Ali Samadi Ahadi

Man kann Menschen nicht verhaften, nur weil sie denken.

Regisseur Ali Samadi Ahadi über über seinen Film „The Green Wave“, die brisante Lage im Iran und und wie er sich in Deutschland nach der Sarrazin-Debatte fühlt

Ali Samadi Ahadi

© Paul Schöpfer

Herr Ahadi, als Sie sich entschieden mit „The Green Wave“ eine Dokumentation über die Aufstände im Iran von 2009 zu drehen, muss Ihnen das Risiko, danach nicht mehr in Ihr Geburtsland reisen zu dürfen, bewusst gewesen sein. Wieso nehmen Sie dieses Risiko auf sich?
Ahadi: Ich bin ja nicht religiös im klassischem Sinn, sondern meine Religion ist mein Glaube an die Menschheit und die Menschlichkeit. Dementsprechend muss ich mir, wenn ich die Straßen im Iran in Flammen stehen sehe, die Frage stellen, wie meine Haltung dazu ist. Und Position beziehe ich, indem ich einen Film drehe. Ich tue nichts Illegales, nichts Verwerfliches, nichts Unmenschliches. Ich bewege mich im Rahmen der Menschenrechtscharta, der deutschen Gesetzgebung, ich bewege mich sogar im Rahmen der iranischen Gesetzgebung. In  meinem Film spiegele ich ein gesellschaftliches Ereignis wider. Der Preis, den ich zahle, wird von außen bestimmt – und ich muss damit leben.

Hoffen Sie in Zukunft wieder in den Iran zurückkehren zu können?
Ahadi: Das wäre sehr schön. Ich gehe davon aus, dass sich die Gesellschaft so verändert, dass die iranische Regierung wieder auf ihr Volk hören muss. Dann sehe ich auch eine Möglichkeit, wieder in den Iran zu reisen.

Lassen sich die im Film thematisierten Demonstrationen aus dem Jahr 2009 als Fortsetzung der Proteste im Jahr 1979 sehen?
Ahadi: Die iranische Demokratie-Bewegung ist fast 200 Jahre alt und der Wunsch danach ist nie abgeebbt. Rein geschichtlich sind Diktaturen gekommen und gegangen, wenn wir Argentinien, Chile oder Südafrika, den gesamten Ostblock, Spanien, Italien und Deutschland betrachten. Das waren Phasen, in denen Diktatoren gekommen und irgendwann gegangen sind, weil sie einsehen mussten, dass sie nicht gegen das eigene Volk regieren können. Entweder hörten sie auf ihr Volk und es trat ein Wandel ein oder sie taten das nicht und der Wandel trat noch viel härter ein. Der Iran hat eine junge Bevölkerung und zugleich gibt es viele Einflüsse auf die Gesellschaft aus der ganzen Welt. Das Volk kann diese straffe Form, dieses Hierarchische, Autokratische nie akzeptieren. Da muss ein Wandel folgen.

Aber so etwas kann viele Jahre dauern…
Ahadi: Ja, selbst wenn die niedergeschlagene Bewegung erfolgt gehabt hätte, wäre die Frage gewesen, wo die Alternative ist. Wo sind die Strukturen, auf deren Basis ein demokratisches System aufzubauen wäre? Die müssen wachsen. Es gilt ein System aufzubauen, auf das das Volk hört. Genau das war 1979 das Problem, als der Schah gestürzt wurde. Da vertraute man darauf, dass alles was nach dem Schah kommt, besser sein müsse – aber dem war nicht der Fall.

Bei der Wahl war Mir Hossein Mussawi die Alternative zu Mahmud Ahmadinedschad. Würden Sie sich als einen Anhänger von Mussawi bezeichnen?
Ahadi: Nein. Ich bin nicht pro oder gegen Mussawi oder Ahmadinedschad. Ich möchte mit meinem Film zeigen, was die Menschen wollen. Mich interessiert weder der eine noch der andere sonderlich. Aber mich interessiert, warum man auf Leute schießt, die fragen, wo ihr Stimmzettel geblieben ist. Das hat nichts mit einer politischen Richtung oder Haltung zu tun, sondern ist eine rein menschenrechtliche Frage. Der Iran hat die Menschenrechtscharta unterschrieben. Laut Verfassung haben die Menschen das Recht, ihre Meinung zu äußern, zu demonstrieren, auf eine freie Presse. Findet all das nicht statt, muss die Frage nach dem Warum erlaubt sein.

