Alice Russell

Ohne Musik wäre mein Leben deprimierend.

Soul-Sängerin Alice Russell über gute Laune auf der Bühne, Emotionen in der Stimme, Alkohol und das Schicksal von Amy Winehouse

Alice Russell

© © Differ-ant Rec.

Mrs. Russell, was einem als Erstes auffällt, wenn Sie die Bühne betreten, ist Ihre gute Laune. Woher kommt bei Ihnen diese positive Energie?
Russel: Also, manchmal fühlst du dich ja gar nicht so so gut, bevor du auf die Bühne gehst. Aber dann findest du irgendwie immer die Energie um etwas auszudrücken, Emotionen zu vermitteln. Ich habe auch Glück, was meine Musiker angeht, wir spielen als Band jetzt schon ungefähr acht Jahre zusammen, kennen uns gut – das ist ein starkes Sicherheitsnetz, wir fangen uns gegenseitig auf, wenn einer mal einen schlechten Tag erwischt. Es gibt eine Gewissheit: Was auch immer passieren wird, es wird schon gut gehen. Und so genießen wir das ganze einfach.

Sind Sie aufgeregt vorher?
Russell: Oft ist es so, je kleiner die Location, desto nervöser bin ich. Wir haben einen Gig gespielt beim Montreal Jazz Festival, draußen vor 9000 Leuten – aber das fühlt sich seltsamer Weise einfacher an. Da kannst du halt nicht eine einzelne Person erkennen und wirst nicht abgelenkt. Wenn aber ein paar Leute direkt vor dir stehen und du die einzelnen Gesichter sehen kannst, ist das schon eher nervenaufreibend. Und manchmal wirst du auch nervös, obwohl du damit überhaupt nicht gerechnet hast. Man weiß es vorher nie.

Entspricht die eingangs erwähnte gute Laune auch Ihrem Charakter? Wenn man Sie im Konzert erlebt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass Sie mal total deprimiert sind.
Russell: Ich bin eine sehr offene Person. Das merkt man vermutlich auch, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich gebe alles und halte nichts zurück.
Dann ist es aber auch wie bei jedem Menschen, jing und jang, ein bisschen von beidem. Ich wüsste jedenfalls nicht, was ich ohne Musik wäre. Sie ist für mich eine große Befreiung und Rettung, ohne Musik wäre mein Leben deprimierend.

Woher kommt diese Stimme?
Russell: Tja, das ist so ein bisschen ein Rätsel… ich kann Ihnen das nicht wirklich sagen. Ich habe schon immer gesungen, seit ich klein war. Es ist für mich einfach eine natürliche Art, mich auszudrücken, ein Ventil. Als ich aufgewachsen bin gefiel mir vor allem Gospel und Soul – das fühlte sich für mich sehr natürlich an. Ich habe im Chor gesungen als ich jung war, das war ein gutes Training. Dort wurde mein Ohr sehr gut geschult und ich habe gelernt, mit Harmonien umzugehen, für diese Zeit bin ich im Nachhinein sehr dankbar.

Worauf kommt es bei der Entwicklung der Stimme an?
Russell: Ich denke, die Stimme entwickelt sich mit deinem Selbstbewusstsein, auch mit der Fähigkeit, sich mehr zu öffnen. Als Mädchen war ich noch sehr unsicher auf der Bühne, dann bist du angespannt und der Hals ist wie zugeschnürt. Die Stimme ist ja wie ein Instrument in dir.
Mit zunehmendem Alter bin ich viel offener geworden, fühle mich heute wohler mit mir selbst. Es ist einfacher geworden, alles rauszulassen, früher gab es da immer ein paar Dinge, die mich gebremst haben.

Wann haben Sie sich entschieden, nicht mehr im Chor sondern solo zu singen?
Russell: Das fing an, als ich Soul-Musik im Radio hörte und mich in diese Musik verliebte, da war ich acht oder neun Jahre alt, mit 14/15 habe ich dann in Bands gesungen. Ich mag Chormusik aber immer noch, ich vermisse es auch, im Chor zu singen, weil das eine ganz wunderbare Sache ist.

Sie haben mal in einem Interview erzählt, dass Sie manchmal auf der Bühne das Gefühl haben, als wäre da so etwas wie der Heilige Geist…
Russell: Ja (lacht), du fühlst manchmal auf der Bühne, dass da eine andere Energie ist, es läuft einem so ein Schauer über den Rücken… Ich bin nicht religiös und glaube nicht an einen bestimmten Gott. Aber ich glaube, dass es da so eine andere Kraft gibt, die auf der Bühne existieren kann – und dem musst du dich öffnen. Vielleicht ist es auch einfach nur die Energie der Zuschauer und du kannst dadurch diese verrückten Momente erleben: wenn das Publikum wirklich offen ist und wir miteinander so eine kleine Beziehung haben, einen Austausch.

