristen“, die für uns damals die Master waren, und immer noch unterwegs sind: Das waren Günter Willumeit und Fips Asmussen, die haben einen gewissen norddeutschen Humor verkörpert. Zu dieser Zeit gab es ja noch gar keine Comedy oder Comedians.

Andreas Altenburg: Aber Otto Waalkes ging ja schon in die Richtung…

Wehmeier: Ja, Otto Waalkes war dann quasi der erste, der nach Anfang der 70er Jahre die ganze Sache modernisiert und in die Satireschiene gehoben hat, auch durch seine frühen Fernsehformate. Otto war dann schon irgendwie der klassische Norddeutsche. Aber die reinen Witzonkels waren für mich Willumeit und Asmussen.

Doch was zeichnet den Humor der Norddeutschen genau aus?
Altenburg: Ich weiß es nicht genau – vielleicht ist alles so ein bisschen zurückgenommen, ein bisschen mehr Understatement. Obwohl, bei Otto Waalkes stimmt das natürlich wieder nicht. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob es den typisch norddeutschen Humor wirklich gibt. Ich glaube, ein Stand-up-Comedian aus Norddeutschland würde nicht diese ganz großen Gesten machen, wie zum Beispiel Michael Mittermeier, der ständig über die Bühne hüpft. Ich mag’s auch lieber, wenn es etwas stiller und ruhiger ist, mehr so ein bisschen durch die Zähne.

Die Menschen in Norddeutschland werden oft als unterkühlt und zugeknöpft beschrieben. Woher kommt eigentlich dieses Klischee?
Wehmeier: Ich glaube, dass das durchaus stimmt, wenn man es zum Beispiel mal mit dem Rheinland vergleicht. Wenn du in Köln in eine Kneipe gehst, dann hast du dort eigentlich sofort Gesprächspartner, wirst angequatscht, kannst mitquasseln… Das ist in einer Kneipe in Dithmarschen schon anders.

Altenburg: Ja, da braucht’s einfach ein bisschen länger. Aber wenn der spröde Panzer erstmal durchbrochen ist, ist der Norddeutsche auch sehr verbindlich. Wenn ich in München in eine Kneipe gehe, kann es sein, dass ich für den Moment zwar mehr Spaß habe, aber zum Wohlfühlen finde ich den norddeutschen Umgang dann doch angenehmer.

Wehmeier: Um das mal mit dem Tierreich zu vergleichen: Die Menschen hier sind mehr so Kaltblutpferde, die ein bisschen weniger Temperament haben, ein bisschen stoischer ruhiger und auch gelassener sind. Ein Fünkchen Wahrheit ist an dem Klischee schon dran.

Besonders in Hamburg schiebt man diese Charaktereigenschaften gerne mal auf das schlechte Wetter…
Wehmeier: Klar, das Klima spielt immer eine große Rolle. Das hiesige Wetter erfordert ja auch eine Vorratswirtschaft. Jemand, der dauernd schönes Wetter hat, muss nicht an Winter denken, kein Holz hacken, und sich dann überlegen, wie er das alles in die Scheune kriegt.

Altenburg: Ich glaube, die Norddeutschen haben so eine gewisse Ambivalenz zu ihrem Landstrich. Ich kenne ganz wenige Leute hier, die ihre Heimat ohne Wenn und Aber lieben, sondern es immer wieder auch bescheuert finden. Ich glaube so entsteht auch eine gewisse Humorebene, die ein bisschen anders ist als in Süddeutschland – also das Lachen über die eigenen Eigenheiten, die Bräsigkeit, im Grunde der sarkastische Umgang mit der eigenen Benachteiligung. Dieser ganze Humor von Brösel mit seinem „Werner“, diese ganzen Detlev-Buck-Filme, dieses schleswig-holsteinische, da wird immer versucht aus der Ödnis das Maximum herauszuholen, also dass man sagt: Ich lebe hier gerne, aber es ist auch sooo bescheuert. In Bayern gibt es dann eher Comedians, die sich mit dem Katholizismus auseinandersetzen. Das findest du hier halt nicht.

