Andrea Petković

Ich verdiene nicht so viel, wie es immer aussieht.

Andrea Petković über Tennis als Familienbetrieb, mentales Training, Preisgelder und die Massentauglichkeit ihres Sports

Andrea Petković

© Robbie Mendelson CC

Frau Petković, kurz nach dem verpassten Halbfinale bei den Australian Open Anfang des Jahres sagten Sie, Sie seien erst am Beginn Ihrer Reise. Hält die Euphorie noch an?
Petković: Auf jeden Fall. Für meine Verhältnisse war das Erreichen des Viertelfinals in Australien super, aber mein Ziel ist es nicht, bei Grand-Slam-Turnieren nur im Viertelfinale zu spielen. Dann wäre ich in meinem Sport auch falsch. Ich will mehr erreichen und bleibe dabei: Das ist erst der Anfang!

Sie gehen generell recht entspannt mit Misserfolg um. Auch nach Niederlagen, wie dem Aus bei den French Open 2010, können Sie über Ihre Fehler lächeln…
Petković: Das täuscht, ich bin da sehr selbstkritisch. Viele Tennisspieler sagen nach Niederlagen immer: „Ich hatte eben einen schlechten Tag!“ Aber schlechte Tage haben meistens Gründe. Ich bin immer direkt genug und kann zugeben, wenn ich nervlich überfordert war, oder wenn mir die Erfahrung fehlte, ein Match eiskalt zuzumachen wie bei den French Open. Diese Eingeständnisse haben mich weitergebracht. In einem so schnelllebigen Sport wie Tennis ist es wichtig, auch schnell aus seinen Fehlern zu lernen.

Arbeiten Sie auch mit einem speziellen Coach an Ihrer mentalen Stabilität?
Petković: Ich arbeite mit Holger Fischer zusammen, der auch einige Fußballspieler betreut. Vermeintliche Tennisexperten sagen immer, dass man mentale Stärke entweder hat oder eben nicht. Das ist aber falsch, denn mentale Stärke kann man genauso trainieren wie eine Vorhand, eine Rückhand oder die Beinarbeit. Den Kopf muss man genauso trainieren wie alles andere auch. Holger Fischer hilft mir, die richtige Struktur und Perspektive in meinem Leben zu finden, damit ich auf dem Platz ganz entspannt mein Spiel abrufen und ich selbst sein kann. Wenn man zufrieden mit sich ist und an sich glaubt, kann man am meisten aus sich heraus holen.

Der Druck, unter dem die Spielerinnen auf der Tour stehen, kommt oft nicht nur von außen. Tennis ist für viele ein Familienunternehmen, das von enorm ehrgeizigen Eltern geführt wird. Es heißt, auch Sie seien über Ihren Vater, den ehemaligen Davis-Cup-Spieler Zoran Petković, zum Tennis gekommen.
Petković: Mein Vater wollte nur, dass ich einen Sport mache, der mir Spaß macht. Als es später darum ging, ob ich Profi werde, wollte er eigentlich, dass ich erst mal studiere und eine akademische Laufbahn einschlage. Wir sind dann einen Kompromiss eingegangen: Wenn ich nach zwei Jahren nicht in den Top 50 lande, höre ich auf und studiere. Ich habe es Gott sei Dank geschafft.

Ihr Vater ist bis heute Ihr Manager. Sind noch weitere Familienmitglieder an Ihrer Karriere beteiligt?
Petković: Meine Schwester studiert Hotelmanagement und sucht immer nach den passenden Hotels für mich. Außerdem verschickt sie noch meine Autogrammkarten. Und meine Mutter bucht meine Flüge. Von daher ist Tennis auch bei uns ein kleines Familienunternehmen. Jeder von uns führt sein eigenes Leben und versucht nebenher, mir mein Leben ein bisschen zu erleichtern. Mein Vater arbeitet ja auch immer noch acht Stunden am Tag als Cheftrainer im TEC Darmstadt.

Sind die Tenniseltern heute weniger verbissen als in der Graf-Ära?
Petković: Das ist für mich schwierig zu beurteilen, weil ich nur die heutige Tenniswelt kenne. Aber ich würde behaupten, dass heute alles etwas gesitteter abläuft. Maria Scharapowa ist zum Beispiel die letzte Spielerin gewesen, die im Alter von 17 Jahren einen Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Früher haben reihensweise Teenager die Titel geholt, das gibt es heute nicht mehr. Der Druck der Medien und generell der Öffentlichkeit ist von Teenagern – außer vielleicht von einer Scharapowa – heute einfach nicht mehr zu handhaben. Das Australian Open-Finale bestritten in diesem Jahr Kim Clijsters und Na Li, also eine 29-Jährige und eine 28-Jährige. Man braucht jetzt viel mehr Erfahrung als früher, um gerade bei den großen Turnieren durchhalten zu können.

Es fällt dennoch auf, dass Eltern wie die der berühmten Williams-Schwestern weiterhin mit strengen Augen auf der Tribüne sitzen und ihre Töchter beobachten.
Petković: Im Tennis spielen Eltern einfach eine größere Rolle, als in anderen Sportarten. Das hat etwas damit zu tun, dass diese Einzelsportart einem sehr viel abverlangt. Ohne den absoluten Rückhalt der Eltern kann man das alles nur sehr schwer meistern. Bei den Herren ist es anders, aber alle erfolgreichen Tennisdamen hatten einen starken elterlichen Rückhalt –
sei es der Vater von Steffi Graf, die Mutter von Martina Hingis oder der Vater von der Williams-Schwestern. Für Außenstehende wirkt dieser Rückhalt vielleicht sehr extrem. Ohne ihn ist es aber nur sehr schwer zu schaffen.