Eine wichtige Voraussetzung, um eine Demokratie zu etablieren ist die Trennung von Staat und Religion. Sehen Sie eine Perspektive, wann und ob dies im Iran zu erreichen ist?
Ahadi: Ich kann keine Uhrzeit und kein Datum vorhersagen, aber sogar die klerikalen Instanzen im Iran sagen, dass es ein Fehler war, im Iran Religion und Staat miteinander zu verbinden. In der Revision muss es diese Trennung geben. Das zeigt, dass dieser Gedanke selbst in religiösen Kreisen angekommen ist.

Wie steht es heute um die Grüne Bewegung, die etwas aus den Medien verschwunden ist?
Ahadi: Die Menschen sind damals auf die Straße gegangen, um auf die mangelnde Freiheit, die Perspektivlosigkeit, Inflation, Arbeitslosigkeit, Unterdrückung von Frauen und Jugend und die problematischen internationalen Beziehungen aufmerksam zu machen. Eineinhalb Jahre später ist keines dieser Probleme gelöst, im Gegenteil, die Situation hat sich verschlechtert. Die Inflation ist in die Höhe geschnellt, die Arbeitslosigkeit ist höher als je zuvor und in iranischen Gefängnissen sitzen mehr Journalisten als sonst wo in der Welt. Daher denke ich, dass die mit Waffengewalt erzeugte Ruhe nur von kurzer Dauer ist. Langfristig wollen die Menschen eine Antwort haben. Es wird die Zeit kommen, in der das Regime auf die Menschen im Iran aufbauen muss. Diese Zeit kommt meist früher, als die Anhänger solcher Regime glauben.

Ist Ihr Film als Weckruf zu verstehen?
Ahadi: Natürlich ist er ein Signal, hinzuschauen, warum es kein Ende für diese Bewegung geben kann. Er richtet sich auch an unsere Politiker, die sich fragen sollen, warum sie mit einem solchen Regime über unsere Sicherheit diskutiert, mit einem Regime, das sein eigenes Volk nicht achtet, hinrichtet, vergewaltigt und verschwinden lässt. Diese Schizophrenie in unserer Politik muss aufhören. Deutschland könnte innerhalb von zwei Monaten eine Atombombe bauen und jede zweite Woche könnte eine weitere Bombe dazukommen. Der Grund, warum Deutschland keine Bombe baut ist nicht mangelndes Know-How, sondern die starke Zivilgesellschaft, die starke Einbindung in die internationale Gemeinschaft. Wenn wir einen stabilen Mittleren Osten und einen Iran wollen, der seinen Pflichten in der Weltgemeinschaft nachkommt, müssen wir auf eine starke Zivilgesellschaft setzen. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit Saddam Hussein im Irak oder Afghanistan zeigen, dass ein Kuhhandel mit diesen Diktatoren nicht förderlich für unsere Stabilität und Sicherheit ist.

Welche Rolle spielt Ihre persönliche politische Einstellung für den Film?
Ahadi: Für mich – und auch für viele Iraner in meinem Team – waren die Arbeiten am Film ein Wechselbad der Gefühle. Ich kann keine Distanz bewahren, wenn ich einen Film mache. Ich glaube nicht an die Objektivität, von der so oft gesprochen wird, ich habe meine Haltung und will die nicht verheimlichen. Um objektiv zu sein, müsste ich schizophren sein. Ich verlasse mich auf meine Professionalität, um nicht den Faden zu verlieren. Wobei das Risiko natürlich besteht, wenn man sich so nahe an die eigenen Wurzeln begibt.

Zitiert

Wenn ich einen Film drehe, tue nichts Illegales. Ich bewege mich im Rahmen der Menschenrechtscharta, ich bewege mich sogar im Rahmen der iranischen Gesetzgebung.

Ali Samadi Ahadi

Welche Rolle können Exil-Iraner wie Sie für die Entwicklung im Iran einnehmen?
Ahadi: Ich hoffe, dass mein Film den Ruf der iranischen Gesellschaft nach außen trägt und im Ausland eine Diskussion entfacht, aber auch im Iran zu einer Diskussion beiträgt, dass er den Blick der Menschen schärft.