Herr Altenburg, Sie sind ja im bayerischen Pfaffenhofen an der Ilm geboren, aber im norddeutschen Dithmarschen aufgewachsen. In welchem Alter sind Sie nach Norddeutschland gekommen?
Altenburg: Da war ich so fünfeinhalb Jahre alt. Ein Teil meiner Familie wohnt auch immer noch in Bayern, also da habe ich schon noch Bezug zu. Wir sind eben eine hamburgisch-bayerische Familie. (lacht)

Existieren da dann auch innerhalb der Familie Mentalitätsunterschiede?
Altenburg: Ich glaube der norddeutsche Teil meiner Familie ist ironischer als der bayerische, und setzt sich vielleicht auch ein bisschen kritischer mit Obrigkeiten auseinander. Da ist dann nicht alles gottgegeben. (lacht)

Wann hat es sich abgezeichnet, dass Sie selbst mal im Bereich Comedy/Humor arbeiten würden? Waren Sie schon zu Schulzeiten typische Klassenclowns?
Wehmeier: Ich konnte die Lehrer immer ganz gut nachmachen. Da hieß es dann schon öfters: „Harald, mach das nochmal!“. Da hat sich dann auch schon früh gezeigt, dass ich mit meiner Stimme ganz gut umgehen kann.

Altenburg: Klassenclown war ich nie wirklich, aber nachdem wir jetzt den „Deutschen Radiopreis“ gewonnen haben, gratulierten mir viele ehemalige Mitschüler und meinten: „Das haben wir schon immer geahnt!“, was mir gar nicht so klar war. Wir waren eher so ein Haufen Jungs, die kreative Streiche gemacht haben, wie in den „Pepe, der Paukerschreck“-Filmen mit Hansi Kraus und Theo Lingen.

Seit September 2008 produzieren Sie nun zusammen die Radio-Comedy „Frühstück bei Stefanie“ für NDR 2. Mittlerweile sind über 700 Folgen entstanden. In diesem Jahr erhielten Sie den „Deutschen Radiopreis“ in der Kategorie „Beste Comedy“. Was ist das Erfolgsrezept dieses Formats?
Wehmeier: Das ist eine schwierige Frage, die uns natürlich auch sehr häufig gestellt wird, die im Grunde aber diejenigen beantworten müssten, die das gerne hören. Wir trimmen das ja nicht von vorneherein auf Erfolg, sondern machen einfach das, was wir selber witzig finden. Dass das dann auch ganz viele andere Leute witzig finden, ist umso schöner. Aber ob es da eine bestimmte Rezeptur gibt? Okay, wir versuchen die Charaktere nicht mit Pappnasen, nicht überkandidelt, nicht albern, sondern so authentisch wie möglich darzustellen, auch so genau wie möglich, in den ganzen Dingen, über die sie sprechen.

Altenburg: Es nervt die Leute einfach nicht. Es ist ja oft so, dass Comedy polarisiert – das ist bei uns nicht der Fall. Das sehen wir auch anhand der Rückmeldungen, die wir so bekommen. Das klingt erstmal nach wenig, ist aber schon eine ganze Menge. Wenn man dann noch zwei, drei gute Witze landet, ist schon viel gewonnen. Aber selbst wenn wir gar keinen Witz machen würden, sondern uns einfach nur irgendwas erzählen, würden die Leute vermutlich trotzdem noch gerne zuhören. Ich höre Harald Schmidt zum Beispiel sehr gerne zu – der muss ja auch nicht viel machen, um die Leute zum Lachen zu bringen.

In der Jury-Begründung vom Deutschen Radiopreis heißt es, Sie ließen in dieser Reihe „das alltäglich Banale ernsthaft und das Ernsthafte alltäglich-banal erscheinen.“, und dadurch entstehe eine große Komik. Warum eignet sich der menschliche Alltag so sehr für Komik?
Wehmeier: Ich glaube, in erster Linie ist das diese gemeinsame Erfahrung, die alle Menschen bei ganz bestimmten Kleinigkeiten haben: Diese Knibbelkante am Klopapier kennt jeder, und jeder denkt für sich: „Mensch, das ist aber irgendwie auch nervig hier…“ Wenn das dann mal jemand humoristisch und etwas übersteuert darstellt, dann freuen die sich und schmunzeln. Wir versuchen ja oft genau diese Lebenswelt der Menschen abzubilden, wo jeder seine kleinen Erfahrungen hat. Das sind ja keine exotischen Erlebnisse, die nur wenige kennen. Jeder weiß ja auch, wie das ist, wenn man mit dem Buttermesser in die Marmelade geht, und dann die Reste da kleben, also all diese Dinge. Das wird alles bei uns behandelt, und das ist sicherlich auch ein Erfolgsgeheimnis dieser Serie.

