Amiaz Habtu

„Hört auf mit diesem Schubladendenken!“

39 Menschen nehmen an einem Workshop teil, ohne zu wissen, was auf sie zukommt. Es entsteht eine Situation aus Rassismus, Unterdrückung und Angst. Moderator Amiaz Habtu im Gespräch mit Yvonne Stock über „Der Rassist in uns“, ob Hautfarbe im deutschen Fernsehen noch eine Rolle spielt und was er als dunkelhäutiges Kind in den 1980ern in Deutschland erlebt hat

Amiaz Habtu

© ZDF / Sandra Hoever

Amiaz Habtu, was dachten Sie, als Sie gehört haben, dass Sie mit „Der Rassist in uns“ quasi ein Experiment mit unbekanntem Ausgang moderieren sollen?
Amiaz Habtu: Dass das etwas ist, was ich vorher noch nie gemacht habe. Ich war sehr neugierig.

Waren Sie überrascht, dass sich keine Gruppe gefunden hat, weder bei den unterdrückenden Braunäugigen, noch bei den diskriminierten Blauäugigen, die den menschenverachtenden Leiter – gespielt von Jürgen Schlicher – zusammen angegangen sind?
Habtu: Ja. Es gab nur Einzelne, die aufgestanden sind und gesagt haben: „Hier ist Schluss, so will ich das nicht.“ Aber der Leiter hat das ja auch raffiniert gemacht. Das Experiment hat für das alltägliche Leben gezeigt: Man muss aufstehen, wenn einem etwas nicht gefällt und das begründen. Am besten in einer Gruppe – gemeinsam ist man stark. So platt sich das anhört, so wahr ist der Spruch.

Sie haben mal von sich gesagt: „Da steht einer, der immer gute Laune hat, das bin ich.“ An welchem Punkt der Sendung ist Ihnen die gute Laune vergangen?
Habtu: Die gute Laune ist mir nie vergangen. Die drückt sich ja nicht nur darin aus, dass man die ganze Zeit lacht. Gute Laune entsteht auch, wenn man das Gefühl hat, man hat das richtige getan. Und das hatte ich bei diesem Format.

Was haben Sie für sich persönlich aus der Sendung mitgenommen?
Habtu: Dass man Menschen wirklich immer völlig unvoreingenommen begegnen sollte. Man sollte dem Gegenüber die Chance geben, die Kommunikation aufzunehmen. Und erst danach darf man ein Urteil fällen.

Zitiert

"Ich denke inzwischen nicht mehr darüber nach, dass ich eine schwarze Hautfarbe habe. Deutschland ist so Multikulti, das sieht man schon an der Fußballnationalmannschaft."

Amiaz Habtu

Sie kennen Unterdrückung und sogar Verfolgung aus Ihrem eigenen Leben. Sie mussten als Kleinkind mit Ihrer Familie aus dem afrikanischen Eritrea fliehen, weil Ihr Vater in einer Untergrundorganisation engagiert war. Hat Sie das geprägt?
Habtu: Ich habe von der Flucht nicht wirklich viel mitbekommen. Aber ich bekomme immer wieder eine Gänsehaut, wenn mir mein Vater erzählt, was damals alles gewesen ist. Wir wurden unterdrückt. Man durfte seine Stimme nicht erheben und sagen: „Wir sind ein unabhängiger Staat und man hat uns nicht gefragt, ob wir zu Äthiopien gehören wollen oder nicht.“ Damals haben Menschen am Reißbrett die Grenzen in Afrika gezogen. Natürlich hat die Flucht meine Eltern geprägt. Aber sie waren von Anfang an so stark, dass sie zurückwollten, sobald es in ihrer Heimat wieder sicher war.

Und haben sie das umgesetzt?
Habtu: Wir sind 1978 geflohen und bis 1991 war keine Rückkehr möglich. Dann hatte sich unsere Identität so mit der deutschen Kultur vermischt und wir waren hier so verwurzelt, dass ein endgültiges Zurückgehen nicht infrage kam. Auch wenn mein Vater da immer etwas zwiespältig war.

Sind Sie in Ihrer Kindheit in den 1980er Jahren in Deutschland aufgrund Ihrer Hautfarbe diskriminiert worden?
Habtu: Das ist tatsächlich nie der Fall gewesen. Ich glaube, dass das viel mit der Erziehung meiner Eltern zu tun hatte. Meine Eltern haben als Erstes einen Deutschkurs gemacht. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir deutsche Freunde, die uns geholfen haben. Wir waren so schnell integriert, dass ich mich nie diskriminiert gefühlt habe. Allerdings war es mir manchmal echt unangenehm, wenn wir ganz klassisch am Wochenende einen Ausflug gemacht haben und irgendwo eingekehrt sind, wo wir die einzigen Schwarzen und die einzigen Ausländer waren.

Wie hat man auf Sie reagiert?
Habtu: Mein Vater hat sich sofort ganz locker und lässig mit dem Kellner unterhalten und dabei ein, zwei Witze gerissen. Das haben alle beobachtet und damit war alles erledigt.

Sie haben also Ihr Redetalent von Ihrem Vater?
Habtu: Oh ja!