Aber wie erreicht Ihr Film denn die iranische Bevölkerung?
Ahadi: Er darf natürlich nicht gezeigt werden, aber die iranische Gesellschaft lässt sich nicht von Verboten abhalten. Im Iran darf keiner Satellitenschüsseln haben – doch fast jedes Haus hat eine. Es darf auch niemand einen Facebook-Account haben, aber jeder junge Mensch hat einen. Diese Verbote sagen nicht viel aus, da es viele Möglichkeiten gibt, sie zu umgehen. Ob der Film Auswirkungen auf die Bevölkerung haben wird, kann ich nicht vorhersehen. Frühere Fälle zeigen, dass sich solche Filme schnell verbreiten. Ich wünsche mir, dass er Teil dieser Auseinandersetzung wird.

Wie haben Sie 2009 die Ereignisse im Iran aus der Ferne erlebt?
Ahadi: Es war eine Lähmung. Ich verstand diese Gewalt und Brutalität nicht. Es dauerte zwei Monate, ehe ich das begreifen und mich positionieren konnte. Erst dann überlegte ich, was ich tun könnte und begann diesen Film zu machen. Ab diesem Moment habe ich jeden Tag mit der Situation im Iran gelebt.

Der Film zeigt einige sehr brutale Szenen. Haben Sie gezögert diese zu verwenden oder war Ihnen von Anfang an klar, dass die in den Film müssen?
Ahadi: Ich musste nicht lange überlegen, um mich dafür zu entscheiden, diese Bilder zu verwenden. Wir haben nicht einmal die härtesten Bilder genommen, da gab es viel brutalere. Mir war wichtig die Blog- und Twitter-Meldungen, die wir zeigen, in Relation zu dem zu setzen, was auf der Straße passiert. Und die Ereignisse auf der Straße waren brutal.

Wie schwer war es, einen Film über Ereignisse im Iran zu drehen, ohne selbst im Land zu sein?
Ahadi: Meine Arbeit erinnerte mich an das Spielen mit Holzklötzen, die man auf dem Tisch ausbreitet, um zu gucken, was sich daraus bauen lässt. Ich musste mit fremdem Material, das von anderen erstellt wurde, arbeiten, ich musste mich entscheiden, welche dieser Puzzlestücke ich benutzen will. Dann mussten Lücken gefüllt werden, woran sich die Frage anschloss: Mit welchem Material? Da kam ich auf die Blog- und Twitter-Einträge, die sehr massiven Texte, die es abstrakt zu visualisieren galt.

Wofür Sie dann animierte Protagonisten erschufen…
Ahadi: Ja, aber es war zunächst die Frage: Was für eine Art von Animation? Es gibt ja hunderte Formen. Ich hatte zehn Monate für den ganzen Film und 42 Minuten Animation in zehn Monaten sind eigentlich eine Mission Impossible. Eine Sprache zu finden, die dieser Zeit entspricht, abstrakt ist und zur Filmkollage passt – das waren unheimlich viele Bedingungen, denen wir gerecht werden mussten. Ich habe noch nie einen Film gesehen, der mit Kollagen in der Form funktioniert, dass man reale Bilder mit Interviews und Texten vermengt. Das war komplettes Neuland, was ich aber von meiner Arbeit gewohnt bin. Ich betrete gerne Neuland.

Ist es aber nicht auch gefährlich, Szenen auf Twitter-Meldungen basieren zu lassen, deren Wahrheitsgehalt man schwer überprüfen kann?
Ahadi: Ich habe tausende von Quellen gelesen, die alle Ereignisse gleich beschrieben. Von den unterschiedlichsten Menschen. Dann kann die Beschreibung nicht falsch sein.

Spiegelt Ihr Film auch eine neue Art des Journalismus wider, in dem Experten wie Sie Meldungen von Normalbürgern in einen Kontext einordnen, wie es auch beim Film „Burma-VJ“ der Fall war?
Ahadi: Bürgerjournalismus ist für mich ein Thema und es ist gerade in Ländern, wo Journalisten gefährdet leben, ein Thema. Die Bilder sind Momentaufnahmen, die keine inhaltliche Auseinandersetzung mit sich bringen. Die Aufnahmen, die wir aus dem Iran bekamen, waren Fetzen ohne Anfang und Ende, hatten schlechten Ton und ein schlechtes Bild – und trotzdem zeigen sie einen gesellschaftlichen Moment. In den Blogs professionalisiert sich das schon, die Menschen schreiben interessante Texte – und auch auf bildlicher Ebene wird in Zukunft viel passieren, denke ich.