2011 ist der große Loriot gestorben. Sein Humor in Filmen und Sketchen war auch immer sehr nah am Alltag und funktionierte generationsübergreifend. Wie haben Sie seine Arbeit wahrgenommen?
Wehmeier: Für jeden Comedian oder Humoristen in Deutschland war und ist Loriot natürlich ein Vorbild, mit seiner Genauigkeit, seiner großen Range an Humor – da gibt es kaum bessere, also das war schon der Master!

Altenburg: Bei Loriot trifft das ganz besonders zu, dass man dem einfach gerne zuguckt. Ich könnte dem stundenlang zuhören, das war einfach ein sehr angenehmer Mensch. Er musste gar nicht die großen Witze machen, und mit Evelyn Hamann hatte er natürlich auch eine ganz tolle Partnerin an seiner Seite. So Begriffe wie „Jodelschnepfe“, das ist dreißig Jahre her, aber man kennt sie immer noch. Das ist das Schöne, wenn sich sowas in den Alltag der Menschen brennt. Wir haben ja auch solche Begriffe erfunden, wie zum Beispiel „Bratenlauf“. Wenn man den googelt, kommt man gleich auf unserer Seite, der ist so ganz normal in den Alltagsgebrauch übergegangen.

Wehmeier: Meine Frau ist Lehrerin und eine ihrer Kolleginnen erzählte neulich, dass alle Kinder in ihrer Klasse ständig „Allein schon…“ sagen würden, so wie unsere Figur Udo. Das ist schon sehr lustig.

Kommt es oft vor, dass Sie bei privaten Unternehmungen oder Erlebnissen auch schon an eine mögliche Verwertung für Ihre Reihe denken?
Wehmeier: Ja klar, wobei ich nicht gleich von Verwertung sprechen würde. Man speichert diese Dinge aus dem Alltag, sei es wie Leute gestikulieren, wie sie sprechen, wie sie sich verhalten, wie sie aussehen – und das ist letztendlich, auch unabhängig von dieser Serie, unser Talent, unser Kapital, dass wir dieses Speichervermögen haben, um es gleichzeitig wieder aus dem Speicher zu lassen, wenn es gebraucht wird. Wir saugen das alles so auf.

In der Comedy-Szene hat man manchmal das Gefühl, dass viele Gags nur noch unter der Gürtellinie stattfinden und funktionieren. Warum hat sich das so entwickelt?
Wehmeier: Ich glaube, das hängt schon mit diesem neuen Zielgruppen-Fernsehen zusammen, was Mitte der 80er Jahre entstanden ist. Das lässt sich ja ganz gut am Nachmittagsprogramm festmachen. Diese Formate wenden sich nicht mehr an den normalen werktätigen Mittelklasse-Menschen, sondern an eine, das muss man wirklich so sagen, bildungsferne Schicht. Wobei man weniger die Zuschauer diffamieren sollte, als die Macher, die deren Instinkte bedienen. Sämtliche medialen Angebote werden dem angepasst, Fernsehserien, Filme Talkformate, – und dann verändert sich natürlich irgendwann auch der Humor, der genau da ansetzt. Wenn man stattdessen nur noch politische Satire und blitzgescheite Witze bringen würde, das würde gar nicht mehr wahrgenommen werden – das verstehen diese Leute nicht, das wollen die auch gar nicht sehen. Das ist so diese Mario-Barth-Geschichte, wo es dann immer mal gerne auch in die Unterhose geht.