Die ersten Platten, auf denen Sie zu hören waren, kamen eher aus dem elektronischen Bereich. Wie entstand diese Verbindung?
Russell: Ich bin in Brighton auf’s College gegangen und habe dort die Jungs getroffen, die gerade das Label Tru Thoughts gründeten. Durch sie bekam ich zu Kontakt zu Quantic und TM Juke. Quantic suchte gerade eine Sängerin und hatte meine ersten Produktionen gehört, später habe ich einen Song auf TM Juke’s Album gesungen, und so kam eins zum anderen. Und die Jungs von Bah Samba lebten im Nachbarhaus und hörten mich einmal singen und Cello spielen, schließlich kamen sie rüber und haben bei mir geklopft.

Wo ist denn Ihr Cello geblieben?
Russell: Ich habe mit den Cello-Stunden aufgehört als ich 16 war. Ich habe es immer noch, aber um wieder reinzukommen, bräuchte ich viel Zeit zum Üben. Das Schwierige sind dabei nicht die Fingersätze und alles, sondern, dass du diese gute Intonation brauchst. Es ist ein wundervolles Instrument.

Haben Sie bestimmte Ideale, was Soul-Gesang angeht?
Russell: Nicht unbedingt. Meine Stimme tendiert halt zum Soul, weil es eine ziemlich emotionale Stimme ist. Ich liebe aber allemöglichen Musikstile.

Und wenn Sie einen anderen Sänger hören, worauf kommt es Ihnen bei der Stimme an?
Russell: Auf jeden Fall auf die Emotion. Jemand wie Bob Dylan, Leute die versuchen, etwas rüberzubringen, Nina Simone,wo du das Gefühl hast, dass sie dir etwas mitteilen, eine Emotion, eine Botschaft. Zum Beispiel, wenn ich Fado höre: Ich verstehe kein Portugiesisch, aber ich kann die menschliche Emotion darin hören, die wir alle haben. Das ist für mich wichtig.

Haben Sie denn dieses Gefühl bei vielen Sängern?
Russell: Ich denke schon, ich mochte zum Beispiel das Album von Frank Ocean sehr, das 2012 rauskam. Er hat eine emotionale Stimme und die Texte sind unglaublich, sehr modern. Da gibt es Zeilen in seinen Songs, die mich umhauen. Ich mag auch Bands wie die Fleet Foxes, mit so einer sanften Stimme – es gibt auf jeden Fall Künstler, die einen mitreißen.

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Oft ist es so, je kleiner die Location, desto nervöser bin ich.

Alice Russell

Auch in den Charts?
Russell: Ich höre kaum Sachen aus den Charts, muss ich zugeben. Ich mag „Umbrella“ von Rihanna, aber sonst fällt mir so spontan kein Chart-Künstler ein. Ist Lianne La Havas in den Charts? Sie hat eine traumhafte Stimme und sie hat ein sehr akustisches Album rausgebracht.

Fällt Ihnen aber auch auf, dass sich unter Sängern in den letzten Jahren so eine überemotionalisierte Art zu Singen breit gemacht hat, besonders in Genres wie R’n’B?
Russell: Ich verstehe, was Sie meinen. Ich denke, dass so etwas an den Produzenten und Plattenfirmen liegt, die denken, dass es so funktioniert. Und dann versuchen sie das dem Sänger beizubringen und aus ihm etwas zu machen, was er nicht ist.
Dass der Künstler das selbst so will, glaube ich nicht, weil es ja sehr anstrengend ist, etwas vorzutäuschen, das kostet viel mehr Kraft. Insofern denke ich, das kommt zustande, wenn jemand bei einem Major-Label unterschrieben hat, mit dem Produzenten arbeitet und der versucht zu diktieren, wie derjenige zu singen hat.

Gibt es eine kommerzielle Art zu singen?
Russell: Hm, nein, weil wenn du dir dann die Charts anguckst, da gibt es Indie, Rock, R’n’B – alles verschiedene Genres.. Es gibt bestimmte Modeerscheinungen, im Moment ist ja Autotune sehr in Mode, dieser T-Pain-Sound. Nur, wenn man mal drüber nachdenkt, ist das für deine Ohren doch der abscheulichste Sound überhaupt. Fürchterlich!
Aber was die Emotionen angeht: Passen sich Emotionen der Mode an? – Ich weiß nicht.