Zitiert

Mentale Stärke kann man genauso trainieren wie eine Vorhand

Andrea Petković

Wobei die genannten Spielerinnen ja nicht nur vom großen Einfluss ihrer Eltern profitierten.
Petković: Die Williams-Schwestern, so wie ich sie kenne, sind mit sich und ihrem Leben ziemlich zufrieden und entspannt. Und Steffi Graf lebt ja heute auch ein sehr gesittetes Leben mit Andre Agassi und zwei Kindern in Las Vegas. Bei Martina Hingis war es so, dass sie schon mit 16 in der Weltöffentlichkeit stand. Es ist wahnsinnig schwer damit umzugehen. Man muss bereit für den Erfolg sein, der da kommt. Und je älter man wird, desto eher ist man auch bereit dafür.

Prüft der Deutsche Tennis Bund manchmal den Alltag der Spielerinnen?
Petković: Nein, wir sind selbstbestimmt. Tennis ist ja auch nicht wie Fußball, wo alles vom Verein aus geprägt wird. Im Fußball bezahlt der Verein alles – Trainer, Fitness-Trainer, Koordinations-Trainer, Mental-Trainer. Dadurch hat der Verein auch mehr Kontrolle über die Spieler. Wir hingegen zahlen alles selbst. Dazu zählen die Trainer genauso wie die Flüge und Hotels. Und deshalb sollten wir auch das Hoheitsrecht über uns und das haben, was wir machen.

Sind die hohen Preisgelder im Tennis im Hinblick auf die Ausgaben angemessen?
Petković: Wenn man mal überlegt, was ich für Ausgaben habe, verdiene ich nicht so viel, wie es immer aussieht. In meinem WTA-Profil steht, dass ich in zwei Jahren etwa 900.000 Euro verdient habe. Aber wenn man mal die Steuern abzieht, also 40 Prozent, und jeweils mehrere Tausend Euro monatlich für meine verschiedenen Trainer, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Die Top 20 der Weltrangliste können gut vom Tennis leben – aber auch nur, wenn sie sehr lange dabei sind. Soweit bin ich noch nicht, deswegen schwimme ich auch nicht im Geld.

Viele Ihrer Kolleginnen verdienen mit Werbekampagnen und Fotoshootings teils mehr als mit Tennis. Lehnen Sie solche Angebote aus Prinzip ab?
Petković: Bisher habe ich alles aus dem Bereich abgelehnt. Für mich stand erstmal das Sportliche im Vordergrund. Grundsätzlich muss jede Spielerin natürlich für sich entscheiden, ob sie Tennis mit anderen Dingen vereinbaren kann. Maria Scharapowa zum Beispiel hat das über einen langen Zeitraum geschafft. Sie ist eine gut aussehende Frau, genau wie Ana Ivanović. Und wenn sich wegen solcher Frauen 50.000 Leute mehr zum Tennis hingezogen fühlen, stehe ich voll dahinter. Ich bin für jede Aufmerksamkeit für unseren Sport dankbar.

Wird die Massentauglichkeit von Tennis in Deutschland jemals wieder Dimensionen wie zu Zeiten von Becker, Graf, Stich und Huber annehmen?
Petković: Davon bin ich absolut überzeugt. Das deutsche Tennis ist auf einem aufsteigenden Ast, wir haben große Talente. Das zu wiederholen, was Steffi Graf und Boris Becker geschafft haben, ist natürlich schwierig bis nahezu unmöglich. Aber man kann mit viel weniger als damals schon einen Hype auslösen. Der DTB hat im Moment 1,6 Millionen Mitglieder, und ich habe mal gelesen, dass es in Deutschland etwa 10 Millionen Tennisinteressierte gibt. Ich glaube, die Leute warten nur darauf, dass endlich wieder mehr Tennis im Fernsehen gezeigt wird.

Das wachsende Interesse hängt natürlich auch von Ihren Erfolgen ab.
Petković: Ich bin mir sicher, dass es noch größere Erfolge geben wird – ob nun von mir, Julia Görges oder Angelique Kerber. Auch eine Sabine Lisicki darf man nicht vergessen, die schon in sehr jungen Jahren auf Platz 22 stand und im vergangenen Jahr leider großes Verletzungspech hatte. Wir sind alle auf dem richtigen Weg. Und was das Wichtigste ist: Wir sind alle erst am Anfang unserer Entwicklung und spielen trotzdem schon relativ weit oben.

Vor vierzig Jahren war Tennis in Deutschland das, was heute Golf ist. Dann kamen die großen Erfolge deutscher Spielerinnen und Spieler, und Tennis wurde zum Familiensport. Wie würden Sie die Lage des Tennis in unserer Gesellschaft derzeit bewerten?
Petković: Ich empfinde immer noch, dass Tennis in allen gesellschaftlichen Schichten funktioniert. Jeder kann Tennis spielen, wenn er will. Das ist der Verdienst von Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich. Dass das Interesse an Tennis weniger wird, sobald die Erfolge ausbleiben, ist auch klar. Aber der Erfolg kommt ja zurück. Ich habe zuletzt so viele E-Mails bekommen, in denen mir Leute schrieben, sie hätten jetzt nach langer Zeit mal wieder ein paar Bälle übers Netz geschlagen und sich sogar wieder im Verein angemeldet. Darüber freue ich mich sehr.

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