Altenburg: Das gab’s früher allerdings auch schon. Otto Waalkes hat ganz viele schlüpfrige Witze gemacht, muss man ehrlich sagen. Selbst bei Loriot gab es das, wenn auch nicht so platt, sondern eher fein, aber der ist auch häufiger mal unter die Gürtellinie gegangen.

Wehmeier: Unsere Gesellschaft ist heute aber viel weniger pikiert, wenn da mal ein paar derbe Worte fallen. Wenn heute einer „Scheiße“ brüllt, regt sich da keiner mehr drüber auf, – das wäre vor vierzig Jahren noch anders gewesen, da hätte der Rundfunkrat bei Kaltverpflegung getagt. Das ist einer gesamtsoziologischen Entwicklung geschuldet, die eben so ist wie sie ist.

Herr Wehmeier, Sie sagten gerade, dass Sie das sinkende Niveau bei den medialen Angeboten vor allem den Machern anlasten würden..,
Wehmeier: Ja, es gibt da so ein Glaubensbekenntnis, was mittlerweile auch bei manchen öffentlich-rechtlichen Formaten Einkehr gehalten hat: Der Köder muss den Fischen schmecken, nicht dem Angler. Das ist die Zauberformel. Wenn man diese Botschaft übersetzt, heißt sie ganz klar: Die Quote heiligt die Mittel.

Altenburg: Na ja, aber sagen wir mal so: Es wurde auch noch nie so viel intelligentes Fernsehen gesendet, wie heute . Wer intelligent gemachtes Fernsehen sehen will, hat heutzutage mehr Möglichkeiten als noch vor dreißig Jahren. Damals hatten wir drei Programme: Am Nachmittag lief „Mosaik – Das Rentnermagazin“ und „Kinderspaß“ im Ersten, und auf dem Dritten gab es Mathematik-Schulfernsehen. So tolle Reisereportagen wie auf Arte, oder Sender wie der ZDF-Theaterkanal, ZDFneo oder Phoenix, wo Debatten aus dem Bundestag übertragen werden, das gab es früher nicht.

Zitiert

Die Menschen hier sind mehr so Kaltblutpferde, die ein bisschen weniger Temperament haben, ein bisschen stoischer ruhiger und auch gelassener sind.

Andreas Altenburg und Harald Wehmeier

Viele interessante Sendungen werden nur leider zu Uhrzeiten gesendet, wo der Berufstätige schon lange schläft…
Wehmeier: Ich merke das immer bei wirklich guten Musiksendungen auf 3sat. Da gibt es jetzt eine wirklich interessante Reihe, und die läuft morgens um 04.30 Uhr.

Altenburg: Aber es wird in der öffentlichen Diskussion immer so getan, als würde es wie in der Anfangszeit des Privatfernsehens nur Erstes, Zweites, Drittes, Sat1, ProSieben und RTL geben – und wenn da nichts Vernünftiges läuft, dann gibt es einfach nichts. Dass natürlich jeder Mensch auch zu Arte schalten kann, wird überhaupt nicht wahrgenommen. Mittlerweile hat doch jeder SAT-TV oder Kabel oder DVB-T, selbst eine Oma in Dithmarschen hat mittlerweile 25 Programme und kann alles gucken was sie will. Das muss man dann natürlich auch wollen.

Nochmal zurück zu Ihrem Format: Hier in Ihrem Büro sind ganz viele aufgeklebte Zeitungsausschnitte und beschriebene Flipcharts zu sehen. Wie entsteht eine Folge von „Frühstück bei Stefanie“? Wie kann man sich einen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?
Wehmeier: Wir treffen uns um 09.00 Uhr im Büro, also so zwei Stunden nach der eigentlichen Ausstrahlung bei NDR 2. Wir sind festangestellte Redakteure und haben den klassischen „9-to-5-job“. Wir fangen vormittags an zu überlegen, was das Thema sein könnte. Da gibt es die Möglichkeit was aus dem tagesaktuellen Angebot zu nehmen, oder was aus dem Alltag. Dann grooven wir uns auch schon in unseren Stimmen ein, überlegen was der oder der Charakter sagen könnte, und wie das zusammen passt. Nachmittags gehen wir ins Studio und jeder spricht seine beiden Charaktere ein. Das wird dann zu einem Gespräch zusammengemischt.