Es gibt auf Youtube bei einem Ihrer Videos diesen Kommentar…
Russell: Oh Gott, was kommt jetzt?

Lesen Sie die Kommentare?
Russell: Nein, ich nicht. Aber ein Freund von mir erzählt mir manchmal was da steht.

Ein populärer Kommentar zum Video Ihrer Coverversion von Gnarls Barkleys „Crazy“ lautet: „Gott sei Dank ist sie nicht drogenabhängig“.
Russell: Naja, wer weiß das schon? (lacht) Nein, kleiner Scherz. Natürlich bezieht sich das auf Amy Winehouse und andere Musiker, die sich damit ruiniert haben. Was soll ich dazu sagen? Ich habe auch meine Laster, aber über die reden wir jetzt nicht. (lacht)
Für mich ist es rückblickend ein Segen, das ich so etwas in dem Alter nicht erlebt habe. Wenn man bedenkt, wie jung Amy war. In dem Alter habe ich noch nicht so viel Musik gemacht. Ich war mir vieler Dinge noch nicht bewusst, wenn ich so jung so durch die Decke gegangen wäre wie Amy Winehouse – ich weiß nicht, was dann losgewesen wäre, es kann sehr leicht passieren, dass es mit dir dann genauso bergab geht. Das ist ja das Tragische, dass manche Künstler sich zu dem Zeitpunkt noch nicht gefunden haben. Du bist sehr emotional in dem Alter aber du weißt noch nicht richtig, wer du wirklich bist. Insofern bin ich froh, dass ich dem ausgewichen bin.

Bei Ihnen kam der Erfolg nach und nach.
Russell: Ja, Schritt für Schritt. Und das war ein Segen. Wobei ich manchmal auch etwas frustriert darüber gewesen bin, dass es so lange gedauert hat, diesen Punkt zu erreichen, wo ich heute bin und mich mit meiner Musik gut fühle.

Um Alkohol geht es auf Ihrem aktuellen Album im „Drinking Song“…
Russell: Ja, wir hatten die Idee, mal einen Song aus der Perspektive eines Drinks zu schreiben. Das kann man auch in der Musik hören. TM Juke hatte diesen großen Beat drunter gelegt, der so wackelig klingt, so wie man sich jemanden vorstellt, der etwas zu viel Whisky getrunken hat.
Ich persönlich mag auf jeden Fall meinen Wein und meinen Whisky.

Hilft das der Stimme?
Russell: Nein. Es kann dir manchmal emotional helfen… ich mag das Gefühl bei Wein, das ist für mich fast ein spirituelles Getränk, er bringt dich zum philosophieren. Whisky ist da ein bisschen aggressiver, und er hilft deiner Stimme ganz und gar nicht, eher macht er sie richtig schlimm kaputt. Mir ist das ja mal passiert, auf einem Festival, da musste ich dann auch operiert werden. Das war auf dem Bestival, damals habe ich viel getrunken, alles mögliche gemacht, das ganze Wochenende laut geschrien, die Stimme war sehr kratzig – und dann hatte ich auf einmal eine Stimmbandblutung. Von da an musste ich sehr vorsichtig sein.

Und heute?
Russell: Ich mag es immer noch, mich gehen zu lassen, aber ich passe schon auf. Weil ich es liebe, zu singen.

Die Kommentierer auf Youtube müssen sich also keine Sorge machen?
Russell: Nein, ich denke, bei mir ist alles OK. Ich stürze mich manchmal ins Vergnügen, aber ich habe die Füße noch auf dem Boden.

Wir sprachen über Amy Winehouse – hatten Sie schon Kontakt zu ihrem Produzenten Mark Ronson?
Russell: Nein. Ich habe ihn ein paar Mal in einem Londoner Club getroffen, aber wir haben noch nicht zusammengearbeitet. Ich kenne aber die „Sugarman 3“ und all die Leute die auf ihrem Album gespielt haben, weil die aus dem Umfeld von Quantic kamen.

Immerhin gibt es einen Track, bei dem man Sie und Mark Ronson zusammengebracht bzw. zusammengemixt hat.
Russell: Richtig, das stimmt. Das war dieser Remix von Bonobo. Ja, da sind wir tatsächlich nah beieinander.

Eine Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Russell: Ich wäre Sponge Bob. Mikey, unser Geiger ist Patrick Star und ich bin Robert Spongebob. Das wäre das erste, was mir bei der Frage einfällt. Ich liebe einfach dieses Cartoon.

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