Im Presseheft zu „The Green Wave“ werden Sie mit dem Satz zitiert: „Ich habe mich immer sowohl als Iraner als auch als Deutscher gefühlt.“ Fühlen Sie sich gut in die deutsche Gesellschaft integriert?
Ahadi: Ich glaube in Deutschland gut integriert zu sein, habe mich aber noch nie so fremd in Deutschland gefühlt, wie nach dieser Integrationsdiskussion Ende letzten Jahres. Die war extrem befremdend und verletzend. Das jemand mit falschen Daten und Fakten argumentiert ist eine Sache, die andere ist, dass ein Großteil der Gesellschaft das unreflektiert annimmt und sagt: „Ja, der Mann hat Recht.“ – Das hat mich erschüttert. Ich versuche mein Bestes, auch dazu eine Haltung einzunehmen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der deutschen Medien bei der Integrationsdebatte?
Ahadi: Ich war verwundert, dass man sich nicht damit auseinandergesetzt hat, was denn in diesem Buch überhaupt passiert. Wenn Herr Sarrazin vom Lebensraum für Deutsche, die vor 1965 in Deutschland gelebt haben, redet, dann erinnert mich das an Texte, die vor 1965 und vor 1945 in Deutschland verfasst wurden. Da stelle ich mir die Frage: Wieso glauben 70 Prozent der Menschen, dass er Recht hat? – Es wurde nicht sachlich diskutiert. Nur reißerisch. Aber vielleicht braucht Deutschland ein wenig Zeit, um mit dem Thema reflektiert umzugehen.

Zum Schluss: Der Regisseur Jafar Panahi, der dieses Jahr in der Berlinale-Jury sitzen sollte, wurde im Iran zu sechs Jahren Haft verurteilt. Sehen Sie eine Chance, dass er freikommt?
Ahadi: Falls die Revision einsetzt und die Richter auf ihre Fehler aufmerksam werden, dann ja. Dafür müssen wir aber Einiges tun und die Herrschaften daran erinnern, dass er im Rahmen der iranischen Gesetzgebung, im Rahmen der Menschenrechtscharta und im Rahmen seiner Berufsethik gehandelt hat. Dass es ein Teil seines Lebens ist, Menschen zu beobachten. Man kann Menschen nicht verhaften, nur weil sie denken.

Ein Kommentar zu “Man kann Menschen nicht verhaften, nur weil sie denken.”

  1. Manfred-M |

    Künstler und Politik

    Wir verlangen mit Recht von den Iranern, dass sie kritisch mit ihrer Politik umgehen sollen.

    Wir sollten aber auch mit unseren Filmen kritisch umgehen. So sehr uns der Nostalgismus, die Hoffnung und die Emotionen in Samadis Film auch berühren, bleiben viele Fragen offen.

    Eine Dokumentation der iranischen Propagandasendung Press TV anlässlich des Jahrestages der iranischen Präsidentschaftswahlen, ist leider objektiver gewesen als der Beitrag des Demokraten Ali Samadi Ahadi. Dort kamen im Gegensatz zu Samadis Film alle Anhänger der Kandidaten zu Wort. „The Green Wave“ basiert dagegen von Anfang bis Ende ausschließlich auf den Darstellungen der ?Grünen Bewegung?. Man stelle sich vor, dass im Iran ein Islamist einen Film über Deutschland dreht und nur Mitglieder der Linken zu Wort kommen lässt.

    Unser Sendungsbewusstsein darf auch nicht stärker werden als die Realitäten vor Ort. Es ist faszinierend, wie manch ein Exil-Iraner, der seit Jahren nicht in Iran gewesen ist und sich offenbar auch nicht die Zahlen internationaler Organisationen wie dem IWF anschaut so flapsig behaupten kann, dass es Irans Wirtschaft schlecht gehe, die Arbeitslosigkeit „so hoch wie nie“ zuvor sei usw.. Jeder, der ein Bisschen Recherchekompetenz aufweisen kann, wird finden, dass das Gegenteil der Fall ist. Es wundert mich immer wieder, warum so viele Exil-Iraner offenbar insgeheim das Gegenteil wünschen.

    Zurück zum Film: Die einzige Film-Analyse, die ich gefunden habe, die kritisch mit dem Thema umging war die auf Irananders:
    http://tinyurl.com/Gr-Welle

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