Also arbeiten Sie mehr oder weniger den ganzen Tag nur zu zweit?
Wehmeier: Bei der Vorbereitung zu einer Folge sind wir schon sehr gerne unter uns. Uns fragen immer wieder Leute, ob sie das einmal miterleben könnten, wie so eine Folge entsteht, aber wenn hier noch jemand sitzen würde, würde der nach anderthalb Stunden sicher den Notarzt rufen und uns einweisen lassen, weil er glaubt, wir wären nicht mehr ganz dicht. Wir nähern uns dem Ganzen auf eine sehr freie und spielerische Art. Ich glaube, nur so kann es auch funktionieren.

Sie lassen sich bei der Arbeit nicht gerne in die Karten gucken?
Altenburg: Nein, wir würden uns auch von keinem reinreden lassen. Da sind wir sehr arrogant. (lacht) Es gibt ein paar nette Kollegen, die uns immer mal wieder Ideen geben, aber zu denen haben wir auch ein über Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis. Einen Praktikanten oder inhaltlichen Mitarbeiter können wir bei der Arbeit aber gar nicht gebrauchen. Der Pförtner guckt ja schon immer so besorgt zu unserem Fenster, wenn ich hier mit meinem kleinen Napoleon-Hut oder dem Moses-Stab im Kreis laufe. (lacht)

Wehmeier: Wir singen auch gerne dabei und bewegen uns. (lacht)

Altenburg: Manchmal sitzen wir aber auch am Tisch, die Folge ist schon fast fertig geschrieben, und hängen eine Stunde an einem Begriff, zum Beispiel wenn es um das tägliche Kreuzworträtsel von Opa Gehrke geht. Das ist mit der Zeit schon schwierig geworden, da immer wieder was Neues zu finden.

Wie viele Folgen im Voraus planen Sie die Serie?
Wehmeier: Das geht immer von der Hand in den Mund. (lacht)

Altenburg: Wir haben immer mal so bestimmte Erzählstränge, Dinge, die man grundsätzlich mal machen könnte, zum Beispiel dass Udo mal wieder einen neuen Job ausprobiert. Aber wann die Sachen dann genau umgesetzt werden, dafür gibt es eigentlich keinen festen Plan. Letztes Jahr stand zum Beispiel die Hochzeit von Steffi’s Schwester an, da überlegen wir dann schon, ob die da alle hingehen, wie die Hochzeit ablaufen könnte, ob es einen DJ gibt…

Im Juli 2011 ist Ihr Buch „Frühstück bei Stefanie: Rätsel, Fakten und sowas alles“ erschienen, in dem man viele Hintergründe zu den einzelnen Figuren und ihrem Leben erfährt. Das ist zum einen ein Geschenk an die Fans, aber zum anderen liest man aus dem Vorwort heraus, dass es auch wichtig für Sie selbst war, weil sie sonst den Überblick verloren hätten…
Altenburg: Es gibt eine Datenbank, die ein Kollege von uns erstellt hat, die gepflegt wird und die auch Grundlage für das Buch war. Manche Dinge vergisst man eben mit der Zeit, zum Beispiel wie der Sohn von Opa Gehrke heißt: War das jetzt Reinhold oder Reimund? Da müsste ich auch direkt erstmal wieder nachgucken. (lacht)

In einem Interview haben Sie mal erzählt, dass, wenn Sie einen Fehler machen, von aufmerksamen Fans direkt darauf hingewiesen werden. Die Fans führen teilweise noch besser Buch als sie?
Wehmeier: Ja, da sind wir manchmal schon sehr erstaunt, dass die sich so genau auskennen und uns korrigieren.

Altenburg: Wir haben bei Steffi mal das falsche Sternzeichen erwähnt. Das wurde gleich angemerkt. (lacht)

Wehmeier: Oder wir vergessen Geburtstage…

Altenburg: Ja, wir vergessen immer die Geburtstage von Georg Ahlers. (lacht) Das haben wir dann auch mal in einer Folge aufgearbeitet, und Steffi, Udo und Opa Gehrke haben dann seinen Geburtstag vergessen. Das hat ihm natürlich gar nicht gefallen. (lacht.)