Erleben Sie heute noch ähnlich unangenehme Situationen wie als Kind?
Habtu: Ich denke inzwischen nicht mehr darüber nach, dass ich eine schwarze Hautfarbe habe. Deutschland ist so Multikulti, das sieht man schon an der Fußballnationalmannschaft.

Denken Sie manchmal, dass Sie einen Auftrag, obwohl Sie eigentlich perfekt dafür geeignet sind, wegen ihrer Hautfarbe nicht bekommen?
Habtu: Das war eigentlich nie ein Thema. Ich will es aber auch nicht komplett ausschließen, dass die Hautfarbe noch ein etwas problematisches Thema für das deutsche Fernsehen ist. Ich würde mir wünschen, dass sich die Reichhaltigkeit an unterschiedlichen Kulturen, die wir in Deutschland haben, auch in den Fernsehmoderatoren widerspiegelt – so wie in Amerika. Aber ich glaube auch, dass wir auf dem besten Wege dahin sind. Ich bin froh darüber, dass ich diesen Akzent im Fernsehen setzen kann: „Leute, hört auf mit diesem Schubladendenken!“

In der Sendung wird am Anfang auch auf den subtilen Rassismus im Alltag hingewiesen. Für wie verbreitet halten Sie den?
Habtu: Ich glaube, er weicht auf. Ich selbst habe bis vor kurzem gesagt: „Ich hätte gerne meine Currywurst mit Zigeunersoße.“ Das Wort mag für viele, die damit groß geworden sind, überhaupt nicht rassistisch oder diskriminierend sein, aber fragen Sie mal einen Sinti und Roma, ob er den Ausdruck mag. Auf der einen Seite habe ich Verständnis dafür, dass jemand dieses Wort benutzt, weil er damit groß geworden ist. Aber auf der anderen Seite sind die Kulturen heute so viel mehr vermischt als früher, dass man vielleicht mehr darüber nachdenken muss.

Die Idee für diesen Augenfarben-Workshop kommt ursprünglich aus den USA. Aber ist das nicht doch wieder typisch, dass man dann den Deutschen zeigt, wie rassistisch sie sind?
Habtu: Nein. Der Titel „Der Rassist in uns“ ist nicht „Der Rassist in den Deutschen“. Es geht um den Menschen an sich und alle Kulturen auf dieser Welt.

In der Sendung wird als Beispiel für Rassismus genannt, dass ein Drittel der Ausbildungsbetriebe keine Menschen mit Kopftuch einstellen. Was kann aus Ihrer Sicht die Toleranz fördern?
Habtu: Es gibt anonyme Bewerbungsverfahren, bei denen man nur seine Reputation angibt und keinerlei persönliche Daten. Ich setze nur ein kleines Fragezeichen dahinter, wie lange man dieses Bewerbungsverfahren durchführen sollte. Denn eigentlich finde ich es besser, die Menschen einzuladen und sich dann ihre Qualifikation anzuschauen.

Müsste die Sendung „Der Rassist in uns“, um einen größeren Effekt zu haben, nicht eigentlich beim deutlich zuschauerstärkeren ZDF statt bei ZDFneo laufen?
Habtu: Ich finde eigentlich, die Sendung passt sehr gut zu ZDFneo. Natürlich ist die Reichweite nicht dieselbe wie beim ZDF. Aber vielleicht ist es ja auch nur ein Anfang für einen Dialog und vielleicht gibt es dann beim ZDF mal ein ähnliches Thema. Vielleicht muss man es aber auch gar nicht mehr thematisieren, vielleicht reicht diese Sendung.

Was für ein Fernsehformat können Sie sich vorstellen, in dem das Thema Rassismus weiter bearbeitet wird?
Habtu: Ich würde es nicht gutheißen, wenn es auf diese extreme Art und Weise passiert. Ich will gar nicht Jürgen Schlicher und sein Team kritisieren. Es ist aber schon eine sehr direkte Art, den Menschen die Augen zu öffnen. Ich würde mich darüber freuen, wenn es beim ZDF eine Sendung geben würde, in der man mehrere Kulturen kennenlernen kann. Jemand geht in ausländische Familien rein, die hier in Deutschland wohnen. So lernt der Zuschauer von zu Hause aus den Alltag einer türkischen oder albanischen Familie kennen. So weckt man Verständnis und Toleranz.

Glauben Sie daran, dass es irgendwann in Deutschland eine Gesellschaft gibt, in der Vielfalt ohne eine Form von Rassismus gelebt wird?
Ich würde mir das wünschen und würde da gerne Martin Luther King zitieren: „I Have a Dream.“ Einem Ideal entgegen zu streben, ist immer etwas Schönes. Denn die Arbeit, diesem Ideal entgegen zu streben, ist es, was das Leben ausmacht. Wir müssen jeden Tag den Menschen mit offenen Armen entgegenkommen. Wenn man am Ende das Ideal erreicht, ist das schön. Aber es birgt auch die Gefahr, dass sich alle zurücklehnen und wieder in ihr altes Verhalten zurückfallen.

Interview: Yvonne Stock

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