Wehmeier: Das ist auch das Besondere bei uns, dass die Charaktere altern, im Gegensatz zu anderen Figuren wie bei den „Simpsons“ oder so. Die haben alle ein festes Geburtsdatum und auch die Nebenfiguren, wie Steffis Neffe Timo, werden immer älter. Da entwickelt sich über die Jahre eine Biographie.

Nun sind die vier Charaktere im Bistro keine Erfolgsmenschen, keine aufstrebenden Karrieristen. Stefanie Prigge führt ihr Bistro, träumt aber von Pilcher-Romantik und hört die Flippers und Andrea Berg. Georg Ahlers ist Postbeamter im vorzeitigen Ruhestand, Udo Martens ein arbeitsloser Lebenskünstler und „Opa“ Franz Gehrke ein pyromanisch veranlagter Rentner, der auf die 100 zugeht. Was reizt Sie am „kleinen Mann“ aus dem Volk?
Wehmeier: Man sagt ja nicht umsonst: „Dem Volk aufs Maul geschaut.“ Das ist mittlerweile aber schon so abgedroschen, dass man es bitte nie erwähnen sollte. (lacht) Aber da steckt natürlich auch Wahrheit drin.

Altenburg: Es ist einfach witziger. Die sind ja nicht dumm, doof oder dämlich. Die sind ja sehr schlau, haben so eine gewisse Bauernschläue. Sie sind jetzt vielleicht nicht intellektuell und intelligent, aber sie haben den Durchblick. Die haben manchmal sogar eine schärfere und differenziertere Sicht auf das Geschehen, als in der öffentlichen Wahrnehmung im Allgemeinen. Das ist lustiger und erzeugt eine schönere Fallhöhe, als wenn wir da jetzt vier Geisteswissenschaftler in irgendeiner Uni-Cafeteria hätten.

Wehmeier: Das mit den Geisteswissenschaftlerin ist auch ein sehr witziger Gedanke, aber das würde nur eine Folge lang funktionieren. Wir haben mittlerweile über 700 Folgen produziert.

Aber woran liegt es denn, dass wir einerseits in einer Leistungsgesellschaft leben, in der Erfolg und Geld einen großen Platz einnehmen und als erstrebenswert verkauft werden, aber gleichzeitig Charaktere wie die vier Figuren aus dem Schlemmerbistro, die eben nicht oben mitspielen, als sehr liebenswert empfinden?
Altenburg: Das gute ist ja, dass die selber nicht drunter leiden. Sie haben sich mit ihrem Leben wunderbar arrangiert, und schaffen im Grunde etwas, was die ganzen strebsamen Leute da draußen eben nicht schaffen: Denen ist alles scheißegal – nur nicht die wirklich banalen Sachen. Denen ist egal, ob in Fukushima ein Atomreaktor hochgeht, aber die können es nicht ertragen, wenn sie Mandarinenfinger haben. Alles andere geht ihnen am Arsch vorbei. Es ist im Grunde diese Respektlosigkeit den großen Themen gegenüber, die uns so einen Spaß macht.

Doch warum lieben die Menschen das so? Sind Sie uns nah,  weil sie eben nicht makellos, nicht unglaublich erfolgreich sind? Man fand Donald Duck ja auch immer cooler als Mickey Maus…
Wehmeier: Ich glaube, das ist ein tiefenpsychologisches Phänomen, dass man dem vermeintlichen Looser, oder dem Underdog, einfach mehr Sympathien entgegenbringt. Das ist ja bei Donald Duck bis heute so.

Altenburg: Aber unsere Charaktere sind ja nicht unbedingt Underdogs, sondern einfach unglaublich schräge Typen. Als Kind habe ich „Karlsson vom Dach“ geliebt, mein absolutes Lieblingsbuch. Ich habe ich mich gefragt: Warum finde ich den eigentlich so toll? Der ist ja nun fett, hat eine furchtbar hässliche Frisur, ist permanent unverschämt, und im Grunde auch nicht wirklich sympathisch. Dann ist mir klar geworden, dass ich ihn so toll finde, weil ich eben gar nicht so sein will wie er. Man ist ja selber eher ein bisschen öde, hat ein Durchschnittsleben, und deswegen findet man diese durchgeknallten Typen einfach so lustig. So ein Spießerleben wie Mickey Maus führt eben jeder, aber ein durchgeknallter Donald Duck, der seine eigenen Neffen bestiehlt, und sich die dollsten Ausreden dafür einfallen lässt – das findet man einfach total schräg.

Dahinter steckt vielleicht auch, dass sich diese Charaktere etwas trauen, was man sich selber nicht traut…
Altenburg: Ja, und dann probiert man halt wie Udo die Unterhosen mal direkt bei LIDL an. (lacht) Wie oft hat man so einen dicken Hals auf jemanden, und schluckt es dann doch immer wieder runter. Wenn man nach dem Prinzip unserer Figuren verfahre würde, dann würde entweder eine kreative Lösung herauskommen, wie bei Udo, oder man würde wie Georg Ahlers die Leute unfassbar zusammenblöken. (lacht) Zum Beispiel wenn er im Kino durchdreht, weil er die Armlehne nicht für sich alleine hat.

So können Sie durch die Figuren also auch Sachen ausleben, die Sie privat nie machen würden?
Altenburg: Tatsächlich ist es ja kein Zufall, dass wir diese Figuren haben, also jetzt ich die Steffi und den Udo, und Harald eben die beiden etwas älteren Kerle Georg und Opa Gehrke. Ich glaube, die sind eigentlich nur konsequent zu Ende gedacht. Die gehen diesen einen Schritt weiter, den wir uns nicht mehr trauen. Im Grund gibt es da schon bestimmte autobiographische Züge. Nicht, dass ich jetzt wie Udo bei LIDL schon mal eine Unterhose anprobiert hätte, aber drüber nachgedacht habe ich ja vielleicht schon mal. (lacht)

Udo ist von sich selbst sehr überzeugt und wirkt alles andere als antriebslos und resigniert. Er selbst hält seine Geschäftsideen für grandios. Läuft das dann nach dem Prinzip: Der Arbeitsmarkt lässt mich nicht mehr mitspielen, also suche ich mir privat lauter Beschäftigungen und komme auf Ideen, die mir irgendwann das Gefühl geben erfolgreich zu sein?
Wehmeier: Ich glaube gar nicht, dass er das so reflektiert. Er ist Lebenskünstler und eigentlich eine Frohnatur.

Altenburg: Er kommt zurecht, und alles andere ist plus X. Ich meine, er hat was zu essen, er hat eine Wohnung, kriegt ja offensichtlich irgendwie auch Unterstützung, obwohl wir das gar nicht so genau wissen, ob er nun überhaupt Amt in Anspruch nimmt. (lacht) Es gibt ja auch durchgeknallte Milliardäre, die bauen sich Ferraris zu Leichenwagen um, weil ihnen zu langweilig ist. Und ich könnte mir auch bei einem Milliardär vorstellen, dass er mal an der Tankstelle den Toilettenschlüssel verwaltet, einfach weil er da Bock drauf hat –  genauso ist Udo auch drauf. Das findet er dann halt mal ganz schick. Ich glaube nicht, dass er da jetzt irgendwie eine Funktion in seinem Leben sucht.

Durch diesen Lebensstil hat er sich ja in gewisser Weise auch von gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen emanzipiert. Er macht halt sein eigenes Ding…
Altenburg: Die sind ja alle total unabhängig, wenn man so will. Udo scheißt halt auf alle Konventionen. Herr Ahlers ist jetzt auch Rentner, und dem kann auch ziemlich viel egal sein: Er muss sich mit keinem Arbeitgeber mehr auseinander setzen, und kann sich seine Zeit selbst einteilen. Steffi ist selbstständig, und Opa Gehrke, ja, der rastet schon mal aus und steckt was in Brand. Dann gibt’s Sozialstunden und alles ist wieder gut.

Georg Ahlers ist ein notorisch schlecht gelaunter Pedant. Er schreibt Beschwerdebriefe an die Hausverwaltung, ans ZDF, an REWE, spült Joghurtbecher und Konservendosen aus, bevor sie in den Müll gehen, parkt seinen VW Jetta mit einem Maximalabstand von 1mm zum Bordstein. Warum macht er sich denn trotz Rente diesen Stress? Braucht er das?
Wehmeier (in der Stimme von Georg Ahlers): Es geht hier um anständige und ordentliche Lebensführung. Was heißt hier Stress? Wer sich nicht wehrt, kommt unter die Räder.

Altenburg: Das ist eben die Frage. Das ist ja jetzt auch nicht unbedingt eine Spießigkeit, sondern bei ihm auch schon wieder Rock ‚n‘ Roll. Sich jetzt aufzuregen, dass der Nachbar von oben zum Furzen auf den Balkon geht, da würde ich  schon sagen: Okay, das ist jetzt ein bisschen spießig. Aber dann auch noch einen Brandbrief an die Hausverwaltung zu schreiben, das ist schon wieder Rock ‚n‘ Roll, oder nicht? (lacht)

Insbesondere bei Steffi schwingt oft auch eine gewisse Melancholie mit. Wie man aus dem Buch erfährt, schrieb sie am 22. Oktober 1987 in ihr Tagebuch: „Habe mir Kerzen angemacht. Zwei Flaschen Amselfelder. Vollmond, ich liebe Dich. Ich spüre das Leben. Wo ist mein Platz?“ Und erst kürzlich brach sie im Bistro in Tränen aus, weil ihr Freund Rolf ihren 45.Geburtstag vergessen hat…
Altenburg: Das ist vielleicht auch eines der Erfolgsgeheimnisse, dass wir uns tatsächlich auch immer mal so eine Tiefe gönnen, die jetzt gar nicht unbedingt was mit Comedy zu tun haben muss. Ich weiß noch im letzten Jahr, die Folge vor Weihnachten, da wünscht sie am Ende allen Menschen „Fröhliche Weihnachten und ein gesegnetes Fest“. Das war textlich so wie bei „Der kleine Lord“ und total kitschig. Dann aber kriegen wir Mails von Leuten, die rechts ranfahren mussten, weil sie hinterm Lenkrad geheult haben – weil sie die Serie gerne haben, weil sie Steffi lieb haben, weil Weihnachten war, und so weiter. Und sie sagen: „Wir können uns das nicht erklären, und wissen auch, dass das total bekloppt ist, aber wir haben da gesessen und geheult!“. Hin und wieder müssen wir da schon auch mal Gefühle zulassen.

Jeder der Charaktere hat seine eigene Marotten und Eigenheiten. Wie sieht es da bei Ihnen aus? Welche sehen Sie an Ihrem Kollegen?
Altenburg: Also, wenn der Herr Ahlers sich alles aufschreibt, Notizen macht, Zettelchen hier und da, alles archiviert, alte Alben von Ricky King und so – das ist tatsächlich auch eine Marotte von Harald. Er hat zu Hause so ein Regal mit diversen VHS-Kassetten, also diverse heißt über 5000 Stück, die so in drei Reihen im Regal stehen. Er ist schon ein Messie. Würden jetzt noch 17 Katzen bei ihm in der Wohnung sein, dann wäre es voll. Er ist schon sehr ordentlich, auch alles sauber archiviert, nur manche Unterlagen findet er dann eben auch nicht wieder. Und er hat so was gewisses touretteartiges, obwohl, das haben wir eigentlich beide…

Wehmeier (in der Stimme von Georg Ahlers): Ich wollte gerade sagen…

Altenburg: Dieses aus der Stille heraus rumzublöken. (lacht)

Und wie sieht es mit Herrn Altenburg aus?
Wehmeier: Ich kann bei Andreas eigentlich nicht von Ähnlichkeiten mit einer der Figuren reden, sondern von hundertprozentiger Überreinstimmung. Herr Altenburg entspricht eins zu eins Udo Martens. (beide lachen) Ansonsten hat er auch einen gewissen Hang zur Unordnung. Wenn man sich hier mal umschaut, kann man mir, glaube ich, nur Recht geben. Er streitet das aber immer ab. Das ist so eine gewisse Unsortiertheit, hinter der dann letztendlich aber doch eine erkennbare Logistik steckt, das muss man ihm zugestehen.

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